Orang Mawas 5/7 – Skandal um einen Experten?

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Wer zum Orang Mawas recherchiert, stößt immer wieder auf zwei Namen: Zum einen wäre da Harold Stevens, der 1971 als einer der ersten gezielt nach dem Orang Mawas suchte. Daneben ist auch immer wieder die Rede von einem Herrn namens Vincent Chow Kok How. Dieser war zumindest bis 2017 Vorsitzender der „Johor Malaysia Nature Society“. Im Rahmen dieser Tätigkeit befasste er sich auch immer wieder mit dem Orang Mawas.

 

Der Beweis – bald verfügbar?

Dieser Vincent Chow Kok How kündigte Anfang des Jahres 2006 an, dass er in Kürze den unwiederbringlichen Beweis für die Existenz des „Johor Bigfoot“ veröffentlichen werde. Die Bezeichnung „Johor Bigfoot“ kann als weiteres Synonym für den „Malaysischen Bigfoot“ bzw. den „Orang Mawas“ in die lange Namensliste für dieses Kryptid aufgenommen werden.

 

Dieser Beweis bestand laut dem Kryptozoologen in insgesamt 11 Fotografien von mehreren Exemplaren dieser Kryptidenart. Er habe vom den Eigentümern des Urheberrechts die Erlaubnis erhalten, drei davon in seinem neuen Buch zu veröffentlichen, das er zusammen mit weiteren malaysischen Autoren schrieb.

 

Laut Vincent Chow Kok How deuteten die Fotografien darauf hin, dass es sich beim Orang Mawas um nichts Anderes handelt, als einen überlebenden Homo erectus. Die bloße Ankündigung einer solchen Sensation schlug natürlich große Wellen unter Kryptozoologen.

Nachdenklich stimmte allerdings die Tatsache, dass Vincent Chow Kok How sich weigerte, die Fotografien Experten zur Untersuchung vorzulegen. Stattdessen veröffentlichte er im Vorfeld aber Skizzen, die angeblich von der Fotografie abgezeichnet worden waren. So blieb den Interessierten – Laien wie Experten gleichermaßen – nichts anderes übrig, als auf die offizielle Veröffentlichung der Bilder zu warten.

Johor Hominid Skizze
Die oben zitierte Skizze des Augenbereiches des Johor-Hominid

Eine „filmreife“ Fotografie

Am 04.08.2006 war es dann endlich so weit: Es kam zur Veröffentlichung. Seltsamerweise wurde aber nur ein Foto veröffentlicht, das die Augen des angeblichen Kryptids zeigten. Auch fand sich die Fotografie nicht in Vincent Chow Kok Hows Buch, sondern auf der Website „johorhominid.org“. Diese betrieb der Kryptozoologe zusammen mit einem Kollegen namens Sean Ang.

E schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein: Auf seiner Website forderte er nämlich Skeptiker heraus. Wer beweisen könne, dass es sich bei der Fotografie um eine Fälschung handele, solle mit 1200 RM (damals ca. 515$), einem Hotelaufenthalt in Johor und einer geführten Tour durch den Regenwald belohnt werden.

 

Johor Hominid
Die Augen des Johor-Hominids, oder was damals als solche veröffentlicht wurde

 

Noch am selben Tag meldete sich tatsächlich ein solcher Skeptiker: Der Franzose Jean Luc Drevillon hatte das Foto wiedererkannt. Es handelte sich um eine nachgestellte Szene aus dem Sachbuch „L’Odyssée de l’espèce“. Zum Beweis zeigte er das Foto vor, in das sich der Ausschnitt einwandfrei einfügen ließ.

Die Fotografie war eine Fälschung. Unmittelbar danach ging „johorhominid.org“ vom Netz. Die Website ist bis heute nicht wieder zugänglich.

 

Johor-Hominids 2007-06-02
So ging „Johor Hominids“ nach längerer Zeit wieder ans Netz. Webarchive-Screenshot vom Zustand des 2. Juni 2007

 

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Abenteuer der Kryptozoologie von Richard Freeman

Die schiere Tiefe des auf seinen Seiten behandelten Materials ist erstaunlich. Freemans Gedanken basieren in vielen Fällen von Augenzeugenberichten und Details aus einer Reihe von Veröffentlichungen. Es ist ein hervorragendes Buch, das einige von Freemans Lieblingskryptiden und einige der damit verbundenen Hintergründe enthält.

 

Aus einer Besprechung im Fortean Times Magazin

 

Richard Freeman’s Adventures in Cryptozoology ist 2019 in englischer Sprache erschienen und hat als Taschenbuch 252 Seiten. Da aus dem Ausland importierte Bücher nicht an die Buchpreisbindung gebunden sind, kann der Preis variieren. Üblicherweise liegt er unter € 20,-.

Mit dem Kauf über den Link unterstützt ihr den Betrieb dieser Website.

 

 

Das Nachspiel

Vincent Chow Kok How gab sich überrascht: Er habe ebenso wenig wie Sean Ang davon gewusst, dass die angebliche Fotografie vom Orang Mawas eine Fälschung war. Diese habe schließlich nicht er selbst aufgenommen. Stattdessen hätten Mitglieder der „Johor Wildlife Protection Agency“ ihm die Bilder überlassen.

 

Weiterhin gab der Kryptozoologe an, dass er keine Hintergedanken gehabt habe, als er das Bild veröffentlichte. Lediglich die Suche nach der Wahrheit habe ihn angetrieben. Ohnehin seien auch ihm im Vorfeld Zweifel bezüglich der Authentizität gekommen. Die Belohnung für Drevillon werde er aus eigener Tasche bezahlen.

 

Vincent Chow Kok Hows Zurückrudern wirkt allerdings seltsam: Wenn er Zweifel an der Authentizität hatte – wieso weigerte er sich dann, die Fotografien Primaten-Experten vorzuzeigen? Eine solche Zweitmeinung hätte die Veröffentlichung des gefälschten Beweises vielleicht verhindern können. Auch, dass er trotz seiner angeblichen Zweifel im Vorfeld versprach, den Beweis für das Überleben des Homo erectus zu besitzen, passt nicht zu seiner selbsterklärten Skepsis.

Augenpartie eines Schimpansen
Augenpartie eines (echten) Schimpansen

All diese Details lassen den Kryptozoologen seinen Beteuerungen zum Trotz zwielichtig wirken. Es stellt sich so nämlich – wie auch Loren Coleman bereits 2006 bemerkte – die Frage, wie man seine übrigen Arbeiten zum Orang Mawas in diesem Licht beurteilen soll.

 

In diesem Artikel wird jedenfalls soweit wie möglich darauf verzichtet, auf Informationen von Vincent Chow Kok How zurückzugreifen.

 


Out-of-Place-Orang-Utans?

Die Indizien und Zeugenberichte zur Existenz des Orang Mawas sind häufig vage oder widersprüchlich. Daher ist es nicht möglich, lediglich eine Theorie weiterzuverfolgen. Es werden also im weiteren Verlauf dieses Artikels einige verschiedene Erklärungsansätze zum Orang Mawas aufgezeigt werden.

Zu Beginn einmal ein relativ konservativer Ansatz: Was, wenn es sich zumindest bei einigen der Orang Mawas um nichts Anderes handelt, als um Orang-Utans? Schließlich werden unerwartet gesichtete Tiere häufig als größer eingeschätzt, als sie tatsächlich sind. Was aber ist unerwarteter, als ein Menschenaffe in einem Land, in dem er gar nicht existieren sollte?

 

Was für den Orang-Utan spricht

Dazu kommt, dass der Orang-Utan der nächste Verwandte des Menschen in Asien ist. Dass er auch auf Menschen aus dem malaysischen Sprachraum sehr menschenähnlich wirkt, ist ebenfalls bewiesen. Anderweitig hätte man diese Tierart wohl kaum als „Waldmensch“ betitelt.

 

Weiterhin ist der Körper der Orang-Utans mit dichtem, langen Fell bedeckt. Darüber, ob man es als gewellt oder gelockt beschreiben kann, lässt sich streiten – darüber, ob die Zeugen genau darauf achteten, ob das Fell nur ein wenig verwuschelt, oder tatsächlich lockig war, allerdings auch. Das Gesicht der Weibchen ist wiederum – wenn auch nicht völlig kahl – schwächer behaart, während das Gesicht der Männchen eine Art „Bart“ aufweist. Ähnliches wissen Augenzeugen auch zum Orang Mawas zu berichten.

 

 

Orang-Utan sitzt auf einer steilen Flußböschung auf Borneo
Orang Utan in der Wildniss

 

 

Der aufrechte Gang ist zugegebenermaßen keine Eigenschaft des Orang-Utans. Er ist aber durchaus in der Lage, sich zeitweise auf die Hinterbeine aufzurichten und so auch einige Schritte zu gehen. Wenn er dabei nach Vegetation oder anderen Gelegenheiten, sich abzustützen, greifen kann, hält er dies umso länger durch. So könnte schon der Eindruck entstehen, dass dem überraschten Zeugen ein Zweibeiner entgegenkommt.

 

Ehemals weit verbreitet

Wie zuvor bereits erwähnt, gilt der Orang-Utan auf dem asiatischen Festland als ausgestorben. Selbst die Bestände auf Borneo und Sumatra erstrecken sich längst nicht über die gesamte jeweilige Insel. Die Anzahl der Orang-Utans insgesamt ist im Laufe der letzten Jahrzehnte rapide zurückgegangen.

 

Dieser Rückgang der Populationen begann allerdings etwas früher als mit dem Eintreffen der Europäer und damit moderner Waffen und Maschinen. Laut dem (populär-)wissenschaftlichen Magazin „The Conversation“ mussten sich Orang-Utans bereits seit etwa 70.000 Jahren an die „Gesellschaft“ des modernen Menschen anpassen. Vor etwa 20.000 Jahren beschleunigte sich dann der Rückgang der Populationen.

 

Historische Verbreitung der Orang Utans
Historische Verbreitung der Orang Utans. Die Verbreitung auf den vorgelagerten Inseln ist nicht gesichert, die genauen Verbreitungsgrenzen auf dem Festland sind nicht bekannt.

 

Dazu muss man allerdings anmerken, dass zumindest zu diesem Zeitpunkt noch Orang-Utans auf dem asiatischen Festland existierten. Sie beschränkten sich nicht nur auf den äußersten Süden, sondern waren sogar in Teilen der heutigen Volksrepublik China heimisch. Wann genau die Orang-Utans aber etwa auf der malaysischen Halbinsel ausstarben, wird nicht erwähnt.

 

Fest steht, dass sie zumindest zeitweise mit dem Menschen auf der malaysischen Halbinsel koexistierten. Auch gab es kein definitives Ereignis, dass das Aussterben der Orang-Utans ausgelöst haben könnte. Insofern ist ein Überleben der Art auf dem Festland zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht völlig unplausibel.

 

Die Zweifel

Ist das Rätsel um den Orang Mawas hiermit gelöst? Diese Annahme ist angenehm, aber falsch. Es bleiben nämlich einige Punkte offen, die Zweifel an dieser Theorie aufkommen lassen.

 

Zunächst einmal ist da die Fellfarbe. Diese wird sehr variabel beschrieben. Bei Orang-Utans bewegt sie sich dagegen eher im Bereich (dunkler) Rottöne. Dass man ein Exemplar mit etwas lichterem Fell bei passend heller Umgebung noch für hellrot halten könnte, ist möglich. Wie aber soll die sehr dunkle bis pechschwarze Farbe zustande kommen, von der einige Zeugen berichten?

 

Die vier Zeugen von 1953 berichteten ferner noch davon, dass die von ihnen gesichteten Orang Mawas über Kulturtechniken verfügten. So trugen sie Lendenschurze und hatten Messer bei sich. Zu einer Art primitiven Mensch würde das passen, zum Orang-Utan dagegen nicht.

 

Das größte Problem stellt trotz allem die enorme Größe der Orang Mawas dar. Größen werden häufig falsch eingeschätzt – diese Behauptung ist weiterhin wahr. Wie soll aber ein Tier, das aufgerichtet allenfalls ca. 1,5 m groß ist, plötzlich zum drei Meter großen Riesen heranwachsen? Die Zeugen hatten schließlich sich selbst als Vergleichsmaßstab. Sie hätten die „Orang-Utans“ also schon aus einer sehr seltsamen Perspektive betrachten müssen.

 

Wenn man davon ausginge, dass der Orang Mawas tatsächlich nur auf Überlieferungen zum Orang-Utan beruht, ließe sich das  gut erklären: Solche Überlieferungen werden gerne verfälscht. Man bedenke, welche absurden Eigenschaften dem Orang-Utan (d.h. dem „Mawas, der nicht wie „unser“ Orang Mawas beschrieben wird) zugeschrieben werden. Dann allerdings würde sich die Frage stellen, was die verschiedenen Zeugen gesehen haben sollen…

 

Entweder existieren noch immer Orang-Utans auf Malaysia, die gelegentlich gesichtet werden. Dann stellt sich die Frage, warum keine einzige Beschreibung des Orang Mawas  vollkommen an einen Orang-Utan erinnert. Oder aber die Berichte vom Orang Mawas lassen sich nicht einfach auf verfälschte Beobachtungen des Orang-Utan zurückführen. Dann muss ein anderes Wesen dafür verantwortlich sein.

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