Bizarre Haie: Kragenhaie

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Die Kragenhaie der Familie Chlamydoselachidae sind in vieler Hinsicht bemerkenswert. Sie zeigen eine ganze Reihe ungewöhnlicher anatomischer Merkmale und gehören zu einer isolierten und schon sehr langen eigenständigen Linie innerhalb der Haie. So urtümlich, wie man das teilweise immer noch oftmals lesen kann, ist sie aber nicht. Wie alle anderen lebenden Haie und Rochen gehören sie zu den Neoselachiern. Ihre evolutionäre Linie lässt sich bis mindestens in die Kreidezeit zurück verfolgen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die modernen Arten die selben wie vor 70 Millionen Jahren sind. Auch Kragenhaie haben sich im Verlauf ihrer Evolution immer weiter entwickelt. Sie zeigten in der Vergangenheit einen deutlich größeren Formenreichtum, wie etwa dem riesigen kreidezeitlichen Chlamydoselachus goliath.

In den letzten Tagen war der Kragenhai erneut verstärkt in den Medien, weil ein Fischereiprojekt in Portugal in 700 m Tiefe ins Netz geraten war. Durch das spektakuläre Aussehen des Tieres und seinem Ruf als (vermeintliches) lebendes Fossil hat er sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, unter anderem bei Spiegel-Online Wissenschaft.

Schlanke Körperform, merkwürdiger Körperbau

Was wohl zuerst auffällt, ist der sehr lange und schlanke Körperbau mit den eng anliegenden Flossen. Auch die für Haie sehr ungewöhnliche Kopfform ohne ausgezogene „Nase“ ist ungewöhnlich.

 

Chlamydoselachus anguineus
Chlamydoselachus anguineus (Foto: Citron, CC 3.0)

Chlamydoselachus anguineus
Chlamydoselachus anguineus aus den Aufzeichnungen der Challenger-Expedition

Präparat eines Kragenhais in der Sonderausstellung des dt. Jagdmuseums

Betrachtet man die Kragenhaie noch etwas mehr im Detail, fallen noch viele weitere Merkwürdigkeiten auf. Glücklicherweise hatte ich Ende 2012 die Gelegenheit ein Exemplar der Spezies Chlamydoselachus anguineus im Deutschen Jagd- und Fischereimuseum in München in einer Sonderausstellung über Knorpelfische zu sehen und zu fotografieren.

Auf diesen Bildern sieht man einige ihrer ungewöhnlichen Merkmale etwas besser, besonders die Kiemenschlitze. Die meisten Haie haben nur fünf Kiemenschlitze. Bei den Hexanchiformes, zu denen neben den Kragenhaien auch die Kammzähnerhaie der Gattungen Hexanchus, Notorynchus und Heptranchias zählen, findet man bei der ersten Gattung auch sechs, und bei den beiden letzteren sogar sieben Kiemenschlitze. Bei den Kragenhaien sind die ersten Kiemenschlitze auf der Bauchseite sogar miteinander verbunden. Die übrigen Kiemenschlitze reichen teilweise immer noch ungewöhnlich weit nach oben und unten, sind aber nicht mehr miteinander verschmolzen.

 

An den Zähnen sollst du sie erkennen

Besonders interessant sind auch die Zähne der Kragenhaie. Sie sind wie ein Dreizack in jeweils drei lange Spitzen aufgeteilt, und sitzen deutlich voneinander abgesetzt in Reihen hintereinander.

Die Gabelform ist wahrscheinlich eine Anpassung an ihre Beute, vor allem Kopffüßer, aber auch unterschiedliche Tiefseefische. Was mir bei dem Exemplar in München besonders auffiel, war die Anordnung der Hautzähne im Bereich des Mundwinkels. Während sie auf dem restlichen Körper relativ klein sind, finden sich um den hinteren Bereich des Maules deutlich verlängerte und stark vergrößerte Dentikel (Hautzähne):

Chlamydoselachus-anguineus-Jagdmuseum-München
Portrait von Chlamydoselachus anguineus aus dem Jagdmuseum in München

Offenes Maul eines Clamydoselachus
Offenes Maul eines Clamydoselachus anguineus. (Bild: Sansame777 CC 2.0)

Dentikel am Maulrand
deutlich vergrößerte Dentikel am Rand des Mauls

Fossile Einzelzähne
Fossile Einzelzähne von Chlamydoselachus lawleyi (Foto: Luca Oddone CC 3.0)

Tatsächlich sind sie sogar von ähnlicher Größe wie die Spitzen der eigentlichen Zähne im Maul. Zwischen ihnen scheint beinahe ein fließender Übergang zu bestehen. Möglicherweise sind sie beim Festhalten der Beute beteiligt. Dies wäre ein äußerst bemerkenswertes Phänomen.

 

Fossile Kragenhaie

Kragenhaie sind auch in fossiler Form bekannt. Die ältesten stammen aus dem Eozän Österreichs. Weitere Funde kennt man aus dem Miozän Trinidads und dem Pliozän Italiens. Dort kam die Art Chlamydoselachus lawleyi vor. Die für Kragenhaie typische Dreizackform der Zähne sieht man besonders gut an diesem fossilen Zahn von Chlamydoselachus lawleyi.

 

Verborgen in der Tiefsee

Da Kragenhaien normalerweise in Tiefen von etwa 120-1280 m Tiefe leben, gibt es leider nur recht wenige Aufnahmen lebendender Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum. Gelegentlich gelangen einzelne Exemplare auch in deutlich flacheres Wasser oder werden teilweise an Tiefsee-Langleinen gefangen. Ein Kragenhai konnte 2007 sogar, wenngleich auch nur für wenige Stunden, in einem Aquarium auf Honshu beobachtet werden.

Ich habe bisher immer bewusst von „Kragenhaien“ im Plural geschrieben, denn tatsächlich gibt es nicht nur eine einzige Art, sondern zwei. Die bekanntere Art Chlamydoselachus anguineus hat dabei ein äußert großes Verbreitungsgebiet:

Verbreitung von Chlamydoselachus anguineus

Verbreitung von C. africana

Dagegen hat der Südafrikanische Kragenhai (Chlamydoselachus africana) ein weitaus kleineres Verbreitungsgebiet, welches sich vor allem um die westliche Südspitze Afrikas beschränkt. Diese Art wurde erst 2009 beschrieben, entsprechend findet man sie auch kaum in der Literatur. Mit einer Länge von nur wenig über einem Meter sind sie auch kleiner als ihre Verwandten. Bei C. anguineus werden zumindest die Weibchen bis 2 m lang, die Männchen immerhin noch bis etwa 1,5 m. Neben der geringeren Größe unterscheidet sich der Südafrikanische Kragenhai auch in anderen Merkmalen von seiner Schwesterart, etwa durch eine geringere Wirbelzahl oder eine geringere Anzahl der Spiralwindungen des Darmes.

Sie haben Eier und gebären doch lebende Junge

Eine weitere Besonderheit der Kragenhaie ist ihre Vermehrung. Wie viele andere Haie auch, bekommen die Weibchen lebende Junge. Sie schlüpfen bereits im Körper der Weibchen aus den Eiern und verweilen dann in der Gebärmutter, bis sie weit genug entwickelt sind. Dies dauert ungewöhnlich lange, vermutlich zwei Jahre, möglicherweise sogar bis zu dreieinhalb Jahren. Ähnlich lange Entwicklungszeiten findet man allerdings auch bei Alpensalamandern (Salamandra atra), womit die Kragenhaie in dieser Eigenschaft nicht ganz so isoliert stehen.

Selbst so bizarre und scheinbar besonders urtümliche Wesen wie die Kragenhaie entziehen sich keineswegs jedweder Entdeckung und Erforschung. Obwohl sie größtenteils extreme und schwer erreichbare Tiefen bewohnen, wurde Chlamydoselachus anguineus bereits 1884 wissenschaftlich beschrieben. Wenngleich auch noch sehr viel in den Ozeanen zu entdecken sei dürfte, sind sie dennoch bereits weitaus besser erforscht als manch einer annimmt. Auch der Umstand, dass selbst von den Kragenhaien zumindest einige Fossilien aus verschiedenen Gegenden der Welt bekannt sind, ist an dieser Stelle bemerkenswert.


Literatur:

Dieser Beitrag ist am 1. Februar 2014 in sehr ähnlicher Form in Markus Bühlers Blog „Bestiarium“ erschienen