Eremiten und Pelikane in Nazca

Geoglyphen, auch Erdzeichnungen oder Bodenbilder genannt, sind großflächige, auf dem Erdboden geformte Figuren. In kleinem Maßstab kann man sie einfach erzeugen, in dem man mit dem Finger oder einem Stab etwas auf eine glatte Sand- oder Erdfläche schreibt oder zeichnet. Doch es gibt auch Geoglyphen in Größenordnungen vieler Dutzender bis Hunderter Meter. Aus Europa ist das Uffington White Horse in England bekannt. Die berühmtesten Geoglyphen sind sicherlich die Nazca-Linien in Peru.

Riesige Scharrbilder in der Wüste

Bei den Nazca-Linien handelt es sich um Scharrbilder. Um diese Untergruppe der Geoglyphen zu erzeugen, wird die Oberschicht der Erdoberfläche, meist Gestein, Geröll oder Erdreich entfernt. So wird eine andersfarbige darunter liegende Schicht sichtbar. Die Nazca-Linien bedecken eine Fläche von etwa 500 km² (das ist so groß wie der Bodensee). Bei ihnen handelt es sich hauptsächlich um einfache, schnurgerade Linien, die bis zu 20 km lang sein können. Auch geometrische Figuren wie Trapeze, Dreiecke und Spiralen kommen vor, aber am bekanntesten sind die Tierfiguren. Insgesamt gibt es über 1500 dieser Geoglyphen. Sie sind in der Regel durch Entfernen der obersten Gesteinsschicht als negatives Relief entstanden. Da die umgebende Oberfläche durch Wüstenlack dunkel gefärbt ist, mussten die Zeichner nur wenige Zentimeter entfernen, um den beigegelben Boden zum Vorschein zu bringen.

Luftbild der Geoglyphe "Spinne" in Nazca
Die „Spinne ist eines der berühmtesten Nazca-Scharrbilder

Luftbild des Nazca-Scharrbildes "Kolibri"
Dieses Bild wurde bisher immer als Kolibri identifiziert

Unterschiedliche Tiere und andere Figuren

Etwa 15 große und ungezählte kleinere figürliche Darstellungen sind bisher entdeckt. Die meisten von ihnen stellen Tiere dar, hierunter sind die Vögel in der Überzahl: 16 von ihnen sind bekannt. So haben die Entdecker Kondor, Kolibri, Küken, Papagei und Reiher nach möglichen realen Vorbildern benannt. Niemand hat die Vogeldarstellungen über die allgemeinen Beschreibungen hinaus identifiziert. Alle wirken ziemlich stilisiert, andererseits scheint eine genauere Bestimmung für Archäologen zum derzeitigen Zeitpunkt nicht zielführend.

Was sind es nun für Vögel?

Forscher des Hokkaido-Universitätsmuseums, des Yamashina-Instituts für Ornithologie und der Yamagata-Universität haben die Scharrbilder in der peruanischen Wüste untersucht. Sie gingen hierbei nach klassischen morphologischen Methoden vor:

„Bisher wurden die Vögel in diesen Zeichnungen anhand allgemeiner Eindrücke oder einiger morphologischer Merkmale jeder Figur identifiziert. Wir haben die Formen und relativen Größen der Schnäbel, Köpfe, Hälse, Körper, Flügel, Schwänze und Füße der Vögel gemessen und mit denen der modernen Vögel in Peru verglichen“, so Masaki Eda vom Hokkaido University Museum.

Das Kolibri-Bild aus einer anderen Position
Bei anderen Lichtbedingungen wirkt der Boden grau. Der „Kolibri“ aus anderer Perspektive

Analyse des "Kolibris" von Masaki Eda
Der lange und dünne Schnabel, kurze Beine, drei Zehen, die in die selbe Richtung zeigen und der lange Schwanz mit dem verlängerten Mittelstück: daran ist ein Eremit zu erkennen. Die Schwänze aller peruanischen Kolibris sind gegabelt oder gerundet. (Bild: Masaki Eda)

Die Vogeldarstellung, die bisher als Kolibri bekannt war, haben sie als einen Vertreter der Eremiten (Phaethornithinae) identifiziert. Sie sind nahe Verwandte der Kolibris, jedoch nicht so bunt. Zwei weitere Scharrbilder, die als Rätselvogel und Guanovogel bekannt sind, haben sie als Pelikane bestimmt. Ein seltsamer Vogel, zu dem es bisher keine schlüssige Erklärung gab, ist eindeutig ein Papageienbaby.

Andere Vogelbilder, die als Kondore und Flamingos bekannt sind, ließen sich weder be- noch widerlegen. Man will an diesen Bezeichnungen festhalten.

Angesichts der Möglichkeiten erstaunlich

„Die Nasca-Leute, die die Bilder gezeichnet haben, hätten Pelikane beim Sammeln von Lebensmitteln an der Küste sehen können. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sie exotische Vögel und keine einheimischen Vögel gezeichnet haben, und dies könnte ein Hinweis darauf sein, warum sie sie überhaupt gezeichnet haben“, vermutet Eda. Gleichzeitig ist er beeindruckt von der Qualität der Arbeiten: Sie sind so dicht am Original, wie es die Größe der Darstellung und die begrenzte Technologie der Nazca-Leute ermöglicht haben.

Das wirkliche Aha-Erlebnis zeigt sich in der Tatsache, dass es sich nicht um die lokalen Wüstenvögel handelt. Pelikane sind Küstenvögel, Guanovögel leben auf Inseln, Eremiten und Papageien kommen im Regenwald vor. Die Nazca-Bewohner haben sie möglicherweise bei der Nahrungsbeschaffung auf Reisen gesehen. Das impliziert, dass diese Vögel eine besondere Bedeutung für sie haben – nur welche?

El Nino?

Die Ebenen um Nazca gehören zu den Gebieten, die vom Wetterphänomen El Nino am stärksten betroffen sind. In El Nino-Jahren regnet es in der Nazca-Ebene oft heftig, wobei nie geklärt wurde, welche Auswirkungen das auf die Nazca-Kultur hatte. Möglicherweise kommt es in diesen Jahren zu Einfällen einiger der genannten Vögel. Die Eremiten könnten einer Blütewelle der Wüstenpflanzen folgen. Pelikane könnten in die -dann überschwemmte- Wüste einwandern, wenn -ebenfalls durch El Nino bedingt- an der Küste kein Fisch mehr zu finden ist.

Da nicht bekannt ist, ob sich das Leben der Nazca-Menschen durch den El Nino-Effekt positiv oder negativ veränderte, kann über die Bedeutung der Vögel und damit der Vogelbilder nur spekuliert werden: Sollten sie die Vögel anlocken oder vertreiben? Dienten sie zur Warnung oder wollte man um den Einfall dieser Vögel bitten?

Bilder für Luftfahrer?

Die Nazca-Scharrbilder sind teilweise so groß, dass sie erst aus der Luft erkennbar sind. Der Experimentalarchäologe Jim Woodman stellte die These auf, dass bereits die Inka eine Art Heißluftballon bauen konnten. Gruben am Ende vieler Linien interpretiert er als Feuergruben, hier hätten die Ballontechniker den Ballon wie eine Mongolfiere aufheizen können. Mit vor Ort verfügbaren Materialien, überlieferten Legenden und mit Hilfe von Ingenieuren konstruierte er einen Ballon, der 1975 tatsächlich zwei Menschen über die Nazca-Ebene trug.
Seine Arbeit ist jedoch nicht durch Funde gedeckt.

Ähnlich argumentierte August Steimann. Er schlug -ebenfalls in den 1970ern- vor, dass Menschen in Fesseldrachen saßen, die Helfer auf den geraden Linien gegen den Wind entlang zogen. Als zweite Stufe schlug er Hängegleiter vor, mit denen Piloten nach einem Seilstart frei umher geflogen sein konnten. Die Tiere interpretiert er als Orientierungshilfen.

Was bedeuten die Scharrbilder nun?

Lächelnder Japaner vor einer Wand aus bunten Ziegeln
Masaki Eda vom Museum der Hokkaido Universität

Es gibt eine Vielzahl von Interpretationsversuchen zur Bedeutung der Bilder. Keiner wird widerspruchslos akzeptiert. Neuere Untersuchungen aus den Jahren 2004 bis 2009 ergeben ein differenzierteres Bild. So sind die Linien in einem Zeitraum zwischen 800 v. Chr. und 600 n. Chr. entstanden. In dieser Zeit gab es erstmals starke Auswirkungen des El Ninos in der Gegend. Sie werden in den Zusammenhang mit diesem Klimaphänomen gestellt. So sieht die Wissenschaft die Bilder heute als Teile von Fruchtbarkeitsritualen. Die Bestimmung der Vögel unterstützt dies.

Neben den Geoglyphen kennt man diese Motive auch von Keramiken der selben Periode. Die Schöpfer der Scharrbilder lebten in den Tälern des Río Názca, Río Palpa und Río Ingénio. Die Pyramidenstadt Cahuáchi soll ein religiöses Zentrum der Nazca-Kultur gewesen sein. Als Erklärung für die lange Besiedlungszeit vermuten italienische Forscher ein System aus unterirdischen Wasserkanälen mit trichterförmigen Zugängen (puquios), das unterirdische wasserführende Schichten für die Bewässerung nutzbar machte und in Staubecken speicherte.

Wenn dies so gewesen ist, könnte der El Nino mit seinen Niederschlägen das Wasser gebracht haben, das für mehrere Jahre in den Wasserkanälen gespeichert wurde. So hat ein Phänomen, das an den meisten Orten als verheerend angesehen wird, das mehrjährige Überleben eines Volkes ermöglicht. Dem entsprechend werden die Nazca-Leute auf das Erscheinen von Eremitenvögeln und Pelikanen gehofft haben.

An anderen Orten

Körperproportionen zu vergleichen ist DIE klassische Methode der Morphologie. Daher liegt es nahe, sie auch bei prähistorischen Zeichnungen anzuwenden, will man wissen, mit welchen Tieren die Menschen es früher zu tun hatten. Erfolgreich sind diese Methoden vor allem dann, wenn die Tiere gezielt realistisch dargestellt werden. In einigen ägyptischen Gräbern ist das der Fall, so konnten viele Fische anhand der Gemälde bis zur Art herunter bestimmt werden. Höhlenmalereien im Baltikum legen nahe, dass in der Jungsteinzeit dort der Stör gefangen wurde, da sie den kurzen Kopf des großen Fisches betonen. Heute kommt dort der ähnliche, aber kleinere Sterlet vor, der einen viel längeren, spitzeren Kopf hat.

Bei anderen Malereien ist eine Bestimmung nicht mehr möglich, hier wird die Realität durch einen Malstil überlagert, der die Körperproportionen stark verändert. Die Figuren aus den Scharrbildern der Nazca-Ebene sind stark stilisiert, daher ist eine Bestimmung, wie oben erfolgt, mit Vorsicht zu betrachten.

Ein weiterer Punkt: Die Ornithologen der Originalarbeit gingen von einer alten Systematik der Kolibris und Eremiten aus. Diese stellte die Eremiten ins Schwestergruppenverhältnis zu den Kolibris. Die moderne Systematik sieht die Eremiten als eine der Unterfamilien der Kolibris, der Gegensatz ist also nicht so stark, wie es in der Originalarbeit dargestellt wird.


Quellen:

Website der Universität Hokkaido

Originalartikel im Journal of archaeological Sience: Reports