Freitagnacht-Kryptos: Flughunde in der Herzegowina

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Über die Familie der Flughunde steht im Online-Lexikon Wikipedia: „Flughunde sind in tropischen und subtropischen Regionen in Afrika (einschließlich Madagaskar und den Seychellen), im indischen Ozean (Malediven), dem südlichen Asien, Australien und dem westlichen Ozeanien verbreitet. In Europa ist lediglich der Nilflughund auf der Insel Zypern anzutreffen. Diese gehört geographisch zu Asien.“ Sie sind also keine Bewohner Mitteleuropas.

Und doch … sollen sie früher in der Herzegowina vorgekommen sein. Als die Österreicher große Teile des Balkans besetzt hatten, stießen sie dort auf Riesenfledermäuse. Wir lesen in den Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Hercegowina (Verlag Carl Gerold’s Sohn, Band 2, 1894, S. 691 ff.) den Aufsatz von Othmar Reiser, „Ueber die Erbeutung eines Flughundes in der Hercegovina“:

Othmar Reiser, „Ueber die Erbeutung eines Flughundes in der Hercegovina“

Abbildung aus der Iconographica Zoologica der Uni Amsterdam

„Mitte August 1886 erlegte der damalige Feldwebel Lahoda, gegenwärtig Wachtmeister der Sicherheitswache in Sarajevo, beim Abendanstande auf Felsentauben am Hange des Podvelez unweit Mostar eine vor dem Eingang einer grösseren Höhle vorbeifliegende Fledermaus von ganz wunderbarer Grösse. Das mit verhältnissmässig feinen Schroten herabgeschossene Thier fiel in eine Karstvertiefung, und der sonst so folgsame Hund des glücklichen Schützen wollte die Fledermaus absolut nicht apportieren.

Da das Ungethüm in Mostar überall Aufsehen hervorrief, wurde dasselbe von einem Infanteristen des 3. Infanterie-Regiments auf originelle Weise, freilich unzureichend genug, dadurch präparirt, dass derselbe mit einer Schusterahle zahlreiche Löcher in den Körper einstach, durch welche er dann irgend ein Conservirungsmittel einblies.

Von hier wanderte die Fledermaus nach Ljubuski, kam in verschiedene Hände und wurde erst zu Ende des Jahres 1888 vom bosnisch-hercegovinischen Landesmuseum erworben.

Obwohl das Thier gegenwärtig nur eine eingetrocknete, fast gänzlich haarlose Mumie darstellt und auch sonst im Laufe der Zeit verschiedene Schäden erlitten hat, so imponirt es doch auch jetzt noch durch seine ansehnliche Grösse. Die Flugweite beträgt gegenwärtig 94 Cm. und muss im frischen Zustande noch grösser gewesen sein. Die Gestaltung des Kopfes sammt Gebiss, die Beschaffenheit der riesigen Daumenkrallen lassen das Genus Pteropus deutlich erkennen, die Bestimmung der Species erlaubt der gegenwärtige Zustand des Thieres freilich leider nicht.

Über den Ort ihres Vorkommens lässt sich nichts Zuverlässiges sagen

Museumspräparat eines Flughundes
Älteres Museumspräparat eines Flughundes in Flugposition

Dass diese Fledermaus auf die angegebene Weise in vollster Freiheit geschossen wurde, steht fest, allein über den Ort ihres Vorkommens lässt sich zur Stunde noch nichts Zuverlässiges sagen. Sicher ist nur, dass sich eine ähnliche Pteropus-Art weder in Südeuropa noch in ganz Afrika vorfindet, und dass solch grosse Flughunde ausschliesslich das südliche Asien bewohnen. Auch scheint kein Fall einer Erbeutung in Europa bekannt zu sein, wo es sich um ein anscheinend freilebendes Exemplar gehandelt hätte.

Es lässt sich nur dreierlei annehmen. Entweder ist der Flughund, welcher ja für Thierhandlungen zuweilen importirt wird, an der Küste der Adria einem angekommenen Schiffe entkommen und hat hier in der Hercegovina sich heimisch gemacht, oder es ist das Thier, welches über eine ganz bedeutende Flugkraft verfügt, durch Stürme verschlagen, aus den Tropen allmälig hiehergelangt, wenn nicht schliesslich angenommen werden darf, dass diese Art noch in wenigen Exemplaren in den niederen Strichen des Occupationsgebietes, etwa als Ueberrest einer entschwundenen Fauna des Landes vorhanden ist. So unwahrscheinlich nun die letztere Annahme klingen mag, so will ich doch anführen, was hiefür sprechen würde.

Ueberrest einer entschwundenen Fauna?

Flughund hängt von einem Ast
Ein lebender Flughund, fotografiert in der Stuttgarter Wilhelma

Geraume Zeit vorher bekam der Erleger unseres fliegenden Hundes ebenfalls in Mostar ein ähnliches Thier zu Gesicht, welches von einem Knaben lebend in der Umgebung der Stadt gefangen und an einen durchreisenden Nähmaschinenhändler verkauft worden war, der die Fledermaus tödten und ausstopfen liess. Es soll dieses Exemplar dem gegenwärtig vorliegenden nur um Weniges an Grösse nachgestanden haben, dürfte aber der Beschreibung nach ein jüngeres Thier gewesen sein. Auch die Soldaten der dortigen bosnisch-hercegovinischen Compagnie, welche in der Kanzlei öfters die aufgespannte Fledermaus zu Gesicht bekamen, erzählten dem Feldwebel wiederholt, dass sie ähnliche und noch grössere Exemplare dieser Art in ihrer hercegovinischen Heimat gesehen hätten. Schliesslich vernahm auch Herr Regimentsarzt Dr. M. Hensch die Kunde von ganz ungeheuren Fledermäusen in der westlichen Hercegovina aus verlässlicher Quelle.

Hoffen wir also, dass bei der jetzigen systematischen Erforschung des Occupationsgebietes bald Aufklärung über das zur Stunde noch immer sehr zweifelhafte hierländische Vorkommen dieser den Tropen angehörigen Thierart erfolgen werde.

Literatur:

Zobodat: Othmar Reiser: „Ueber die Erbeutung eines Flughundes in der Hercegowina“