Medienmittwoch: Wie wir Menschen wurden

Die Wiege der Menschheit liegt in Afrika – das galt lange als unumstößliche Erkenntnis.

Doch in den vergangenen Jahren tauchten immer mehr Knochenfunde auf, die zeitlich und räumlich nicht ins Bild passen. Forscher entdeckten in Europa zahlreiche Fossilien von frühen Vorfahren heutiger Menschenaffen, aus denen später die menschliche Evolutionslinie hervorging.

 

Aus bekannten und völlig neuen Puzzleteilen rekonstruiert die renommierte Paläontologin Madelaine Böhme ein hochaktuelles Bild der Menschwerdung, das mit vielen gängigen Vorstellungen bricht. Sie beschreibt die Wendepunkte der Forschung und lässt die faszinierende Welt unserer frühesten Vorfahren lebendig werden.

 

Ein packender Wissenschaftskrimi!

Böhme: Wie wir Menschen wurden

 

Mit der Entdeckung eines der kleinsten Knochen, dem Endglied eines Fingers, in einer Höhle Zentralasiens, änderte sich der Blick der Paläoanthropolgen. Wissenschaftler begannen in den 1970er Jahren auf der Suche nach Fossilien von Höhlenbären. Dabei entdeckten sie zahlreiche Steinwerkzeuge. Das führte zu weitergehenden archäologischen Untersuchungen.

 

Funde aus dem Bereich zwischen 180.000 und 125.000 Jahren sind im Moustérien- und Levallois-Stil angefertigt und wurden Neanderthalern zugeschrieben. Der Fund von menschlichen Fossilien änderte zunächst nichts an der Ansicht, bis schließlich das Fingerglied Denisova 3 einer DNA-Analyse unterzogen wurde.

 

Von dieser Analyse und den folgenden Konsequenzen handelt dieses Buch.

 

Prädikat: Sehr lesenswert!

 


Die Autorin

Prof. Dr. Madelaine Böhme ist Geowissenschaftlerin und Paläontologin. Seit seit Ende 2009 belegt sie die Professur für terrestrische Paläoklimatologie an der Universität Tübingen und ist Gründungsdirektorin des Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP Tübingen). Sie zählt zu den profiliertesten Paläo-Klimatologen und Paläo-Umweltforschern und betrachtet die menschliche Evolution auch im Hinblick auf die Veränderungen des Klimas und der Umwelt.


Aus einer Amazon-Rezension:

 

Das Buch hat knapp 300 Seiten und nein, in einem Sitz habe ich es nicht gelessen, aber in zwei Abenden.
Ich wurde durch einen Vortrag von Frau Böhme auf das Buch aufmerksam.
Der Inhaltdes Buches sind die Hominiden und deren Vergangenheit.
Frau Böhme beschreibt gängige und nichtgängige Lehrmeinungen.
Irrungen und Wirrungen, versuchte Betrügereien, damit ein Lehrmeinung richtig bleibt oder wird.
Frau Böhme schreibt eher belustigt über die Piltdown Urmenschfälschung und wie lange es brauchte, bis sie endlich aufflog.
Sie nimmt den Leser mit auf eine Suche nach einem Artefakt, das in den Katakomben eines Lagers verschwand.
Andere Artefakte verschwinden rein zufällig, als eine alles entscheidende Prüfung ansteht.
Sie beschreibt die Entdeckung von Udo, den es eigentlich gar nicht in Europa geben dürfte, jedenfalls nicht nach Lehrmeinung.

„Der Reisende“

 

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Eine kriminalistische Spurensuche nach den Ursprüngen der Menschheit

Wie wir Menschen wurden: Eine kriminalistische Spurensuche nach den Ursprüngen der Menschheit – Spektakuläre Funde im Alpenraum ist im November 2019 im Heyne Verlag erschienen und hat 336 Seiten. Zusätzlich gibt es eine Kindle-Ausgabe.

 

Mit dem Kauf über die Links unterstützt ihr den Betrieb dieser Webseite.

 


Einblick in die Arbeit in der Paläo-Anthropologie

Für an der Wissenschaft interessierte Laien bildet die Paläo-Anthropologie ein Gegenstück zur Quantenforschung: Sie steht oft gefühlt an oberster Position zwischen den verwandten Disziplinen. Daher ist der Einblick in die Arbeit der Wissenschaftler, von der Ausgrabungsstätte bis ins Labor besonders interessant. Die Autorin ist dabei so offen und beschreibt nicht nur den oft langwierigen, handwerklichen Teil, der mit der „High-Tech-Anthropologie“ Hand-in-Hand gehen muss. Der menschliche Faktor, der zwischen Knochenpartikel-DNA-Extraktionslösungsansätzen und Genbank-Vergleichssuchen notwendig ist, hat auch seinen Raum.

 

Bedeutung der Arbeit und der Denisova-Hominiden

Das Buch beginnt mit dem Fund eines einzelnen Fingergliedes eines Menschen, das keiner bekannten Art zugewiesen werden konnte. Das ist an sich bereits ein unglaublicher Erfolg, selbst als Student an einem Institut für Paläoanthropologie ordnet man das als unglaublichen Glücksfall ein, „den irgendwelche Leute einmal im Leben haben.“ Man selbst rechnet nie mit so etwas.

 

Hinzu kommt, dass die Denisova-Hominiden für das Verständnis der heutigen Menschenpopulationen eine zentrale Rolle spielen. Ebenso wie ihre Schwestergruppe, die Neanderthaler verpaarten auch sie sich gelegentlich mit einwandernden modernen Menschen. So kommt es, dass die durchwandernden Homo sapiens die Gene der Denisova-Hominiden mit nach Osten nahmen. Wenn diese Gene alle richtig bestimmbar sind, kann ihre Verteilung möglicherweise eine Menge darüber sagen, wie sich der moderne Mensch in Asien und darüber hinaus ausbreitete.

 

Um so spannender ist es, die Autorin quasi auf dem Weg vom Fingerknöchel zur inoffiziellen Benennung des Denisova-Hominiden zu begleiten.

 


Was nicht im Buch stehen kann: Neues aus Denisova

 

Künstlerische Darstellung des Denisova-Hominiden
Eine junge Denisova-Frau mit etwas abwertendem Blick. Künstlerische Darstellung aus der Arbeit der Hebräischen Universität im September 2019 (Image: Maayan Harel)

 

Das Buch ist mittlerweile 2 Jahre alt. In diesen zwei Jahren hat sich gerade bei den Denisova-Hominiden einiges getan:

  • Im September 2019 haben Wissenschaftler der Hebräischen Universität in Jerusalem anhand der DNA die erste Rekonstruktion dieser Menschenart versucht.(Link)
  • Es gab „Mischehen“ zwischen den Neanderthalern aus dem Westen und den Denisovanern aus dem Osten. Dabei gab es auch Kinder, ein etwa 13 Jahre altes Mädchen wurde im Altai-Geburge gefunden. (Link)
  • Forscher haben DNA der Denisovaner in der Baishiya Karsthöhle im Hochland von Tibet gefunden. Sie lebten dort zu mindestens drei unterschiedlichen Zeitpunkten, vor ca. 100.000, 60.000 und 45.000 Jahren. (Link)
  • Ein Teil der Gene von amerikanischen Ureinwohnern geht auf die Denisova-Menschen zurück. (Link)
  • Die Denisova-Hominiden gelten heute allgemein als Schwesterart des Neanderthalers. Beide Arten gingen vor etwa 300.000 Jahren aus Populationen des Heidelberg-Menschen hervor.
  • Die Gene der Denisova-Hominiden sind in der heutigen Population der südost-asiatischen Inselwelt weit verbreitet, obwohl sie dort (bisher?) fossil nicht bekannt sind. (Link)
  • Chinesische Wissenschaftler haben ein bereits bekanntes Fossil aus Harbin (Fund 1933, veröffentlicht 2018) als Holotyp für eine eigene Menschenart beschrieben. Das Fossil könnte möglicherweise zu einer Randgruppe des Denisova-Hominiden gehören, die dann den Namen Homo longi tragen würden. Die Arbeit trägt einige methodische Fehler. Hinzu kommt, dass der Harbin-Schädel in eine Gruppe anderer Schädel clustert, in denen bereits der Holotyp einer aktuell nicht verwendeten Beschreibung steht. So könnte Homo longi möglicherweise nur ein Juniorsynonym für Homo sapiens daliensis sein, der bereits 1978 beschrieben wurde.
    Ob dies der richtige wissenschaftliche Name für die Denisova-Hominiden ist, wird sich noch zeigen müssen. (Link)