Freitagnacht-Kryptos: Überlebende Stellersche Seekühe?

Wenn es nach der Zoologie geht, wurde das letzte Exemplar von Stellers Seekuh 1768 erlegt, so Igor Akimuschkin in seinem Buch: „Vom Aussterben bedroht?“ (S. 52)

 

Stellersche Seekuh
Eine zeitgenössische Darstellung der Steller’schen Seekuh

 

Ein bislang übersehener Hinweis, eigentlich Beweis, dass die Riesenseekuh noch ein Jahrzehnt später am Leben war, findet man in den Aufzeichnungen des Kurpfälzer Matrosen Heinrich Zimmermann aus Wiesloch. Er nahm an der letzten Seefahrt des berühmten Captain Cooks teil. 1778 erreichte man die asiatische Küste nahe der Aleuten.

 

Zimmermann schreibt (S. 68):

 

 

„Den 9. August landeten wir in den Grad 65 nördlicher Breite auf der jetztgemeldten asiatischen Küste. Die Einwohner auf dieser kommen den vorbeschriebenen Amerikanern ganz ähnlich; nur sind sie von etwas brauner und dunklerer Gesichtsfarbe, sie versammelten sich in einer starken Anzahl mit Bogen und Pfeilen an dem Ufer. Herr Cook gieng dem ohngeachtet ganz allein an das Land und machte durch Geschenke Freundschaft mit ihnen. Ihre Nahrung bestehet in Fischen und besonders in Seekühen und die Haut von diesen wissen sie so gut als ein Gerber zuzubereiten. Der Kommodore gab dem Vorgebürge dieses Landes den Namen Cookstown.“

 

 

Auf S. 103 fügt er anlässlich eines zweiten Aufenthaltes 1779 hinzu:

 

 

„In der Mitte des Monats Julii kamen wir in dem Grad 71 nördlicher Breite an, und trafen Eis in Menge und mehr als vorhin. Wir erlegten hier, wie voriges Jahr auch auf dieser und auf der amerikanischen Küste geschehen war, wieder viele Seerosse, Seekühe, auch etliche Seebären, und siedeten Thran davon. Wir kreuzten hin und wieder; und wo wir eine Oeffnung fanden, stachen wir muthig hinein.“

 

Captain Cook berichtet

Zimmermanns Bericht wird von dem seines Kapitäns bestätigt, wenn sich dieser auch knapper hält. Cook (S. 371) schreibt:

 

 

„Das Meer und die Seen dort sind voller unterschiedlichster amphibischer Tiere, am zahlreichsten darunter sind Seehunde, See-Pferde und See-Kühe. […] Mit den Zähnen und Knochen der See-Pferde und See-Kühe spitzen sie ihre Pfeile und Kriegsgeräte, aus ihrem Fett und Blubber kochen sie ihr Öl.

 

 

Georg Wilhelm Steller mit seiner Seekuh und seinem Seeadler (Webfund)

Zuletzt 1934

Als Stellers Seekuh wurde auch ein Kadaver gemeldet, der sonst zu den Leichen des Cadborosaurus, der Seeschlange von Britisch-Kolumbien gezählt wird. Jedenfalls meldete die neuseeländische Zeitung „New Zealand Herald“ am 27. November 1934:

 

 

„SEEUNGEHEUERÜBERRESTE WAREN SEEKUH AUS ALASKA.

VICTORIA, 25. November. Die Behörden des Victorian Museum erklären, dass es sich bei den Überresten des auf einer Insel in Britisch-Kolumbien gefundenen Seeungeheuers um eine Seekuh handelt, die in den Gewässern Alaskas beheimatet war und von der angenommen wurde, sie sei seit 170 Jahren ausgestorben ist.

Eine Seekuh wurde von Behring [sic!] beschrieben, als er auf Kamtschatka Schiffbruch erlitt. Sie war 9 m lang und wog 8000 Pfund.“

 

Nachtrag

Markus Hemmler hat mich darauf hingewiesen, dass Leser glauben könnten, bei der „Seekuh“ von 1934 handle es sich um eine echte Steller’sche Seekuh, die es nach Britisch-Kolumbien verschlagen hatte. Das ist nicht der Fall – das Tier, das als „Seekuh“ gedeutet wurde, ist der berühmte „Caddy-Kadaver“ von Port Henry, der sich weder als Seeschlange noch als Seekuh entpuppte, sondern – wie so oft – als verrotteter Riesenhai (Cetorhinus maximus).

 

Markus Hemmler schreibt: „Dieser wurde bei Henry Island gefunden und nach Prince Rupert, der nächstgrößeren Siedlung, gebracht. Irgendjemand brachte im Verlauf dieser Angelegenheit – vermutlich aufgrund des für viele ungewöhnlichen Aussehens des Kadavers bzw. des Schädels – die Spekulation (als eine von vielen, u. a. auch Caddy) in die Presse, es könnte sich um ‚Rythina stelleri‘ handeln.“ Die Fotos Nummer 15, 16, 17 in Heuvelmans Seeschlangenbuch „In the Wake oft he Sea-Serpents“ zeigen das jeweilige Skelett einer Steller’schen Seekuh, des Henry Island Monsters und eines Riesenhais und stammen aus einem Zeitungsbericht der „Illustrated London News“ über den Fall.


Literatur:

Akimuschkin, Igor: Vom Aussterben bedroht? Leipzig: VEB Brockhaus 1972

Cook, James: Journal of Captain Cook’s Last Voyage to the Pacific Ocean in the Years 1776, 1777, 1778 and 1779. Londdon: E. Newbery 1781

Magin, Ulrich: Pfälzer Entdecker und Pioniere. Mannheim: Wellhöfer 2019

Zimmermann, Heinrich: Reise um die Welt, mit Capitain Cook. Mannheim: C. F. Schwan, kuhrfürstl. Hofbuchhändler 1781

 

Zeitungen:

Auckland Star, 26 November 1934, Northern Advocate, 26 November 1934 und ein Dutzend weitere Zeitungen aus Neuseeland.