Als Harald Sioli 1910 in Köthen (heute Sachsen-Anhalt) auf die Welt kam, konnte sich niemand auch nur ansatzweise vorstellen, was dieser Mensch in seinem Leben alles erleben sollte. Über sein Elternhaus ist wenig bekannt, aber er scheint mindestens aus bürgerlichen Verhältnissen gekommen zu sein. So konnte er sich das Studium der Biologie leisten, das er 1934 mit der Promotion in Zoologie mit den Nebenfächern Botanik und Limnologie (Süßwasserkunde) an der Universität Kiel abschloss. Er muss damals schon sehr talentiert und fleißig gewesen sein, denn auch Anfang des Jahrhunderts war eine Promotion im Alter von 24 Jahren nicht mehr üblich.

Sioli auf Expedition in den Nordosten Brasiliens
So kam es auch, dass Professor K. Lenz den jungen Mann als Volontär-Assistent zu einer großen limnologischen Forschungsreise nach Nordost-Brasilien mitnahm. Die Expedition begann im September 1934 und endete im Juni 1935.
Nach Abschluss der Expedition erhielt er zunächst ein Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft, so dass er an der Biologischen Station Helgoland arbeiten konnte. In der Folge fand er Anstellung am Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin, wo er Assistent in der biologischen Abteilung wurde. Die dort erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sollte ihm in den folgenden Jahren sehr helfen.

Im September 1938 schließlich erhielt er die Möglichkeit, erneut nach Brasilien zu gehen, diesmal als Austauschassistent des Reichsforschungsrates am Biologischen Institut in Sao Paulo. Der Ausbruch des 2. Weltkrieges 1939 verhinderte seine Rückkehr, ein Glücksfall für Sioli sondergleichen. Er erhielt weiterhin Mittel aus einem Stipendium, war jedoch ohne wissenschaftliche Leitung, so dass er völlige Forschungsfreiheit genoss. In den folgenden zwei Jahren erarbeitete er die Grundlagen der Tropenökologie so akribisch, dass sie heute noch Gültigkeit besitzen. Die ersten bodenkundlichen Untersuchungen gehen ebenso auf ihn zurück wie die Begriffe „Schwarzwasser“, „Weißwasser“ und „Klarwasser“ sowie ihre Typisierung, Bindung an bestimmte Bodentypen und ökologische Modellierung.
‚Damit war eine der wichtigsten, grundlegenden Gegebenheiten für das Funktionieren des terrestrischen Ökosystems Amazonien, des großen Waldes, entdeckt worden: das Fehlen, oder zumindest die extreme Knappheit von Nährstoffen und Nährstoffreserven in den Böden des allergrößten Bereichs Amazoniens, auf denen der üppige amazonische Hochwald wächst. Oder kurz das seltene Phänomen: Üppigster Wald auf ärmstem Boden.‘

Diese Phase endete beinahe schlagartig, als Brasilien 1942 auf Seiten der Alliierten in den Krieg eintrat. Sioli wurde schlagartig vom freundlichen Sonderling zum feindlichen Ausländer. So gelangte er im September 1942 ins Internierungslager Tomé-Acu, südlich von Belem an der Amazonasmündung. Hier zeigten sich die Kenntnisse aus seiner Anstellung im Virchow-Klinikum als sehr nützlich. Unter abenteuerlichen Umständen konstruierte er ein einfaches Mikroskop. Mittels eines Bayer-Prospektes für Medikamente gegen Tropenkrankheiten diagnostizierte und behandelte er zahlreiche Patienten – Gefangene wie Aufsichtspersonal erfolgreich.
Nach dem Krieg wurde er beinahe sofort wieder als Wissenschaftler eingestellt, diesmal am Instituto Agronômico do Norte. In dieser Stellung konnte er seine Forschungen ausdehnen und viele erste Erkenntnisse untermauern. 1953 wurde er Leiter der Abteilung für Limnologie und 1954 berief man ihn in das neu gegründete Amazonas-Forschungsinstitut INPA.
In dieser Zeit forschte Harald Sioli nicht nur in Amazonien, er lebte dort mit den Einheimischen, wie ein Einheimischer. Er sprach die Sprache der Indios, war mit Fischern, Jägern und Früchtesammlern unterwegs. Es war ein Liebesverhältnis, das Amazonien gab dem „deutschen Quartermain“ so viel zurück.
‚Die limnologische Forschung in Amazonien hatte damit den Rahmen der Beschränkung auf die Gewässer gesprengt und den Blick auf die zugehörigen terrestrischen Bezirke gelenkt. Da erhebt sich nun die Frage: Wie kann solch hoher üppiger Wald auf so armen Böden wachsen, und das noch dazu schon seit Hunderttausenden und gar Millionen von Jahren?‘

Die Zeit in Amazonien endete für Harald Sioli 1956, als er einem Ruf der Max-Planck-Gesellschaft folgte und hochrangig in die traditionsreiche Hydrobiologische Anstalt in Plön eintrat. Obwohl er beruflich weiterhin sehr erfolgreich war, fiel ihm der persönliche, private Start in Deutschland sehr schwer. Das Leben in Deutschland hatte sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu sehr geändert, so dass Sioli zunächst tatsächlich das war, was ihm ein Gastwissenschaftler in Manaus prophezeit hatte: „Nach Ihrer Rückkehr werden Sie in Deutschland ein deutsch sprechender Ausländer sein.“
Beruflich und fachlich blieb Sioli weiterhin sehr erfolgreich und auch immer Brasilien verbunden. Obwohl er in der Tropenökologie großes geleistet hat, blieb der bescheidene Mann der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

In einem Interview 1971 wies er bereits darauf hin, dass die Abholzung der Amazonaswälder zu einem Anstieg der weltweiten Kohlendioxid-Konzentration in der Luft führen wird. Die brasilianische Presse nahm dies auf und prägte den Begriff „Grüne Lunge des Planeten“.
Auch als er 1978 emeritierte, wurde es weder lauter noch leiser um ihn. Er unterstützte die Arbeit in Brasilien weiterhin mit seinem Ruf, fachlich und mit Forschungsgeldern.
Wie es bei solchen Menschen üblich ist, trafen viele Ehrungen erst im hohen Alter, quasi als Würdigung des Lebenswerkes ein. 2000 erhielt er das Großkreuz des brasilianischen Verdienstordens.
2004 verstarb Harald Sioli hochbetagt in Plön am See.
Die letzten Jahre seines Lebens widmete er seinen Memoiren. Das hier vorgestellte Buch „Gelebtes, geliebtes Amazonien“ ist sicher der emotionalste Teil daraus, denn es beschreibt seine Aufenthalte in Brasilien zwischen 1940 und 1962.
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Gelebtes, geliebtes AmazonienForschungsreisen in den brasilianischen Regenwald 1940 und 1962
Harald Siolis sehr persönliches und doch sehr wissenschaftliches Buch über seine Expeditionen in den Amazonas-Regenwald. Sie legen ein mehr als beredtes Zeugnis davon ab, wie erfolgreiche Forschung sein kann, wieviel Herzblut ein Forscher in seine Arbeit bringt und was ihm sein Forschungsbereich zurück geben kann.
Gelebtes, geliebtes Amazonien von Harald Sioli ist 2007 im Pfeil-Verlag erschienen und hat 228 teilweise illustrierte Seiten. Es ist heute nur noch antiquarisch erhältlich und das nicht einfach. Für das Buch werden Liebhaberpreise abgerufen.
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