Die Devil Monkeys, ein dämonisierter Volksstamm (7/8)
Wie kann es dann aber sein, dass die First Nations Kanadas ganz klar Geschichten über ein aggressives, zweibeiniges, schwanztragendes Wesen kennen? Schließlich konnten ihre Vorfahren aller Wahrscheinlichkeit nach weder Affen noch Kängurus beobachtet haben.
Es stellt sich daher die Frage, ob nicht eher ein kulturgeschichtlicher Erklärungsansatz verfolgt werden sollte.
Die Anmerkungen Peters‘ zu den Chilkat / Chynkat
Auf den kulturgeschichtlichen Ansatz bezieht sich auch Peters in seiner Dokumentation – einmal sicher bewusst, ein weiteres Mal vielleicht indirekt.
Zunächst einmal erwähnt er, dass der Name Chynkat – ein angebliches Synonym für dem Devil Monkey – auch dem Namen „Chilkat“ ähnelt. Bei den Trägern dieses Namens handelt es sich aber nicht um schwanztragende Affenmenschen, sondern um einen Nachbarstamm der Tanaina. Dieser stand im Ruf, besonders kriegerisch veranlagt gewesen zu sein.
Peters spekuliert, dass die Tanaina die Chilkat zum Chynkat dämonisierten. Angst oder Hass oder eine Kombination aus beidem wären Grund genug.
Diese Theorie ließe sich auch auf die Erzählungen der Dene übertragen. Die sind der Ansicht, dass ihre Vorväter aus einem von Affenmenschen bewohnten Gebiet eingewandert waren. Man kann sich nun die Frage stellen, warum dieses Ahnen ihre Heimat verließen. Wurden sie etwa vertrieben? Könnten dann auch diese Affenmenschen eine dämonisierte Form ehemaliger (menschlicher) Nachbarn darstellen?
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Von der Entmenschlichung durch Hörensagen…
Grund genug für eine solche Dämonisierung hätten die verschiedenen Stämme ja gehabt. Insoweit die Geschichten genauer ausgeführt werden, stellt die lokale Varietät des Devil Monkey jeweils eine große Bedrohung für das eigene Volk dar. Der Konflikt zwischen der Erzähler-Kultur und den Affenmenschen endet dann tödlich für die letzteren.
Wodurch aber lässt sich die Auslöschung oder Zerschlagung eines benachbarten Volkes besser rechtfertigen, als durch Entmenschlichung? Wenn der Gegner monströs ist, erscheinen selbst die hinterhältigsten Methoden noch gerechtfertigt. So braucht es nicht verwundern, wenn einem ursprünglich überlegenen Gegner tierische Attribute zugesprochen werden.
Mögen das anfangs „bloß“ grundsätzlich plausible Verhaltensweisen wie Kannibalismus gewesen sein, kann sich sehr schnell auch die äußere Form des Gegners verändert haben. Dafür aber braucht es gar keine Jahrhunderte von verfälschten Weitererzählungen. Das Hörensagen (durch das letztlich auch Sagen entstehen können) treibt erstaunlich schnell groteske Blüten:
So berichtet Ulrich Magin auf dieser Webseite von einem vermeintlichen „Maori-Gorilla“. Dieses Wesen soll verschiedenen zeitgenössischen Zeitungen nach im Jahr 1870 auf Neuseeland gefangen genommen worden sein – einer Insel, auf der keinerlei nicht-menschliche Affen leben.
Zunächst berichteten die Zeitungen in einem Zeitraum von drei Monaten die (im ursprünglichen Sinne des Wortes) tollsten Geschichten. Der Missing Link war angeblich gefunden – er sah aus, wie ein Mensch, verfügte zugleich aber über reichliche Behaarung und große Hauer im Kiefer. Nachdem der Gorilla zwischenzeitlich als Seehund (!) umgedeutet worden war, sorgten zwei verhinderte Tierhändler schließlich für die Auflösung des Falles: Bei einer Visite vor Ort mussten sie herausfinden, dass der vermeintliche „Gorilla“ bloß eine alte Maori-Frau war.
Freilich dürfte hier eine rassistisch geprägte Gedankenwelt der europäischen Zeugen eine Rolle gespielt haben. Die beiden Geschäftsmänner hätten die Frau etwa auch nach ihrer „Enttarnung“ noch gerne als exotisches Souvenir erworben. Es ist aber zugleich etwa nicht zu leugnen, dass selbst der größte Rassist keine riesigen Hauer an dieser bedauernswerten Person hätte entdecken können. Hier mussten durch Hörensagen schrittweise Details verfälscht worden sein.
Es ist nicht unplausibel, dass durch eine Kombination aus bewusster Abwertung und unbewusster Berichtsverfälschung auch der Devil Monkey entstanden sein könnte.
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Der Skorpion in der Bananenkiste:
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… und den Grenzen der Sagen-Hypothese
Somit wären die Geschichten der Ureinwohner möglicherweise erklärt. Tatsächlich würde die allmähliche Ausbreitung und Verfälschung einer realen Begegnung auch die Parallelen in Erzählungen zu den Affenwesen der Ureinwohner erklären. Unterschiede wiederum können durch Abänderung der ursprünglichen Erzählung verursacht worden sein.
Die Geschichten der Ureinwohner machen aber bloß einen geringen Anteil aller Devil Monkey-Beschreibungen aus. Tatsächlich nehmen etwa Arment, Coleman und Shuker in ihren jeweiligen Schriften zu Devil Monkey und Phantom-Känguru nur wenig (oder gar keinen) Bezug auf solche Erzählungen. Stattdessen stützen sie sich auf moderne Augenzeugenberichte.
Die stammen aber vielfach aus erster, allenfalls zweiter Hand – jedenfalls angeblich. Somit ist nicht plausibel, dass das Bild vom Devil Monkey durch mehrfaches Weitererzählen verfälscht wurde. Allenfalls könnten sich die Beobachter selbst getäuscht haben – oder sie lügen.
Eine wirkliche Motivation hätten sie dazu aber nicht. Es gilt nicht, irgendwelche Menschen zu entmenschlichen oder einen realen Krieg als Großtat darzustellen. Abgesehen von einer Handvoll interessierter Kryptozoologen finden sich nicht einmal Zuhörer für eine solche Lügengeschichte. Wenn derartig lügnerische „Zeugen“ die Öffentlichkeit suchten, würden sie wohl eher auf bekanntere Phänomene zurückgreifen – den Bigfoot etwa, oder Geistererscheinungen, oder Alien-Sichtungen.
- 1. Teil, „Devil Monkey: Wie Bigfoots vergessener Cousin die USA terrorisiert(e)„: Donnerstag, 18. August 2022
- 2. Teil, „Devil Monkey: Weitere Augenzeugenberichte„: Donnerstag, 1. September 2022
- 3. Teil, „Devil Monkey: Auswertung der Zeugenaussagen„: Donnerstag, 15. September 2022
- 4. Teil, „Devil Monkey: Der DeRidder Roadkill„: Donnerstag, 29. September 2022
- 5. Teil, „Devil Monkey: Affe oder Känguru„: Donnerstag, 13. Oktober 2022
- 6. Teil, „Devil Monkey: Sagen der Ureinwohner„: Donnerstag, 27. Oktober 2022
- 7. Teil, „Devil Monkey, ein dämonisierter Volksstamm?„: Donnerstag, 10. November 2022
- 8. Teil, „Devil Monkey: ein ausführliches Fazit„: Donnerstag, 24. November 2022
Wie immer bei umfangreichen Artikeln bieten wir die Literaturliste am Ende zum Download an.
Special service for our fans from abroad: With the last part at November, 24th, we will offer you the whole article as pdf for download in english.