Ein “Out of Place”-Fall in Spanien? – die Blauelster

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Kurz vor dem Sonnenuntergang vernimmt man in den Olivenhainen Andalusiens ihre kehligen Rufe. In Gruppen ziehen sie mit ihren langen Schwanzfedern knapp über die Baumwipfel hinweg und verkünden das Ende des Tages. Zeit für den Vogelinteressierten, zusammenzupacken und den Heimweg anzutreten.

Zwei Populationen der Blauelster an zwei Enden der Welt

Die Blauelster ist ganzjährig ein fester Bestandteil von Andalusiens Vogelwelt. Auch in anderen Regionen Spaniens ist sie zu finden: in Extremadura, den westlichen Provinzen von Castilla-La-Mancha, Castilla y León und wie gesagt in weiten Teilen Andalusiens (SEO BirdLife, Birding140.es). Doch es gibt nicht nur in Spanien Blauelstern. Die blau-schwarz-weißen Begleiter der Olivenbauern kommen noch in einem ganz anderen Teil der Welt vor – Zehntausende Kilometer entfernt – im Fernen Osten. Seltsamerweise findet sich dieser Vogel außerhalb der iberischen Halbinsel sonst nur noch in einem weiteren zusammenhängenden Gebiet, das sich über Sibirien, die Mongolei, China- und Japan erstreckt (Birding140.es).

Blauelster im Baum
Aufmerksam beobachtet die Blauelster ihren Beobachter

Blauelster schimmert blau
Je nach Lichteinfall erklärt sich der Gattungsname Cyanopica von selbst

aufmerksame Blauelster
Erregt etwas die Aufmerksamkeit der cleveren Vögel, hebt sich die Haube …

zeternde Blauelster
… und Leute wie ich, die nur fotografieren wollen, werden verschrieen.

Ein “Out-of-Place-Relikt” aus der Frühen Neuzeit?

Lange rätselte man über dieses ungewöhnliche Verbreitungsgebiet an zwei Enden der Welt – ohne dass eine Verbindung dazwischen auszumachen war. Schließlich wurden portugiesische Seefahrer für die Population in Europa verantwortlich gemacht. Tatsächlich existierte schon im 16. Jahrhundert eine Handelsroute zwischen der iberischen Halbinsel und dem Fernen Osten (Birding140.es).

Verbreitung Blauelstern
Ungefähre Verbreitung der beiden Arten der Blauelster. Rot: Cyanopica cooki, Grün: Cyanopica cyanus (Abb.: Redaktion)

“Out-of-Place”-Exoten in Spanien

Und tatsächlich ist es auch nicht ungewöhnlich, in spanischen Städten auf exotische Bewohner zu treffen – so gehört der Schrei der nord-argentinischen Mönchsittiche in südspanischen Städten wie Sevilla schon zum Alltag – genauso wie das Geflatter der Tauben und das Gezwitscher der Spatzen. Bei den sevillanischen Mönchsittichen handelt es sich um Nachfahren ausgesetzter Vögel. Gemeindemitarbeiter ließen die Tiere eines umstrittenen “Tiermarktes” an der Plaza de Alfalfa in den 90er Jahren im Parque de María Luisa einfach frei. Doch auch in Málaga und Madrid gibt es Mönchsittich-Populationen (El Mundo vom 26. August 2019, Siehe auch: Süddeutsche Zeitung vom 18. Februar 2019). In Barcelona hat sich indessen der Halsbandsittich etabliert. Er kommt ursprünglich aus Indien und der südlichen Sahara (Süddeutsche Zeitung vom 18. Februar 2019). Am Río Genil in Granada kann man den ansehnlichen Wellenastrild aus Afrika antreffen – auch diese eingeführte Art konnte sich in mehreren Gebieten Spaniens erfolgreich ausbreiten.

Ist also die Blauelster in Spanien nur ein weiterer, älterer Fall zoologischer Globalisierung im Kontext des einstigen Weltreiches?

Blauelster im Baum
Eine Blauelster in ihrem typischen Habitat

Zwei Blauelstern
Die Tiere sind sehr gesellig und sozial

Exodus aus dem eiszeitlichen Zentralasien?

Für lange Zeit galt dieser Ansatz als wahrscheinlichste Erklärung der verstreuten Populationen der Blauelster. Doch ein Fossilienfund in einer Höhle bei Gibraltar machte diese Theorie zunichte (Birding140.es). Die Blauelster kam somit in Spanien schon vor 40 000 Jahren vor.

Ein neuer Ansatz musste her. Dieses Mal wurden die Klimaveränderungen der letzten Kaltzeit für die ungewöhnliche Verteilung der Blauelstern verantwortlich gemacht. Laut dieser These befand sich das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Blauelstern in Zentralasien, als dort das Klima vor 1 Millionen Jahren noch warm war (Birding140.es). Als vor rund 110 000 Jahren die Kaltzeitperiode begann, sahen sich die Vögel gezwungen, in wärmere Regionen des Südens auszuweichen. Ein Teil nahm den Weg nach Südosten in Richtung Korea und Japan – ein anderer gelangte schließlich in den Westen Europas (Birding140.es)

Blauelster auf Kakibaum
Im Winter fressen Blauelstern gerne an Kaki-Früchten.

Buschland
Die halboffene Landschaft ist der bevorzugte Lebensraum

Genetische Untersuchung widerlegt Out-of-Place-Hypothese

Eine genetische Untersuchung der beiden Populationen, welche von Cardia (2002) und Fok et al. (2002) durchgeführt wurde, konnte schließlich belegen, dass die Blauelstern aus Spanien und Fernost seit 1- 2 Millionen Jahren getrennt sein müssen. In die Zeit der Trennung fällt die letzte Kaltzeitperiode. Somit ist die Theorie des Rückzugs aus dem angestammten Verbreitungsgebiet aufgrund klimatischer Veränderungen der bisher weitläufig akzeptierte Ansatz für die ungewöhnliche Verbreitung der Blauelstern.

Die Autoren der Studie schlugen daher vor, die iberischen Vögel von nun an als eine eigene Spezies, Cyanopica cooki, von der östlichen Population, die weiterhin unter dem für alle Unterarten geltenden wissenschaftlichen Artnamen Cyanopica cyanus fungieren sollte, zu unterscheiden (Fok. et. al., 2002: 1677). Die spanische Webzeitung El Diario feierte schon die Taufe einer neuen Art der spanischen Fauna (El Diario vom 23. März 2019). Auf der Website der spanischen Vogelschutzorganisation findet sich die Blauelster allerdings weiterhin unter ihrem geläufigen Artnamen Cyanopica cyanus (SeoBirdlife). Nach Angabe von Mitgliedern der Organisation wurde die Information zur Blauelster noch nicht aktualisiert – sie müsste tatsächlich unter dem neuen Artnamen Cyanopica cooki fungieren.

Landschaft mit Olivenhain
Die Blauelster meistert ganzjährig Spaniens unwirtliche Lebensbedingungen

Blauelster mit Futter
Blauelstern sind (nicht nur) bei der Nahrungssuche erfinderisch

Intelligente Rabenvögel

Eindeutig geklärt ist auf jeden Fall ihre weitere Verwandtschaft. Die Blauelster gehört der Familie der Corvidae, der Rabenvögel, an. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass auch die Blauelster Wissenschaftler bei Experimenten erstaunt. Für Aufsehen sorgte das altruistische Verhalten einer Blauelster, die einem Artgenossen den Zugang zu Futter ermöglichte, ohne aus dieser Kooperation selbst einen Vorteil zu ziehen. An der Wand eines Käfigs war eine Art “Wippe” angebracht, auf die einer der Vögel stehen musste, damit der Andere an Futter gelangen konnte – die Blauelstern bestanden diesen “Altruismustest.” Das Video ist von Birding140.es:

Tatsächlich trifft man die Blauelstern oft laut schnarrend in Gruppen an. Auch der unwissende Laie stellt schnell fest, dass es sich bei diesen Vögeln um Tiere mit sehr komplex ausgebildeten Sozialverhalten handelt. War es diese soziale Intelligenz, welche den Blauelstern den erfolgreichen Exodus aus dem kältezeitgeplagten Sibirien erleichterte und es ihnen ermöglichte, an zwei unterschiedlichen Enden der Welt stabile Populationen zu etablieren?

Blauelster am Baum
Blauelster am Baum in der spanischen Morgensonne

Trockenlebensräume
Die Blauelster gilt als Charakterart der Trockenlebensräume in Spanien

Die Blauelster im heutigen Spanien

Gegenwärtig leben in Spanien zwischen 240 000 und 260 000 Paare (Bird140.es). Auf den Weiden und Olivenhainen Südspaniens fühlen die Vögel sich pudelwohl – auch die Nähe des Menschen scheuen die Tiere nicht. Der Bestand gilt als nicht gefährdet. Doch selbst die opportunistische Blauelster ist von der Zerstörung des ländlichen Habitats betroffen – dort wird sie mitunter verfolgt: aufgrund des Vorurteils, für den Obstanbau schädlich zu sein und Arten zu verdrängen, die für die Jagd von Interesse sind. Auch die immer noch gängige Verwendung von Gift und Pestiziden macht ihr zu schaffen (Birding140.es).

Die intelligente Blauelster mag die Herausforderungen der letzten Kältezeit gemeistert haben. Auch wenn ihr Bestand auf der iberischen Halbinsel gegenwärtig gesichert zu sein scheint – ob der ländliche Vogel langfristig die “Katastrophe Mensch” unversehrt überstehen wird, ist damit leider noch lange nicht gesagt.

Blauelster beim Bad
Obwohl sie als Kulturfolger gilt und

in Kulturlandschaften lebt, macht ihr der Mensch schwer zu schaffen. (Alle Fotos: Peter Ehret)


Weiteres über die Blauelster:

Birding140.es: El Rabilargo y su gemelo asiático.

El Diario vom 23. März 2019: El rabilargo: nuestro córvido más bello

El Mundo vom 26. August 2019: La invasión (nada silenciosa) de las cotorras en Sevilla

Fok, K. W., Wade, C. M., Parkin, D. T. (2002) Inferring the phylogeny of disjunct populations of the Azure-winged Magpie Cyanopica cyanus from mitochondrial control region sequences. Proceedings of the Royal Society of London, Series B, 269: 1671-1679. (pdf-Download)

SEO Birdlife: Rabilargo

Süddeutsche Zeitung vom 18. Februar 2019: Lauter als alle anderen – Papageien machen Spaniens Städten zu schaffen


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