Ein toter Schweinswal lässt den Blätterwald des Vereinigten Königreiches rauschen: Ist ein Weißer Hai in der Irischen See unterwegs?
Offenbar gab es eine zentrale Meldung einer Agentur: Fotos zur Meldung zeigen einen recht dünnen Schweinswal mit einer größeren Wunde am vorderen Rücken. Das Tier ist am Talacra Beach bei Flint an der Nordküste von Wales gestrandet. Der Schweinswal war zu dem Zeitpunkt bereits tot und offenbar in einem schlechten Allgemeinzustand.
Die Pressemeldung, die von zahlreichen Zeitungen identisch oder nahezu identisch abgedruckt wurde, bezieht sich auf Mally Rice, 46. Rice ist laut dieser Meldung Experte für Haie und Finder des Schweinswal-Kadavers. Seiner Meinung nach ist die Wunde eindeutig als Biss eines großen Haies zu interpretieren.

Wer tötete den Schweinswal?
Die üblichen Verdächtigen
Mally Rice ist sich sicher, dass die Verletzung nicht von einem Propeller stammt. Er zitiert die „üblichen Verdächtigen“, Heringshai (Lamna nasus) und Blauhai (Prionace glauca) als mögliche Verursacher. Aber man weiß ja nie, ob nicht doch ein Weißer Hai beteiligt ist.

Weiße Haie?
Spätestens seit dem gleichnamigen Film von 1975 sind Weiße Haie als die größten, fleischfressenden Haie bekannt. Anders als allgemein vermutet, bevorzugen sie keinesfalls warme, tropische Gewässer, sondern leben genauso in den Subtropen und wandern gerade im Sommer auch in kaltgemäßigte Bereiche. An der US-Westküste sind sie regelmäßig bis hoch nach Oregon zu finden, teilweise sogar bis an die Küsten des Staates Washington und hoch bis Alaska. Obwohl nördlich von San Francisco das Wasser als zu kalt zum Baden gilt.

Ähnlich ist es an der US-Ostküste. Hier leben sie nicht etwa nur vor dem warmen Florida und den Südstaaten. Sie wandern im Frühjahr regelmäßig durch die Bucht von New York an Long Island vorbei bis in kanadische Gewässer. Vor Neufundland, sogar an dessen Nordküste pingen regelmäßig die Sender markierter Weißer Haie – obwohl in Kanada bisher nur fünf wissenschaftliche Nachweise der Tiere hatte. Offenbar sind sie kaum zu beobachten.

Bisher gab es nur einen einzigen Nachweis eines Weißen Haies in britischen Gewässern. 1999 wurde ein Tier an der Nordküste Cornwalls bei Padstow gefangen – in der irischen See, genau wie der aktuelle Hinweis jetzt.
Bissmarken am Schweinswal untypisch für Weiße Haie
Die Bissmarke am Rücken des Schweinswales ist aus mehreren Gründen untypisch für einen Weißen Hai. Üblicherweise greifen dies Tiere ihr Opfer von unten und hinten an, außerhalb des Sichtbereiches von Robben und Walen und außerhalb einer möglichen Echolot-Ortung.

Hinzu kommen zwei weitere Punkte: Erst ab etwa 3 m Länge beginnen Weiße Haie, Meeressäuger zu jagen. Vorher fressen sie nahezu ausschließlich Fische und Kalmare. Der Hit & Kill-Biss eines 3 m langen Haies hätte bei einem Schweinswal eine wesentlich größere Wunde verursacht, die tiefer in den Körper reicht. Ebenso hätte der Hai mit diesem Biss die Wirbelsäule gebrochen und vermutlich auch ein Stück davon herausgebissen.
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Die Gewässer sind für Weiße Haie geeignet
Die Gewässer um Großbritannien sind als Lebensraum für Weiße Haie geeignet. Die Tiere wandern im Norden bis an die Nordküsten Neufundlands, wo es viel kälter wird als in der Irischen See – dem Golfstrom sei Dank. Hinzu kommt, dass die Irische See, anders als die deutsche Nordsee, sehr tief sein kann.
Zu den geeigneten Gewässern kommt eine große Dichte von Robben, der Hauptbeute der Weißen Haie. Die kommt an den britischen Inseln in zwei Arten vor: Dem Seehund und der Kegelrobbe.
Anderer Verdächtiger
Und genau die Kegelrobbe ist dieses Mal nicht etwa das Opfer, sondern eher Hauptverdächtiger. In der Nordsee greifen einzelne Kegelrobben nicht nur Seehunde, sondern auch Schweinswale an, um sie zu fressen. Mit ihrem Fischfressergebiss reißen sie eher Stücke aus der Muskulatur des Opfers heraus, anstatt sie diskret herauszustanzen und zu sägen, wie es ein Hai täte. Hierfür spricht auch die Attacke in Kopfnähe, die für Robben typisch ist.

Später sind Aasfresser dazu gekommen, kleinere Haie, die sich ihre Portion herausgebissen haben, andere Fische, Krabben, Seevögel, die letztlich die Form der Wunden ins Unkenntliche verzerrt haben.
Daher ist dieser Fund kein besonderer Grund, die Anwesenheit eines Weißen Haies in der Irischen See zu vermuten.
Literatur
Den Agentur-Artikel haben folgende Zeitungen in ihren Nachrichtenportalen veröffentlicht (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Beim Verfassen des Beitrages fiel auf, dass auch erste deutsche Nachrichtenportale die Angst vor dem Weißen Hai in der Nordsee zu schüren versuchen. Android Kosmos hat die Meldung unkritisch aus dem Englischen übersetzt und veröffentlicht.
Collins, Ken: Grey seals in the dock over porpoise murder mystery; The Conversation 2014
Auch wir berichten regelmäßig über Schweinswale fressende Kegelrobben, so u.a. in der Presseschau 2/2021.