Freitagnacht-Kryptos: Ein ungeheurer Ungeheuersee

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Manche Seeungeheuer machen Schlagzeilen, andere sind eine Zeitlang berühmt und verschwinden dann spurlos, wie das Ungeheuer vom Traunsee, andere wiederum sind nur kurze Randnotizen und stemmen sich gegen jede weitere Recherche.

 

So das „Meerwunder“, das eine sehr alte Sammlung von kuriosen Vorfällen erwähnt, das von dem anonymen C.C. verfasste „Memorabilia Germaniae, Das ist, Curieuse Historische und Geographische Merkwürdigkeiten“, erschienen ohne Orts- und Verlagsangabe 1726 (Seite 405).

 

Das Buch erwähnt seltsame Orte in der Schweiz und streift den Pilatus, Luzern, Gombs, Basel, Schaffhausen. Dann kommt ein allgemeiner Exkurs über Quellen, der als Belegstelle Cysat angibt, also einen der beiden Renaissanceautoren dieses Namens, die über Luzern berichteten.

 

C.C. schriebt: „§ 30. An vielen Oerten in der Schweitz bricht aus der Erden Wasser unverhofft zusamt den Fischen hervor. Dieses geschieht gemeiniglich im Monat May, und dauren diese Wasser und Flüsse nicht länger als bis in den Monat Septembris, da sie sich von selbst verlieren. Cysatus. Bey der Stadt Retz in dem daselbst befindlichen Heronischer See ist einstens ein sehr seltsames und über die Maßen großes Meer-Wunder gefangen worden, dessen Rücken und Ober-Theil Koth- oder Erd-färbig, der Unter-Theil aber gantz schwartz war; das seltsamste aber an diesem Meer-Wunder war der Kopff und Gesicht, welches einem Menschen fast in allem gleichete, indem es Wangen, Kinn, Augen, Nasen, Maul und alles zum menschlichen Gesicht gehörige hatte. Gesner lib. 4. de aqua.“

 

Dorfkirche Valchava
Die spätgotische Dorfkirche von Valchava (Foto: Adrian Michael)

 

Gesucht und nicht gefunden

Ein Heronischer See oder ein Ort Retz in der Schweiz sind heute unbekannt. Um alte Ortsnamen zu recherchieren, die heute vielleicht ganz anders lauten, ist oft Zedlers „Universal-Lexikon“ vom Anfang des 18. Jahrhunderts hilfreich. Aber nicht in diesem Falle. Immerhin gab es einen Ort Reetz in Graubünden, aber auch einen in Rumänien und einen in der Steiermark. Ein Heronischer See war nirgends aktenkundig.

Die Funde im Einzelnen:

Räzins, Razuns, Räzuns, Retzuns

ca. 1 Spalte, in Zedler, Bd. 30, S. 320

 

Retz, ein Städtlein in dem Bißthum Regenspurg

ca. 1 Spalte, in Zedler, Bd. 31, S. 447

 

Retz, Reetz, Recklau, eine Stadt und Amt in der Neuen-Marck Brandenburg

ca. 1 Spalte, in Zedler, Bd. 31, S. 447

 

Retz, Rhetz, Rez

ca. 1 Spalte, in Zedler, Bd. 31, S. 447 (in Niederösterreich)

 

Razuns sei ein Schloss zwischen Chur und Fürstenau, in Graubünden, also noch in Rheinnähe – heute Rhäzüns. Aber dort gibt es keinen See.

 

Auch der Schweizer Andreas Trottmann konnte mir bei meinen Recherchen nicht helfen: „Einzig im Verzeichnis alter Ortsnamen habe ich ‚Davo al Retz‘ in der Gemeinde Valchava (das tiefe Tal) bei Müstair im Kanton Graubünden gefunden. Ob es dort einmal einen See gegeben hat, entzieht sich meiner Kenntnis. In der Nähe von Valchava gibt es aber eine grössere Anzahl von kleinen und grösseren Bergseen.“ (Andreas Trottmann, E-Mail vom 4. November 2015)

 

Falls in Graubünden einmal ein Meermann gefangen wurde – die Spur verliert sich jedenfalls im Trüben.

 

Quelle:

C.C. (anonym): „Memorabilia Germaniae, Das ist, Curieuse Historische und Geographische Merkwürdigkeiten“, erschienen ohne Orts- und Verlagsangabe 1726

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