Kenia: Riesiges Raubtier versteckte sich 40 Jahre im Museum

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Die reiche fossile Fauna Kenias ist um eine weitere Art reicher. Die Paläontologen Matthew Borths und Nancy Stevens von der Ohio University beschrieben die Art Simbakubwa kutokaafrika

aus dem frühen Miozän vor etwa 20 Millionen Jahren. Auch wenn der Name Bezug auf den Löwen („Simba“ auf Suaheli = Macht oder Löwe) nimmt, hat das neu entdeckte Tier wenig mit den heutigen Löwen gemein.

Ein Hyaenodont

Ein Hyaenodon steht auf einer Wiese vor Palmen und fletscht die Zähne vom Betrachter abgewandt
Hyaenodon ist die Typusgattung der ganzen Familie, mögliches Aussehen in einem Bild von Heinrich Harder

Schon 2013 forschte der Paläontologe Matt Borths am Nairobi National Museum in Kenia über Hyaenodonten. Diese Tiere stellen eine bis heute etwas rätselhafte Gruppe fleischfressender Säugetiere dar, die möglicherweise mit den heutigen Raubtieren und den Schuppentieren eine eigene Kladde namens Ferae bildet.

Die meisten Hyaenodonten ähnelten modernen Hunden oder Hyänen. Sie waren als Zehen- oder Sohlengänger für schnelles Laufen angepasst, trugen oft vergleichsweise große Schädel mit langen, schmalen Schnauzen. Sie waren spezialisierte Fleischfresser. Die Backenzähne waren als Brech- und Fleischschere ausgebildet, bei ihnen lag der Schwerpunkt auf dem zweiten Backenzahn im Oberkiefer und dem dritten Backenzahn im Unterkiefer. Bei den modernen Raubtieren liegt die Schere weiter vorne, sie wird vom vierten Prämolar im Oberkiefer und dem ersten Backenzahn des Unterkiefers gebildet.

Die ersten fossilen Hyaenodonten traten vor 61 Millionen Jahren auf. Sie waren zunächst sehr klein, so war ein in Messel gefundenes Fossil der Gattung Lesmesodon mit etwa 20 cm ausgewachsen. Die größten Formen, zu denen auch die neu entdeckte Art gehört, waren ziemlich sicher größer als heutige Großkatzen. Sie starben im Oligozän in Europa aus, während sie in Afrika und Asien noch bis vor etwa 11 Millionen Jahren überlebten.

Lächelnder Mann zeigt einen Unterkieferast mit drei Zähnen, der so breit ist, wie seine Schultern
Matth Borths zeigt den Unterkiefer des neu beschriebenen Fossils. (Duke University)

Die Hyaenodonten waren eine sehr erfolgreiche Tiergruppe, sie besiedelten mit Nordamerika, Europa, Afrika und Asien alle über Landbrücken erreichbaren Kontinente. Hierbei bildeten sie eine Vielzahl von Arten. Die neueste Revision der Gruppe zählt beinahe 100 Gattungen in 12 Gruppen. Die interne Systematik ist jedoch noch nicht ausreichend geklärt.

Dem breiten Publikum wurden die Hyaenodonten durch die BBC-Animationsserie „Walking with beasts – Die Erben der Saurier“ bekannt. Im dritten Teil der Serie, der im späten Oligozän der Mongolei spielt, fressen sie die Todgeburt eines riesigen Huftieres.

Simbakubwa kutokaafrika

Bei der Suche nach bisher nicht untersuchten Fossilien in der Sammlung des Museums traf Matt Borths auf Teile des Schädels, Unterkiefers und anderer Knochen. Sie wurden 1978 und 1980 bei einer Ausgrabung an der Fundstelle Meswa Bridge, 1,5 Kilometer nördlich von Muhoroni in Kenia gefunden. Man hatte dort ursprüngliche Affen gefunden: Proconsul meswae. Er ist einer der frühesten bekannten Vertreter der Menschenaffen.

Schädel eines rezenten Löwen und der Unterkiefer von Simbakubwa. Der Unterkiefer ist länger als der ganze Schädel
Schädel eines modernen Löwen (oben) aus Kenia über dem Kieferfragment von Simbakubwa. Auch wenn der Schädel des Hyaenodontiers annähernd doppelt so groß war, wie der rezente Löwe, war das Tier selber „nur“ 15 bis 25% größer. Foto: Matt Borths

Die Knochen von Simbakubwa wurden falsch als „Hyaene (?)“ beschriftet, was bei Nicht-Zielarten von Ausgrabungen regelmäßig vorkommt. Sie zeichnen sich durch eine beeindruckende Größe aus, so ist der nicht vollständig erhaltene linke Unterkiefer-Ast länger als der Schädel eines rezenten Löwen. Auf dem Fossil sind drei Zähne erhalten geblieben: ein Eckzahn, ein Vorbackenzahn und der letzte Backenzahn. Auch im Oberkiefer sind Zähne erhalten geblieben. Aufgrund der sehr geringen Abnutzung gehen die Erstbeschreiber von einem jungen, beinahe erwachsenen Tier aus.

Probleme der Rekonstruktion

Mauricio Antons Bild von Simbakubwa
Simbakubwa war ein mächtiger Räuber. (Grafik: Mauricio Anton)

Die Zähne vereinfachen die Rekonstruktion des Tieres deutlich: Simbakubwa „vereint Zahninformationen, ein wenig Schädelinformationen und ein paar Skelettinformationen. So kann man einen Großteil des Materials zu vereinen, das herumschwirrt. Es hilft wirklich, diese ganze Gruppe riesiger Fleischesser zu kontextualisieren“, sagt Borths. Er bezieht sich auch auf das Problem, dass die meisten Hyaenotontier nur durch bruchstückhafte Fossilien überliefert sind.

Die Bruchstücke von Schädel und Kiefer lassen auf einen sehr großen Kopf und damit ein spektakulär großes Tier schließen. Leider ist nicht viel des Körperskelettes überliefert. So können Borths und Stevens über die tatsächliche Größe von Simbakubwa kutokaafrika nur sehr unsichere Schätzungen abgeben. Sie nutzen drei Methoden, um das Gesamtgewicht des Tieres anhand der vorhandenen Knochen und Zähne abzuschätzen.

  • Methode 1 (Morlo 1999) wurde zur Größen- und Gewichtsabschätzung von Hyaenodontiern des Eozäns aus Nordamerika und Mitteleuropa entwickelt. Sie bezieht sich jedoch nur auf kleine bis mittelgroße Tiere von bis zu 10 kg. Nutzt man diese Methode, erhält man ein errechnetes Endgewicht von 1308 kg.
  • Methode 2 (Friscia & Van Valkenburgh 2010) nutzt die Länge des dritten Backenzahns, um die Körpermaße abzuschätzen. Sie bezieht sich auf Katzenartige, die aber ausreichend Ähnlichkeit im Körperbau haben, so Borths und Stevens. Nutzt man diese Methode, erhält man ein errechnetes Endgewicht von 1554 kg.
  • Methode 3 stammt von Van Valkenburgh 1999 und nutzt ebenfalls die Maße des dritten Backenzahns. Sie bezieht sich ausdrücklich auf Raubtiere über 100 kg. Sie schließt in ihrer Datenbasis stärker und weniger stark spezialisierte Fleischfresser mit ein. Nutzt man diese Methode, erhält man ein errechnetes Endgewicht von 280 kg.
Simbakubwa im Größenvergleich zu einem rezenten Mensch. Er war gewaltig - und für die damals dort lebenden Tiere
Silhouetten von Simbakubwa und Maßstabsmensch im Vergleich. Bild: Matt Borths / Mauricio Anton.

Schlagartig populär

Diese Riesenmaße lassen aufhorchen. Ein Fleischfresser von über 1,5 t Gewicht und das bei einem nicht ausgewachsenen Tier! Das muss doch der reinste Höllenhund gewesen sein! Dem entsprechend reagieren auch die Sozialen Netzwerke, die Nachricht über dieses Tier wird unkritisch hin und her geschoben.


Kommentar: Methoden der Rekonstruktion und wahrscheinliche Ergebnisse

von Tobias Möser

Hinterfragt man die Methoden genauer, so kommen schnell Zweifel an den Maßen auf. Zunächst entsteht der generelle Zweifel, ob ein landbewohnender Fleischfresser von 1500 kg überhaupt in der Lage ist, sich zu ernähren. Die größten, heute lebenden Fleischfresser auf dem Land sind die Braunbären von Kodiak und Kamtschatka. Sie erreichen in Extremfällen und mit viel Winterspeck 750 kg. Das ist gerade einmal die Hälfte der Schätzung und bezieht sich zudem auf ein Tier mit massigerem Körperbau, das sich einen Großteil der Masse als Winterspeck mit Früchten und Fisch angefressen hat.

Vergleich des Körperbaus von Simbakubwa und Panthera leo
Vergleich des Körperbaus von Simbakubwa und einem rezenten Löwenmännchen. Der Mensch ist im gleichen Maßstab wie Simbakubwa, der Löwe wurde auf die Schulterhöhe von Simbakubwa vergrößert. (Bild: Borths/ Anton/ Möser)

Die nächsten Zweifel entstehen, wenn man die Silhouette der Rekonstruktion näher betrachtet. Sie erscheint nicht übermäßig massig, sondern eher gestreckt. Ich habe zum Vergleich einmal die Silhouette eines rezenten Löwen (grün) darüber gelegt und diesen auf die Größe des Hyaenodonten vergrößert.
Simbakubwa ist etwas gestrecker und seine abfallende Hüfte und ein weiter vorgestreckter Kopf fallen auf. Daher dürfte das Gewicht des Körpers etwas unter dem eines gleich langen, hypothetischen Löwen liegen. Hier kommt aber zusätzlich das Gewicht des längeren Schädels und sicherlich auch stärkerer Nackenmuskulatur hinzu.

Zahlen bitte!

Zur weiteren Abschätzung habe ich mich an die Schattenrisszeichnung gehalten, die dem Pressematerial zur Originalarbeit beiliegt. Sie suggeriert als ungefähre Daten eine Schulterhöhe von 1,25 m und eine Kopf-Rumpflänge von 2,60 m (so, wie gezeichnet) bzw. 2,90 m (gestreckt). Dies entspricht etwa dem größten (ausgestorbenen) amerikanischen Löwen, der je gefunden wurde. Hier sind 1,25 m Schulterhöhe und 2,60 m Kopf-Rumpflänge (gestreckt) gemessen worden. Auch ein Liger (Löwe x Tiger Hybrid) kann als Vergleich herangezogen werden. Dieser hat den Vorteil, dass er heute lebt und man ihn relativ einfach wiegen kann. Hier sind Gewichte von über 300 kg bis zu 400 kg bekannt. Hieraus würde sich ein realistisches Gewicht für Simbakubwa von etwa 350 kg bis 450 kg ergeben.

Größenvergleich zwischen Simbakubwa und einem männlichen Königstiger mit einer Schulterhöhe von 0,95 m. Der Mensch ist 1,8 m groß, alle Tiere sind im gleichen Maßstab gezeichnet.

Eine andere Möglichkeit ist, aus den gegebenen Maßen zu extrapolieren. Ein männlicher Königstiger mit 95 cm Schulterhöhe und einer KRL von 200 cm bringt etwa 180 bis 230 kg auf die Waage. Dies habe ich in der Silhouetten-Zeichnung dargestellt, Tiger in orange.
Hier kann man einfach extrapolieren (Simbakubwa ist etwa 1,45 mal so lang, 1,19 mal so hoch, die Körperbreite lässt sich nur spekulieren, ich rechne je einmal mit 1,19 und 1,45). Hieraus ergibt sich eine Spanne zwischen 370 kg und 575 kg, am wahrscheinlichsten bei ca. 470 kg.

Ungeeignete Schätzverfahren?

Recherchiert man ein wenig im Netz, erhält man regelmäßig Abweichungen um ein Vielfaches bei der Gewichtsschätzung von Hyaenodonten. Ich gehe davon aus, dass mindestens eine der Methoden, die angewandt werden, grob fehlerhaft ist und deswegen so starke Abweichungen zustande kommen. Von vielen Hyaenodonten ist nur wenig Material und dann hauptsächlich Schädel- und Kieferknochen überliefert. Hinzu kommt, dass Hyaenodonten ein großes Spektrum an Körpergrößen abdeckten, von Wieselgröße bis jenseits rezenter Großkatzen, teilweise sogar innerhalb derselben Gattung. Dies ist zwangsläufig mit unterschiedlichen Proportionen verbunden, die unterschiedliche Gewichtsberechnungen erfordern.
Da ist es verlockend, deren Maße in erprobte Formeln für Katzen- oder Hundeartige einzugeben. Hyaenodonten scheinen aber im Vergleich zu diesen moderneren Räubern einen wesentlich längeren Schädel und vor allem Kieferbereich gehabt zu haben. In nahzu allen wissenschaftlichen Darstellungen werden sie als massig, aber länger als gleichhohe Katzen dargestellt.

Dennoch: ein Tier von 2,90 m KRL und 1300 bis 1550 kg wäre gebaut wie ein kleines Flusspferd. Wie dies den Realitätscheck des Autors und das Peer Review überstanden hat, ist mir unklar.


Links

Die Originalarbeit:
Matthew R. Borths & Nancy J. Stevens (2019) Simbakubwa kutokaafrika, gen. et sp. nov. (Hyainailourinae, Hyaenodonta, ‘Creodonta,’ Mammalia), a gigantic carnivore from the earliest Miocene of Kenya, Journal of Vertebrate Paleontology, DOI: 10.1080/02724634.2019.1570222

Abstract der 1. In der Originalarbeit verwendeten Methode, um das Gewicht des Tieres zu bestimmen:

Michael Morlo (1999) Niche structure and evolutionin creodont (Mammalia) faunas of the European and North American EoceneNiches écologiques et évolution des faunes de créodontes (Mammalia) de l’Eocène de l’Europe et de l’Amérique du Nord, Geobios, DOI: 10.1016/S0016-6995(99)80043-6