Der erste Riesenkalmar in US-amerikanischen Gewässern gefilmt

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Riesenkalmare sind legendenbehaftete Tiere. Sie leben in mittleren Tiefen, kommen selten an die Oberfläche und werden noch seltener angeschwemmt. Die Kadaver sind dann aber beeindruckend, hinzu kommt, dass ihre Größe oft maßlos überschätzt wird – aus Unwissen oder Absicht.

Ein Tier mit einer Mantellänge von 2 m und einer Tentakellänge von 8 m hat dann tatsächlich 10 m Gesamtlänge. Davon machen aber zwei lange, dünne Arme mehr als die Hälfte aus. Die anderen acht Arme sind bei weitem nicht so lang: Die Standardlänge von der Mantelspitze bis zum Ende der Fangarme würde hier vier bis fünf Meter betragen. Groß, aber nicht außergewöhnlich.

Kryptozoologisches

Seit Menschen mit Booten übers Meer fahren, gibt es Geschichten von Seeungeheuern. Seit sie sich weit genug vom Ufer entfernen, um über tieferem Wasser zu fahren, wird es Kontakte mit Riesenkalmaren gegeben haben. Seit jeher gehören sie zum Seemannsgarn.

rot beleuchteter Riesenkalmar in einem Glaszylinder
Ein Riesenkalmar als modern gestaltetes Ausstellungsstück im zoologischen Museum Kiel (Foto: Markus Bühler)

Die ersten sicheren Beobachtungen scheinen um 1550 in Dänemark erfolgt zu sein. Conrad Gessner (1516 bis 1565, Arzt und Naturforscher) bildet in seinem Fischbuch einen Meermönch ab, der unschwer als Kalmar identifiziert werden kann. Dieses Exemplar soll dem König von Dänemark zugeschickt worden sein. (Anmerkung d.V.: was muss der gestunken haben, als er nach tagelangem Transport ohne Kühlung ankam. Der arme König!)

Ebenfalls aus Dänemark kommt die erste „moderne“ Beschreibung: Japetus Steenstrup erhielt den Schnabel eines 1854 in Jütland (Dänemark) gestrandeten Tieres. Er untersuchte ihn und stellte große Ähnlichkeit mit kleineren, allgemein bekannten Kalmaren fest. Bei der Erstbeschreibung gab er ihm den Namen Architeuthis dux.

Vermutlich, weil riesige Kalmare als Seemannsgarn bekannt waren, hat die Wissenschaft sie lange Jahre nicht beachtet. Sogar 10 m lange Kadaverfunde haben Wissenschaftler weitgehend ignoriert. Der berühmte Meeresforscher und -filmer Jacques Cousteau fischte auf der Suche nach Pottwalen einmal ein Stück eines Riesenkalmar-Tentakels aus dem Wasser. Da sie es nicht konservieren konnte, hat die Crew es sehr französisch verarbeitet: gekocht und als Abendessen serviert. Es stellte sich aber als nicht essbar heraus.

Moderne Forschung

Ausschnitt des Kieler Riesenkalmares
Die Kopfregion, der untere Mantel und der obere Teil der Fangarme, links ein Tentakel; der Kieler Riesenkalmar (Foto: Markus Bühler)

Obwohl wenig über Riesenkalmare bekannt war, wusste auch Cousteau, dass die Tiere Ammoniumchlorid im Gewebe einlagern, um neutralen Auftrieb zu erhalten. Ob er geglaubt hat, diesen Stoff durch Kochen aus dem Fangarm-Stück zu entfernen oder ob er hoffte, seine Leute würden den Kalmar aus reiner Neugierde runterwürgen, ist nicht überliefert.

Erst im 21. Jahrhundert begann man, sich ernsthaft mit den Tieren zu befassen. Die Erfolgsmeldungen ließen nicht lange auf sich warten. So filmten 2004 japanische Forscher das erste mal einen Riesenkalmar in seiner natürlichen Umgebung, er jagte aktiv. In der Folge gelangen weitere Aufnahmen, auch an anderen Stellen, unter anderem zeigen sie starke Lumineszenz.

Mittlerweile kennt man einige andere sehr große Arten Kalmare. So erreicht der wesentlich massigere Koloss-Kalmar Mesonychoteuthis hamiltoni Mantellängen von mindestens vier Metern. 2007 zogen neuseeländische Fischer einen lebenden Koloss-Kalmar aus dem Südpolarmeer, der eine Mantellänge von 4,2 m und ein Gewicht von 495 kg hatte. Die Augen haben einen Durchmesser von 27 cm und sind die größten je untersuchten Augen.

Riesenkalmare bleiben wesentlich schlanker und erreichen selten mehr als 100 kg. In Museen sind einige Modelle oder Abgüsse ausgestellt. In Deutschland stellen das Ozeaneum Stralsund und das Zoologische Museum in Kiel originale Riesenkalmare aus.

Die Forschung der Florida International University

Diese Biolumineszenz und die Reaktion des Kalmars haben sich Forscher und Studenten der Florida International University (FIU) zu Nutze gemacht. Etwa 180 km südwestlich von New Orleans im Golf von Mexiko ließen sie eine ferngesteuerte Kamera ins Wasser. Als Köder hatten sie eine Reihe von Leuchtdioden installiert, die einen Ring bildeten und einzeln ansteuerbar waren. Dieser Köder sollte eine Leuchtqualle immitieren – offenbar recht gut, der Riesenkalmar war interessiert, untersuchte die vermeintliche Qualle – und zog wieder ab:

Die Exkursion begann am 7. Juni 2019, sie sollte 17 Tage dauern. Wie es bei solchen Aktivitäten immer so ist: Der Erfolg stellt sich erst spät ein. „Als der Kalmar erschien, konnte ich kaum glauben, was ich sah“ sagte Lori Schweikert, die als Post-Doc eigentlich an einem anderen Projekt arbeitet. Bei fünf Kontakten kamen insgesamt mehr als 120 Stunden Filmmaterial zusammen. Der Kalmar war noch recht jung, er maß etwa 3,3 bis 4 m in der Länge.

„Es war magisch und surreal zu sehen, wie sich das Tier in der Natur verhält“, kommentierte Prof. Heather Bracken-Grissom. „Zu wissen, dass ich Zeuge von etwas war, das ich in der Natur nur einmal gesehen hatte, erfüllte mich mit einem überwältigenden Gefühl der Dankbarkeit und des Respekts für das, was noch entdeckt werden muss.“


Quelle:

FIU News: Scientists capture first-ever video of giant squid in U.S. waters

Cousteau, J.Y. (1972): The Whale: Mighty Monarch of the Sea