Gab es einstmals Wasseraffen?

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Zum ersten Mal las ich vom Wasseraffen in den 1970er Jahren in dem schönen Band „Die Welt unter Wasser“ von Hans Hass. Es gab Forscher, die annahmen, dass wir in der Frühzeit der Menschheit einmal Meereslebewesen gewesen waren. Da hatte ich mich schon über die „Schwimmhäute“ zwischen meinen Fingern gewundert. Ich war jung, naiv, enthusiastisch und fing sofort Feuer und Flamme (oder eher doch: Salz und Brandung) für diese faszinierende Idee.

Küste des Roten Meeres, Geburtsort der Wasseraffen?
Die Küste des Roten Meeres. Gingen hier Menschenvorfahren ins Wasser?

Aufgebracht hat sie der britischer Meeresbiologe Sir Alister Clavering Hardy (geb. 10. Februar 1896, gest. 24. Mai 1985) in zwei Aufsätzen, 1960 im „New Scientist“ in seinem Artikel „Was man more aquatic in the Past?“ und einem ähnlichen Beitrag in der englischen Zeitschrift „The Listener“.

Anatomische Anpassung des Wasseraffen?

 

Verlauf der Haare am Rücken
Verlauf der Haare am Rücken des Menschen

Hardy bemerkte eine „große Fundlücke“ im Tier-Mensch-Übergangsfeld. Er nimmt an, dass die Zwischenformen fehlen, weil die Menschheit damals eine marine Phase durchlebte. Vor allem stellte er sich die Frage nach einem Aufenthalt des Menschen im Wasser, weil er – wie es später Desmond Morris nannte – der einzige „nackte Affe“ unter lauter haarigen Verwandten war. Nacktheit aber ist eine der Eigenschaften von Meeressäugern wie den Walen und dem Dugong. Hardy stellte fest, dass der beim Fötus noch vorhandene Haarstrich am Rücken abwärts und innen auf Wirbelsäule zuläuft. Er folgt also dem Wasserstrom eines schwimmenden Körpers. Hardy verglich die Stromlinienform des menschlichen Körpers mit der eines Bootes.

 

Dazu kommt, dass der Mensch der einzige der großen Affen ist, der schwimmen kann. Er kann auch unter der Haut Speck ansetzen kann wie ein Wal. Hardy verglich den Menschen bezüglich seiner subkutanen Speckschicht ebenfalls mit dem Dugong. Den Werkzeuggebrauch könnten die Urmenschen, schlug Hardy vor, durch das Aufheben von Strandschotter erworben haben.

Manatee
Seekühe, wie das Manati und der Dugong haben ein dickes Unterhautfettgewebe

 

 

„Meiner Hypothese nach waren die Vorfahren des Menschen vor zehn oder fünfzehn Millionen Jahren durch den Wettbewerbsdruck genötigt, ihr Auskommen im Meer zu finden. Ich stelle sie mir vor, wie sie an der Meeresküste leben, sich von Krustentieren und anderen Meereslebewesen ernähren, und bei der Nahrungssuche nach und nach immer weiter ins Meer vordringen. Ich nehme nicht an, dass der Mensch gänzlich zum Meerestier wurde.“

 

Sir Alister Hardy in „The Listener“

 

Waren die Wasseraffen doch nur semi-aquatisch?

Später führte er aus: „Ich nehme nicht an, dass der Mensch völlig im Wasser lebte. Ich glaube, dass er einen großen Teil seiner Zeit an Land verbrachte, er musste natürlich an Land kommen, um zu schlafen, oder weil er Süßwasser benötigte. […] Ich habe die ganze Zeit über den Menschen in seiner semi-aquatischen Phase nur als Meereswesen gesprochen, vielleicht aber hat er zusätzlich die Flüsse, Seen und Sümpfe besiedelt.“

Gorilla im Wasser, sie sind keine Wasseraffen
Flachland-Gorillas leben häufig in sumpfigen Gebieten und nutzen auch Gewässer.

In seinem Bestseller „The Nacked Ape“, auf Deutsch „Der nackte Affe“, stellte der Biologe Desmond Morris die Gedanken von Hardy 1967 kurz vor. Dadurch erst wurden sie einem größeren Publikum bekannt. Allerdings sah Morris die These kritisch: Sie „entbehrt […] trotz ihrer sehr ansprechenden Indizienbeweise einer soliden Grundlage.“

 

So hielt es auch die Fachwelt im Allgemeinen. Hardy wurde erwähnt, dann höchsten noch am Rande vermerkt. Heute ist man, bis auf einige Außenseitermeinungen, fest davon überzeugt, dass die Menschwerdung in der Savanne stattfand. Zu den Außenseitern gehört z.B. der Biologe Carsten Niemitz, der ebenfalls von einem „wasserliebenden Affen“ ausgeht, „der sich hauptsächlich in den Uferzonen von Seen, Flüssen und anderen Gewässern aufhielt“.

menschliche Hand
Zwischen den Fingern wirkt es, als hätten wir eine kleine Schwimmhaut, Rudimente eines Wasseraffen?

Die walisische Wissenschaftspublizistin und Feministin Elaine Morgans erweiterte schließlich in den 1970er und 1980er Jahren Hardys Anregungen (seine Aufsätze umfassen nur wenige Seiten) und verdichtete sie in einer buchlangen Darstellung, „Kinder des Ozeans“.

Haben wir den aufrechten Gang im Wasser gelernt?

Zu den Aspekten, die Hardy bereits zwei Jahrzehnte zuvor aufgezeigt hatte, fügte sie viele weitere Argumente für eine Wasseraffen-Phase der Menschheit hinzu. Neben der stromlinienförmigen Ausrichtung der Körperbehaarung beim Fötus, dem Verlust der Körperbehaarung und dem Vorhandensein des Unterhautfettes meinte Morgan, dass man den aufrechten Gang nur von Wassertieren mit großen Füßen kenne – Mensch und Pinguin (man denke aber an die Vögel allgemein), Sprache habe sich entwickeln müssen, weil die Gestik entfiel, wenn die Körper unter der Oberfläche versteckt waren. Menschenfrauen hätten, im Gegensatz zu Menschenaffen, stark ausgeprägte Brüste, möglicherweise als Haltemechanismus für die Babys. Auch habe sich im Meer die Begattung von Angesicht zu Angesicht entwickelt, ein frontales Stimulationsmittel wie die weiblichen Brüste käme dann nicht ungelegen. Bei Affen erblüht die Anusregion und lädt zur Paarung ein.

Auge mit Tränen
Unsere Tränen sind salzig. Tragen wir unseren Ozean mit uns herum?

Auch unsere salzigen Tränen seien eine Erinnerung an unsere Zeit im Meer – so konnten wir mit dem Meerwasser aufgenommenes, überschüssiges Salz wieder ausscheiden. Zudem könnten Babys bereits unmittelbar nach der Geburt schwimmen – weil sie früher im Meer zur Welt kamen.

 

Den Ort der Entstehung vermutete Morgan auf der Danakilinsel, heute das Felsmassiv Danakilberge auf der afrikanischen Seite des Bab el Mandab, das im Miozän eine Insel im seichten Tropenmeer war. Ein ähnliches Phänomen vermutete sie beim Elefanten, auch er zeige alle Anzeichen einer ehemaligen marinen Evolutionsphase (eine Idee, die dann zur Erklärung von Nessie aufgegriffen wurde).

Widerspruch von den Meereskennern

Hans Hass hat Morgans Werk in seinem Buch „Die Welt unter Wasser“ gewürdigt, aber auch auf zahllose Unstimmigkeiten verwiesen, die nicht zoologischer, sondern vor allem geografischer Natur sind. Schließlich kannte er diese Region des Roten Meeres gut. Ganz im Gegensatz zu Elaine Morgan aber betrachtete er die tropischen Küstengewässer, das Litoral, nicht als Badeparadies, das dem rauen und unsicheren Leben in der Savanne vorzuziehen gewesen sei.

Heftige Brandung, hier können Wasseraffen nichts ausrichten
Die Brandungszone hat oft einen zu großen Energiegehalt, um sich dort aufzuhalten.

Er schrieb: „Ich dachte an Wellen und Brandung, an Fische mit giftigen Flossenstacheln, an Spalten, […] an Seeigel. Ich dachte an die sengende Sonne in Verbindung mit der ständigen Benetzung der Haut.“ Und an die Nachtkälte, bei der das Wasser rasch abkühle, an Haie, die von Wassergeburten angelockt würden, daran, dass menschliche Haut im Wasser schnell aufweicht und empfindlich wird.

Korallenriff im Roten Meer, tödlich für Wasseraffen
Ein Korallenriff ist voller Leben – und voller giftiger und gefährlicher Tiere.

Hans Hass argumentierte dass, wäre das Litoral als Nahrungszone wirklich so ergiebig, es mehr Litoralspezialisten unter den Säugern geben sollte. Anpassungen, die erst vor 10 Millionen Jahren erfolgten, müssten heute noch deutlicher erkennbar sein. Morgan aber hatte ihrerseits längst den menschlichen Tauchreflex als Beleg angeführt. Vor allem stellte Hass aber in Frage, ob ein Aufenthalt in der Brandungszone und im seichten Meer den aufrechten Gang fördern würde:

 

 

„Daß es durch brusttiefes Waten im Wasser zur Aufrechthaltung kam, ist äußerst unwahrscheinlich, ja mit praktischer Erfahrung kaum vereinbar. Denn jeder Taucher weiß, wie groß der Wasserwiderstand ist wenn man sich auf diese Weise fortbewegen will.“

 

 

Und das weiß eigentlich auch jeder Badegast.

Wasseraffen sind nur noch eine Außenseiter-Meinung

Letztlich ist, wie faszinierend man die These von den Wasseraffen auch findet, sie vorerst unbewiesen und kein Bestandteil der ernsthaften evolutionsbiologischen Diskussion mehr. Die „Neue Zürcher Zeitung“ nannte sie 1987 eine „Aussenseitertheorie“ mit „interessanten Aspekten“. 22 Akademiker mit Interesse an der Wasseraffen-These hielten im selben Jahr in Valkenburg in den Niederlanden eine Konferenz zum Thema ab, an der Befürworter und Kritiker teilnahmen. Der Konferenzleiter Vernon Reynolds von der Oxford University fasste die Ergebnisse dieser Diskussion wie folgt zusammen (nach der englischen Wikipedia):

Baby unter Wasser, stammt der Tauchreflex vom Wasseraffen?
Babyschwimmen: Der Tauchreflex ist angeboren, aber unerklärt. (Foto: MasterFin CC 3.0)

„Im Großen und Ganzen wäre es sicherlich falsch, unsere frühen hominiden Vorfahren als ‚aquatisch“‘ zu bezeichnen. Gleichzeitig liegen aber auch Indizien vor, dass sie sich nicht nur hin und wieder im Wasser aufhielten, sondern dass das Wasser (und ich spreche hier von Seen und Flüssen) zudem ein Lebensraum und ein Agent der Selektion war, der ausreichend zusätzliche Nahrungsmittel bot.“

Der aktuelle Stand

Schöne Überblicke über den heutigen Stand der Diskussion vermitteln der deutsche und (mehr noch) der kritischere englische Wikipedia-Eintrag zum Thema.

 

Ein Mensch-Tier-Übergangsfeld im Litoral (und vielleicht im offenen Ozean) könnte sicherlich viele kryptozoologische Phänomenen leicht erklären. Man denke nur an die vielen Augenzeugenberichte von Sichtungen von Meermännern und Seejungfrauen, die man auf eine im Meer verbliebene Seitenlinie des Menschen zurückführen könnte. Mit dem Sasquatch als Übergangsphase: Er wird in British Columbia oft als Litoralspezialist beschrieben. Auch gibt es mehr als genug Menschen, die ihn vom Festland zu den Inseln schwimmen gesehen haben wollen.

 

Aber die Gegenargumente von Hans Hass überzeugen (zumindest mich) noch mehr.


Literatur:

Hardy, Sir Alister: Has Man an Aquatic Past? The Listener, 12. Mai 1960, S. 839–841

Hardy, Sir Alister: Was man more aquatic in the Past? New Scientist 7, 1960, S. 642–645

Hass, Hans: Die Welt unter Wasser. Wien: Fritz Molden 1973

Morgan, Elaine: Kinder des Ozeans. München: Goldmann 1987

Morris, Desmond: Der nackte Affe. München: Droemer Knaur 1968

Niemitz, Carsten: Das Geheimnis des aufrechten Gangs. München: C. H. Beck 2004

Reitz, Manfred: Die „Wasseraffen-Theorie“. Neue Zürcher Zeitung, 31. Oktober 1987, S. 59

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