Seeungeheuer im heiligen Land 2/3 – Schreiende Fische und der Jordan

Lesedauer: etwa 11 Minuten
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Der erste Teil des Beitrages zu den Seeungeheuern im heiligen Land ist am 2. März hier erschienen

 

Eine zoologische Besonderheit im See Genezareth sind die „schreienden Fische“. Sie sind keine Kryptiden, sondern eine anerkannte Spezies, wenn auch bislang zwei unterschiedliche Identifikationen präsentiert wurden.

Ein schreiender Fisch im See Genezareth

Im „Jüdischen Krieg“ (III,X,8) schildert Josephus den κορακῖνος (lat. Coracinus) – einen wohlschmeckenden, aber bizarren Fisch, der kräht. In alter Zeit wurde daher behauptet, dass die Quelle Kapernaum eine Wasserader des Nil sei, weil dieser Fisch sich auch im Alexandrinersee fände. Einige – wie der Josephus-Übersetzer Heinrich Clementz im 19. Jahrhundert – halten diesen Fisch für den Rabenfisch oder Meerraben (Sciaena umbra), einen Stachelflosser, der bis 50 Zentimeter lang und 3 Kilogramm schwer wird. Nach der Bibelenzyklopädie „Hastings’ Dictionary of the New Testament“ soll es sich allerdings um den Afrikanische Raubwels, Clarias macracanthus, handeln, eine Welsart, die wie eine Katze miaut, wenn man sie aus dem Wasser fischt, und noch mehrere Tage auf dem Trockenen überleben kann.

 

Josephus schreibt: „Zu dem milden Klima gesellt sich dann noch die Bewässerung durch eine sehr kräftige Quelle, die von den Eingeborenen des Landes Kapharnaum genannt wird. Einige haben diese Quelle schon für eine Ader des Nil gehalten, da in ihr Rabenfische wie im See bei Alexandria sich finden. Die Landschaft dehnt sich am Ufer des gleichnamigen Sees in der Länge von dreißig und der Breite von zwanzig Stadien aus. So verhält es sich mit der natürlichen Beschaffenheit jener Gegend.“

 

Der Fisch wird auch in Lion Feuchtwangers mehr als empfehlenswerten Roman über Josephus, der „Josephus-Trilogie“ erwähnt. (Band I, S. 179. Berlin: Aufbau 2002)

 

 

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Die Josephus-Trilogie

 

Mit den Freiheiten eines historischen Romans erzählt Feuchtwanger das Leben des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus (37 – 100 u.Z.), der vom brennenden Ehrgeiz erfüllt ist, beides zu sein: Jude und Römer, Israelit und Weltbürger. Doch die Gegensätze drohen ihn zu zerreißen und zerstören seine Familie.

Er verlässt das einst so umworbene Rom und kehrt zurück an seinen Ursprung

 

Die Josephus-Trilogie umfasst drei Einzelbände (Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen) und hat insgesamt 1390 Seiten. Die Bände sind zwischen 1932 und 1942 erschienen, bauen unmittelbar aufeinander auf und umfassen die Zeit von der Jugend bis zum Tod des jüdischen Chronisten.

Sie gehören in die erste Reihe der Weltliteratur

 

Die Bücher sind für etwa 30 € antiquarisch zu bekommen, für die Kindle-Ausgabe zahlt man € 11,99.

 

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Jordan by Jean Housen
(Foto: Jean Housen)

Der Jordan

Heiliges Land
Das Heilige Land und seine Umgebung. Die Höhe des Bildausschnittes beträgt nur etwa 400 km.

Der Jordan entspringt am Berg Hermon, verbreitert sich nach 20 km zum Hule-See. Dort gab es zumindest einen kryptozoologischen Erfolg, als Wissenschaftler 2011 eine seltene Froschart wieder aufspürten, die seit 56 Jahren als ausgestorben galt. (Blogosfere, 24. November 2011)

 

Der Jordan verlässt den Hule-See und mündet dann nach weiteren 10 km in den See Genezareth, von dort fließt er weitere 110 km bis zum Toten Meer, das selbst ohne Ausfluss ist. Der gesamte Flusslauf misst 200 km und ist durch Mäander geprägt. Es ist kein mächtiger Strom, eher ein Flüsschen.

 

 

 

Der Ursprung aller Seeungeheuer ist ein kleiner Fluss

Das berühmteste Seeungeheuer des Jordan ist der biblische Behemoth (wörtlich: die Ungeheuer), der Archetyp aller Seeungeheuer. In seiner Beschreibung (in Hiob 40, 15-24) betont der Bibelautor vor allem Knochen und Sehnen – war da etwa der Fund eines fossilen Nilpferdes Vorbild?

 

 

„Siehe da, den Behemoth, den ich neben dir gemacht habe; er frisst Gras wie ein Ochse. Siehe seine Kraft ist in seinen Lenden und sein Vermögen in den Sehnen seines Bauches. Sein Schwanz streckt sich wie eine Zeder; die Sehnen seiner Schenkel sind dicht geflochten. Seine Knochen sind wie eherne Röhren; seine Gebeine sind wie eiserne Stäbe. Er ist der Anfang der Wege Gottes; der ihn gemacht hat, der gab ihm sein Schwert. Die Berge tragen ihm Kräuter, und alle wilden Tiere spielen daselbst.

Er liegt gern im Schatten, im Rohr und im Schlamm verborgen. Das Gebüsch bedeckt ihn mit seinem Schatten, und die Bachweiden umgeben ihn. Siehe, er schluckt in sich den Strom und achtet’s nicht groß; lässt sich dünken, er wolle den Jordan mit seinem Munde ausschöpfen. Fängt man ihn wohl vor seinen Augen und durchbohrt ihm mit Stricken seine Nase?“

 

Wie die Israeliten den Jordan zweimal trockenen Fußes durchquerten

Der Behemoth ist nicht das einzige Wunderbare, das die Bibel vom Jordan berichtet: Zweimal sollen Menschen trockenen Fußes durch den Jordan geschritten sein, so wie die Kinder Israels das Rote Meer durchschritten, das sich zu ihrer Seite teilte.

 

Jordan-Mittellauf
Ein großer Fluss ist der Jordan wirklich nicht. Da kann man sich vorstellen, dass er bei Trockenheit schon einmal versiegt. (Foto: Ben P.L.)

 

Die erste dieser Flussüberquerungen finden wir in Joshua (3, 14-17) beim Einzug der Israeliten ins Gelobte Land nach dem Exodus aus Ägypten:

 

 

„Da nun das Volk auszog aus seinen Hütten, dass sie über den Jordan gingen, und die Priester die Lade des Bundes vor dem Volk her trugen und an den Jordan kamen und ihre Füße vorn ins Wasser tauchten (der Jordan aber war voll an allen seinen Ufern die ganze Zeit der Ernte), da stand das Wasser, das von oben herniederkam, aufgerichtet auf einem Haufen, sehr ferne, bei der Stadt Adam, die zur Seite Zarthans liegt; aber das Wasser das zum Meer hinunterlief, zum Salzmeer, das nahm ab und verfloss. Also ging das Volk hinüber, Jericho gegenüber. Und die Priester, die die Lade des Bundes des HERRN trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging trocken durch, bis das ganze Volk alles über den Jordan kam.“

 

Die besondere Bedeutung, ein Gewässer trocken zu durchqueren…

Das Ereignis wird auch in Psalm 114 besungen:

 

 

„Da Israel aus Ägypten zog, das Haus Jakob aus dem fremden Volk, da ward Juda sein Heiligtum, Israel seine Herrschaft. Das Meer sah es und floh; der Jordan wandte sich zurück; die Berge hüpften wie die Lämmer, die Hügel wie die jungen Schafe. Was war dir, du Meer, daß du flohest, und du, Jordan, daß du dich zurückwandtest, ihr Berge, daß ihr hüpftet wie die Lämmer, ihr Hügel wie die jungen Schafe?“

 

… denn hierzu braucht es ein Wunder!

Und das Wunder wiederholt sich beim Propheten Elias (2 Könige 2, 6-14):

 

 

„Und Elia sprach zu ihm: Bleib doch hier; denn der HERR hat mich gesandt an den Jordan. Er aber sprach: So wahr der HERR lebt und deine Seele, ich verlasse dich nicht. Und sie gingen beide miteinander. Aber fünfzig Männer unter der Propheten Kindern gingen hin und traten gegenüber von ferne; aber die beiden standen am Jordan. Da nahm Elia seinen Mantel und wickelte ihn zusammen und schlug ins Wasser; das teilte sich auf beiden Seiten, dass die beiden trocken hindurchgingen. Und da sie hinüberkamen, sprach Elia zu Elisa: Bitte, was ich dir tun soll, ehe ich von dir genommen werde. Elisa sprach: Dass mir werde ein zwiefältig Teil von deinem Geiste. Er sprach: Du hast ein Hartes gebeten. Doch, so du mich sehen wirst, wenn ich von dir genommen werde, so wird’s ja sein; wo nicht, so wird’s nicht sein.

Und da sie miteinander gingen und redeten, siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die schieden die beiden voneinander; und Elia fuhr also im Wetter gen Himmel. Elisa aber sah es und schrie: Vater, mein Vater, Wagen Israels und seine Reiter! und sah ihn nicht mehr. Und er fasste sein Kleider und zerriss sie in zwei Stücke und hob auf den Mantel Elias, der ihm entfallen war, und kehrte um und trat an das Ufer des Jordans und nahm den Mantel Elias, der ihm entfallen war, und schlug ins Wasser und sprach: Wo ist nun der HERR, der Gott Elias? und schlug ins Wasser; da teilte sich’s auf beide Seiten, und Elisa ging hindurch.“

 

 

Jordan bei
Kann auch ein Ungeheuer den Lauf des Jordans gestoppt haben? (Foto: „High Contrast“)

Hätte auch Theudas den Jordan geteilt?

Eine weitere Jordantrocknung kann man ebenfalls bei Feuchtwanger (Josephus I, 120) nachlesen – die des Theudas. Nach Flavius Josephus bewog dieser Theudas, der zur Zeit Christi lebte, „noch während Fadus Landpfleger von Judäa war [, eine] ungeheure Menschenmenge“ dazu, ihm „unter Mitnahme ihrer gesamten Habe an den Jordan zu folgen“. Dort wollte er „durch sein Machtwort die Fluten des Jordan teilen und seinem Gefolge einen bequemen Durchgang ermöglichen“.

 

Kurz – er wollte sein wie Moses und Joshua, nur dass er das Volk durch eine Massenauswanderung nicht vor den Ägyptern, sondern vor den Römern und ihrer brutalen Besatzung bewahren wollte. Der römische Prokurator Cuspius Fadus (44–46 n. Chr.) betrachtete das Unternehmen natürlich als Affront und ließ seine Reiterei in die ziehenden Volksmassen dringen, um sie zu zersprengen. Viele starben und Theudas wurde ermordet: „Theudas selbst“, schreibt Josephus in seinem zweiten großen Werk, den „Jüdischen Altertümern“ (20,5,1), geriet „in Gefangenschaft, worauf er enthauptet und sein Kopf nach Jerusalem gebracht wurde“. Um es auch hier biblisch zu belassen – Theudas wird auch in der Apostelgeschichte 5,36 erwähnt.

Ob sich der Jordan auch für ihn geteilt hätte – wer weiß?

Haben die Ungeheuer „nur“ geologische Ursachen?

Bedenkt man, dass Mokele mbembe, der angeblich überlebende Dinosaurier im Kongo, der „Fluss-Stauer“ genannt wird und dass eine Überflutung der Reuss bei Luzern im Jahre 1499 einem Wasserdrachen zugeschrieben wurde, lässt sich vermuten, dass solche Naturphänomene – deren Erklärung und Ursache wir bald auf die Spur kommen – in Mythen von Wassermonstern wie dem Behemoth personifiziert wurden. Bedenkt man, dass im See Genezareth Flusspferd-Fossilien gefunden wurden, können solche Entdeckungen den Mythos noch bestärkt haben. Haben mache Ungeheuertraditionen also geologische Ursachen?

 

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Pflanzen und Tiere im Heiligen Land

Das Heilige Land beeindruckt den Besucher mit einer abwechslungsreichen Landschaft. Schneebedeckte Berge wechseln mit Wüsten und fruchtbaren Ebenen ab. Die natürliche Vegetation variiert von Region zu Region und bietet ganz verschiedenen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum. Diese Vielfalt hat ihren Niederschlag auch in der Bibel gefunden. Peter Goodfellow vereint Theologie, Biologie und Kulturgeschichte.

Er erklärt, wie Flora und Fauna das tägliche Leben der Menschen im Alten und Neuen Testament beeinflussten. Zugleich entziffert er die bildliche Verwendung, die Adler, Ameise, Traube und Granatapfel in der Bibel finden, um den Gläubigen den rechten Weg zu weisen. Sämtliche Erläuterungen werden mit den zugehörigen Bibelstellen belegt. 100 Farbillustrationen lassen uns die Wunder der Natur erleben.

 

Pflanzen und Tiere im Heiligen Land: Eine illustrierte Naturgeschichte der Bibel hat 184 Seiten und ist 2019 bei wbg Theiss in deutscher Sprache erschienen. Als pensionierter Religionslehrer und begeisterter Ornithologe ist Goodfellow der richtige Autor für ein solches Werk.

 

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Oder ist das Wetter Schuld?

Ein Grund für ein plötzliches Austrocknen eines Flusses können Seiches in einem angrenzenden See sein. Wenn die Wassermassen hin- und herschwappen, kann ein Ausfluss trockenliegen. Das ist mit dem Rhein bei Konstanz und der Rhone bei Genf schon öfter vorgefallen. „Ein gleiches ereignete sich im Jahre 1546 in Palästina, wo sich bei einem Erdbeben das Meer etliche Meilen von der Küste zurückzog und der Jordan zwei Tage lang bis auf den Grund trocken blieb.“ (Dr. Emil Kluge: Über die Bewegungen in Gewässern bei Erdbeben und eine mögliche Ursache gewisser Erd-Erschütterungen. Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geognosie, Geologie und Petrefakten-Kunde. Stuttgart 1861, S. 826)

 

Foto: Deror Avi

 

Gemeinhin aber wird das Phänomen darauf zurückgeführt, das der Jordanstau durch von Erdbeben verursachte Erdrutsche geschieht. So löste ein Erdbeben am 8. Dezember 1267 das Abbrechen der Uferböschung aus, die Erdmassen stauten den Jordan 16 Stunden lang, bei einer ähnlichen Rutschung 1927 lag das Flussbett 21 Stunden lang trocken. (Velikowski, Welten im Zusammenstoß. Ullstein, S. 151; Chaim Herzog und Mordechai Gichon: Die biblischen Kriege. Bechtermünz, S. 51)

 

Anmerkung der Redaktion

Der im Text genannte Meerrabe Sciaena umbra ist ein – auch kryptozoologisch – interessantes Tier. Allerdings kommt er wohl kaum als Erklärung für den „Coracinus“ in Frage. Er ist in erster Linie ein Meeresbewohner, der auch gelegentlich ins Brack- und Süßwasser geht. An der israelischen Mittelmeerküste kommt er vor. Da das Jordan-System keinen Zugang zum Meer hat, kann er hier jedoch nicht einwandern. Dazu kommt, dass er zwar Geräusche produziert, aber keinesfalls miaut oder quäkt. Er trommelt mit speziellen Muskeln auf die Schwimmblase, was entfernt wie ein langsam laufender Schiffsdiesel klingt.

Der ebenfalls im Text genannte Raubwels ist eine deutlich bessere Erklärung. Im Jordan-System und im See Genezareth kommt tatsächlich eine Raubwels-Art vor. Aus Ägypten ist eine sehr ähnliche Art bekannt. Nimmt man die Tiere aus dem Wasser, pressen sie Luft aus der Schwimmblase. Dabei produzieren sie ein Geräusch, das dem Quäken eines Katzenbabys sehr ähnelt. In Israel kommt die Art Clarias gariepinus vor. Er ist auch in der Lage, längere Zeit auf dem Trockenen zu überleben.

 

Der dritte Teil des Artikels über Seeungeheuer im Toten Meer erscheint am Dienstag, 16. März.

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