Traktor im Reisfeld in KeralaTraktor in einem Reisfeld. Stehende, schlammige, warme Gewässer bilden eine besondere Gefahrenquelle
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n-tv titelt „Immer mehr Tote wegen ‚hirnfressender Amöbe‘“, schränkt aber für uns Mitteleuropäer zum Glück ein, dass sich die Infektionen in Indien abspielen.

Weiter schreibt das Nachrichtenportal „Die Zahl der Menschen, die durch eine das Gehirn zerstörende Amöbe sterben, nimmt deutlich zu.“

 

Auch hier wird das Portal dann wieder ruhiger und schränkt ein, dass die Fallzahlen immer noch sehr niedrig sind, sich aber im Vergleich zum vergangenen Jahr verdoppelt haben. Seit Jahresbeginn seien 72 Infektionen registriert, davon 19 fatal. Im Vorjahr (2024) seien es 36 Infektionen und 9 Todesfälle gewesen.
Allerdings, so n-tv wieder: Im September 2025 waren es alleine 24 Infektionen und 9 Todesfälle. Dabei ist beunruhigend, dass die diesjährigen Infektionen nicht wie sonst in einem eng begrenzten Gebiet auftreten, sondern über den ganzen Bundesstaat Kerala verteilt liegen.

Hieraus ergibt sich das Problem, dass viele Betroffene zu Ärzten gehen, die diese seltene Diagnose nicht stellen, weil sie sie nicht kennen – entsprechend hoch ist die Dunkelziffer und die Gefahr der Infektion weiterer Menschen.

 

Traktor im Reisfeld in Kerala
Traktor in einem Reisfeld. Stehende, schlammige, warme Gewässer bilden eine besondere Gefahrenquelle

 

Was steckt dahinter?

Naegleria
Naegleria fowleri eingefärbt unter dem Lichtmikroskop – Public Domain, da Werk der US-Regierung

Verursacher dieser Infektionen ist Naegleria fowleri, eine Amöbe, die entfernt mit der in Mitteleuropa ubiquitären Amoeba proteus verwandt ist, die man fast immer in irgendwelchen Mikroskopie-Kursen findet (Die Systematik der Amöben ist unsicher, das wäre mal einen eigenständigen Artikel wert).

Als lebendige Zelle erreicht sie eine Länge von 30 µm. Sie bewegt sich normalerweise durch Scheinfüßchen fort, kann aber auch Geißeln ausbilden. Das tut sie, wenn der Elektrolytwert ihrer Umgebung fällt, so dass sie aus ungeeigneten Lebensräumen fliehen kann. Sie leben in feuchten Lebensräumen und Gewässern, von feuchtem Erdreich bis zu Pfützen, Tümpeln und Teichen. Dabei bevorzugen sie warmes Wasser über 30 °C. In optimalen Lebensräumen breiten sie sich aus und bilden Kolonien.

Freilebende N. fowleri ernähren sich von Kleinpartikeln wie Bakterien, Detritus u.a.

Die Art kann auch Cysten bilden, wie weit diese austrocknen und dann vom Wind verbreitet werden können, ist aber unklar.

 

Wie kommt es zur Infektion?

Das infektiöse Stadium von N. fowleri ist der Trophozoit, also das Stadium, das wie eine „typische“ Amöbe aussieht. Gelangt dieser mit Wasser bzw. Schlamm in die Nase eines Menschen, kann er entlang des Riechnerves ins Gehirn wandern. Dort ruft er eine eitrige Hirnhautentzündung hervor, die als Primäre Amöben-Meningoenzephalitis (PAME) bezeichnet wird. [1]

Meist sind Kinder oder junge Erwachsene betroffen, was aber auch damit zu tun haben kann, dass diese Altersgruppe häufiger im Wasser spielt, als ältere.

Üblicherweise bricht PAME innerhalb von drei bis sieben, selten bis 14 Tagen nach der Infektion aus. Der Körper wehrt sich mit hohem Fieber, unspezifische Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen, ein spezifischeres Symptom ist die Nackensteifheit. Es kommt zu starker Eiterbildung, die meisten Patienten fallen dann ins Koma und versterben am fünften Tag.

 

Wirklich 99% Todesrate?

Das Center for Disease Control (CSC), das US-amerikanische Gesundheitsamt beobachtet diese Krankheit sehr genau. Ihnen sind zwischen 1962 und 2024 insgesamt 167 Infektionsfälle bekannt geworden, von denen nur 4 Patienten überlebt haben. Das ist also eine Todesrate von 97,6%, nahe an den 99%. In Indien liegt die Rate offenbar sehr viel niedriger.

Die Behandlung ist aus drei Gründen schwierig.

  1. Amöben haben einen langsameren Stoffwechsel als Bakterien. Selbst unter optimalen Bedingungen brauchen sie für einen Teilungsvorgang etwa 10 mal so lange, wie ein Coli-Bakterium. Die meisten Chemotherapeutika[2] benötigen zur Wirkung eine Zellteilung im Zielorganismus. Je schneller dieser sich teilt, um so besser können sie eingreifen.
  2. Amöben sind als Eukaryoten sehr viel näher mit dem Menschen verwandt, als Bakterien. Die Stoffwechselwege sind ähnlicher. Wird durch ein Chemotherapeutikum ein Eukaryont getötet, besteht die Gefahr, dass das Mittel auch gegen den Wirt (also den Menschen) wirkt. „Infektion beseitigt, aber Patient tot“ ist nicht Ziel der Behandlung.
  3. Die Infektion spielt sich zumindest teilweise hinter der Blut-Hirn-Schranke ab. Sie stellt auch eine Barriere für zahlreiche Medikamente dar, so dass wirksame Therapeutika teils gar nicht an den Ort der Infektion gelangen können.

Als Medikamente stehen tatsächlich nur zwei Stoffe zur Verfügung:

  1. Miltefosin, ein Phospholipid aus der Familie der Alkyphosphocholine. Es wird seit 2004 als Medikament gegen Leishmania-Infektionen verwendet. Das Mittel hat mittelschwere, häufige Nebenwirkungen wie Erbrechen, Durchfall, Übelkeit, Veränderung der Leberwerte und kann sich auf die Fruchtbarkeit von Männern auswirken.
  2. Amphotericin B, ein Polyen-Makrolakton, das früher auch gegen oberflächliche und systemische Pilzinfektionen verwendet wurde. Sein Wirkmechanismus ist bekannt, es tritt in Wechselwirkung mit dem Zellmembran-Baustein Ergosterin, der in Pflanzen, Pilzen und einigen Einzellern, nicht aber in Wirbeltieren vorkommt. Es wird deswegen nicht nur gegen Pilze, sondern auch gegen Einzeller wie Trichomonas, Leishmania, Trypanosoma, Entamoeba und eben Naegleria
    Die Nebenwirkungen sind stärker, u.a. Fieber, Schüttelfrost, Veränderungen des Blutbildes, Hörverlust sowie zu Leber- und Nierenschädigungen. Daher ist die systemische Verwendung gegen Naegleria eigentlich an ständige Überwachung im Krankenhaus gebunden – Erkannte Naegleria-Parienten gehören aber ohnehin ins Hospital.

 

Stadien von Naegleria fowleri
Stadien von Naegleria fowleri: Oben links: begeißelter Trophozoit, unten links: Trophozoit mit amöbentypischen Wurzelfüßen, rechts: Cyste (Werk der CDC, public domain)

Oder doch nicht so schlimm?

In Gebieten, in den Naegleria fowleri regelmäßig vorkommt, wurden insbesondere bei zahlreichen Jugendlichen spezifische Antikörper nachgewiesen. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass hier bereits eine Infektion vorlag, die aber symptomlos vom Immunsystem bekämpft wurde.

Ebenso ist das sporadische, oft spontan erscheinende Auftreten einzelner Infektionen typisch. Sie ein ebenfalls ein Hinweis darauf, dass zahlreiche andere Infektionen symptomlos, mit leichter oder unspezifischer Symptomatik ablaufen und oft gar nicht erkannt werden. Auch hier hat dann das Immunsystem den Erreger eliminiert.

Dazu kommt, dass Naegleria-Infektionen oft aufgrund ihrer Seltenheit nicht erkannt werden. Zieht man eine Behörde (wie die CDC oder das Gesundheitsamt / Tropeninstitut) hinzu, ist die Infektion schon weit fortgeschritten (siehe oben: Typische Krankheitsdauer drei bis sieben Tage).

 

Mögliche virale Therapie

Es gibt ein Virus, das offenbar spezifisch Naegleria fowleri befällt. Wissenschaftler haben es 2024 in einer Kläranlage bei Klosterneuburg nahe Wien entdeckt. Naegleria-Amöben nehmen Viruspartikel als vermeintliche Nahrung auf. Daraufhin schleust das Virus seine Gene in die Wirtszelle, die dann ihren gesamten für die Virenproduktion umbaut. Dabei wird die wirtseigene Immunabwehr unterdrückt, so dass die Amöbe zahlreiche Viren erzeugen kann, bevor sie stirbt. Dieser Prozess ist in nur wenigen Stunden abgeschlossen.

Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass dieses Virus und verwandte Viren weltweit verbreitet sind.

Bisher wurde das Virus noch nicht zur Bekämpfung von Naegleria verwendet. Insbesondere in gefährdeten, nicht gechlorten Gewässern könnte hiermit ein Befall mit Naegleria verhindert werden.

 

Wie kann man eine Infektion vermeiden?

Indem man Kontakt mit potentiell kontaminiertem Wasser vermeidet. Beim Baden in stehenden, warmen Süßgewässern sollte eine Nasenklammer verwendet werden. Beim Baden in heißen Quellen sollte der Kopf immer über Wasser gehalten werden.

Insbesondere für Nasenduschen sollte nur abgekochtes oder destilliertes Wasser genutzt werden.

 

Vieles ist noch unklar

Da es sich bei Naegleria fowleri um einen sehr seltenen Erreger handelt, ist der Anreiz zu Forschungen verhältnismäßig klein. So sind zahlreiche Fragen noch ungeklärt, u.a. warum nur der Riechnerv und nicht etwa die anderen Hirnnerven (u.a. Sehnerv, Hör- und Gleichgewichtsnerv, Zungen-Rachen-Nerv usw.) befallen werden.

Werden auch andere Lebewesen befallen oder ist die Amöbe fakultativ parasitisch, aber wirtsspezifisch?


[1] Alternative Bezeichnung Naegleriasis oder Schwimmbadamöbose

[2] Chemotherapeutika ist ein Oberbegriff für alle Stoffe, die spezifisch in den Stoffwechsel eines medizinisch relevanten Organismus eingreifen und ihn dadurch entweder abtöten oder an der Teilung hindern. Zu ihnen gehören u.a. Antibiotika (die spezifisch gegen Bakterien wirken), Antimykotika (die spezifisch gegen Pilze wirken, Antiproterozoika (die spezifisch gegen Einzeller wirken) usw.

 


Quellen

n-tv am 18.09.2025

Wikipedia zu Naegleria fowleri

Wikipedia zu Miltefosin

Webseite eines Herstellers von Miltefosin

Wikipedia zu Amphotericin B

CDC-Archiv

CDC zu Naegleria

MT-Portal zum Virus, der Naegleria befällt

Von Tobias Möser

Tobias Möser ist Diplom-Biologie und hat zudem Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.