Am Samstag erreichte der Hoax unsere Facebook-Gruppe. Ein neues Mitglied brachte eine Zusammenstellung von zwei Videos und einem Bild. Offenbar war er von der Sache so beeindruckt, dass er sich extra dafür in der Gruppe anmeldete.
Der Hoax selber ist clever gemacht. Nirgendwo wurde erwähnt, dass die drei Aufnahmen in einem Zusammenhang zu sehen sind. Diese nahe liegende Transferleistung hat der Ersteller dem Leser selbst überlassen. Auf diese Weise hat er einen Hoax erzeugt, aus dem er sich sofort rausreden kann: „Ich habe nie behauptet, die Aufnahmen gehörten zusammen. Es sah für mich nur so aus.“

Doch von Anfang an, oder besser vom Ende an. Das Bild unten rechts zeigt ein junges Säugetier, dessen Körper vollständig mit einer Flughaut umgeben ist. Die Arme und Beine sind mäßig verlängert, aber nicht so ausgeprägt, wie bei den Fledertieren, die Finger sind relativ kurz. Der Körper ist menschenähnlich bis auf einen eher hundeartig aussehenden Kopf mit breitem Maul und großen, nach vorne gerichteten Augen.
Was ist das für ein Tier?
Generell gehe ich davon aus, dass es sich auf dem Bild um das gleiche oder ein artgleiches Tier wie im rechten Video handelt. Ein Modell habe ich kurz erwogen, aber schnell wieder verworfen: Typische Modellbau-Fehler fehlen. Ein Modell, das für einen Hoax entstanden ist, wäre auch anders präsentiert worden. Ich gehe also von einem echten Tier aus, möglicherweise einem toten, das bereits abgebrüht und enthaart ist, denn die Haut wirkt teilweise gräulich und gequollen. Aber was für eins?
Flughäute bilden nur wenige Säugetiergruppen aus: Unabhängig voneinander entstanden sind sie bei den Gleithörnchen, den Dornschwanzhörnchen, den Riesengleitern und gleich dreimal bei den Beuteltieren: Gleitbeutler, Zwerggleitbeutler und Riesengleitbeutler haben sie.
Um ein Beuteltier kann es sich aber nicht handeln, da das Tier über einen sichtbaren Bauchnabel verfügt. Dieser fehlt bei Beuteltieren.
Bleiben noch Gleithörnchen, Dornschwanzhörnchen und Riesengleiter. Gleithörnchen fallen damit ebenfalls aus der „Liste der Verdächtigen“ werden. Bei ihnen spannt ein sichelförmiger Knochen an der Handwurzel die Gleithaut auf. Bei dem Tier im Bild fehlt dieser Knochen, dafür ist die Gleithaut sogar mit dem Kopf verbunden.


Was dem Tier auf dem Foto ebenfalls fehlt, ist ein Knorpel, der bei den Dornschwanzhörnchen am Ellenbogengelenk aus de Elle entspringt. Es ist also auch kein Dornschwanzhörnchen.
Dem entsprechend bleiben noch die Riesengleiter übrig. Da eine Bestimmung über fehlende Merkmale nie wirklich sicher ist, sollte man sie noch durch weitere Merkmale bestätigen. Ein Exklusivmerkmal der Riesengleiter ist eine Flughaut, die alle Gliedmaßen, den Hals und den Schwanz komplett umschließt, nur die Krallen ragen aus ihr heraus.
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„Zoologische Ergebnisse Einer Reise in Niederländisch Ost-Indien“Max Wilhelm Carl Weber (1852 bis 1937) ist ein leider in Vergessenheit geratener deutsch-niederländischer Zoologe. Nach Studium der Zoologie und Anatomie in Bonn und einer Dozentur in Utrecht führte ihn seine erste Expetition 1881 in die Barentssee. Bedeutender war aber seine Reise ab 1888 nach Sumatra, Java, Flores und Sulawesi, wo er vor allem Studien im Süßwasser betrieb. Ab 1892 war Weber Direktor des Zoologischen Museum der Uni Amsterdam, forschte in Südafrika und leitete schließlich die berühmte Siboga-Expedition. Anhand seiner Ergebnisse zog er die zoogeographische „Weber-Linie“, eine der beiden Grenzlinien im Übergang asiatischer zu australischer Fauna.
Bei dem hier vorgestellten Buch handelt es sich um den Reprint des ersten von vier Bänden. Er ist 2018 bei Forgotten Books erschienen und hat 516 Seiten. |
Riesengleiter
Die Riesengleiter sind eine ungewöhnliche und für Zoologen schlecht einzuordnende Gruppe von Säugetieren. Sie enthält nur zwei Gattungen mit je einer Art: Den Philippinen-Riesengleiter Cynocephalus volans und den Malaien-Riesengleiter Galeopterus variegatus. Sie sind etwa so groß wie eine Hauskatze, leben auf Bäumen und können mit ihrer Gleithaut Strecken von mehr als 70 m gleiten.

Die Gruppe war Zoologen lange ein Rätsel. Der Körper ist stark an den Gleitflug angepasst, während der Schädel bis auf die Zähne kaum Besonderheiten aufweist. Die Schnauze ist flach und breit, der Hirnschädel klein, die Augen groß. Die Zähne wiederum sind hochspezialisiert und gleichen keiner anderen Säugetiergruppe. Sie sind klein und mit 34 sehr zahlreich. Die oberen Schneidezähne sind weit an die Seite des Kiefers verlagert. Die unteren Schneidezähne bilden einen Zahnkamm, dessen Funktion noch unbekannt ist. Näheres zur ungewöhnlichen Bezahnung liefert die Wikipedia.
(Der in der Wikipedia abgebildete Schädel vom Naturhistorischen Museum Wiesbaden ist definitiv ein Affenschädel, kein Riesengleiterschädel)

Rot: Malaien-Riesengleiter (Galeopterus variegatus), Grün: Philippinen-Riesengleiter (C. volans).
Aufgrund dieser ungewöhnlichen Merkmale konnten Zoologen die Riesengleiter kaum richtig einordnen. Brehm’s Tierleben von 1883 schreibt hierzu:
„Linné stellt sie zu den Halbaffen, Cuvier zu den Fledermäusen, Geoffroy zu den Raubthieren, Oken zu den Beutelthieren und Peters endlich, wohl mit Recht, zu den Kerbthierfressern…“
Erst genetische Untersuchungen haben in den letzten Jahren für Klarheit gesorgt. Die Riesengleiter sind in sich monophyletisch und stehen im Schwestergruppenverhältnis zu den Primaten. Als gemeinsame Gruppe bilden sie die Schwestergruppe zu den Spitzhörnchen (Scandentia).

Riesengleiter und Mensch
Riesengleiter sind hauptsächlich nachtaktiv und zudem wegen ihrer Agilität schwer zu beobachten. Besonders beliebt sind sie nicht, denn sie leben als Kulturfolger gerne auf Obstplantagen, vor allem Kokosplantagen, wo sie unter anderem Blüten und Knospen der Bäume fressen. Beide Arten werden daher ständig bejagt. Da sie gerne immer die gleichen Routen auf der Nahrungssuche wählen, ist es nicht schwer, sie zu fangen. Bis vor wenigen Jahren verwendete man Bogen und leichte Pfeile. Mittlerweile werden in ihre Gleitwege Angelleinen gespannt, an denen in regelmäßigen Abständen Angelhaken befestigt sind. Die Riesengleiter „fangen“ bei den Gleitflügen die Schnüre ein und rutschen so lange an ihnen entlang, bis sie von einem Angelhaken aufgespießt werden. Aufgrund der Widerhaken können sie sich nicht oder nur mit schweren Verletzungen befreien.
Ein auf diese Weise gefangener Philippinen- Riesengleiter ist im folgenden Video zu sehen:
Das Tier in dem Video ist verletzt, es befindet sich bei Tag in einer ungedeckten Umgebung und wird direkt durch den Hund bedroht. Kein Wunder, dass es -leider vergeblich- um seine Freiheit kämpft. Trotzdem macht sich der Präsentator einen Spaß mit ihm. Wer bei Youtube einen Account hat, möge darüber nachdenken, ob man das Video nicht mit einem Daumen nach unten bewerten kann.
Übrigens: im Zoo sucht man Riesengleiter vergebens. Die Nahrung der Tiere ist kaum analysiert, da sie mit ihren hochspezialisierten Zähnen alle Bestandteile sehr fein zermahlen. Anhand des Kotes kann man nicht feststellen, was die Tiere fressen. Alle Haltungsversuche enden deswegen nach kurzer Zeit, weil die Tiere an Verdauungsproblemen versterben.
Und die eleganten Schwimmer? Wer ist das?
Das erste, auf der linken Seite des Bildes abgebildete Video zeigt mittelbraune, etwa 20 bis 30 cm lange Tiere, die nachts im Wasser neben einem Bootssteg schwimmen. Sie schwimmen sehr ungewöhnlich und elegant. Folgt man der Suggestion, so könnte es sich um Riesengleiter handeln, die mit den Armen rudern und sich so mittels der Gleithaut im Wasser fortbewegen. Damit ist der Gedankengang zu Mini-Nixen oder Wassermännchen im Barbie-Format mit Vampir-Umhängen frei, oder?
Leider ist das Video voll mit Werbung, der eigentliche Inhalt startet erst nach einer Minute, wie hier eingestellt.
Die Tiere auf dem Video werden mit Sea Hare bezeichnet. Dies ist -spannenderweise- einer der seltenen Fälle, in denen ein englischer Name 1:1 auf Deutsch übersetzt werden kann. Die Tiere heißen auf Deutsch auch Seehase.
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„Nur an die Nordsee“?Was aus dem Sommerurlaub dieses Jahr wird, ist wegen Corona immer noch nicht klar. Viele klassische Urlaubsziele bemühen sich, aber sehr viele Urlauber werden dieses Jahr notgedrungen im eigenen Land bleiben: es geht „nur an die Nordsee“, als ob eine weite, beschwerliche Anreise den Urlaub erst richtig wertvoll machen würde. Dabei ist gerade das deutsche Wattenmeer eins der artenreichsten und spannendsten Meere überhaupt. Kaum irgendwo sonst auf der Welt rasten so viele Vögel, laichen so viele Fische, leben so viele Arten auf kleinem Raum, wie in der Deutschen Bucht. Man muss sie nur entdecken und da hilft dieses Buch. Tipp: Bereits zuhause lesen, dann weiß man noch besser, was einen im Urlaub erwartet und man verpasst weniger. Das Natur-Erlebnisbuch Nordsee |
Tatsächlich eine – Schnecke?
Sucht man unter dem Begriff Seehase weiter, bekommt man zwei Tiere, die diesen Namen tragen. Bekannter ist sicherlich der Seehase oder Lumbfisch Cyclopterus lumpus, der ebenfalls in der Nord- und Ostsee vorkommt. Diese etwas langsam wirkenden Tiere leben an Felsküsten mit starker Brandung und Strömung, wo sie sich mit einem Bauchsaugnapf sehr gut festhalten können. Sie haben aber nichts mit den eleganten Schwimmern auf dem Video zu tun, sondern wirken eher plump und etwas ungeschickt.

Obwohl sie so gar nichts mit den langsamen, aber um so gefräßigeren Gartenbewohnern zu tun haben, gehören die „anderen“ Seehasen zu den Schnecken. Sie sind namensgebend für eine große Gruppe von Meeresnacktschnecken, die Gattung Aplysia ist nahezu weltweit verbreitet. Bekannt sind etwa 40 Arten, die größten erreichen 75 cm, während die kleinsten bei weniger als 6 cm ausgewachsen sind. Einige Arten können mit ihrem Mantel schwimmen, indem sie mit regelmäßigen, wellenförmigen Kontraktionen Auf- und Vortrieb erzeugt. Dies geschieht aber nicht permanent, wie beispielsweise bei Messerfischen, sondern schubweise, wie bei einem menschlichen Schwimmer, der die Arme nach vorne streckt und dann in weitem Bogen bis ganz nach hinten zieht.
Daher können schwimmende Seehasen auf den ersten Blick an einen Menschen erinnern.
Damit ist der Fall geklärt. Für alle, die bis hierhin mitgelesen haben, habe ich noch ein Video: Eine „Spanische Tänzerin“ aus der Verwandtschaft der Aplysia, schwimmt durchs Wasser am Great Barrier Reef.