Wolfsangriffe 2: Die Bestie des Gévaudan und aus dem Limousin

Lesedauer: etwa 12 Minuten
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Autor Karl-Hans Taake hat eine Reihe historischer Texte über mutmaßliche Wolfsangriffe in Frankreich vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert analysiert. Zunächst hat Taake dargestellt, wann und wo es zu Übergriffen gekommen ist und wieso er Wölfe zumindest nach dem Mittelalter kaum noch für Attacken verantwortlich macht. Im diesem Teil stellen wir seine Schlussfolgerungen zu zwei der bekanntesten Serien dar: Die Bestie aus dem Limousin und die Bestie des Gévaudan.

 

Wolf, nicht die Bestie des Gévaudan
Europäischer Wolf

Die Bestie aus dem Limousin (1698 – 1700)

Das Limousin ist eine Region in der Mitte Frankreichs und im nordwestlichen Teil des Zentralmassivs. Sie gilt als die am dünnsten besiedelte Region Frankreichs, andererseits ist hier historischer Bergbau nach Buntmetallen bereits vor mehr als 2000 Jahren nachweisbar. Zur Zeit der „Bestie“ gehörte die Region direkt dem französischen König.

 

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Wolfsbegegnungen: Von Wölfen in freier Wildbahn

Wölfe faszinieren Jürgen Borris seit mehr als 50 Jahren. Schon als Kind zog es ihn hinaus in die Natur, später las er begeistert Jack Londons Wolfsblut. Als junger Mann reiste er ins finnische Karelien und fotografierte dort seine ersten frei lebenden Wölfe. Die Tiere ließen ihn nicht mehr los – und zu Beginn des neuen Jahrhunderts bekam Jürgen Borris als erster Fotograf das aus der Lausitz eingewanderte Rudel in der Lüneburger Heide vor die Kamera. In »Wolfsbegegnungen« nimmt der mehrfach ausgezeichnete Naturfotograf aus dem niedersächsischen Solling die Leserinnen und Leser mit zu seinen Begegnungen mit den Wölfen.

 

Wolfsbegegnungen ist neu, am 31. März 2021 bei Müller Rüschikon erschienen und hat 160 großformatige Seiten. Es ist als gebundenes Buch für € 29,90 erhältlich.

 

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Moriceau berichtet

Moriceau berichtet von Überfällen einer Bestie in den Gegenden Yvelines, um die Städte Orléans und Tour. Der Jagdbereich der Bestie umfasste etwa 2000 km², bevorzugt in hügeligen, vermutlich auch bewaldeten Landschaften.
Sie soll vor allem Menschen, jedoch keine Nutztiere außer Pferden angefallen haben. Ihre Angriffe werden so beschrieben: Die Bestie „springt auf eine Person und hält sie mit ihren Pfoten so eng, dass niemand entkommen kann…“. „Wenn eine angegriffene Person anfängt zu schreien, drückt sie diese auf fürchterliche Weise.“ Ebenso attackiert sie auch Menschen auf Pferden. Weiterhin sagte man ihr Blutsaugen zw. -trinken nach.

 

Scheune in Frankreich
Das Limousin ist landwirtschaftlich geprägt, so hätte es dort auch fast Anfang des 18. Jahrhunderts aussehen können.

 

„Dieses Tier ist von beträchtlicher Größe, es hat ungefähr die Größe eines zwei oder drei Monate alten Kalbes, aber es ist sehr beweglich und schnell. Sein Kopf ist mittelgroß, von den Augen bis zur Schnauze wie ein Windhund. (Es hat) rötliches Fell, eine schwarze Markierung auf dem Rücken, der Rest seines Körpers ist rotbraun.“, zitiert Moriceau eine Beschreibung. Weiter zitiert er: „Sie schossen auf das Biest und verwundeten es, aber sie konnten es nicht töten. Das ließ die Leute glauben, es sei magisch, aber die vernünftigsten Leute meinten, es gäbe mehrere Bestien und sie würden Panther genannt. Sie sind größer als Wölfe, der Kopf ist groß, die Ohren kurz, mit weißem Kragen, rötlicher als Wölfe, der Schwanz ist dick und buschig, die Pfoten breit und die Krallen groß.“

 

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Der Tatzelwurm: Porträt eines Alpenphantoms

Der Tatzelwurm: Porträt eines Alpenphantoms stammt von unserem Autor Ulrich Magin und ist eines der wenigen Werke, die sich wissenschaftlich mit dem Phäniomen „Tatzelwurm“ auseinandersetzen.

Spannend, inhaltsreich, fundiert und gut zu lesen ist das Buch am 25. Juli 2020 bei Edition Raetia erschienen und hat 232 in ein Paperback eingebundene Seiten.

 

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Hieraus meint Taake, eindeutig einen Löwen zu erkennen.

 

Eine Anzahl der Opfer sowie weitere Daten zu den Angriffen bleibt er schuldig.

 

Limousin
Repräsentative Schlösser der Landadeligen deuten aber auf die Nähe zu Paris

 

Wolfsjagden des Grand Dauphin (1684 – 1711)

Der älteste Sohn Ludwig XIV., Louis de Bourbon, wird oft als Grand Dauphin (großer Kronprinz) bezeichnet, starb jedoch 1711 vor seinem Vater (1715) und konnte so nie den Thron Frankreichs besteigen. Natürlich war auch er und sein Umfeld ein wesentlicher Bestandteil des Hofes Ludwig XIV. Dem entsprechend nahm der Hof seine Aktivitäten immer auch politisch wahr und dokumentierte sie. Der Grand Dauphin selbst war politisch kaum interessiert, aber ein Freund der Wolfsjagd.  So soll er 1686 an 101 Wolfsjagden teilgenommen haben und jede mit mindestens einem Abschuss beendet haben. Taake analysiert, dass alle seine Wolfsjagden im Umkreis von 65 km um Notre Dame, das Zentrum von Paris stattgefunden haben, 78% sogar innerhalb von nur 25 km.

 

Die Wolfsjagden des Grand Dauphin waren Parforce-Jagden, wie man sie vor Kurzem noch in England als Fuchsjagden kannte. Dies geschah in der Regel in speziellen Jagdrevieren, die eher einen parkähnlichen Charakter hatten. Dort konnten der adelige Jagdherr, seine Hundemeute und sein Gefolge im versammelten Galopp auf einer breiten Allee dem von Treibern aufgescheuchten Wild folgen, um es am Ende zu „erlegen“. Eine solche Anlage in Deutschland stellt u.a. der Park des Schlosses Benrath in Düsseldorf dar.

 

Parforceheide
Karte der Parforceheide bei Berlin. Breite Wege für berittene Jagdgesellschaften führen auf einen oder mehrere Punkte zu, auf denen auch eine Art Empfang gegeben werden konnte.

 

Üblicherweise wurden die Tiere für diese Parforcejagden vorher lebend eingefangen und kurze Zeit vor der Jagd im Revier ausgesetzt. So konnte dem Jagdherrn auch ein Erfolg nahezu garantiert werden.

 

Um den „Bedarf“ an Wölfen zu decken, müssen die Tiere aus ganz Frankreich zusammengekarrt worden sein oder es muss irgendwo eine sehr produktive Wolfszucht gegeben haben. Die Folge waren vermutlich auch einige Wölfe, die in der Gefangenschaft aggressiv geworden waren. Die musste man los werden.

 

Die Bestie des Gévaudan (1764 – 1767)

Die „Bestie von Gévaudan“ ist kryptozoologisch wohl bekannt. Vor allem der Film „Pakt der Wölfe“ hat sie zu einem festen Bestandteil der populären Kryptozoologie gemacht. Sie machte die Region Gévaudan zwischen 1764 und 1767 unsicher, so dass sie auf Deutsch eigentlich als „Bestie des Gévaudan“ bezeichnet werden müsste.

 

Land der Bestie des Gévaudan

 

Nach den ausgesprochen guten Überlieferungen griffen ein oder mehrere nicht identifizierte Tiere etwa 130 bis 180 Menschen an. Davon starben je nach Quelle 78 bis 99 Personen.

Taake beginnt direkt damit, die Angriffe zu analysieren und mit bekannten Daten von Wolfsangriffen zu vergleichen. Dabei fällt ihm zunächst auf, dass die Angriffe der „Bestie“ im Sommer jeweils ein Minimum zeigen, während in anderen Gegen die Wolfsangriffe zu dieser Jahreszeit auf höchstem Stand liegen.

 

Opfer von Wölfen und der Bestie des Gévaudan

 

Auch bei der Altersverteilung der Opfer gibt es deutliche Unterschiede. Wölfe bevorzugten Kinder zwischen 0 und 9 Jahren, die etwa 60% der menschlichen Beute ausmachten. Heranwachsende zwischen 10 und 18 Jahren machten über 30% aus, Erwachsene nur einen kleinen, einstelligen Prozentanteil. Nicht so die „Bestie“. Mehr als 50% der Opfer waren zwischen 10 und 18, etwa ein Viertel erwachsen. Kinder machten die kleinste Gruppe aus.

 

Damit zeigt er unabhängig von den Beobachtungen einzelner Augenzeugen zwei deutliche Unterschiede im Verhalten von Wölfen und „der Bestie“. Dies ist ein erster, sehr deutlicher Hinweis auf unterschiedliche Tierarten.

 

Trutziges Dorf im Land der Bestie des Gévaudan

 

Augenzeugenberichte

„Die Bestie des Gévaudan“ wird als groß beschrieben, etwa die Hälfte eines Esels oder wie ein einjähriges Kalb. Ein Fußabdruck maß 16,2 cm. Das Fell war rotbraun mit hellerem Bauch und einer schwarzen oder braunen Linie auf dem Rücken. Augenbrauen und eine Schwanzquaste beschreiben einige Augenzeugen zudem.

 

Wie die Bestie des Limousin nutzte sie die Krallen zum Angriff und attackierte Pferde, in dem sie ihnen auf den Rücken springt. Sie hatte so viel Kraft, dass sie den Körper einer Frau einen langen Weg durch schweres Gelände schleppen konnte. Weitere Einzelheiten zitiert Taake, sie sind aber anekdotenhaft und helfen kaum weiter. Dafür betont der Autor den dunklen Rückenstreifen, den wir heute nicht unbedingt mit Löwen in Verbindung bringen, jedoch für diese Art typisch ist.

 

Löwenfell
Fell eines Löwen, deutlich sichtbar ist der dunkle Nackenstrich (Foto: Kozuch)

 

Als einen der Gründe, warum die „Bestie des Gévaudan“ so berühmt wurde, ist laut Taake, dass ihre Angriffe kein klares Bild ergaben. Hierfür findet er auch direkt eine plausible Erklärung: Es gab im Gévaudan Wolfsangriffe auf Menschen, auch während der Zeit der „Bestie“. Hier lagen also Mischbefunde vor, die kein eindeutiges Bild ergaben.

 

Hinzu kamen laut Taake mehrere fadenscheinige Versuche, erjagte Wölfe für die Attacken verantwortlich zu machen. So wurde einem Tier ein Bündel Kleidung mit einem Stock in den Magen gestopft, bei einem anderen Untersuchungsbericht wurden angeblich ungenannte Menschenknochen gefunden. Der Zweck erscheint Taake klar, man wollte offenbar jeden Zweifel ausschalten, dass es sich bei der „Bestie“ um Wölfe handelt.

 

 

Die Bestie ist tot – es lebe die Bestie

Comte de Buffon

Tatsächlich tötete der königliche Jäger Francois Antoine auch einen Wolf und die Affäre in einer „procés verbal“ untersucht. Dies ist nicht mehr als ein Bericht oder ein schriftlicher Rechtsakt, der Ergebnisse, Aussagen oder eine Situation festhält. Es hat im Allgemeinen nur den Wert einfacher Informationen, es sei denn, es stammt von bestimmten Beamten, wo es dann einen Beweiswert erhält. Während dieser procés verbal wurde ein 127 cm langer, also recht großer Wolf ausgestopft und als Bestie präsentiert. Nach Taake wurden ihm einige Eigenschaften der Bestie … sagen wir mal: zugeschrieben. Dennoch: alles was beschrieben wurde, charakterisiert einen Wolf. Auch Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, ein auch heute noch bekannter Naturalist, begutachtete den Kadaver und schrieb, dass es nur ein großer Wolf ist. Man kann davon ausgehen, dass ihm auch andere Raubtiere, z.B. aus den Pariser Menagerien bekannt waren.

 

Die Angriffe hingegen gingen unverändert weiter.

 

Konflikt zwischen regionalen und königlichen Jägern

Als besonderes Bonbon zitiert Taake nun noch einen Konflikt zwischen einem königlichen Jäger, Francois Antoine und einer lokalen Größe, Jean Castel. Beide hatten bereits im Vorfeld einmal beinahe die Waffen gekreuzt, als Antoine die Bestie jagen sollte. Es endete damit, dass Castel 1765 im Gefängnis landete und Antoine das Töten der Bestie für sich beanspruchte. Er schoss den Wolf, der im „process verbal“ behandelt wurde. Doch die Angriffe waren nicht gestoppt.

1767 hingegen beanspruchte Castel für sich, die Bestie getötet zu haben. Und tatsächlich hörten die Angriffe im Sommer 1767 ebenso unvermittelt auf, wie sie begonnen hatten.

 

Insgesamt wurden im Gévaudan etwa ein halbes Dutzend getöteter Wölfe als „das Biest“ bezeichnet.

Gévaudan
Die Höllenschlucht im Gévaudan, Rückzugsort der Bestie?

Ist die Identifikation der Bestie des Gévaudan als Löwe sicher?

Tatsächlich sprechen zahlreiche von Taake zitierte Quellen für die Identifikation der Bestie als Löwe. Einige wenige Elemente hingegen zeigen etwas anderes. So wurden bei einigen Fußabdrücken Krallenspuren gefunden, jedoch nur im direkten Zusammenhang mit einem Angriff und nur an den Vorderpfoten.

Hinzu kommt ein wesentlicher Punkt: Die meisten modernen Untersucher ziehen Löwen nicht in Betracht. Heute geht man weitgehend davon aus, dass die Menschen des 18. Jahrhunderts einen Löwen identifizieren konnten. Taake glaubt, dass dies bei einem adulten Männchen mit ausgeprägter Mähne, jedoch nicht bei einem jungen Weibchen so gewesen sein könnte.

 

Löwin
Ein curé hätte Löwen von Wölfen unterscheiden können.

 

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Frankreich war unter Ludwig XIV. durchverwaltet. Landstriche wurden von „curé“ verwaltet, die sich in der Natur sehr genau auskannten. Sie hätten einen Wolf definitiv von einem anderen Tier unterscheiden können, so Moriceau. Er vertraut ihnen, wenn sie einen Wolf als Angreifer explizit ausschließen.

 

Die Ähnlichkeit der Bestien

Bereits im Kapitel zur Bestie des Limousin bemerkt Taake die große Ähnlichkeit in der Beschreibung und im Verhalten beider Bestien. Ihre Angriffe lagen mehr als 60 Jahre und mehrere 100 km auseinander und trotzdem ähnelten sie sich sehr.

Taake schließt daraus, dass es sich bei beiden Bestien um Löwen gehandelt habe.

 

Zeitgenössische Fantasiedarstellung der Bestie

 

Zudem zitiert er einen curé aus dem Jahr 1693. Dieser schreibt, dass Tiere „fast wie Wölfe“ in der Umgebung von Tours mehr als 200 Menschen getötet hätten. Dieser curé schreibt „Die Leute glauben, es handele sich um Luchse, aber die Leute sind nicht sicher. Sie haben zwei von ihnen getötet.“

Taake führt noch weitere schriftliche Belege an, dass ein Vergleich mit einem Wolf nicht zwangsläufig auf einen Caniden hinweist.

 

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Der Pakt der Wölfe

1766. Zur Zeit Ludwig XV. fallen in der Nebellandschaft des Gévaudan unzählige Frauen und Kinder Wolfsangriffen zum Opfer. Der König schickt einen jungen Wissenschaftler in die Provinz, um die Morde zu untersuchen…

 

Der Pakt der Wölfe ist tolles Popcornkino mit allem, was dazu gehört, von Liebesaffäre bis Mordkomplott, noch dazu hochkarätig besetzt und hervorragend gefilmt. 2 h 17′, die sich lohnen – aber keine historisch korrekte Doku sind.

 

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Fazit

Insbesondere die Ereignisse um die Bestie des Gévaudan liefern eine gute Story. Nicht nur die zahlreichen Versuche, des Tieres habhaft zu werden, auch die unterschiedlichen Charaktere und Stellungen der Jäger lassen schnell Stoff für ein Buch oder einen Film entstehen. Die unklare, weil vermischte Spurenlage lässt das Ganze biologisch schwierig erscheinen – was sie am Ende gar nicht ist. Oder doch?

Auch Taake bewertet und gewichtet Informationen, vollständige Datensätze liefert er nicht. So ist offen, warum er welche Aussagen wie gewichtet. Einige Schlussfolgerungen kann er mit Statistiken belegen, jedoch ist nicht immer klar, woher die Ausgangsdaten stammen.

Dennoch hat er mit seinen Ansagen „Die Bestien des Limousin und des Gévaudan waren Löwen“ eine starke Behauptung ins Rennen um die Deutungshoheit geschickt.


 

Im dritten Teil dieser Reihe werden wir nächsten Dienstag eine Angriffsserie während des 30jährigen Krieges in Deutschland vorstellen. Auch hier hat man vermutlich zu Unrecht Wölfe verantwortlich gemacht.

 

Der erste Teil dieser Reihe befasste sich mit früheren Serien von Wolfsangriffen im historischen Frankreich.

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