Teil 1 des Artikels zum Shunka-wa-rak’in ist hier zu finden
Was ist das für ein Tier?
Da eine DNA-Untersuchung momentan nicht in Frage zu kommen scheint, bleibt nur die morphologische Betrachtung des Kryptids. Auch wenn so keine sichere Aussage darüber getroffen werden kann, welcher Art die nun angehört, ist möglicherweise zumindest eine Annäherung an die Lösung dieses Rätsels möglich.
Das Präparat mit den Beschreibungen des Shunka-Wa-rak’in abzugleichen, ist dabei allerdings nicht zielführend. Die Angaben in den Erzählungen sind dafür zu vage.

Lediglich eine Ungereimtheit sticht von Anfang an ins Auge: Der Shunka-Wa-rak’in wird – allerdings nicht von Lance Foster, als er mit Coleman sprach – als größer als ein durchschnittlicher Wolf beschrieben. Vom Präparat kann man dagegen nicht gerade behaupten, dass es sehr beeindruckend wirkt. Auf der Website der Madison Valley History Association findet sich ein Foto, das Jack Kirby und das Präparat zusammen zeigt. Der ältere Herr kniet neben der Kreatur, deren Schultern ihm in dieser Pose gerade einmal bis zur Brust reichen.
Ist der Shunka-wa-rak’in eine (Out-of-Place) Hyäne?
Das auffälligste Merkmal des Kryptids ist neben seinem dunklen Fell die Wölbung seines Rückens. Auch wenn es sonst hundeartig wirkt, erinnert seine fast schon „buckelig“ wirkende Gestalt ein wenig an eine Hyäne.
Spekulationen, dass es sich bei der Kreatur tatsächlich um eine Hyäne handeln könnte, sind daher nicht verwunderlich. Schließlich bewarb sie schon Sherwood im 19. Jh. unter dem Namen „Rocky Mountain Hyena“.
Nun wirft diese Erklärung allerdings neue Fragen auf: Wie soll dieses Tier in die USA gekommen sein? Und: Welche Hyäne sieht so seltsam aus?

Die erste dieser beiden Fragen kann man noch damit erklären, dass das Tier ja aus einem Zirkus oder einer Tierschau entwichen sein könnte. Dieser Ansatz lässt sich natürlich immer vorbringen, wenn irgendwo ein Tier gefunden wird, das nicht so recht zur lokalen Fauna zu passen scheint. In diesem Fall ist das Argument allerdings nicht übermäßig realistisch:
Wer das Wort „Hyäne“ hört, denkt normalerweise zunächst an Tüpfel- oder Streifenhyänen. Deren Fell ist allerdings so auffällig gemustert, dass sie nicht in Frage kommen. Das Fell der Tüpfelhyäne ist zudem noch zu kurz, als dass sie mit der Kreatur identisch sein könnte. Die beiden am häufigsten gehaltenen (und damit bekanntesten) Arten fallen also aus.
Theoretisch (und mit Fantasie) in Frage käme die Schabrackenhyäne. Ihr Fell ist – von den Beinen abgesehen – nicht übermäßig stark gemustert. Ebenso ist ihr Fell etwas länger und der Schwanz buschig. Diese Merkmale stimmen mit dem Kryptid überein. Allerdings ist ihr Fell nicht einheitlich dunkelgrau bis schwarz. Auch die stark kontrastierenden Beinstreifen weist das Präparat nicht auf. Ebenso wirkt sein Kopf länger und massiver, als der einer Schabrackenhyäne.

Dazu kommt, dass letztere ein relativ kleines Verbreitungsgebiet haben. Die Tierschau, aus der ein solches Tier entweichen könnte, müsste also schon außergewöhnlich gut bestückt gewesen sein. Das ist in diesem Fall allerdings unwahrscheinlich. Der ländliche Raum von Montana wirkt schließlich wie ein eher unattraktives Tourneegebiet.
Eine „eingeborene“ Hyäne?
Eine noch spektakulärere Variante der Hyänenhypothese wird auch gelegentlich vorgebracht. Demnach handelt es sich beim Shunka-wa-rak’in um nichts anderes, als eine eiszeitliche Hyänenart, die bis in die historische Zeit überlebt hat.
In der Tat lebten auf dem Gebiet der heutigen USA früher Hyänen. Diese waren paläontologischen Untersuchungen zufolge anatomisch noch besser auf die Jagd nach lebender Beute ausgelegt, als die heutigen Hyänen. Diese Anpassung an ein Leben als Raubtier hatte zugleich auch zufolge, dass ihr Körper stärker dem eines Wolfs ähnelte, als man es von den heutigen Arten gewohnt ist. Man muss zugeben, dass auch das Präparat wie ein Wolf mit hyänenhaften Zügen wirkt.

Ein kleines Detail spricht allerdings gegen diese Hypothese: Chasmaporthetes ossifragus, so der wissenschaftliche Name der amerikanischen Urzeithyäne, starb bereits vor etwa einer Million Jahren aus. Bereits hunderttausende Jahre zuvor begannen die Bestände zurückzugehen. Natürlich kann man wieder die Frage stellen: „Ja, aber was, wenn nur noch keine jüngeren Überreste gefunden wurden und die Art vielleicht sogar noch am Leben ist?“ Dies ist aber ein Totschlagargument, das sich nicht widerlegen lässt. Wie soll auch die Nichtexistenz einer Sache bewiesen werden?

Ist der Shunka-Wa-rak’in doch nur ein Wolf?
Ein anderer Erklärungsansatz ist da schon realistischer. Wenn man sich das Präparat ansieht, gibt es eigentlich nur zwei Merkmale, die es von einem Wolf unterscheiden: Die Form des Rückens und das leicht überdurchschnittlich lange, schwarze Fell.
Eine Kreatur mit ungewöhnlicher Fellfarbe wurde auch 2018 in Montana geschossen. In den Lokalmedien häuften sich die Spekulationen, was das denn für ein Tier sein könne: Ein Wolf-Hund-Hybrid? Ein entlaufener Exot? Der legendäre Ringdocus? Das Gegenstück zum Shunka-wa-rak’in?

Das Tier hatte ein strubbelig-braunes Fell, recht kurze Beine und lange Ohren. Alles in allem könnte man sogar sagen, dass es der zuvor beschriebenen Schabrackenhyäne ähnlicher sah, als das fragliche Kryptiden-Präparat. Eine DNA-Analyse brachte allerdings große Ernüchterung: Bei diesem mysteriösen Tier handelte es sich lediglich um einen ungewöhnlich aussehenden Wolf.
Eine gewisse Varianz, was das Aussehen der Wölfe Montanas betrifft, wäre damit schon einmal bewiesen. Nun bleibt noch die Frage nach er seltsamen Rückenform des Kryptids. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Die erste davon ist, dass das Kryptid schlicht ein Wolf mit einer leichten Fehlbildung war. Das würde auch erklären, warum er sich in der Nähe einer menschlichen Siedlung aufhielt: Dort gibt es leichte Beute in Form von Nutztieren zu machen. Zugleich findet sich so auch der Grund für seine angebliche Feindschaft mit Hunden. Schließlich sollen Wach- und auch Hütehunde Grundstück und Herden ihrer Besitzer schützen. So käme es zwangsläufig zu Kämpfen.
Eine andere Möglichkeit besteht natürlich darin, dass der Wolf schlicht (absichtlich oder unabsichtlich) schlecht präpariert wurde. Ein Vergleich ist nicht möglich, da keine Fotografien vom lebenden Tier existieren.
Herkunftsfragen
Auch, dass er alleine unterwegs war, ist nicht sehr ungewöhnlich: Laut Ty Smucker, einem Experten des FWP („Fish, Wildlife & Parks“, der u.a. für die Jagd zuständigen Behörde Montanas) kommt es häufiger vor, dass sich gerade einzelne junge Wölfe von ihrem „Stammgebiet“ im Yellowstone National Park entfernen und kilometerweit wandern. Das 2018 geschossene Tier wurde etwa nahe der Stadt Great Falls, Montana erlegt. Diese Stadt ist wiederum mehr als 200 Meilen vom Yellowstone National Park entfernt.
Die Stadt Ennis, in deren Nähe das präparierte Kryptid erlegt wurde, ist dagegen deutlich näher am Nationalpark gelegen. Zum fraglichen Zeitpunkt – also 1881 – war die Ausrottung des Wolfs in dieser Region noch in vollem Gange.
Zahnkontrolle – ein Weg zur Identifikation?
Rein theoretisch könnte das Kryptid sowohl ein Wolf, als auch eine Hyäne sein. Zwar ist die erstere Identität wohl die wahrscheinlichere, als die letztere. Ganz ausschließen sollte man aber auch diese Möglichkeit nicht. Eine DNA-Analyse kommt allerdings momentan nicht in Frage.

Ein Vergleich der Zähne, genauer: der Prämolare und Molare kann hier Klarheit bringen. Diese unterscheiden sich bei Wölfen und Hyänen erheblich:

Ein wölfisches Grinsen
Bei Hyänen finden sich im hinteren Bereich des Kiefers große, eher stumpf aussehende Zähne. Da Hyänen allerdings Fleischfresser sind, dienen sie nicht dazu, Pflanzenfasern zu zermahlen. Vielmehr fällt es ihnen so leichter, die Knochen zu zerbrechen.

Bei Wölfen fällt dagegen auf den ersten Blick auf, dass die Prämolaren deutlich kleiner und spitzer wirken, als bei der Hyäne. Dies wäre wiederum von Vorteil, um Fleischbrocken aus der Beute zu reißen bzw. zu schneiden.

Nun gilt es noch, diese Informationen mit dem Kryptid abzugleichen: Wenn man eine Detailaufnahme des geöffneten Mauls betrachtet, zeigt sich eine klare Tendenz. Die Prämolaren (also die Zähne hinter den Eckzähnen) sind eher klein uns spitz. Dadurch weist es eine größere Ähnlichkeit zum Wolf auf, als zur Hyäne.

Anders als bei den historischen Aufnahmen sind die Zähne gut zu erkennen.
Lazarus bleibt wohl im Grab
Auch wenn diese Art eigentlich schon seit mehreren hunderttausend Jahren ausgestorben ist, treibt eine Frage den geneigten Kryptozoologen doch um: Könnte das Präparat nicht trotzdem rein theoretisch von einem Chasmaporthetes ossifragus stammen? Schließlich sollen diese Urhyänen ja wolfsähnliche Züge an sich gehabt haben.
Um diese Frage zu beantworten, müssen die Zähne des Fossils noch nicht einmal betrachtet werden. Laut dem Smithsonian Magazine hat dies nämlich schon ein anderer zu Genüge getan: Oliver Perry. Dieser Paläontologe identifizierte die Art anhand eines Kieferfragments. Zu seiner eindeutigen Einschätzung kam er aufgrund der Zähne: Sie entsprachen in jeder Hinsicht denen einer Hyäne.
Zuvor wurde bereits etabliert, dass die Zähne des mysteriösen Präparates stark denen eines Wolfes ähneln. Folglich können sie nicht gleichzeitig mit denen der eiszeitlichen Hyäne übereinstimmen, die die für Hyänen typischen Zähne aufweist.
Nach der Einschätzung des Verfassers – der allerdings zoologischer Laie ist – stammt das Präparat also höchstwahrscheinlich von einem Wolf. Dass es der Beweis für ein weiteres Lazarus-Taxon ist, scheint ausgeschlossen.
Fazit
Vieles spricht dafür, dass es sich beim Präparat vom „Ringdocus“ oder „Shunka-Wa-rak’in“ letztlich nur um einen Wolf in seltsamer Körperhaltung handelt: Namentlich wären da die Tatsache, dass in historischer Zeit Wölfe in den USA lebten (und noch heute leben), Hyänen dagegen nach aktuellem Stand der Forschung nicht. Stark gestützt wird diese These durch die wolfsartigen Prämolaren des Präparates.
Den sichersten Beweis für die Identität des Kryptids würde natürlich trotzdem eine DNA-Analyse bringen. Dass der aktuelle Eigentümer diese standhaft verweigert, ist natürlich frustrierend. Doch selbst wenn er seine Meinung ändern würde, wäre trotzdem nicht sicher, ob sich die Proben überhaupt auswerten lassen würden. In früheren Zeiten wurden vielfach Chemikalien wie Arsen zur Präparation eingesetzt. Dies könnte wiederum negative Auswirkungen auf die Qualität der gewonnenen DNA haben.
Eine weitere Frage steht ebenfalls noch im Raum: Unabhängig davon, welches Tier Hutchins damals geschossen hat – muss es tatsächlich ein Shunka-Wa-rak’in sein? Schließlich war es Loren Coleman, der etwa 100 Jahre nach dem Ableben des Kryptids diese Hypothese aufstellte. Zuvor war nie die Rede davon, dass der „Ringdocus“ mit einer Sagengestalt der Iowa identisch sein könnte.
Wenn wir an dieser Stelle die eindeutige Lösung des Rätsels präsentieren könnten, würde dies die absolute Ausnahme in der Kryptozoologie darstellen. So bleibt nur, abzuwarten, ob nicht doch irgendwann ein erfolgreicher DNA-Test durchgeführt werden kann. Die einzige Alternative wäre das Auftauchen eines zweiten Tieres, das dem Kryptid ähnlich sieht – und das dieses Mal kein Wolf ist…
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