Ganz oder gar nicht – Warum eine „Teilvernunftbegabung“ und einseitige Menschenrechte nicht praktikabel sind
Es mag nun das Argument aufkommen, dass die Bewertung des Bigfoot nach solchen Kriterien ungerecht ist. Schließlich wird dadurch wiederum der Mensch zum Maß aller Dinge: Bloß wenn genügend Parallelen zwischen den Kulturen von Homo sapiens und Bigfoot vorhanden sind, darf der Letztere auch als Mensch Menschenrechte genießen.

Mögliche Kritikpunkte an der Vernunftbegabung als Hauptkriterium für das Menschsein
Freilich lässt sich argumentieren, dass der Bigfoot schon durch seinen aufrechten Gang dem Menschen sehr ähnlich ist. Vielleicht nutzt er auch Werkzeuge, wie es die bereits bekannten Arten von Menschenaffen tun. Es wäre nicht unwahrscheinlich, wo der Bigfoot doch beide Hände frei hat. Gerade diese geschickte Manipulation von Gegenständen zeugt von Intelligenz.

Es mag schon sein, dass der Bigfoot nicht ganz so intelligent ist, wie der durchschnittliche erwachsene Mensch. Vielleicht entspricht seine Vernunftbegabung beispielsweise der eines fünfjährigen Kindes. Das fünfjährige Kind ist aber aktuell zurecht mit Menschenrechten ausgestattet. Warum soll der Bigfoot dann keine Menschenrechte haben?
Der Kritiker der Vernunftbegabung als Voraussetzung für die Menschenrechte zieht daraus den folgenden Schluss: Das Ziel der philosophischen Rechtfertigung der Menschenrechte besteht laut dem Verfasser in einer flexibleren Anwendung. Es ermöglicht die Ausweitung abseits von biologischen Kriterien. Wer damit nicht einverstanden ist kann aber umgekehrt sagen: Es ermöglicht auch die Verengung abseits von biologischen Kriterien.
|
Das Jahrbuch für Kryptozoologie 2022 (3) !neu!Das 3. Jahrbuch für Kryptozoologie ist im März 2023 erscheinen. Wie seine Vorgänger ist es voll Originalarbeiten aus dem Bereich der Kryptozoologie. Es beinhaltet jetzt 14 große und fünf kleine Beiträge auf etwa 300 Seiten.
Das Jahrbuch für Kryptozoologie 3 – 2022 kostet trotz massiv gestiegener Papierpreise wieder € 12,90 (zzgl. P&P) |
Ist denn folglich das Kind kein Mensch, weil es ihm an geistiger Reife mangelt? Macht man für Kinder nur eine Ausnahme, weil sie ja noch reifen können? Ist dann der geistig behinderte Mensch keines Rechtes würdig, weil er das Recht nicht verstehen kann? Haben wir in der Geschichte der Menschheit nicht schon leidvolle Erfahrungen mit solchen Ideologien gemacht?
Sicher, wer Rechte für den Bigfoot (oder auch für bekannte Menschenaffen) fordert, tendiert nicht zwangsläufig zu solchen Gedankengängen. Diskussionen über dieses Thema sind auch möglich, ohne Godwin‘s Law einmal mehr unter Beweis zu stellen. [Godwin’s Law bezeichnet die Tendenz, dass bei einer länger werdenden (Internet-) Diskussion früher oder später die Nazis eine Rolle spielen. Anm. d. Red.]
So mag manch ein Bigfoot-Schützer zur Mäßigung aufrufen und meinen: Dann ist der Bigfoot eben zu dumm, um unsere Gesetze zu verstehen. Trotzdem scheint er über Empfindungen oder gar Gedankenwelten zu verfügen, die sich bei den meisten Tieren nicht finden lassen. Können wir diesen Zeitgenossen nicht einfach ganz in Ruhe lassen, indem wir ihm ein Recht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit garantieren?

Eine Erwiderung
Dieser gemäßigte Ansatz hat mit der radikalen Ablehnung vor allen Dingen gemein, dass beides nicht konsequent zu Ende gedacht ist. Die besondere Qualität der radikalen Ablehnung besteht nur darin, dass sie sich an der Grenze zur Verleumdung bewegt und einen sachlichen Diskurs unmöglich machen soll.
Solcherlei Argumente ignorieren nämlich, dass Gesetze zum Schutz des Menschen nicht nur umfangreicher, sondern auch völlig anders aufgebaut sind, als etwa ein Tierschutzgesetz:
Nicht umsonst unterschied bereits Hobbes die Begriffe Recht und Gesetz. Diese beiden Wörter werden als Synonyme verwendet, weil das Gesetz das Recht absichern soll. Das Recht wiederum bedeutet, etwas tun zu dürfen oder nicht tun zu müssen. Das Gesetz umfasst aber neben dem Dürfen noch eine zweite Dimension: Etwas tun zu müssen oder nicht tun zu dürfen.
Es muss nämlich verhindert werden, dass in das Dürfen eingegriffen wird. So dürfen alle Rechtssubjekte zwar weniger, als der Naturzustand ihnen gewährt, weil sie das Dürfen Anderer respektieren müssen. Was sie aber dürfen, ist ihnen zugleich sicher.
Daraus folgt, dass das Gesetz erst durch seine konsequente Einhaltung wirklich entsteht. Das ist die Triebregulierung, die zuvor schon mehrfach erwähnt wurde. Verstöße gegen das Gesetz (d.h. mangelhafte Triebregulierung) durch Einzelpersonen kann eine Gesellschaft verkraften. Wenn aber eine zu große Anzahl von Menschen gegen das Gesetz verstößt, ist es nicht mehr durchsetzbar.
Wer einseitige Menschenrechte fordert, räumt also dem Bigfoot sprichwörtliche Narrenfreiheit ein. Wenn der Bigfoot einen Menschen angreift, wird er nicht bestraft. Gut, er versteht ja nicht, dass er Unrecht begeht. So kann man ihn nicht bestrafen. Was aber, wenn der Bigfoot einen Bigfoot verletzt?
Hier entsteht ein Paradox: Der Bigfoot soll menschenähnlich genug sein, dass ihn Niemand verletzen, fangen oder töten darf. Zugleich soll er unzurechnungsfähig genug sein, dass er für die eigenen Taten nicht zur Rechenschaft gezogen werden darf. Er ist also de facto eine Art Kind oder geistig eingeschränkter Mensch. Bloß dürfen sich diese Menschen auch nicht gegenseitig ihrer Rechte berauben.
Ja, sie haben Rechte und sie sollen Rechte haben. Das ist schon gut so. Sie haben aber keine wirkliche Narrenfreiheit. Und das ist auch gut so.
Anzeige |
Skulls and BonesEin Feldführer über Schädel, Knochen und Verhalten nordamerikanischer Landtiere. Irgendwo in der Landschaft liegt ein Schädel, ein Skelettrest oder ein einzelner Knochen herum. Was bei Großtieren im Skelettzusammenhang noch einfach ist, ist bei einzelnen Knochen kleiner oder kleinster Landtiere sehr schwer, die Identifikation. Dieser Feldführer ermöglicht die Bestimmung einzelner Knochen größtenteils bis auf Artebene. Dazu inspiriert er zur wissenschaftlichen und künstlerischen Zeichnung, leitet den Aufbau einer Knochensammlung an.
Skulls and Bones ist leider nur noch antiquarisch erhältlich. Das 288-seitige Taschenbuch ist 1995 bei Stackpole erschienen. Für gut erhaltene Exemplare werden regelmäßig 40 bis 50 € gezahlt.
Mit dem Kauf über den Link unterstützt ihr den Betrieb dieser Website. |
Kinder und unzurechnungsfähige Menschen dürfen aufgrund ihrer mangelnden Einsichtsfähigkeit in der Regel nicht (im selben Ausmaß) für Gesetzesübertretungen bestraft werden, wie zurechnungsfähige Personen. Auch liegt es in der Natur der Bestrafung, dass sie erst nach der Tat erfolgen kann. Das bedeutet aber nicht, dass man die Überschreitung einfach zulassen darf und anschließend mit den Schultern zuckt.
Nein, wer nicht zurechnungsfähig ist, muss einen Vormund oder gesetzlichen Vertreter haben. Dessen Aufgabe ist es, stellvertretend für die nicht zurechnungsfähige Person vernunftbegabt (und im Idealfall vernünftig) zu sein. Dieser Mensch muss unachtsame, aus mangelnder Einsichtsfähigkeit resultierende, Handlungen verhindern. So muss keine Person sinnloser Weise bestraft werden, die ohnehin die Fehler ihres Handelns nicht erkennen kann. Scheitert der Vormund oder Vertreter an seiner Aufgabe, wird er daher an seines Mündels statt bestraft.
Wer also den Bigfoot zum Kind machen will, darf ihm jedenfalls nicht seine Freiheit lassen. Wer würde schon ein Kind alleine im Wald zurücklassen, wo es zur Gefahr für sich selbst und andere wird? Das wäre völlig unverantwortlich! Um diese Situation zu verhindern, müsste man sämtliche Bigfoots – sie sind schließlich allesamt nicht zurechnungsfähig – in menschliche Obhut nehmen.
Somit wäre dann das völlige Gegenteil des eigentlichen Ziels erreicht: Den Bigfoot im Wald in Ruhe zu lassen. Zielführender wäre es stattdessen, ihn einfach als Tier unter Artenschutz zu stellen. So gäbe es zwar mehr mögliche Ausnahmen von seinem Schutz, als es durch Menschenrechte der Fall wäre. Zugleich wäre diese Lösung aber praktikabler – und für die meisten Bigfoots stressfreier.

Das Menschenrechts-Paradox
Bevor im folgenden großen Abschnitt besprochen wird, welche Rechte einem nach menschlichen Maßstäben vernunftbegabten Bigfoot zustehen würden, sollen muss noch eine Feststellung besprochen werden: Die Menschenrechte, wie sie durch die UN verkündet wurden, sind ein Ideal, das niemals vollständig erreicht werden kann. Diese Feststellung ist aber nicht bloß auf totalitäre Regimes anwendbar. Vielleicht ist das auch besser so:
Zuvor wurde etabliert, dass das Recht eines teilweise vernunftbegabten, kindlichen Bigfoot eingeschränkt werden müsste. Diese Einschränkung dient nicht zu seiner Strafe, sondern zu seinem Schutz. Sie ist also nicht Folge einer Gesetzesüberschreitung und beschneidet doch den Anspruch auf körperliche Freiheit in einem erheblichen Maße. Die UN verlieren hierzu kein Wort.

Mit menschlichen Kindern und sonstigen Personen, die sich rechtlich nicht selbst vertreten können, verhält es sich ähnlich. Wenn man aber die Menschenrechte wirklich für jedermann gleich auslegen würde, müsste man auch diesen Menschen dasselbe Maß an Entscheidungsgewalt zugestehen, wie den Übrigen. Damit ginge dann auch Verantwortung einher.
Anzeige |
Die Reise der MenschenRund sieben Milliarden Menschen leben aktuell auf der Erde. Unsere Spezies hat selbst die entlegenen Gebiete der Erde bevölkert. Aber einer Theorie nach begann die Erfolgsgeschichte des Menschen mit einer kleinen Gruppe unserer Vorfahren, die einst Afrika verließen. „Human Journey – Wie der Mensch die Welt eroberte“ verfolgt die Spuren dieser Pioniere auf ihrer Reise ins Ungewisse quer durch alle fünf Kontinente. Mit Hilfe modernster wissenschaftlicher Methoden rekonstruieren die Macher, wie die frühen Menschen Herausforderungen wie endlose Wüsten und Ozeane, gefährliche Raubtiere und eine Supervulkan-Explosion überstanden…
Human Journey – Wie der Mensch die Welt eroberte [2 DVDs] kommt in insgesamt 5 Episoden auf 2 DVDs daher. Die Scheiben sind in der bekannten BBC-Qualität (Walking with Dinosaurs) produziert und ausgestattet.
Mit dem Kauf über den Link unterstützt ihr den Betrieb dieser Website. |
Das Ergebnis wäre gewiss keine bessere Welt. Im Gegenteil würden die nun trotz mangelnder Befähigung Mündigen in arge Bedrängnis geraten. Man würde Fähigkeiten von ihnen erwarten, über die sie nicht verfügen. Für die Menschheit insgesamt besonders gravierend wäre das im Fall der Kinder: Wenn die bloße Befähigung zur Willensäußerung ausreichen würde, um die Entscheidungen der Eltern oder Betreuer zu überstimmen – die Kindersterblichkeit würde ins Unendliche steigen.

So muss man festhalten, dass eine inkonsequente Anwendung der Menschenrechte unter Umständen im Interesse des Menschen liegen kann. Voraussetzung dafür ist freilich, dass diese Einschränkung der Rechte nicht bloß Vorwand ist. Wer davon betroffen ist, muss auch wirklich nicht zur Vernunftbegabung in der Lage sein. Bloße Unvernunft genügt nicht, denn diese ist – im Gegensatz zur Intelligenz – objektiv nicht messbar.
Im Extremfall ist sogar ein Szenario vorstellbar, in dem es im Geiste der Menschenrechte ist, die Menschenrechte nicht durchzusetzen!
Das gilt im Falle von isolierten Gesellschaften, die auch als unkontaktierte Stämme bezeichnet werden. Diese haben im Laufe ihrer Geschichte ein System an Regeln entwickelt, die keinerlei Bezug auf die Menschenrechte nehmen, gar dagegen verstoßen. Wie sollten sie diese Rechte auch kennen, wenn ihnen weder Staaten noch UN bekannt sind?
So ist es für diese Menschen also unvorstellbar, nach irgendeinem anderen Recht zu leben. Wollte nun der Staat, auf dessen Gebiet sie leben, Menschenrechte durchsetzen, gibt es zwei Szenarien: Zunächst könnten diese zuvor unkontaktierten Menschen zur Überzeugung gelangen, dass die Menschenrechte eine sinnvolle Einrichtung sind. Sehr realistisch ist das aber nicht, da sie hierfür Jahrhunderte alte Regeln von einem Tag auf den anderen über Bord werfen müssten. Wahrscheinlicher ist, dass sie diese Veränderungen (zunächst) ablehnen.
Bei einer konsequenten Anwendung des Gesetzes müsste man den Stamm nun zu seinem angeblichen Glück zwingen. In der Folge käme es zu Konflikten, wahrscheinlich inklusive Verhaftungen und möglichem Blutvergießen.

Hier erscheint es daher sinnvoller, dem isolierten Stamm sein angestammtes Recht zu lassen. Voraussetzung dafür ist aber, dass tatsächlich kein, bzw. kaum Kontakt zu einer staatlichen Gesellschaft besteht. Sonst würde es nämlich wiederum zu Konflikten zwischen den Gesellschaften kommen. Daneben muss der Stamm zur bewussten Ablehnung der Menschenrechte im Sinne der UN in der Lage sein.
Es hat sich bis heute keine Ausnahme gefunden, durch die ein Volk in seiner Gesamtheit unzurechnungsfähig wäre. Wollte man die Fähigkeit zur Vernunftbegabung anzweifeln, müsste man zunächst für das jeweilige Volk/den Stamm das Gegenteil beweisen. Es ist auch nicht nötig, dass sich dieses Volk im Detail mit den Inhalten eines Rechtssystems auseinandersetzt. Den Eingriff in das eigene Recht durch Fremde vehement abzulehnen, genügt.
So wird den Völkern Selbstbestimmung gewährt. Diese Praxis ist auch zwischen ganzen Nationen gängig, die durchaus sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Umsetzung der Menschenrechte haben können. Die Alternative bestünde im Versuch eines Staates, eine Art Weltpolizei einzurichten. Dies ist schlicht impraktikabel, weil zur Durchsetzung des jeweiligen Rechtsystems eine unverhältnismäßige Missachtung anderer Rechte nötig wäre.

Diese Erkenntnis könnte auch im Zusammenhang mit dem Bigfoot interessant werden. Schließlich scheint auch er sehr isoliert zu leben.
Allerdings kann man beim Bigfoot nicht automatisch von Vernunftbegabung ausgehen, sondern muss diese erst beweisen. Sollte er vernunftbegabt sein, hätte er analog zu den unkontaktierten Stämmen den Anspruch, das (US-amerikanische) Recht abzulehnen. Diese Souveränität wäre aber nur innerhalb klar definierter räumlicher Grenzen vorstellbar. Sie wäre also nicht auf die Art bezogen, sondern auf ein bestimmtes geografisches Gebiet.
Der vorhergehende 3. Teil des Artikels erschien am 30. März 2023
Der folgende 5. und letzte Teil erscheint am 27. April 2023