Wer sich heute in den Nachrichten umsieht, sieht neben der Ukraine-Kriese zwei Meldungen, die aufhorchen lassen. Es geht um zwei ausgerottete Tiere, die von zwei unterschiedlichen Kontinenten kommen, aber über erstaunliche Parallelen verfügen: Den Beutelwolf und das Quagga.
Australier filmt ausgestorbenes Tier
Ein Video, das beim chinesischen Videoportal tiktok hochgeladen wurde, hat weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Der Australier Andy hat es in Strathmore, eine Stadtteil von West-Melbourne auf dem australischen Festland aufgenommen. Es zeigt seiner Meinung nach einen möglichen Beutelwolf.
Das Tier sieht sehr dunkel und dünn aus, es stöbert nachts am Straßenrand und rennt weg, als sich Andy mit dem Auto nähert. Natürlich gibt es eine gewisse Ähnlichkeit mit den Fotos von Beutelwölfen (sonst hätte es keinen Grund gegeben, das zu veröffentlichen):
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Der Beutelwolf Thylacinus cynocephalusSeit 30 Jahren sammelt der Verfasser Daten über den Beutelwolf. Er forschte in rund 30 Museen Europas, Australiens und der USA, fotografierte und vermaß Präparate, Schädel und Skelette und trug in mehreren Publikationen zum Wissen über die Art bei. In den Archiven von Launceston und Hobart/Tasmanien sichtete er das z. T. unveröffentlichte Bild- und Textmaterial und befragte letzte Augenzeugen; Wissenschaftlern und Hobbyzoologen verdankt er manche wertvollen Hinweise. Ein Filmdokument aus Hobart wurde in Zusammenarbeit mit dem Göttinger Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF) zu einem Unterrichtsfilm gestaltet. Wesentlicher Raum wird dem Beutelwolf als Zootier gewidmet sowie den Fragen, inwieweit er als „typischer Läufer“ gelten kann und welches Ausmaß die Konvergenzen in der Schädelgestalt von Beutelwolf und Wolf erreicht haben. Basierend auf dem zusammengetragenen Daten-, Bild- und Filmmaterial sowie auf mehr als 300 Publikationen entstand die vorliegende Monographie.
Der Beutelwolf: Thylacinus cynocephalus ist 1997 bei Westarp Wissenschaften erschienen und hat 196 Seiten. Trotz seines Alters ist es das wohl vollständigste deutschsprachige Werk zu dem großen Raubbeutler.
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„An den Füßen sollst du sie erkennen!“
Sieht man sich das Video genauer an, kommt man jedoch schnell zu einem anderen Schluss. Das Tier ist deutlich kleiner als ein ausgewachsener Beutelwolf. Keine Frage, es könnte sich um ein Jungtier handeln. Doch eines der wichtigsten von weitem sichtbaren Unterscheidungsmerkmale trifft auch hier zu: Der Beutelwolf hat im Vergleich zu einem Fuchs, Hund oder Dingo einen kurzen Hinterfuß.

Auf dem Bild zeigt sich aber eindeutig ein langer Hinterfuß, damit ist die Sache klar. Es ist daher kein Beutelwolf, der da im Müll stöbert.
Hinzu kommt die Tatsache, dass dieser „Beutelwolf“ auf dem australischen Festland gefilmt wurde. Ein Vorkommen hier ist um so unwahrscheinlicher, weil sein Aussterben hier um 3000 v. Chr. erfolgte. Nur in Tasmanien überlebte er bis 1936 – oder später?

Rückzüchtung des Quagga?
Das Quagga ist die ausgestorbene, südafrikanische Unterart des Steppenzebras. Es zeichnete sich vor allem durch eine reduzierte Streifenzeichnung aus. Kräftig gestreift waren nur Kopf und Hals, ab der Schulter verblassten die Streifen und verschmolzen zu einem einfarbigen Rotbraun. Beine und teilweise auch der Bauch waren hell, Streifen an den Füßen, die viele Pferdeartige haben, fehlten. Da das Quagga bei uns bisher kein Thema war, gibt es hier ausführlichere Informationen:

Quaggas waren in Südafrika weit verbreitet. Die nördliche Verbreitungsgrenze scheinen der Oranje, im Osten der Vaal gewesen zu sein, als Südgrenze wird der Great Kei River vermutet. Sie galten bis ins 17. Jahrhundert als einer der häufigsten Großsäuger überhaupt. Wie oft bei sehr häufigen Tieren begann eine exzessive Jagd. Farmer betrachteten sie als Konkurrenz zu Rindern. Vor allem Mitglieder der Oberschicht töteten die Tiere „aus sportlichen Gründen“. Um 1850 begann man einen Niedergang der Populationen zu registrieren. Es starb zunächst in Oranje aus, während die letzten Populationen noch im Oranje-Freistaat lebten.
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Die Quagga-MonographieWas hier im Text nur kurz dargestellt wurde, führt Peter Heywood auf 280 Seiten aus: Das Leben, Aussterben und die Abbildzucht des Quaggas. Einst Beute für indigene Jäger, Vorbild für Felszeichnungen und Geschichten, dann Objekt europäischer Siedler, nach Europa gebracht, gemalt, fotografiert und beschrieben, wurden sie doch ausgerottet. Jetzt stehen sie im Brennpunkt eines De-Extinction-Programms.
Peter Heywood stellt mit diesem Buch eine einzigartige Monographie über das Quagga vor. Sie erscheint am 31. Juli 2022 und kann jetzt bereits vorgestellt werden. 280 Seiten, als Taschenbuch oder gebundenes Buch in englischer Sprache: The Life, Extinction, and Rebreeding of Quagga Zebras: Significance for Conservation (Ecology, Biodiversity and Conservation)
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Hier zeigt sich eine beängstigende Parallele zum Beutelwolf: Man ging davon aus, dass sie „woanders“ noch vorkommen würden und jagte weiter. Eine Dürre 1877 schädigte die Restpopulation sehr. Das letzte freilebende Quagga wurde vermutlich in den folgenden Jahren erschossen – ohne dass man sich dessen bewusst war.
Kurzes Weiterleben in den Zoos – und in der Wildnis?
In den Zoos wurde das Quagga selten gehalten. Die stärker gestreiften Zebra-(Unter-)Arten waren attraktivere Schautiere, und oft leichter zu bekommen. Im europäischen Raum wurden Quaggas in Antwerpen, Berlin, Dresden, Paris, Amsterdam, Knowsley und London gehalten. Die Zucht ist offenbar nur Antwerpen gelungen. Hier gab es zwei Jungtiere.

Ausgestorben
Das letzte Zoo-Quagga starb am 12.8.1883 in Amsterdam, ohne dass bekannt war, dass es ein Endling war.
Der deutsche „Schutztruppen“-Offizier Victor Franke berichtet noch 1901 in seinen Tagebuchaufzeichnungen von mehreren kleineren Quaggaherden. Er will sie auf dem Gebiet des heutigen Namibias beobachtet haben. 1901 hielt er sich in Owambo im Norden Namibias auf, im gleiche Jahr wurde Franke als Distriktchef von Sesfontein im Nordwesten Namibias eingesetzt.
Beide Gebiete sind mehr als 1000 km vom bekannten Verbreitungsgebiet des Quaggas entfernt.
Die Glaubwürdigkeit Frankes ist schwierig zu beurteilen. Er war kein Zoologe, aber als Militär in genauer Beobachtung geschult und konnte Quaggas von anderen Tieren unterscheiden. Seine Tagebücher waren nie zur Veröffentlichung vorgesehen, so dass jede Täuschungsabsicht verneint werden kann. Andererseits bildete Franke in Namibia eine Alkohol- und Morphinsucht aus. Ob sie 1901 bereits manifest war und wie sie sein Beobachtungsvermögen beeinträchtigte, konnte ich in der schnellen Recherche nicht feststellen.
Moderne Forschungen
Das Quagga stand mehrfach im Mittelpunkt moderner Forschungen. Als ausgerottetes „Zebra ohne Streifen“ bekam es immer wieder Aufmerksamkeit. Die geringe Zahl der Museumsexemplare gehört hier sicher auch zum Mysterium. Weltweit sind vermutlich nur 23 Exemplare erhalten. Dabei gehört ein großer Teil deutschen Museen. Ausgestellt werden sie unter anderem in Berlin, Frankfurt, Wien und London.
Bereits 1984 gab es an vier der Museumsexemplaren eine genetische Untersuchung. Hieraus konnte eine gemeinsame Sequenz von 229 Basenpaaren gesammelt werden. Sie deutet darauf hin, dass der letzte gemeinsame Vorfahre mit dem Bergzebra Equus zebra vor etwa 3 bis 4 Millionen Jahren lebte. Weitere Untersuchungen von 2005 bestätigten jedoch die Vermutung, dass das Quagga eine Unterart des Steppenzebras war.
Das Quagga-Projekt

Die genetischen Untersuchungen von 1984 befeuerten ein Rückzüchtungs- bzw. Abbildzuchtprojekt für das Quagga. Der naturwissenschaftliche Präparator Reinhold Rau aus Frankfurt hatte bereits vorher mit Quagga-Präparaten aus Frankfurt, Mainz und Kapstadt gearbeitet und 22 der 23 bekannten Quagga-Präparate untersuchen können. Er beschaffte auch die Proben für die genetischen Untersuchungen 1984 – und inspirierte Michael Crichton zu seinem Roman „Jurassic Park“, 1990.
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Zeugnisse ausgestorbener TierartenNach dem erfolgreichen «Herbarium der Entdecker» nun das bibliophile Werk zur Vergangenheit der Tierwelt. Großformat und außergewöhnliche Bebilderung machen das «Bestiarium» zum idealen Geschenkband für Tierfreunde. Mammut, Dodo, Höhlenbär und Beutelwolf waren einst weit verbreitet und regen heute nur noch als Fabeltiere unsere Fantasie an. Über Jahrtausende haben Menschen Tiere bis zur Ausrottung gejagt, ihre Habitate zerstört und empfindliche Ökosysteme erheblich beeinträchtigt. Warum ist ein so großes Raubtier wie der Java-Tiger ausgestorben? Was geschah mit dem Lachkauz? Und wie konnten Nilbarsche im Victoriasee ein ökologisches Desaster auslösen?
Das «Bestiarium» gibt Antworten auf diese und viele weitere Fragen. Im Zentrum dieses reich bebilderten Werkes steht das Schicksal von 69 Tierarten, die in den letzten 50 000 Jahren wegen uns Menschen verschwunden sind. Die Fotografien zeigen, was von ihnen noch übrig geblieben ist, und ihre Geschichten erzählen von den großen Wellen des Artensterbens in der Vergangenheit und machen Hoffnung, dass es vielleicht noch nicht zu spät ist, um dem nächsten großen Artensterben Einhalt zu gebieten.
Bestiarium: Zeugnisse ausgestorbener Tierarten ist 2014 im Haupt-Verlag erschienen und hat 168 reich illustrierte Seiten. Es ist aktuell nur noch antiquarisch zu bekommen. Für gute Exemplare zahlt man zwischen 15 und 20 €.
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De-Extinction, Abbildzucht oder Fancy Animals?
Das Projekt selber begann 1986 offiziell. Die Projektmitarbeiter erwarteten, dass in der Vergangenheit gelegentlich Paarungen zwischen den beiden Steppenzebra-Unterarten Burchellzebra und Quagga stattgefunden hatten und sie Gene der Quaggas noch finden konnten. Daher hielten sie die Burchell-Zebras aus Namibia für die geeignetsten Tiere, um ein Abbildzucht-Programm zu beginnen. Schon im folgenden Jahr selektierten sie neun Tiere aus den Herden des Etosha-Nationalparkes aus und brachten sie in einen Zuchtkomplex bei Robertson in Südafrika.
- 1988 kamen die ersten Fohlen auf die Welt.
- 2005 wurde Henry, ein für das Projekt sehr wichtiger Hengst geboren. Er zeigte eine starke Reduktion der Streifen.
- 2013 wurde das erste Fohlen der 5. Generation geboren. Seine Streifen sind soweit zurückgebildet, dass es als „Rau-Quagga“ bezeichnet wird.
- 2016 hielt das Projekt 116 Tiere an zehn Orten. Davon hatten sechs Tiere einen Quagga-ähnlichen Phänotyp.
- Aktuell hält das Projekt mehr als 200 dem Quagga-ähnliche Tiere, mit denen eine Wieder-Auswilderung geplant ist. Dies ist der Grund, an die Weltöffentlichkeit zu treten.

Mehr Informationen zum Quagga-Projekt gibt es unter https://www.quaggaproject.org
Kommentar:
Das Quagga ist ausgestorben. Außer 23 teilweise unvollständigen Museumsexemplaren und fünf schwarz-weiss-Fotos der Londoner Stute ist nichts von einem der häufigsten Großsäugetiere geblieben. Damit ist es den Weg von Wandertaube, Auerochse und Riesenalk gegangen: Einst häufige Tiere, die der Mensch aus unterschiedlichen Gründen ausgerottet hat – meist aus Dummheit oder Ignoranz.
Südafrikas Trockensavannen und -steppen haben sich durch das Fehlen des Quaggas verändert. Gräser, die auf Quaggas angewiesen sind, verschwanden, andere traten in die Lücke. Raubtiere mussten sich umstellen, Parasiten verschwanden oder mussten sich andere Wirte suchen. Der Kot von Quaggas unterschied sich von dem von Antilopen, Wild- und Zuchtrindern. Daher gab es spezialisierte Einzeller, Pilze, Fliegen-, Käfer- und Wurmarten, die ihn abbauen. Nährstoffkreisläufe veränderten sich daher, wenn ein Tier fehlt. Daher ist es noch fraglich, ob die Landschaft, die vor 170 Jahren Heimat der Quaggas war, das Rau-Quagga heute mit offenen Armen empfangen würde.
In meinen Augen wirken die meisten Rau-Quaggas noch wie Burchell-Zebras, die auf möglichst große, helle Flächen gezüchtet wurden. Die kräftige, dunkle Streifung am Hals ist aufgehellt, der rotbraune Anteil am Rücken kommt hier jedoch noch nicht zur Geltung. Hier steht dem Quagga-Projekt noch einiges an Zucht- und Selektionsarbeit bevor.
Aussterben ist für immer.
Literatur:
a.: „Quaggas“: Zebras ohne Streifen könnten wieder Steppen erobern, n-tv am 23.2.2022
a.: The Quagga Project, Webseite
Wikipedia zu Quagga und Victor Franke