Das Hessische Landesmuseum Darmstadt ist bekannt für seine beeindruckende Sammlung tertiärer Säugetierfossilien: Neben Funden aus den Dinotheriensanden, dem Oberrhein einschließlich Seekühen oder den Fossillagerstätten von Samos und North Dakota ziehen vor allem die hervorragend erhaltenen Tiere aus der Grube Messel die Besucher an. Weniger bekannt: Das riesige Aushängeschild der Darmstädter Sammlung, ein amerikanisches Mastodon (Mammut americanum). Sein Skelett hat selbst eine bewegte Geschichte hinter sich.
Nachdem es die letzten Jahre durch die USA tourte, ist die „jüngere“ Vergangenheit des Skelettes nun Gegenstand der Sonderausstellung American Heiner – Ein Mammut macht Geschichte.
Die Mastodon – Ausstellung läuft noch bis zum 3. Juli 2022.
Wir schreiben das Jahr 1739. Unter dem Kommando von Baron Charles Le Moyne de Longueuil fährt eine französische Armee den Ohio River hinab in Richtung des Mississippi, um dort Krieg gegen den Stamm der Chickasaw zu führen. Doch schon bald fesselt eine andere Entdeckung die Aufmerksamkeit der Expedition: Krieger der Shawnee, die die Soldaten begleiteten, berichten von riesigen Knochen, die sie in der Nähe des Flusses gefunden haben. Baron de Longueuil lässt seine Männer dem Hinweis nachgehen. Tatsächlich finden sie drei Zähne, einen Stoßzahn und einen gewaltigen Oberschenkelknochen, die dem Fundplatz fortan den bezeichnenden Namen „Big Bone Lick“ verleihen.
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Big Bone Lick – Die Wiege der amerikanischen PaläontologieEine Legende der Shawnee erzählt von einer Herde riesiger Bisons, die durch das Ohio Valley wüten und alles auf ihrem Weg verwüsten. Um den Stamm zu beschützen, tötete eine Gottheit diese großen Bestien mit Blitzen und jagte schließlich den letzten Riesenbüffel über den Wabash River ins Exil, Die Quelle dieser Legende war eine besondere Salzlecke im heutigen Norden von Kentucky, wo riesige versteinerte Skelette jahrhundertelang ungestört von den Shawnee und anderen Eingeborenen der Region gelegen hatten. 1739 stießen die ersten Europäer auf diese Fossilienfundstelle, die schließlich als Big Bone Lick bekannt wurde. Die riesigen Knochen stellten sofort viele wissenschaftliche und philosophische Annahmen der damaligen Zeit in Frage und führten schließlich zum Studium von Fossilien für biologische und historische Zwecke. Big Bone Lick: The Cradle of American Paleontology erzählt die reiche Geschichte der Fossilienfundstelle, die der Welt den ersten Beweis für das Aussterben mehrerer Säugetierarten lieferte, darunter das amerikanische Mastodon.
Big Bone Lick – The Cradle of American Paleontology ist als gebundenes Buch, Taschenbuch, Hörbuch und für den Kindle erhältlich. Es ist 2008 in englischer Sprache erschienen.
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Das mysteriöse „Ohio-Tier“ gelangt nach Paris
Zwar geht der Feldzug für die Franzosen letztlich verloren, doch die rätselhaften Knochen finden ihren Weg in die königliche Sammlung nach Paris. Dort ist man fasziniert und rätselt über das mysteriöse „Ohio-Tier“. Ähnliche Zähne und Knochen waren bereits zuvor in Mexiko (1519) und den Niederlanden (1705) entdeckt worden – im Geiste der Zeit identifizierte man diese jedoch als die Überreste von Riesen, von denen bekanntlich bereits die Bibel berichtet. Anders geschah es zumindest im Falle der 1725 auf der Stono-Plantage in South Carolina entdeckten Mammutzähne: Während die weißen Landbesitzer ratlos waren, identifizierten die afrikanischen Sklaven die Zähne sofort als zu Elefanten gehörig.

Der Naturforscher Louis-Jean-Marie Daubenton untersucht die Überreste aus Big Bone Lick schließlich näher und stellt fest, dass diese den früher entdeckten Knochen von Mammuts und Elefanten ähneln – die Zähne dagegen schreibt er einem riesigen Flusspferd zu. Der schottische Anatom William Hunter Croghans dagegen hält die Kreatur für einen schrecklichen fleischfressenden Elefanten.
Das „Ohio-Tier“ wird politisch
In den nächsten Jahrzehnten werden weitere Überreste des gewaltigen Tieres in Nordamerika entdeckt. Sie entwickeln sich schnell zum Politikum: Der seinerzeit einflussreiche Naturforscher Georges-Louis Leclerc de Buffon behauptete in seiner ab 1749 veröffentlichten Naturgeschichte, die Tierwelt und alles Leben auf dem amerikanischen Kontinent sei klein und degeneriert im Vergleich zur Alten Welt. Eine klare Demütigung für die Bewohner der zunehmend nach Unabhängigkeit strebenden Kolonie. Diese Sicht ist auch nach der Amerikanischen Revolution noch allzu präsent.

Nicht nur George Washington begutachtet höchstpersönlich die aktuellen Funde – auch sein späterer Nachfolger Thomas Jefferson zeigt großes Interesse an den riesigen Knochen: Ganz im Sinne der jungen Nation, die sich noch keiner ruhmreichen Geschichte rühmen kann, beweist das „Ohio-Tier“ für ihn, das auch in Amerika große Tiere existierten, die Fauna also keineswegs verkümmert sei wie von Buffon behauptet. Mehr noch: Könnte nicht dieses vielleicht größte Landtier aller Zeiten irgendwo im unerforschten Westen noch immer am Leben sein?
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Illumanati von Leif Inselmann war bisher nur für den Kindle erhältlich, die gedruckte Ausgabe wird aktuell ausgeliefert. Sie hat ungefähr 254 Seiten.
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Knochen eines weiteren „Ohio-Tieres“ werden schließlich 1799 auf der Farm von John Masten in Newburgh, New York entdeckt. Das erweckt die Aufmerksamkeit des Malers Charles Willson Peale, der für eine stattliche Summe nicht nur die Knochen selbst erwirbt, sondern auch das Recht auf weitere Ausgrabungen. 1803 unternimmt er zusammen mit seinem Sohn Rembrandt eine aufwendige Grabung auf der Farm, wobei kurz nacheinander zwei nicht ganz vollständige Skelette entdeckt werden. Mit ergänzenden Holzrepliken zu einem vollständigen Skelett montiert, stellt Peale die Knochen zusammen mit weiteren Funden in seinem Privatmuseum in Philadelphia aus, wo es 1804 auch von Alexander von Humboldt besichtigt wird.

Georges Cuvier beschreibt das Tier als Mastodon
Inzwischen beschreibt der Paläontologe Georges Cuvier das Tier. Der Form seiner Zähne nach gibt er ihm den Namen Mastodon („Brust-Zahn“), unter welchem es bis heute bekannt ist. Erstmalig postuliert dieser die damals revolutionäre Annahme, dass Arten aussterben können und einst eine völlig andere Fauna existierte. Tatsächlich jedoch hat der hessische Arzt Christian Michaelis dasselbe Tier bereits 1789 mit Mammutfunden aus Sibirien verbunden und als „Mammut“ beschrieben. Somit besitzt der Gattungsname Mammut Gültigkeit für das Tier, das im Volksmund nach wie vor meist Mastodon genannt wird.
Hier gibt es noch eine Stolperfalle: Das Wollhaarmammut gehört zur Gattung Mammuthus.

Das Mastodon wird berühmt – und landet in Darmstadt
„Peales Mastodon“ hatte derweil eine verschlungene Reise vor sich. Nach dem Tod von Charles Willson Peale 1850 wurde es zusammen mit den übrigen Sammlungen des Museums an den Zirkusunternehmer Phineas Taylor Barnum verkauft. Dessen Museum in Philadelphia brannte jedoch schon ein Jahr später nieder, 1865 auch das größere Museum in New York. Glücklicherweise jedoch hatte er das Mastodon-Skelett bereits zuvor nach Europa verschifft. Dort wollte er es zu Geld machen. Zunächst bot er es dem Jardin de Plantes in Paris und dem British Museum in London erfolglos zum Kauf an. Schließlich erwarb es 1854 der Inspektor der Großherzoglichen Naturaliensammlung von Darmstadt Johann Jakob Kaup für das heimische Naturalienkabinett.

So gelangte eines der damals bedeutsamsten Mastodon-Fossilien nach Darmstadt, wo es seit 1906 im Eingangsbereich der naturgeschichtlichen Abteilung montiert stand. Das Skelett war auf verschlungenen Wegen in die Sammlung gelangt, erst 1954 konnte es als das berühmte Peales Mastodon identifiziert werden.
2020 war das Skelett Star einer großen Humboldt-Ausstellung im Smithsonian American Art Museum in Washington, D.C. Von dort aus kehrte es – verzögert durch die Corona-Pandemie – erst 2021 zurück nach Darmstadt.
Die Sonderausstellung American Heiner
All dies und mehr ist Thema der Sonderausstellung American Heiner. Die Geschichte der ersten Mastodon-Funde bildet ein herausragendes Exempel für die Entwicklung der frühen Paläontologie in ihren historischen und sozialen Kontexten. Ebenso ist sie ein beredtes Beispiel für die populäre und politische Rezeption von Fossilfunden, die Sagen und aus heutiger Sicht kuriose Theorien inspirierten.
Viele Objekte sind nicht in der Ausstellung zu sehen – doch könnten die wenigen in ihrer Bedeutung kaum größer sein. Zwei Backenzähne, einen Oberkieferknochen und der Oberschenkelknochen von Big Bone Lick kann man im Original bestaunen. Hinzu kommen zeitgenössische Gemälde und andere Dokumente – der eigentliche Schwerpunkt aber liegt nicht auf den Exponaten, sondern der spannenden Forschungsgeschichte.
Es wäre sicher ein hoffnungsloses Unterfangen, diese Masse an historischen Fakten in Form herkömmlicher Texttafeln zu präsentieren. Stattdessen wird die gesamte Forschungsgeschichte von den ersten Funden über Big Bone Lick und Peales Mastodon bis zu dessen jüngster Heimkehr in Form liebevoll gezeichneter Comic-Strips und zugehöriger Wandbilder vermittelt, die an verschiedenen Punkten der Ausstellung aushängen. Sie vermögen auch eine Vielzahl von Namen, Daten und Ereignissen durchaus anschaulich und unterhaltsam zu vermitten. Die gesamte Graphic Novel lässt sich – anstelle eines Ausstellungskataloges – für 8 € im Museumsshop erwerben. Für jeden Interessierten an Paläontologie, Forschungsgeschichte und prähistorischen Rüsseltieren ist American Heiner auf jeden Fall ein lohnendes Ausflugsziel.
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Vom Flugsaurier bis zum Mammut: Eine kleine Einführung in die Welt der GigantenWenn wir von gigantischen Lebewesen reden, dann denken wir in der Regel an die Dinosaurier. Dabei gibt es so viele andere große Lebewesen abseits der Dinosaurier; denn die Meeressaurier und die Flugsaurier, die wir in der Regel zu den Dinosauriern zählen, gehören genau genommen gar nicht zu den Dinosauriern. Es handelt sich um Arten, die sich unabhängig von den Dinosauriern entwickelt haben; denn die Dinosaurier gingen nicht mehr zurück ins Meer – und in die Luft gingen sie als Vorläufer der Vögel, die als einzige Dinosaurier das große Massensterben von 66 Millionen Jahren überlebt haben.
Vom Flugsaurier bis zum Mammut ist 2021 independent publiziert und als Taschenbuch sowie für den Kindle erhältlich.
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American Heiner: Ein Mammut macht Geschichte
Die Ausstellung steht im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Sie ist bis zum 3.7.2022 verlängert.
Webseite des Museums (klick öffnet in neuem Tab)
Öffnungszeiten:
- Mo: geschlossen
- Di: 10:00 – 18:00 Uhr
- Mi: 10.00 – 20:00 Uhr
- Do: 10:00 – 18:00 Uhr
- Fr: 10:00 – 18:00 Uhr
- Sa: 10:00 – 17:00 Uhr
- So: 10:00 – 17:00 Uhr
Eintritt:
- normal € 6,-
- ermäßigt € 4,-
Erreichbarkeit:
ÖPNV bis zu den Haltestellen Schloss, Luisenplatz oder Willy-Brandt-Platz
Parkplätze gibt es in den umliegenden Parkhäusern.
Für € 9,- Ticket-Reisende haben wir ein paar Reisezeiten mit dem bundesweiten Nahverkehr:
- Frankfurt HBF: 39 min, 1 Umstieg
- Mainz HBF: 47 min, 1 Umstieg
- Stuttgart HBF: 3:11 h, 3 Umstiege
- Nürnberg HBF: 3:36 h, 3 Umstiege
- Köln HBF: 4:04 h, 3 Umstiege
- Dortmund HBF: 5:31 h, 5 Umstiege
- Hannover HBF: 6:05 h, 4 Umstiege
- Berlin Pankow-Heinersdorf (special für HJV): 9:58 h, 10 Umstiege
(Wie immer: Alle Angaben ohne Gewähr, verlasst euch nur auf die eigenen Recherchen)