Freitagnacht-Kryptos: Der Mokeló in Zentralafrika (Teil 1)

Am 8. Juni 1848 erschien in dem Magazin Das Ausland: Wochenschrift für Länder- und Völkerkunde (Band 21) ein Aufsatz, der ein gutes Beispiel für die kryptozoologische Analyse von einheimischen Informationen liefert und an einen vergessenen Pionier der Disziplin erinnert. Tutschek hatte zuvor in früheren Ausgaben mehrere Folgen über Entdeckungsreisen in Zentralafrika und Märchen der Eingeborenen veröffentlicht. Nun kommt er zum kryptozoologischen Teil:

„Ueber den Mokeló, ein unbekanntes Raubthier Centralafrika’s.

In den Erzählungen eines jungen Eingebornen aus Tumale, einer Provinz Centralafrika’s, mitgetheilt durch Dr. Tutschek, finde ich mehrmals eines Thieres unter dem Namen Mokeló gedacht, das den geneigten Lesern gewiß um so mehr auffallen wird, als sich eine spätere Erzählung Dgalo’s gerade mit diesem Geschöpfe befaßt. Indem ich voraussetze, daß der Leser den Berichten über ein bis in unsere Tage noch ganz unbekanntes Land mit vielem Interesse gefolgt seyn wird, nehme ich seine gütige Aufmerksamkeit auch für einen zoologischen Gegenstand in Anspruch, der mit eine Rolle spielt in der poetischen Anspruchslosigkeit des erzählenden Negers Dgalo. Dieser beschreibt den Mokeló folgendermaßen:

Ein Gepard faucht eine Hyäne an, Szene im hohen Gras
Hyänen sind bekannt dafür, dass sie anderen Großräubern auch die Beute stehlen

„Ein Raubtier in der Größe eines kleinen Pferdes“

‚Er ist ein Raubthier, welches die Rehe (Antilopen) und Tiger (Panther) verfolgt und frißt, außerordentlich schnell läuft und die Größe eines kleinen (vielleicht schottischen) Pferdes erreicht; die Schnauze ist sehr dick und stark, fast wie bei einer Bulldogge, von schwarzer Farbe; das Gebiß grimmig und schneeweiß mit vorstehenden Eckzähnen. Die Farbe des Leibes ist dunkelbraun mit struppigen kurzen Haaren, der Schweif kurz und kahl (vielleicht wie beim Windhund). Seine Fährte ist die des Löwen, jedoch breiter mit mehr auseinanderstehenden Zehengliedern. Der Aufenthalt dieses grimmigen Thieres ist die Wüste, wo er sich des Tages über verborgen hält, in der Nacht aber sein Lager verläßt und weit jagend herumschwärmt, um seine Nahrung, die in allen Thieren zu bestehen scheint, zu erwürgen; deßwegen wird er von den Yumales [im heutigen Staat Südsudan] der Wüstenhirte genannt.

Tüpfelhyäne vor kurzem Rasen
Tüpfelhyänen sind als erfolgreiche Jäger genauso bekannt wie als Beuteräuber

Erdwolf ruht am Boden
Der Erdwolf ist eigentlich eine Hyäne, eine sehr ungewöhnliche.

Afrikanischer Wildhund steht in hohem Gras
Unter dem Radar vieler Afrikaforscher gilt der afrikanische Wildhund Lycaon pictus als möglicher Kandidat für den Mokeló

Obwohl er so stark und kühn ist, daß der Panther, wo sich der Mokeló zeigt, entflieht und im Falle des Erreichens von diesem zerrissen wird, so zeigt er doch gegen Menschen weniger Muth, da er vor ihnen entflieht und bei starker Verfolgung seine Losung fallen läßt, welche, wie Dgalo mit verständiger Beobachtung bemerkt, weiß ist, weil der Mokeló Knochen frißt. Ohne Zweifel mag aber doch mancher Umale in Mokelós Magen wandern, da in der Erzählung ‚Tomiong‘ der Waldesfürst den Mokeló frägt, ob er den Tomiong verschlungen habe. Im allgemeinen wird sich wohl kein Raubthier am Menschen vergreifen, solange es noch andre Nahrung in ausreichendem Maße findet.‘ – Dieß ist Dgalos einfache Beschreibung.

Kein Mokeló in der Staatssammlung

Unter allen ausgebälgten Säugethieren der Staatssammlung in der Münchner Akademie erkannte Dgalo keines für den Mokeló seiner Heimath, ebenso wenig glich demselben irgendeine von sämmtlichen ihm vorgelegten Abbildungen. Jedoch muß ich bemerken, daß sich in München von dem bald zu erwähnenden wilden Hunde Afrikas ein ganz junges Exemplar befindet, welches allerdings dem erwachsenen Thiere weder an Größe, noch an Form gleicht. Da ich mich seit mehrern Jahren speciell mit der Zoologie Afrikas beschäftigt, so erschien mir die Aufgabe sehr lockend und lohnend, die Wesenheit des Mokeló etwas näher zu beleuchten.

Der Mokeló ist keine Katze

Aus Dgalos sehr mangelhaften Daten geht hervor, daß wir ein Raubthier und zwar von enormer Größe vor uns haben, von einer Größe, welche die des Löwen wo nicht übertrifft, doch gewiß erreicht. Aus einem mir mitgetheilten Mährchen vom Tiger und Mokeló ersehe ich auch, daß der letztere keine Katze ist, denn er kann den auf einen Baum entflohenen Tiger nicht verfolgen, also nicht klettern – die genaue Bekanntschaft Dgalos mit dem Löwen (ima m’rsal) bürgt außerdem dafür, daß der Löwe nicht der Mokeló ist. Wenn sich aber der Tiger (Panther) dem Mokeló gegenüber ein kleines Thierlein nennt, so gibt dieß gewiß einen Begriff von der erstaunlichen Größe des fraglichen Geschöpfes, welche auch von Dgalo standhaft behauptet wird.

Ist den Natuforschern ein großes Raubtier entgangen?

Der erste Zweifel, der in mir bei Lesung der Berichte aus Tumale hierüber aufstieg, war natürlich der, wie ein so großes, allem Anscheine nach in diesen Provinzen häufiges Raubthier der Beobachtung von Naturforschern entgangen seyn sollte, die, wie z. B. Rüppell, rings um die Gränzen Tumales gekommen sind. Allein die Vergleichung sämmtlicher bisher bekannt gewordenen Raubthiere Afrikas wird es dem Leser doch zweifellos machen, daß der Mokeló wirklich ein dem Zoologen noch unbekanntes Säugethier seyn muß. Da durch das Unvermögen zu klettern (ein Beweis von stumpfen, weil nicht zurückziehbaren Krallen) und durch das weite Jagen desselben bei Vergleichung des Mokeló ohne Zweifel das Katzengeschlecht ausgeschlossen bleibt, so sind demnächst nur drei Gattungen von Raubthieren vorhanden, zu denen er möglicherweise gehören könnte: der Erdwolf, Proteles – die Hyäne, Hyaena – der Hund, Canis.“

Literatur:

Das Ausland: Wochenschrift für Länder. und Völkerkunde (Band 21), 1848