Ich bin kein Angler und habe nie ein Aquarium besessen, deshalb weiß ich nicht, ob man eine persönliche Beziehung zu einem Schwarm Fische herstellen kann. Aber „zahme Fische“ ist eine Frage, die die Presse immer wieder beschäftigt hat.

Den Anfang macht ein kurzer Bericht der „Sächsischen Dorfzeitung“ aus Dresden am 13. September 1902 auf Seite 6:
Der Fischzüchter Jakob Fischer in Dobl bei Schärding (Oberösterreich) ist, der „D. Fischerei- Zeitung“ zufolge, der seltsame Fall gelungen, eine in dem an seinem Hause vorbeifließenden Bache befindliche größere Forelle so zahm und zutraulich zu machen, daß ihm dieselbe aus der Hand frißt. Sobald Herr Fischer in der Nähe des Standplatzes der Forelle darangeht, mit der Hand einen Regenwurm an die Oberfläche des Wassers zu halten, so kommt die Forelle pfeilschnell aus ihrem Verstecke, um den Regenwurm aus der Hand zu nehmen und hierauf ebenso schnell wieder zu verschwinden. Dieses Schauspiel wiederholt sich fünf- bis sechsmal hintereinander. Die Forelle ist dann satt und kommt einige Stunden nicht mehr zum Vorschein. – Diese Forelle des Fischzüchters Fischer dürfte mit der bekannten Seeschlange einigermaßen verwandt oder verschwägert sein.
Vier Jahre später berichteten zahlreiche Zeitungen weltweit über die Fischzähmungen am Luganer See. In Neuseeland meldete der „Hawera & Normanby Star“ am 29. Mai 1906 auf Seite 6:
FISCHE ZÄHMEN. Die Frage, ob frei lebende Fische gezähmt werden können, wurde gerade von einem Schweizer Arzt, Dr. R. Fastenrath aus Herisau, gelöst. Am Luganer See setzte er sich eine ganze Stunde lang in Ufernähe, nur mit dem Kopf aus dem Wasser ragend, die Hände auf die Knie gestützt und in jedem ein großes, vom Wasser gründlich durchnässtes Stück Brot. Einige Exemplare der allerjüngsten Brut kamen ihm schließlich nahe und hoben etwas von dem Brot auf, machten aber schleunigst eine hastige Flucht. Im Laufe der Zeit wurden sie jedoch zutraulicher, und die älteren Exemplare der Fischfamilie folgten nach und nach ihrem Beispiel, bis alle Fische ungestört von seinen Bewegungen frei um den Arzt herumschwärmten und die von ihm angebotene Mahlzeit genossen. Letztlich konnte er sie sogar streicheln und anfassen oder heftig im Wasser planschen, ohne die Fische im Geringsten zu stören.“
Die Nachricht wurde in mehr als einem Dutzend neuseeländischer Zeitungen abgedruckt, aus anderen Varianten – etwa im „New Zealand Tablet“ vom 16. November 1905, S. 29, erfährt man, dass es sich bei der Fischart um Schmerlen handelte und dass „Dr. Fastenrath einen weißen Schirm ins Wasser senkte und Mithilfe einer Spezialkamera mehrere beeindruckende Fotos von seinen flinken Freunden machte.“ (Professor Tames Fish, „Hawera & Normanby Star“, 19. Februar 1906, S. 6. Weitere Berichte: „New Zealand Tablet“, 12. Juli 1906, S. 35; „Otautau Standard and Wallace County Chronicle“, 3. Juli 1906, „Poverty Bay Herald“, 3. Februar 1906, in den USA „Lundington Daily News“, 2. Mai 1906 und – wohl der letzte Auftritt – 17 Jahre später im „Indiana Weekly Messenger“, 15. November 1923.)

Der zitierte Gelehrte lässt sich nicht auftreiben. Ich habe einzig einen Rudolf Fastenrath aus Herisau identifiziert, einen Schweizer Lokaldichter. Er hat ein Dialektbuch geschrieben, das am Luganer See veröffentlicht wurde … Fastenrath, Rudolf: Grüetz di Gott mi Appezell, Magliaso, Ceresio, 1906
Daher sind die zahmen Fische aus der Schweiz bislang schwer fassbar.
