Stellers Bestiarium 3: Der Seerabe

Unter allen Tieren, die Steller in seinem Reisetagebuch nennt, dürfte sein Seerabe oder auch Meerrabe wohl mit eines der mysteriösesten sein. Dem Tier widmet er kaum einen Satz, beschreibt es bei aller Kürze allerdings als außergewöhnlich.

 

Vermutlich hat Steller den Vogel doch noch näher beschrieben. Der Naturwissenschaftler plante nämlich ein Buch, in dem er sich sowohl mit den Fischen als auch den (Wasser-)Vögeln der Beringinsel befassen wollte. Leider ging das Manuskript noch auf dem Weg zu Stellers Verleger verloren und es sind auch sonst keinerlei Abschriften erhalten.

 

Es bleibt daher zwangsläufig bei Mutmaßungen zu dieser kryptiden Vogelart.

 

 

Kolkrabe, in weiß ein Seerabe?
Steller beschreibt seinen Seeraben als weiß. Das macht ihn um so rätselhafter

 

Was zu Stellers Seeraben bekannt ist

Die Informationslage ist aufgrund des fehlenden Buches über die Vögel der Beringinsel sehr spärlich. Es lassen sich jedoch aus Stellers äußerst kurzer Beschreibung eine Handvoll Erkenntnisse gewinnen:

 

  1. Das Tier weist irgendwelche rabenartigen Eigenschaften auf. Sonst hätte Steller einen anderen Namen gewählt.
  2. Diese rabenartigen Eigenschaften beziehen sich nicht auf die Farbe. Steller erwähnt ausdrücklich, dass das Gefieder des Vogels völlig weiß sei.
  3. Es handelt sich nicht um eine Tierart, die damals in Kamtschatka oder Sibirien bekannt war.
  4. Das Tier bewohnt das Küstengebiet der Beringinsel. Das lässt sich daraus ableiten, dass der Vogel laut Steller an den Küsten Sibiriens nicht bekannt sei.
  5. Stellers Seerabe baut entweder sein Nest in großer Höhe oder rastet zumindest grundsätzlich auf steilen Klippen. Steller beschreibt ihn aufgrund der großen Höhe als unerreichbar.

 

Besonders stutzig macht dabei natürlich, dass Steller ein weißes Tier als Raben bezeichnet. Unter normalen Umständen liegt doch nichts ferner. Welche Eigenschaft war es also, die den Naturwissenschaftler zu diesem Vergleich bewegte?

 

 

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Ein Rabe im übertragenen Sinne?

Dieser Frage ging auch der britische Kryptozoologe Dr. Karl Shuker 2014 in einem Blogeintrag nach. Dieser ist als Quelle sehr bedeutend, da die Thematik des weißen Seeraben sonst selbst unter Kryptozoologen unbekannt zu sein scheint.

 

In Gesprächen mit seinen Kollegen Chris Orrick und Lars Thomas kam Shuker zum Schluss, dass Stellers Seerabe vermutlich ein albinistischer Kormoran war. Gegebenenfalls könnte es sich auch um einen (weißen) Vogel gehandelt haben, der dem Kormoran lediglich dem Körperbau nach ähnlich war.

Ausschlaggebend dafür war eine Erkenntnis von Lars Thomas: Demnach wurde der Kormoran im deutschsprachigen Raum früher als Seerabe bezeichnet.

 

 

Kormoran
Typischer Habitus eines Kormorans

 

 

In heutigen Wörterbüchern findet sich dieses Synonym für den Kormoran nicht mehr. Sucht man aber etwa nach Einträgen in älteren Lexika wie „Meyers Großes Konversations-Lexikon“, wird man doch fündig. Dadurch bestätigt sich Thomas‘ Vermutung klar. Alternativ kann laut den entsprechenden Einträgen neben dem Kormoran auch der Basstölpel „Seerabe“ genannt werden.

 

Warum der Kormoran als Seerabe bezeichnet wurde, ist aus den Wörterbüchern nicht ersichtlich. Vorstellbar sind aber vor allem zwei Möglichkeiten: Zunächst einmal sieht ein Kormoran mit etwas Fantasie durch sein schwarzes Gefieder und seinen nach unten gekrümmten Schnabel leicht rabenartig aus. Außerdem stand er als Fischfresser in Konkurrenz zu Fischern – ganz so wie der Rabe in Konkurrenz zu Landwirten steht.

 

Basstölpel
Basstölpel im Flug

 

Warum der Basstölpel trotz seines hellen Gefieders auch als „Seerabe“ bezeichnet wurde, ist dann schon weniger klar. Hier kann allenfalls eine (tatsächliche oder vermeintliche) Konkurrenz zu den Fischern eine Rolle spielen.

 

So kann man auch nicht mit Sicherheit sagen, welche Vogelart Steller gemeint haben könnte: Bezeichnete er den Seeraben als weiß, weil er einen Tölpel meinte? Oder beschrieb er ihn so, weil er einen Kormoran mit abnormaler Gefiederfarbe zu erkennen glaubte?

 

Versuch einer Artbestimmung des „Seeraben“ nach dem Ausschlussverfahren

Nach dem Sprachgebrauch früherer Jahrhunderte kommen jedenfalls zwei Arten als „Seeraben“ in Frage. Wenn die Verbreitung und das Aussehen (evtl. abgesehen von der Gefiederfarbe) dieser Art sich mit Stellers Beschreibungen deckt, ist sie wahrscheinlich mit dem Seeraben identisch.

 

Beringsee bei Alaska
Beringsee bei Alaska

 

War es ein Kormoran?

Zunächst einmal soll überprüft werden, ob denn Stellers Seerabe tatsächlich ein (albinistischer) Kormoran gewesen sein kann. Voraussetzung dafür wäre, dass die Art 1741/1741 auf der Beringinsel heimisch war.

 

Brillenkormoran

 

So kommt nur eine einzige Art in Betracht: Das Verbreitungsgebiet um 1850 ausgestorbene Brillenkormoran erstreckte sich tatsächlich auch über die Beringinsel. Dieses „auch“ stellt zugleich aber den Grund dar, warum der Seerabe wohl kein Brillenkormoran war. Die Art lebte daneben auch auf Kamtschatka, sodass Steller eigentlich mit ihr vertraut sein musste. Allenfalls die Gefiederfarbe könnte ihn noch verwirrt haben.

 

 

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Nun stellt sich dieselbe Frage für den Basstölpel.

Mit dieser Art kann Stellers Seerabe ganz eindeutig nicht identisch sein. Der Basstölpel ist nämlich weder in Russland, noch auf den aleutischen Inseln, noch in den westlichen USA heimisch. Damit Steller doch ein Exemplar auf der Beringinsel hätte sichten können, müssten schon zwei unwahrscheinliche Zufälle zusammentreffen müssen. Zunächst hätte das Tier irgendwie lebend tausende Kilometer abseits seines Verbreitungsgebietes auf der Insel ankommen müssen. Und dann hätte noch Steller genau diesen einen Vogel beobachten müssen. Das würde seine Verwunderung und die Fehlidentifikation erklären – realistisch ist diese Hypothese aber eher nicht.

 

Im Übrigen finden sich keine weiteren Arten von Tölpeln oder Kormoranen, die auf den aleutischen Inseln leben bzw. gelebt haben.

 

Sonnenaufgang über dem Beringmeer
Sonnenaufgang über dem Beringmeer

 

Man kann nun natürlich noch dutzende Vögel vorschlagen, die möglicherweise eine vage Ähnlichkeit mit Kormoran oder Basstölpel aufweisen. Wer das versucht, fischt aber völlig im Trüben. Eindeutig identifizierbar scheint Stellers Seerabe also nicht mehr zu sein.


Stellers Bestiarium

 

Die Einleitung erschien am 21. April 2022

 

Teil 2 befasst sich mit den bekanntesten nicht-kryptiden Arten aus Stellers Bericht und erschien am 28. April 2022

 

Dieser Teil betrachtet „Stellers Seerabe“

 

Der nächste Teil zum Thema „Stellers Riesenwolf“ erscheint am Donnerstag, den 19. Mai 2022

 

Beim Titelbild handelt es sich um eine Fotomontage.