Offenbar hat die Wissenschaft den gutgemeinten Fehler begangen, große und auffällige Elemente zu unterschätzen, um sie nicht zu überschätzen. So ist es jedenfalls Meeresbiologen bei den Walen gegangen: Sie haben die ökologische Bedeutung von Bartenwalen unterschätzt. Offenbar ist ihr Impakt auf das Plankton wesentlich höher, als bisher bekannt:
Bartenwale fressen Krill und anderes Makrozooplankton. Dies tun sie sowohl in der Tiefe wie an der Oberfläche. Ihre Fäkalien lassen sie aber vor dem Abtauchen ab und düngen so das Oberflächenwasser – und damit das Phytoplankton, das so stärker wachsen kann.
Das Krill-Paradoxon
Durch den industriellen Walfang des 20. Jahrhunderts wurden nahezu alle Großwalpopulationen an den Rand der Ausrottung bejagt. Da sie sich zu großen Teilen von Krill ernähren, müsste eine gewaltige Krillmenge nicht gefressen werden, die Population des Krills also stark ansteigen. Doch das Gegenteil ist der Fall, der Krill brach mit dem Niedergang der Wale quasi zusammen und zog große Bestände von krillfressenden Fischen, Vögeln und anderen Meeressäugern mit.
Ein Nature-Artikel einer Arbeitsgruppe um Matthew Savoca von der kalifornischen Stanford University klärt dieses Paradox nun teilweise auf. Die Wissenschaftler markierten 321 Bartenwale aus sieben Arten mit Sendern. Sie zeichneten Position und Bewegung auf und ermittelten, wie dicht das Plankton dort war, wo sich die Wale aufhielten.
Dabei bekamen sie folgende Resultate:
Ein ausgewachsener Blauwal frisst im östlichen Nordpazifik während der Futtersaison etwa 16 t Krill am Tag. Ein Glattwal (Eubalaena glacialis) im Nordatlantik schafft 5 t, ein Grönlandwal (Balaena mysticetus) ungefähr 6 t.
Je nach Beutespezies und deren Nahrungsstatus fressen Wale zwischen 5 und 30% ihrer Körpermasse am Tag. Dies ist dreimal so viel, wie bisher angenommen.
Wale im Zentrum eines kurzen Nährsstoffkreislaufes
Dies wirkt sich natürlich auch auf den Nährstoffkreislauf des offenen Ozeans aus. Im offenen Ozean ist der Mineralstoffmangel der wesentliche Mangel, der das Wachstum von Phytoplankton bremst – auf ein Niveau, das deutlich unter dem einer sehr unproduktiven Wüste an Land liegt. Düngt jetzt ein Wal mit seinen Fäkalien ein Stück des Wasserkörpers, können sich vor allem planktische Kieselalgen vermehren, sie sind die Basis der Nahrungskette im offenen Meer.
Den Forschern zufolge düngen Bartenwale heute das Südpolarmeer mit 1200 t Eisen im Jahr. Gesunde Walbestände haben vor dem Beginn des Walfanges wesentlich mehr freigesetzt. Eisen bleibt der Schlüsselnährstoff, der nicht nur die Krillbestände limitiert. Ihr Schwund ist durch die fehlende Eisendüngung zu erklären.
Hinzu kommt ein wesentlicher Effekt aufs Klima. Nicht jede gewachsene Kieselalge wird auch gefressen, einige sterben und sinken auf den Meeresboden – und das darin gebundene CO2 ebenfalls.
Letztlich müsste spätestens nach dieser Arbeit jeder zur Walzucht aufrufen: Mehr Wale = mehr Kieselalgen = mehr Krill = mehr Fisch = mehr Wale = mehr Klimaschutz.
Walschutz hat neben dem immer etwas romantisierten „Naturschutz-Faktor“ einen knallharten wirtschaftlichen Hintergrund.
Quelle
Savoca, M.S., Czapanskiy, M.F., Kahane-Rapport, S.R. et al. Baleen whale prey consumption based on high-resolution foraging measurements. Nature 599, 85–90 (2021). https://doi.org/10.1038/s41586-021-03991-5