Die Ig-Nobelpreise 2020

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„Es gibt keine dummen Fragen“, sagt jeder Lehrer. Wenn man ehrlich ist, gibt es sie doch. Aber was ist, wenn ein Wissenschaftler sie nicht nur stellt, sondern auch noch beantwortet und ein wissenschaftliches Paper zu diesem Thema veröffentlicht?

 

Er oder sie könnte für den Ig-Nobelpreis vorgeschlagen werden.

 

Diese „Ehrung“ wird an Menschen verliehen, die sich mit besonderen „Leistungen“ um die Menschheit verdient gemacht haben oder „herausragende“ Forschungsergebnisse veröffentlicht haben (Englischsprachiges Wortspiel: ignoble = unwürdig, schmachvoll). In den letzten Jahren hat sich dabei der Schwerpunkt von einer Art sarkastischen Anti-Nobelpreis zu Fragen, „die Leute erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen“ verschoben. Da bei so etwas sinnvolle Antworten herauskommen, wandert der Focus langsam von der Politik weg in Richtung „skurrile Wissenschaft“.

 

Die Preise selber werden von der wissenschaftlichen Zeitschrift „Annals of Improbable Research“ (dt. etwa „Annalen der absurden Forschung“) vergeben. Es ist das erste Mal, dass das NfK zum zweiten Mal von dieser Veranstaltung berichtet.

 

Die Jury

Wie üblich bewertet eine Jury Vorschläge und sucht aus ihnen die Preisträger. Dieses “Ig-Nobel Board of Governors” setzt sich jedes Jahr neu aus Nobelpreisträgern, Ig-Nobelpreisträgern, wissenschaftlichen Autoren, Sportlern, Trägern öffentlicher Ämter und anderen bekannten oder weniger bekannten Personen zusammen. Um ein zufälliges Moment zu erreichen, wird am letzten Tag der Auswahl ein zufälliger Passant in die Jury geladen.

 

Die Preisverleihung findet jedes Jahr im Herbst, kurz vor der Bekanntgabe der Nobelpreisträger statt. Dieses Jahr war der 18. September der große Tag.

 

Die Zeremonie, oder wie sich Geek-Humor und Nerd-Kultur selbst feiern

Ähnlich skurril wie die Arbeiten, ist die Zeremonie, in der die Preise verliehen werden. Grundsätzlich besteht eine Ähnlichkeit mit vergleichbaren Zeremonien: Ein Laudator stellt den Preisträger und seine Arbeit vor. Charakteristika der Ig-Nobelpreisverleihungszeremonie sind besonders kurze Reden. Als Laudatoren fungieren oft führende Fachleute in den Gebieten, aber auch gelegentlich Wissenschaftler, die rein zufällig gerade zu dem Zeitpunkt in Harvard greifbar waren. Sei es als Gastwissenschaftler, auf einem Kongress- oder Studienbesuch.

 

der „Chief Airhead“ Marc Abrahams,
Marc Abrahams, als „Chief Airhead“ führt durch die Preisverleihung

 

Ist der Preisträger anwesend, was früher so gut wie nie der Fall war, in den letzten Jahren aber die Regel darstellt, dann darf er eine Dankesrede halten. Früher hatte sie eine maximale Länge von 5 Wörtern. Bis zum letzten Jahr rannte nach einer gewissen Zeit ein junges Mädchen, „Miss Sweetie-Poo“ auf die Bühne und unterbrach den Redner mit lauten „Stop it! I’m bored!“ („Hör auf, mir ist langweilig“) Rufen.

 

In den letzten Jahren wurden die Geehrten während ihrer Dankesrede mit Papierfliegern beworfen. Das ist 2019 aus Sicherheitsgründen abgewandelt worden. Ein bedauernswerter Mensch wurde in schwere Sicherheitskleidung gesteckt und mit einer Zielscheibe versehen. Diese durfte zur Enttäuschung der Zuschauer während der Zeremonie nur zweimal beworfen werden.

 

Ein anderer, nicht unwesentlicher Teil sind die 24/7-Lectures. Hier darf ein Top-Wissenschaftler in 24 Sekunden sein Arbeitsfeld erklären, um es danach in 7 Wörtern zusammenzufassen.

 

 

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Mark Benneke: Aus den Geheimarchiven des Spaß-Nobelpreises

Muss Wissenschaft denn langweilig sein?
Die Welt ist voll überraschender Phänomene. Oder wussten Sie zum Beispiel, warum schnarchende Studentinnen schlechtere Klausuren schreiben? Schafe keinen Hundekot riechen mögen? Humor nicht erblich ist? Nachtisch gegen studentisches Lärmen in der Mensa hilft? Im Auftrag des Komitees des Spaß-Nobel-Preises hat sich Dipl.-Biol. Dr. med. Mark Benecke auf die Suche nach wissenschaftlichen Erklärungen dafür gemacht. Was er bei seinen Recherchen zutage fördert, verdient die Note „erstaunlich“! Und er zeigt einmal mehr, dass wissenschaftliches Arbeiten nicht immer mit Langeweile gleichzusetzen ist. Es kommt nur auf die richtige Perspektive an… Ein Buch, das zum Nachdenken und zum Lachen animiert.

 

Lachende Wissenschaft: Aus den Geheimarchiven des Spaß-Nobelpreises hat satte 240 Seiten und ist bereits in der 9. Auflage erschienen.

 

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Corona hat auch bei den Ig-Nobelpreisen zugeschlagen

Doch dieses Jahr war vieles anders. Corona hat natürlich auch die Harvard University im Griff, so konnte man nicht eng gedrängt im 1100 Personen fassenden Hörsaal feiern. Stattdessen fand die gesamte Zeremonie als Videokonferenz statt. Übergreifendes Thema dieses Jahr waren „Bugs“, was man mit Käfer, Insekten, Kakerlaken, aber auch Fehler übersetzen kann. Von diesem Wortspiel machten die Teilnehmer auch reichlich Gebrauch.

 

Die traditionelle Willkommens- und Abschiedsreden wurden wie seit 2007 wieder von Prof. Jean Berko Gleason, einer bekannten, schon lange emeritierten Sprachwissenschaftlerin gehalten. Dieses Jahr wählte sie sogar inoffiziell einige deutsche Worte nach ihrer Begrüßungsrede. Durch die Veranstaltung führte, wie auch in den letzten Jahren, der „Chief Airhead“, der oberste Hohlkopf Marc Abrahams, Chefredakteur der „Annals of Improbable Research“.

 

Für musikalische Begleitung sorgte eine vierteilige Kurzoper, bei der es um eine junge Kakerlake geht, die sich über Nacht in einen Menschen verwandelt. Jegliche Ähnlichkeit zu Franz Kafka ist natürlich rein zufällig.

Dafür konnte dieses Jahr eine zusätzliche Papierflieger-Session eingerichtet werden. Dreimal flogen Papierflieger von Menschen aus aller Welt in die Kameras – und jeder einzelne, ob jung oder alt, arm oder reich hatte Spaß dabei.

 

Bei der Übergabe der Preise für Materialwissenschaften

 

Die Ig-Nobelpreise 2020

Akustik

Stephan Reber, Takeshi Nishimura, Judith Janisch, Mark Robertson und Tecumseh Fitch erhalten den Preis für ein Experiment, für ihr Experiment, bei dem sie ein China-Alligator-Weibchen dazu brachten, mit Helium angereicherte Luft zu atmen und dann zu bellen. Sie haben das mit Bellen an normaler Luft verglichen und Schlüsse bezüglich der Lautproduktion gezogen.

 

Psychologie

Miranda Giacomin und Nicholas Rule wurden für die Entwicklung einer Methode zur Identifizierung von Narzissten durch Untersuchung ihrer Augenbrauen vorgeschlagen.

 

Frieden

Die Regierungen von Indien und Pakistan erhielten die Auszeichnung für die gegenseitigen Klingelstreiche ihrer Diplomaten mitten in der Nacht. „Besser ‚Ding-Dong‘ als ‚Peng-Peng'“.

 

Physik

Ivan Maksymov und Andriy Pototsky haben einen lebenden Regenwurm mit hoher Frequenz in Schwingungen versetzt. Für die Forschung der Auswirkung auf seine Form erhalten sie den Preis.

 

Wirtschaft

Die Gruppe der Wirtschafts-Ig-Nobelpreisträger ist größer: Christopher Watkins, Juan David Leongómez, Jeanne Bovet, Agnieszka Żelaźniewicz, Max Korbmacher, Marco Antônio Corrêa Varella, Ana Maria Fernandez, Danielle Wagstaff und Samuela Bolgan. Sie quantifizierten das Verhältnis zwischen der nationalen Einkommensungleichheit diverser Länder und der durchschnittlichen Zahl der Mund-zu-Mund-Küsse.

 

Management

Xi Guang-An, Mo Tian-Xiang, Yang Kang-Sheng, Yang Guang-Sheng und Ling Xian-Si wurden für fünfstufiges Outsourcing ausgezeichnet. Die fünf Auftragsmörder gaben ihren Auftrag jeweils an einen anderen Killer weiter und behielten dabei einen Teil des Honorars.

 

Das projektierte Mordopfer lebt noch, die Geehrten waren zum Glück alle samt verhindert.

 

Entomologie

Richard Vetter konnte beweisen, dass viele Entomologen (Insektenkundler) Angst vor Spinnen haben.

 

Materialwissenschaften

Metin Eren, Michelle Bebber, James Norris, Alyssa Perrone, Ashley Rutkoski, Michael Wilson und Mary Ann Raghanti wiesen nach, dass Messer aus gefrorenem menschlichen Kot nicht gut funktionieren.

Die Preisträger-Interviews sind sehenswert.

 

Medizinische Lehre

Jair Bolsonaro, Boris Johnson, Narendra Modi, Andrés Manuel López Obrador, Alexander Lukaschenko, Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan, Wladimir Putin und Gurbanguly Berdimuhamedow erhielten den Preis, da sie die Covid-19-Pandemie nutzten, um der Welt zu zeigen, dass Politiker einen unmittelbareren Einfluss auf Leben und Tod haben können als Wissenschaftler und Ärzte.

 

Keiner der Geehrten nahm an der Videokonferenz teil.

 

 

„Stop it, I’m bored! “ – Okay…


Für diejenigen, die die ganze Veranstaltung genießen möchten: Mit Vorgeplänkel dauerte sie dieses Jahr nur gut 80 Minuten. 80 Minuten, die Ihr Leben verändern könnten – oder auch nicht.

 

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