Im Laufe des Jahres 1934 mehrten sich die Stimmen, die Seeschlange, die 1933 im Loch Ness gestrandet war, als ein Tier zu betrachten, das schon immer in dem See heimisch gewesen sei. Diese Deutung etablierte sich endgültig erst in den 1950ern, das erste Buch über Nessie, Rupert Goulds „The Loch Ness Monster“, ging Mitte 1934 noch davon aus, dass das Ungeheuer im Frühjahr 1932 in den See gelangt war. Einer der ersten, vielleicht der erste, Befürworter der neuen Deutung war der Physiologe Hunter-Blair, von dem wir in der „Deutschen Reichszeitung“ vom 27. Januar 1934 lesen:
„Die Frage, ob das Ungeheuer von Loch Neß wirklich besteht, wird von dem bekannten englischen Physiologen Hunter-Blair O.S.B. nach wie vor bejaht. In einer Unterredung mit dem Mitarbeiter der englischen Zeitschrift Universe [einem katholischen Blatt] erklärte der Abt, daß er den Loch Neß seit fünfzig Jahren gut in der Erinnerung habe. Er war früher Abt der Fort Augustus Abtei, die in der Nähe des Loch Neß lag. ‚Seit den Wochen, welche ich im vergangenen Herbst in Fort Augustus erlebt habe, bin ich fest davon überzeugt, daß dieses geheimnisvolle Wesen nicht bloß besteht, sondern im tiefen Wasser lebt; nicht bloß als ein regelmäßiger Besucher dieses Territoriums, sondern als ein Tier, das hier ansässig ist.‘ Auf die Frage, ob auch andere Mönche von Fort Augustus dieses Ungeheuer beobachtet haben, antwortete der Abt:
Der Plesiosaurus, ein Amphibium des Eiszeitalters?
‚Ja, vier oder fünf Patres haben das Ungeheuer an verschiedenen Orten gesehen, genau wie mehrere Angestellte unserer Abtei. Auch zwei Studenten, und ein junger Seminarist haben diese Seeschlange mehrmals in diesem Gewässer beobachtet. Zwei Zeugen, die beide in unserem Lande sehr angesehen sind, haben wiederholt erklärt, das geheimnisvolle Fabelwesen gesehen zu haben. Der erste ist ein ehemaliger Kapitän der Flotte, wohnhaft in Fort Augustus, ein Mann mit vielen Erfahrungen, der das Tier gesehen hat und seit zwei Monaten mit einigen Fischern daran arbeitet, um den verschiedenen Gewohnheiten dieses Tieres nachzugehen. Der zweite ist der Bewohner des großen Bauerngutes Invergarry, der schnell seinen Skeptizismus preisgab, als er mehr als vierzig Minuten lang das Ungeheuer in den dunklen Gewässern herumtreiben sah.
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Aus den Briefen meines Freundes in Fort Augustus geht klar hervor, daß er seine früheren Theorien, daß dieses Meerwesen ein Baumstrunk oder ein Haufen Seegras sei, als unhaltbar und töricht verworfen hat. Nachdem er diese sonderbaren Geschehnisse gründlich studiert hatte, kam er zu der Ueberzeugung, daß dieses Amphibium noch zu dem Eisalter gehört, also zu dem Zeitalter, da die großen Seen wie Loch Dick [Oich], Loch Locky [Lochy] und Loch Neß noch mit dem Meer verbunden waren.
Die Bewohner dieser tiefen Wasser sind im Laufe der Jahrhunderte Süßwasseramphibien geworden. Diese seltsame Sorte ist gestört worden durch den Lärm auf den Landwegen, welche um Loch Neß herum angelegt wurden. Unser Fabelwesen hat diese Gewässer einmal tüchtig untersucht und ist dabei zu der Feststellung gekommen, daß ein Spaziergang im warmen Sonnenschein auf dem Strand ihm keineswegs schaden könne. Mein Freund ist der Ansicht, daß dieses Ungeheuer auf alle Fälle verwandt ist mit dem Plesiosaurus. Meiner Ueberzeugung nach handelt es sich hier um ein waschechtes Amphibium, das imstande ist, sowohl auf dem Lande als auch in den Gewässern zu leben, das sowohl Lungen wie Kiemen hat, vier Pfoten oder Flossen, einen außerordentlich biegsamen Hals, breite Schultern und einen starken flachen Schwanz, womit es das Wasser gewaltig in Berührung bringen kann.‘“

Literatur:
Dt. Reichszeitung vom 27.1.1934: Das Fabelwesen von Loch Neß – Benediktinermönche haben das Ungeheuer seit Jahren beobachtet