Der Schweizer Kelpie und Seeschlangen in der Zentralschweiz

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Burg am See in der Schweiz

 

Die Schweiz ist ein Land mit einer langen Tradition von Seeungeheuersichtungen. Kaum ein See ist ohne Seeschlange, auch wenn uns das heute eher unwahrscheinlich vorkommt. Noch im 19. Jahrhundert wurden im Lago Maggiore, im Genfer See und im Brienzersee regelmäßig Sichtungen von großen Wasserungetümen gemeldet.

 

Panorama des Lago Maggiore in der Schweiz
Panorama vom Lago Maggiore

 

Der Seehund bei der Aare

Der Dittligsee ist hundert Meter lang und fünfzig Meter breit. Er liegt drei Kilometer westlich der Aare bei Thun inmitten von Feldern. Die Zeitung „Alpenpost“ (S. 212) berichtet am 5. Mai 1872:

 

 

„Einmal aber, als ich für mich allein zum Bade an diesen See gegangen war, benachrichtigte mich ein Anwohner, dass es hier nicht ganz geheuer sei. Wie so denn? musste ich fragen. ‚In diesem See‘, erzählte er, ‚lebt als Herrscher seiner Mitgeschöpfe ein sonderbarer Wasserhund, gross ungefähr wie ein Pferdefüllen und im Uebrigen von ähnlicher Gestalt. Versehen mit einer Art Mähne um den Kopf und Hals hätten ihn desshalb einige auch schon für ein Pferd gehalten, doch spreche sein langgezogener Leib mit kurzen Füssen und der Ton seiner Stimme gleich unterdrücktem Hundgebell für einen Hund.

Ob man ihn denn schon gesehen habe, warf ich verwundert ein. ‚Ja‘, entgegnete der Mann, doch nur selten an besonders warmen Tagen im hellen Sonnenschein. Da sei er auf die Oberfläche gekommen und habe man ihn deutlich auf dem Wasser liegen sehen; auch den haarigen Kopf, den er aus dem Wasser gestreckt und den braunen Rücken, den er langsam nachgezogen habe. Gewöhnlich indess liege er auf dem Grunde des Sees, dessen Tiefe man nicht kenne.

 

 

Seehund im Wasser, Tierpark Bochum
Ist der „Wasserhund“ ein Seehund?

Die Bewandtniss des Wasserhundes

Was es auch sonst noch mit diesem Thiere für eine Bewandtniss habe, fragte ich weiter. ‚Hierüber könne man sicheres mehr nicht vernehmen‘, lautete die Antwort. Kein Mensch könne sich auf dieses Thier verstehen, noch wie es in den See hineingekommen sei und wovon es lebe, wenn nicht wahrscheinlich von Fischen. Er selbst, schloss der Erzähler, habe diesen Wasserhund noch nie gesehen, doch gebe es mehrere Personen, die hievon bestes Zeugniss bringen und so sei denn auch die Rede von dessen Dasein in der jetzt Gegende herum ganz allgemein.

Aehnliche räthselhafte Berichte von unsern kleinen Moorseeen, auf denen ihrer ganzen Beschaffenheit nach wirklich noch vielfach der Schleier von Geheimnissen zu liegen scheint, hatte ich nun schon anderwärts gehört. Schon in meiner Kindheit erzählte man mir von dem kleinen See bei St Blaise, Kantons Neuenburg, dass es auch dort nicht geheuer sei. Einmal habe ein wälscher Knabe [ein französisch sprechender Knabe] des Ortes mit der Angelschnur darin ‚zocken‘ (fischen) wollen. Doch, wiewohl es an Fischen nicht mangelte, habe er zu seinem Schrecken nicht einen Fisch, sondern eine Schlange aus dem Wasser gebracht. Seither möge niemand mehr dort fischen zusagen und allgemein werde dieser See in der Gegend verabscheut und gemieden. Dort jemals gar zu baden – denke kein Mensch. Dass auch dieser kleine, trübe und in der That wenig anlockende See weder einen sichtbaren Abfluss habe, ist von der unweit vorbeifahrenden Eisenbahn leicht zu bemerken. Es ist hieraus schon kaum mit Unrecht auf einen unterirdischen Zusammenhang mit dem etwa eine halbe Stunde entfernten Neuenburgersee geschlossen werden.“

 

 

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Naturgeschichte der Gespenster – Eine Beweisaufnahme

Wer hatte im Dunklen noch nie das Gefühl, verfolgt zu werden, wer hat noch nie unerklärliche Geräusche gehört ? Egal wie aufgeklärt wir unser Leben gestalten, nur wenige von uns sind völlig immun gegen die Erfahrung des Unheimlichen, gegen wohligen Grusel und nächtliche Angst. Doch was steckt hinter dem, was wir Spuk nennen, worüber reden wir, wenn wir von Gespenstern sprechen ? Diese Fragen treiben Roger Clarke seit frühester Jugend um. Das Ergebnis seiner lebenslangen Recherche und Obsession ist dieses ungeheuer unterhaltsame Buch, geschrieben nicht ohne ironische Distanz, doch stets präzise wie eine kriminalistische Beweisaufnahme.

 

Naturgeschichte der Gespenster ist 2015 bei Matthes & Seitz Berlin als gebundenes Buch mit 333 Seiten (wie soll das gehen?) erschienen. Heute ist es im modernen Antiquariat oder antiquarisch erhältlich.

 

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Die Schweiz hat viele typische Bestandteile der mythologischen Landschaft

Lesern von Michel Meurgers Buch „Lake Monster Traditions“ werden hier die Ohren klingeln. All das sind bekannte Bestandteile der mythologischen Landschaft, also von Geschichten, die man sich über Seen generell erzählt. Der Wasserhund vom Dittlingsee in der Schweiz klingt mehr nach dem Wasserpferd der Sage als einem verirrten Seehund. In Schottland nennt man ihn den Kelpie, und manche halten diese europaweit verbreitete Sage für einen frühen Hinweis auf Nessie. Aber es wäre naiv, solche allerorts erzählten Geschichten an einem Ort plötzlich zoologisch zu deuten.

 

langer Hals eines Plesiosauriers
Monster gehören zur Erzähltradition an vielen großen Seen

 

Seeschlangen im Thunersee

In ihrer nächsten Ausgabe berichtet die „Alpenpost“ am 12. Mai 1872 von weiteren Schweizer Seeungeheuern:

 

 

„Ueber räthselhafte Wasserthiere, nicht unähnlich dem nordischen Kraken oder der oceanischen Seeschlange wird indessen selbst auch aus unsern grössern Schweizerseen berichtet. Bekannt ist die riesige Seeschlange im Thunersee, welche sich erst vor drei Jahren wieder [1869], seit 25 Jahren bereits um dritten Male zum Schrecken der Badenden bei der Thuner Allmend gezeigt haben soll. Doch wurde die Nachricht später wieder bestritten und die Sache überhaupt dahin erklärt, dass an den schilfigen Uferstellen dieses See’s namentlich bei der Einmündung der Aare zwischen Neuhaus und Därligen zuweilen allerdings schon grössere, jedoch ungefährliche Schlangen gesehen worden seien, die sich an sonnigen Tagen auf der Wasserfläche gewiegt haben und mit grosser Gewandtheit weit hinein in den See nach einer andern Uferstelle hingeschwommen seien.“

 

Silurus glanis, der Wels ist auch in der Schweiz verbreitet
Der Europäische Wels ist ein gewaltiger Fisch, kein Wunder, dass er immer wieder für Erstaunen sorgt. 
(Foto: Dieter Florian CC 3.0)

Der Seehund nur ein Wels?

Gleich darauf geht der Berichterstatter wieder auf den Seehund ein:

 

 

„Schwer nun aber war zu erklären, was der Wasserhund des Dittlingersee’s für ein Thier sein möge, wenn ein solches Wesen wirklich darin sich vorfand. An einen Seehund oder eine Robbe der Polarmeere zu denken, war doch wohl rein unmöglich; das angebliche Hundegebell, wenn nicht im Plätschern des Wassers aufgehend, war offenbar nur eine Täuschung; auch Arions tonbegeisterter Delphin im blauen ägäischen Meer passte nicht für dieses trübe Moosgewässer im Bernerlande.

 

Am ehesten hatte man es hier mit einem sog. ‚Saluten‘ der Welse (silurus glanis) zu thun, dessen bekanntester Wohnort der Murtensee ist, von wo er durch die Broye und das nördliche Endstück des Neuenburgersee’s hie und da schon in die Zihl gelangt ist. Dieser mit seinem rundlich-grossen Kopfe und mehreren langen Bartfäden allerdings merkwürdige Fisch, der auch, wie Herr Prof. Perty in seiner Naturgeschichte sagt, in ausgewachsenen Exemplaren bis 6 Fuss erreicht, kann durch die Phantasie noch vergrössert und von Nichtkennern aus der Ferne gesehen, wohl ungefähr für einen Seehund gehalten werden.

 

Doch hatte ich nie gehört, dass er sich noch in andern unserer Gewässer finde, ausser im Murtensee, wo er übrigens selbst schon ziemlich selten geworden ist. Ein junges, nur 1 Fuss langes Exemplar, das man vor etwa 20 Jahren in der Zihl gefangen hatte, wurde in der Umgegend Merkwürdigkeit gezeigt und dies ist auch der einzige Salut, den ich bis jetzt noch lebendig gesehen habe.“

 

 

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Schweiz – Sagen und Legenden

Der Apfelschuss von Wilhelm Tell und der Rütlischwur sind zwei der bekanntesten Geschichten aus der Schweiz. Uve Teschner erzählt in dieser Lesung weitere 18 ausgewählte Sagen und Legenden der Schweiz. Vermutlich gab es bereits 5.300 v. Chr. bei Gächlingen (Schaffhausen) erste landwirtschaftliche Siedlungen. Entdeckungen an den Schweizer Mittellandseen belegen, dass hier einst Pfahlbauern mit erstaunlich hoher Kultur lebten. Im Mittelalter erhielten die beiden Waldstätten Uri und Schwyz (1231/1240) von Friedrich II. die Reichsunmittelbarkeit. 1291 gründeten die drei Urkantone Schwyz, Uri und Unterwalden die Schweizerische Eidgenossenschaft. Gehen Sie auf eine Hörbuch-Reise in die wunderschöne Schweiz und entdecken Sie, fern ab vom Massentourismus, die geheimnisvolle Seite der Alpenrepublik.

 

Schweiz – Sagen und Legenden ist 2012 auf 2 Audio CDs., als MP3-Download und fürs Kindle erschienen. Wir empfehlen eine Hörversion

 

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Nachtrag: Seeschlangen im Brienzersee

Thunersee und Brienzersee sind durch die Aare verbunden und kaum einen Kilometer voneinander entfernt. Wie im Thunersee hat man im Brienzersee Seeungeheuer beobachtet:

 

 

„Etliche Ruderschläge ostwärts des Giessbaches säumen die hohen, senkrechten Flühe des Rauft und des Entenwinkels das Seeufer.

In dieser Gegend hausten einst die Seeungeheuer. Vom Mitternachtswind hierher abgetriebene Schiffsleute wussten von ihnen. Es waren zumindest zwei Tiere, mit Leibern wie Schlangen. Oder wie Fische? Jedenfalls streckten sie die Köpfe über das Wasser! Grausliche Köpfe, mit einer Schnauze fast wie die eines Hundes. Mit zwei krallenbewehrten Füssen schwammen sie im Wasser der Bucht. Die Ungeheuer wären sehr wohl imstande gewesen, die Boote der Schiffsleute zum Kentern zu bringen. Man wich ihnen deshalb aus. So blieb auch nie einer in ihren Krallen hängen. Dagegen behaupteten die Fischer, die Ungeheuer vertilgten grosse Mengen von Fischen, weshalb die Hechte und Forellen, die Egen, Hasel, Balchen, Bläulig und Brienzling im Brienzersee so selten geworden seien.“ (Peter Keckeis: Sagen der Schweiz. Limmat Verlag, Zürich 1995: Unveränd. N.-A. d. Ausgabe von 1986)

 

 

Brienzersee einer der kleineren Seen der Schweiz
Brienzersee

 

Hundekopf, Schlangenkörper und nur zwei Tatzen – das ist der typische Tatzelwurm, nur hier ins Riesenhafte gesteigert und als Wasserdrache. Das zeigt sehr schön, wie eng beide Konzepte verwandt sind. Der typische Tatzelwurm stammt der Sage vom mittelalterlichen Drachenbild ab. Die Quelle für Keckeis stammt vermutlich aus dem 19. Jahrhundert. Tatsächlich wird bereits 1857 (ohne Beschreibung) von dem Ungeheuer berichtet. Albert Jahn schreibt in seiner „Chronik, oder geschichtliche, ortskundliche und statistische Beschreibung des Kantons Bern, alten Theils: in alphabetischer Ordnung“ (Stämpflische Verlagshandlung, 1857, S. 234):

 

 

„Auch sonst wird der See jährlich ärmer an Fischen, ob wegen der in den See geleiteten Lütschinen oder wegen zwei Seeungeheuern, die man bisweilen zu bemerken vermeint, ist unentschieden. Ebenso ungewiß ist es, daß es Fische oder Aale, so groß wie Tannenbäume, in dem See geben solle.“

 

 

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Auskunft vor Ort

Heute sind Ungeheuer im Brienzersee, im Thunersee und in der Aare längst vergessen. Nachdem ich den Wasserhund vom Dittligsee entdeckt hatte, informierte ich den Schweizer Andreas Trottmann, der in der Gegend wohnt. Er antwortete mir am 20. Januar 2022:

 

 

„Beim kleinen Dittligsee befinden sich weitere kleine, von Schilf umsäumte Seen (so auch der Geistsee). Dies ist ein ehemaliges Sumpf- und Moorgebiet nördlich von Thun und zu Beginn des Aare- und Gürbetals (eigentlich dasselbe Tal, es wird einzig für eine gewisse Strecke durch den Belpberg getrennt und beheimatet jeweils einen Fluss). Ich kenne diese Gegend recht gut, da meine Mutter dort aufgewachsen ist und ich als Kind dort regelmässig meine Ferien verbracht habe. Ich bin mit der dortigen Sagenwelt eigentlich gut vertraut, jedoch ist mir dieser Wasserhund vom Dittligsee absolut unbekannt.“

 

 

Mittlerweile nehme ich allerdings an, dass der See Le Loclat der wegen der Wasserschlange genannt See ist. Denn er befindet sich unmittelbar bei St. Blaise direkt neben einer Bahnlinie, rund 500 Meter lang, 100 Meter breit und bis zu 10 Meter tief. In der Nähe liegt La Tène, wo einst die Kelten den Wassergöttern opferten.

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