Freitagnacht-Kryptos: Einhorn

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In seiner „Naturgeschichte der mythischen Thiere“ berichtet Karl Müller 1858 auch über die damals neusten Erkenntnisse über das Einhorn:

 

 

„In der That hörte der Engländer Turner auf seiner berühmten Reise durch Tübet von ihm wie von einer bekannten Thatsache sprechen, und ein Brief des des Majors Latter, welchen das Quarterly Review im Jahre 1820 abdruckte, stimmt im Ganzen mit der Beschreibung des Ktesias vom indischen Esel überein. Nach einer tübetanischen Handschrift und nach Mittheilungen eines Tübetaners sollte das Einhorn zu den Thieren mit gespaltenen Hufen gehören und als das einhörnige Too-Po daselbst bekannt sein. Es werde im südlichen Theile, im Lande der Mongolen am Saume der Wüste Gobi angetroffen, habe die Größe eines tübetanischen Pony, sei wild und äußerst scheu und werde daher nur durch den Schuß erlegt, weil man nach seinem Fleische trachte. Es lebe herdenweise, besitze den Schwanz eines Schweines und auf der Stirn ein gebogenes Horn.

 

Hirschziegenantilope
Hirschziegenantilopen, Männchen im Vordergrund

 

Link folgert hieraus, daß, da die Alten das Einhorn sämmtlich nach Indien setzten, dieses wahrscheinlich über die Gebirge von Nordindien und Kabul verbreitet gewesen, aber bis auf wenige Reste ausgerottet worden sei.

Aus dem Einhorn wird eine Gazelle

Zehn Jahre später verwandelte sich indeß dieses Einhorn in eine einhörnige Gazelle; wenigstens nach der Haut, welche der Gesandte der ostindischen Compagnie zu Nipal, Hodgson, nach Calcutta sendete. Er hatte sie aus der Menagerie des Radscha von Nipal empfangen, woselbst sie als aus dem südlichen Tübet stammend angegeben wurde, Der Rücken besaß eine rehbraune, die Bauchseite eine weiße Farbe. Ein langes, spitzes und schwarzes Horn, welches dreimal leicht gekrümmt war, saß ihm auf der Stirn; der Kopf hatte ein plumpes Ansehen, wozu das dichte Haar charakteristisch paßte.

 

Saiga-Antilopen nach Philip Sclater's "Book of Antelopes"
Saiga-Antilopen nach Philip Sclater’s „Book of Antelopes“

 

Dieselbe Deutung hatte übrigens schon Pallas, der berühmte nordasiatische Reisende, gegeben, indem er nachweist, daß es einhörnige Mißgeburten der Saigaziege gebe, woraus wahrscheinlich die Sage vom Einhorn entstanden sei.

 Einhörner auch in Afrika

Etwas ganz Aehnliches erfuhr Ferdinand Werne auf seiner Reise durch Sennaar nach Mandera, Nasub und Cheli. Es war am blauen Nil, als er von einem Derwisch hörte, daß in den Grenzgebirgen von Habesch ein einhörniges Thier lebe, welches selbst Meremmeri genannt werde. In der That erhielt auch der Reisende durch die Vernmittlung Abu-Sin’s, des Groß-Schahs der Schukuris das Horn eines solchen Thieres, welches bereits zu einem Kriegshorne von dem Stamme der Schan-Galla umgearbeitet war. Es mochte vordem gegen 3 Fuß [90 cm lang] gewesen sein, war gewunden und schien einer großen Antilopen-Art anzugehören. Jedoch soll das noch unbekannte Thier auch an den Seiten Hörner tragen, welche rückwärts gebogen seien.

 

Ueberhaupt hat Afrika wesentlich dazu beigetragen, den Glauben an das Einhorn aufrecht zu erhalten.“

 

 

Müllers Aufsatz findet sich in der Zeitschrift „Die Natur“ aus Halle, Band 7, 1858, ab Seite 101, das Zitat auf S. 102–103.

 

Quelle:

https://books.google.de/books?id=vFw_AAAAcAAJ&pg=PA103&dq=einhorn+%22thier%22&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjwpKzz6-vlAhUMKewKHWsOA8E4ChDoAQg3MAI#v=onepage&q=einhorn%20%22thier%22&f=false

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