Die Devil Monkeys, ein dämonisierter Volksstamm (7/8)

Lesedauer: etwa 8 Minuten
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Wie kann es dann aber sein, dass die First Nations Kanadas ganz klar Geschichten über ein aggressives, zweibeiniges, schwanztragendes Wesen kennen? Schließlich konnten ihre Vorfahren aller Wahrscheinlichkeit nach weder Affen noch Kängurus beobachtet haben.

Es stellt sich daher die Frage, ob nicht eher ein kulturgeschichtlicher Erklärungsansatz verfolgt werden sollte.

 

Chilkat Mountains in Alaska
Die Chilkat Mountains in Alaska, Ort einer Entmenschlichung?

 

Die Anmerkungen Peters‘ zu den Chilkat / Chynkat

Auf den kulturgeschichtlichen Ansatz bezieht sich auch Peters in seiner Dokumentation – einmal sicher bewusst, ein weiteres Mal vielleicht indirekt.

 

Zunächst einmal erwähnt er, dass der Name Chynkat – ein angebliches Synonym für dem Devil Monkey – auch dem Namen „Chilkat“ ähnelt. Bei den Trägern dieses Namens handelt es sich aber nicht um schwanztragende Affenmenschen, sondern um einen Nachbarstamm der Tanaina. Dieser stand im Ruf, besonders kriegerisch veranlagt gewesen zu sein.

 

Kriegskanu der Tlinket - Chilkat
Kriegskanu der T’Linket, zu denen auch die Chilkat gehören. Waren sie besonders kriegerisch oder nur der verhasste Nachbar? Abb. aus Hyde, John, 1886: Wonderland or Alaska and the inland Passage

 

Peters spekuliert, dass die Tanaina die Chilkat zum Chynkat dämonisierten. Angst oder Hass oder eine Kombination aus beidem wären Grund genug.

 

Diese Theorie ließe sich auch auf die Erzählungen der Dene übertragen. Die sind der Ansicht, dass ihre Vorväter aus einem von Affenmenschen bewohnten Gebiet eingewandert waren. Man kann sich nun die Frage stellen, warum dieses Ahnen ihre Heimat verließen. Wurden sie etwa vertrieben? Könnten dann auch diese Affenmenschen eine dämonisierte Form ehemaliger (menschlicher) Nachbarn darstellen?

 

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Von der Entmenschlichung durch Hörensagen…

Grund genug für eine solche Dämonisierung hätten die verschiedenen Stämme ja gehabt. Insoweit die Geschichten genauer ausgeführt werden, stellt die lokale Varietät des Devil Monkey jeweils eine große Bedrohung für das eigene Volk dar. Der Konflikt zwischen der Erzähler-Kultur und den Affenmenschen endet dann tödlich für die letzteren.

 

Wodurch aber lässt sich die Auslöschung oder Zerschlagung eines benachbarten Volkes besser rechtfertigen, als durch Entmenschlichung? Wenn der Gegner monströs ist, erscheinen selbst die hinterhältigsten Methoden noch gerechtfertigt. So braucht es nicht verwundern, wenn einem ursprünglich überlegenen Gegner tierische Attribute zugesprochen werden.

 

Britische Propaganda im WW2
Britische Propaganda im 2. Weltkrieg: Der Feind, in diesem Fall Nazi-Deutschland wird entmenschlicht und gleichzeitig übermenschlich dargestellt.

 

Mögen das anfangs „bloß“ grundsätzlich plausible Verhaltensweisen wie Kannibalismus gewesen sein, kann sich sehr schnell auch die äußere Form des Gegners verändert haben. Dafür aber braucht es gar keine Jahrhunderte von verfälschten Weitererzählungen. Das Hörensagen (durch das letztlich auch Sagen entstehen können) treibt erstaunlich schnell groteske Blüten:

 

So berichtet Ulrich Magin auf dieser Webseite von einem vermeintlichen „Maori-Gorilla“. Dieses Wesen soll verschiedenen zeitgenössischen Zeitungen nach im Jahr 1870 auf Neuseeland gefangen genommen worden sein – einer Insel, auf der keinerlei nicht-menschliche Affen leben.

 

Zunächst berichteten die Zeitungen in einem Zeitraum von drei Monaten die (im ursprünglichen Sinne des Wortes) tollsten Geschichten. Der Missing Link war angeblich gefunden – er sah aus, wie ein Mensch, verfügte zugleich aber über reichliche Behaarung und große Hauer im Kiefer. Nachdem der Gorilla zwischenzeitlich als Seehund (!) umgedeutet worden war, sorgten zwei verhinderte Tierhändler schließlich für die Auflösung des Falles: Bei einer Visite vor Ort mussten sie herausfinden, dass der vermeintliche „Gorilla“ bloß eine alte Maori-Frau war.

 

Maori
Moderne Maori bei einer Vorführung. Tatsächlich handelte es sich um ein Volk erfolgreicher Jäger und Krieger.

 

Freilich dürfte hier eine rassistisch geprägte Gedankenwelt der europäischen Zeugen eine Rolle gespielt haben. Die beiden Geschäftsmänner hätten die Frau etwa auch nach ihrer „Enttarnung“ noch gerne als exotisches Souvenir erworben. Es ist aber zugleich etwa nicht zu leugnen, dass selbst der größte Rassist keine riesigen Hauer an dieser bedauernswerten Person hätte entdecken können. Hier mussten durch Hörensagen schrittweise Details verfälscht worden sein.

 

Es ist nicht unplausibel, dass  durch eine Kombination aus bewusster Abwertung und unbewusster Berichtsverfälschung auch der Devil Monkey entstanden sein könnte.

 

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Moderne Mythen und Großstadtlegenden

Abends am Lagerfeuer, ein kaltes Bier in der Hand. Jemand fängt an zu erzählen: „Ich habe neulich von einem Freund eine Geschichte gehört: Eine junge Frau. Nachts. Eine dunkle Landstraße. Ihr werdet es mir nicht glauben …“
Jeder von uns kennt diese Geschichten. Die besten von ihnen werden zu Modernen Mythen oder Großstadtlegenden, bei denen man oft nicht weiß, ob sie tatsächlich einmal so passiert sind. Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann. Viele haben einen wahren Kern. Und wenn es nur eine kollektive Angst ist. Denn, wer weiß, vielleicht krabbelt auch zwischen Ihren Einkäufen ein kleiner Skorpion?

 

Der Skorpion in der Bananenkiste ist 2015 bei riva erschienen und hat als Paperback 240 Seiten. Er ist auch fürs Kindle erhältlich. (Wird ohne Bananenkiste ausgeliefert)

 

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… und den Grenzen der Sagen-Hypothese

Somit wären die Geschichten der Ureinwohner möglicherweise erklärt. Tatsächlich würde die allmähliche Ausbreitung und Verfälschung einer realen Begegnung auch die Parallelen in Erzählungen zu den Affenwesen der Ureinwohner erklären. Unterschiede wiederum können durch Abänderung der ursprünglichen Erzählung verursacht worden sein.

 

Die Geschichten der Ureinwohner machen aber bloß einen geringen Anteil aller Devil Monkey-Beschreibungen aus. Tatsächlich nehmen etwa Arment, Coleman und Shuker in ihren jeweiligen Schriften zu Devil Monkey und Phantom-Känguru nur wenig (oder gar keinen) Bezug auf solche Erzählungen. Stattdessen stützen sie sich auf moderne Augenzeugenberichte.

 

West Virginia, Heim des Devil Ape
Oktober in West Virginia, weit weg von den Erzählungen über die Chilkat

 

Die stammen aber vielfach aus erster, allenfalls zweiter Hand – jedenfalls angeblich. Somit ist nicht plausibel, dass das Bild vom Devil Monkey durch mehrfaches Weitererzählen verfälscht wurde.  Allenfalls könnten sich die Beobachter selbst getäuscht haben – oder sie lügen.

 

Eine wirkliche Motivation hätten sie dazu aber nicht. Es gilt nicht, irgendwelche Menschen zu entmenschlichen oder einen realen Krieg als Großtat darzustellen. Abgesehen von einer Handvoll interessierter Kryptozoologen finden sich nicht einmal Zuhörer für eine solche Lügengeschichte. Wenn derartig lügnerische „Zeugen“ die Öffentlichkeit suchten, würden sie wohl eher auf bekanntere Phänomene zurückgreifen – den Bigfoot etwa, oder Geistererscheinungen, oder Alien-Sichtungen.

 

Blue Ridge Mountains weit weg von den Chilkat
Parkway in den Blue Ridge Mountains, hier soll der Devil Monkey herumhüpfen – gelegentlich.

 


Wie immer bei umfangreichen Artikeln bieten wir die Literaturliste am Ende zum Download an.

 

Special service for our fans from abroad: With the last part at November, 24th, we will offer you the whole article as pdf for download in english.

 

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