Schließen Sie Ihre Augen und stellen Sie sich folgendes Szenario vor:
Es ist ein milder Herbsttag. Sie befinden sich an einem Strand, sind dem Wetter entsprechend warm eingepackt und genießen die salzige Luft und den leicht rauen Küstenwind. Auf den herrlichen Spaziergang freuen Sie sich – doch irgendetwas trügt die Idylle. Sie schielen nach oben: Eine große Schar Möwen zieht über Ihnen ihre Kreise. Sie wenden den Blick ab und schauen nach vorn: In einiger Entfernung liegt “etwas” Großes am Strand, was Sie nicht klar zuordnen können. Erst jetzt bemerken Sie die Menschen um Sie herum, die angespannt in Richtung der am Boden liegenden Masse blicken – und dann: RUMMS! – eine Explosion, faszinierendes Stöhnen, vereinzelt verängstigte Schreie und in Panik fliehende Vögel. Es regnet kleinere und größere Brocken, die Sie nicht zuordnen können. Es riecht widerlich nach Fisch…
Was ist passiert? Ein Feuerwerk, ein Unfall ..?

So oder so ähnlich hätte wohl ein unbeteiligter Spaziergänger das erlebt, was vor ziemlich genau 50 Jahren, am 12. November 1970, an einem Strand im Süden von Florence im US-Bundesstaat Oregon passiert ist. [1]
Lage von Florence/Oregon an der US-Westküste
Die Lösung des Rätsels ist denkbar abstrus: Ein explodierender Wal.
Doch wie ist das möglich?
In Florence wurde zu diesem Zeitpunkt ein acht Tonnen schwerer und über 13 Meter langer Pottwal angespült. Soweit so tragisch – aber bei kein Einzelfall.
Weltweit werden stranden jährlich etwa 2000 Wale und Delfine. [1] Die Kadaver der Wale werden häufig wieder aufs Meer gezogen und so beseitigt. [2]
Zurück zu unserem Wal in Oregon:
1970 hatte die Oregon Highway Division (heute das Verkehrsministerium von Oregon) die Gerichtsbarkeit über die Strände und bisher offenbar wenig Erfahrung mit Walkadavern und deren Beseitigung gemacht. [3]
Sie wogen verschiedene Alternativen ab.
Der Wal könnte einfach im Sand vergraben werden. Doch ob der Gefahr, er könnte halb verwest wieder zum Vorschein kommen, wurde diese Idee ebenso verworfen wie den Kadaver zu verbrennen. Es konnte auch niemand gefunden werden, der sich dazu bereit erklärte den toten Koloss zu zerlegen.

Die Highway Division ging nun pragmatisch vor: Der Wal sollte auf die gleiche Weise entsorgt werden, wie ein großer Felsbrocken bei einem Autobahnbauprojekt beseitigt würde: Mit altbewährtem Dynamit.
Dieses müsste nur so angebracht werden, dass mögliche Überreste auf die offene See getragen würden und alles andere wollte man den Möwen überlassen.
Mit einigem Abstand zum Kadaver versammelten sich schaulustige Anwohner, um das Spektakel mitzuerleben sowie vereinzelt regionale Journalisten.
Und es kam natürlich wie es kommen musste – das Ganze ging gehörig schief.
Fangen wir mit dem Positiven an: der Wal ist explodiert und niemand wurde ernsthaft verletzt.
Aber: Die Überreste des Wales flogen bis zu 250 Meter weit, beschädigten ein Auto, trafen die umstehenden Menschen und die Explosion vertrieb jegliche aasfressende Vögel auf deren Unterstützung die Highway Division bei der Beseitigung der Überreste gezählt hatte. Zuletzt war der Wal nur teilweise zersprengt und der sich ausbreitende Gestank muss bestialisch gewesen sein.
Es blieb der Highway Division nichts anderes übrig als den Wal dann doch zu vergraben. [5]
Ist das wirklich passiert???
Das gesamte Ereignis mutet sehr skurril an – vor allem in dem mit einer gehörigen Prise Humor versehenen Fernsehbeitrag, der bereits im November 1970 im regionalen Sender KATU2 ausgestrahlt wurde. Aber sehen Sie selbst:
Größere Bekanntheit erlangte die Walexplosion, als sie durch den humoristischen Autor Dave Barry 1990 in seiner Kolumne des Miami Herold thematisiert wurde. Die dadurch erlangte Aufmerksamkeit war riesig und ein moderner Mythos wurde geboren. Die Stimmen derjenigen, die das Ereignis für einen Fake hielten, verstummten erst als auch der Fernsehbeitrag seinen Weg in die Internetarchive fand.[6]
Im Übrigen ist diese Walexplosion ist nicht die einzige dokumentierte “Walexplosion”, jedoch bei weitem die kurioseste.
Ab und an kommt es zu “Eruptionen” – wenn unter der isolierenden Walspeckschicht des Kadavers sehr hohe Temperaturen herrschen und jemand die Bauchdecke von außen aufschlitzt. Die Innereien des Wals können dann durchaus mit einem Tempo von 60 Kilometer pro Stunde herausschießen. Wirklich gefährlich sind diese Walexplosionen allerdings nicht. Der durch die Fäulnisgase aufgebaute Druck ist zu gering, um wirklich einen Schaden anrichten zu können. Allein den dabei entstehende Geruch könnte man als Körperverletzung werten. [7]

Verweise
[1] Vgl. The Exploding Whale
[2] Vgl. Freund, A. 2020
[3] Vgl. Frey, A. 2016
[4] Vgl. The Exploding Whale
[5] Vgl. YouTube-Exploding Whale 1970
[6] Vgl. The Exploding Whale
[7] Vgl. Thadeusz, F. 2014
Literaturverzeichnis
Freund, Alexander: Warum stranden Wale und Delfine? in: Deutsche Welle, online 2020. URL: https://www.dw.com/de/warum-stranden-wale-und-delfine/a-55027853 Aufgerufen am: 23.10.2020
Frey, Andreas: Explosionsgefahr: Wie man gestrandete Wale entsorgt. in: Aargauer Zeitung, online 2016. URL:https://www.aargauerzeitung.ch/leben/forschung-technik/explosionsgefahr-wie-man-gestrandete-wale-entsorgt-130017175 Aufgerufen am: 23.10.2020
Thadeusz, Frank: Wumm? Pfft! – Angeblich können Fäulnisgase dazu führen, dass Tierkadaver explodieren. Aber stimmt das auch? in: Der Spiegel 33/2014. URL: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-128629194.html Abgerufen am: 23.10.2020
The Exploding Whale. URL: https://www.theexplodingwhale.com/home
Aufgerufen am 23.10.2020.
YouTube – Exploding Whale 1970: https://www.youtube.com/watch?v=yPuaSY0cMK8 Aufgerufen am 23.10.2020