Freitagnacht-Kryptos: William Dampier und das Flusspferd in Shark Bay

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William Dampier (1651 – 1715) war ein britischer Naturforscher. Er war vermutlich einer der Naturforscher mit dem bewegtesten Leben. Alleine dieses Leben wäre mal einen eigenen Artikel wert. Dampier war als Naturforscher Autodidakt, aber brillant. Seine Reisen haben ihn dreimal um die Welt geführt und seine Sammlung und Aufzeichnungen enthielten nicht nur zahlreiche unbekannte Pflanzen. Sie waren auch wichtige Unterlagen für die Reisevorbereitungen von Charles Darwin und Alexander von Humboldt.

Shark Bay mit Stromatolithen
So wird William Dampier die Shark Bay gesehen haben

Brillanter Naturforscher und unfähiger Pirat

Einen Teil seines Lebens verdingte sich Dampier als Freibeuter, wobei er so erfolglos war, dass er bei den Briten als „unfähigster Pirat aller Zeiten“ galt. Allerdings hatte sich Dampier wohl in dieser Zeit eine hervorragende Seemannschaft angeeignet. Seine Innovationen bei der Navigation wurden noch von James Cook und Horatio Nelson gewürdigt.

Um 1700 hielt sich William Dampier eine Weile in der australischen Shark Bay auf. Hier wurde ein Hai gefangen, in dessen Magen er „den Schädel und die Eber eines Nilpferds“ fand. Er erwähnte ausdrücklich die Kiefer, Lippen und Zähne als identifizierende Merkmale. Dampier scheint die Art des Hais nicht erfasst zu haben, kein Wunder, damals waren Haie kaum bekannt. Doch was könnte ein Mann, der viele Bände erschöpfender und präziser Notizen von Pflanzen und Tieren aus der halben Welt geschrieben hat, für ein Nilpferd gehalten haben?

 

Dugong mit Schiffshaltern
Hatte der Hai in der Shark Bay einen Dugong gefressen?

Literatur:

 

Glyn Williams: Naturalists at sea – Scientific Travellers from Dampier to Darwin

Auf den großen Entdeckungsreisen des Pazifiks im „langen 18. Jahrhundert“ fuhren erstmals Naturforscher regelmäßig an Bord der Schiffe mit. Ihnen boten sich einzigartige Gelegenheiten, exotische und vielleicht lukrative Flora und Fauna zu entdecken. So machten sich diese Männer eifrig daran, eine unbekannte natürliche Welt zu sammeln, zu katalogisieren, zu studieren und zu dokumentieren.

„Naturalists at Sea“ hat 329 Seiten und ist 2013 in englischer Sprache für Kindle, als Paperback und gebunden erschienen. Je nach Ausgabe kostet es zwischen € 15,22 und € 20,60


Was war passiert?

Auf besonderen Wunsch einiger Leser lassen wir den Bericht von William Dampier nicht unkommentiert. Shark Bay wurde tatsächlich von William Dampier „entdeckt“, die ansässigen Aboriginals wussten natürlich schon länger von der Existenz dieser Bucht. Dampier benannte die Bucht nach einer großen Anzahl von Haien, die er dort fangen konnte. Er notierte noch, dass der größte Hai 11 ft. lang war und seine Mannschaft die Haie sehr wohlschmeckend fand. Bemerkenswert ist das vor allem, weil Haie in der Shark Bay zwar in großer Artenzahl, aber eher geringer Individuendichte vorkommen und dann auch vor allem kleinere Arten. Deutlich auffälliger sind Große Tümmler, die als Flachwasserspezialisten unter den Walen in der 9 bis 11 m tiefen Bucht sehr gut agieren können.

Was war Dampier’s „Flusspferd“?

Doch was könnte Dampier für ein Flusspferd gehalten haben und wie ist die ungewöhnliche Aussage, das er „den Schädel und die Eber eines Nilpferds“ fand, zu verstehen. Ich hatte eine alte Übersetzung zur Hand, in der genau dies stand. Schließlich ist Dampiers Bericht mehr als 320 Jahre alt. Mit „Eber“ sind die Hauer oder verlängerten Eckzähne des Ebers gemeint. Diese Bezeichnung ist früher nicht so unüblich gewesen, heute aber interpretationsbedürftig.

Weiterhin fand Dampier Lippen mit Barthaaren, was die Bestimmung erleichtert. Das einzige Tier, das in der Shark Bay vorkommt und fleischige Lippen mit Barthaaren hat, ist der Dugong. Diese Tiere haben auch etwas, das Dampier als „Eber eines Nilpferdes“ ansehen konnte: Starke, wurzellose Schneidezähne im Oberkiefer, die beim Männchen wie Stoßzähne herauswachsen können. Zum Vergleich hat mir Markus Bühler ein paar Fotos geschickt:

Dugong-Schädel
Schädel eines männlichen Dugongs (aus dem NKM Stuttgart)

Und zum Vergleich ein Flusspferdschädel. Die verlängerten Zähne haben tatsächlich große Ähnlichkeit. Konnte Dampier vorher keinen Dugong kennenlernen, ist die Verwechslung verständlich. Dugongs kommen in der Shark Bay in gewaltiger Zahl vor, sie stellt einen optimalen Lebensraum: warmes, flaches Wasser, ohne viele Korallenriffe, dafür mit ausgedehnten Seegrasbeständen, von denen sie sich ernähren. Heute beherbergt die Bucht etwa 16.000 Dugongs, zu Dampier’s Zeiten mögen es noch mehr gewesen sein.

Dampier kannte Flusspferde nicht

Dazu kommt noch ein Punkt: William Dampier war Seefahrer. Als solcher kannte er sich im pazifischen Raum hervorragend aus, ebenso in Indonesien und den hinterindischen und südchinesischen Inseln. Afrika hatte er nie besucht, selbst die Reise mit der HMS Roebuck, die ihn nach Shark Bay bringen sollte, vermied die afrikanischen Küste: Er segelte von Plymouth aus zu den Kanarischen Inseln, dann zu den Cap Verde-Inseln und schließlich nach Bahia de todos los Santos (heute Salvador da Bahia) und von dort aus in einem weiten Bogen südlich von Tristan da Cunha am Kap der guten Hoffnung vorbei direkt nach Australien. Er hatte keine Chance, ein lebendes Flusspferd gesehen zu haben. Er kannte diese Tiere nur aus Büchern, Museumsstücken und Erzählungen. Jeder moderne Zoobesucher kennt die Tiere besser.
Dies macht eine Verwechslung um so wahrscheinlicher.

Flusspferdschädel
Schädel eines Flusspferdes (Museum Kiel)

Bleibt die Frage, welche Haiart Dampier’s Leute gefischt haben

Als Fressfeinde für Dugongs kommen nur sehr große Haiarten infrage: Weiße Haie, Tigerhaie, Sechskiemerhaie und mit Abstrichen auch Bullenhaie. Bis auf die Sechskiemer kommen alle Arten in der Shark Bay vor.

Da Dampier von den „Ebern eines Flusspferdes“ spricht, muss es sich um den Schädel eines erwachsenen, männlichen Dugongs gehandelt haben. Dies wäre für einen Bullenhai ein kaum zu bewältigender Brocken. Bleiben nur noch die beiden „üblichen Verdächtigen“, Tiger- und Weißhaie.

 

Die weiteren Angaben Dampiers sind nicht wirklich hilfreich. Er schreibt nur, dass der Hai 11 ft. lang sei, also gut 3,3 m. Diese Länge erreichen beide Arten sehr regelmäßig. Über das Aussehen des Haies schreibt er nichts.

Der Hai hat der Mannschaft geschmeckt

Der einzige weitere Hinweis ist noch, dass das Fleisch der Tiere der Mannschaft geschmeckt hat. Hilft das weiter? Nein, denn die Shark Bay war der erste Punkt Festlandes, den Dampier’s Schiff erreichte, nachdem sie in Brasilien (!) Lebensmittel und Wasser geladen hatte. Die HMS Roebuck hatte eine Reise von mindestens 15.000 km hinter sich, ohne Land zu sehen. Segelschiffe dieser Zeit fuhren üblicherweise 5 bis 8 Knoten, also ca. 9 bis 15 km/h. Die HMS Roebuck war nicht zum schnellen Segeln gebaut, so dass eine Durchschnittsleistung von 240 km in 24 h realistisch erscheint. Für die Reise hat sie also etwas mehr als zwei Monate gebraucht.

 

Capt. William Dampier’s Reise mit der HMS Roebuck, 1699 bis 1701

 

In dieser Zeit hatte die Besatzung mit Sicherheit alle frischen Vorräte und lebenden Tiere an Bord aufgebraucht. Es blieb Hartbrot (ähnelt heutigem Zwieback), getrocknete Hülsenfrüchte und gepökeltes Schweinefleisch. Das Hartbrot war permanent Ziel von Maden, das Fleisch wird durch die tropischen Temperaturen einen muffigen Beigeschmack bekommen haben und die Schaben auf dem Schiff taten ihr übriges.
Die Mannschaft wird also jede Abwechslung auf dem Speiseplan überschwänglich begrüßt haben.

 

Und doch hilft die Aussage: Einige Haiarten lagern TMAO, Ammoniak oder Harnstoff im Muskelgewebe ein und sind daher für Menschen ungenießbar. Der Grönlandhai ist hierfür bekannt, erst fermentiert ist er als Hakarl … mhm, sagen wir mal: essbar. Eben dieses TMAO ist auch bei Weißen Haien vorhanden und kann bei Verzehr zu Vergiftungserscheinungen führen. Dampier berichtet aber nichts dergleichen.

Dies lässt vermuten, dass Dampiers Leute einen Tigerhai gefangen hatten. Diese Art ist in der Shark Bay deutlich stärker vertreten als Weiße Haie, ist dort der Haupträuber für Dugongs und gilt als einfacher zu fangen als Weiße Haie.

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