Nashorn steht im trockenen, hohen GrasDer letzte Bulle, Sudan, im Ol Pejeta Nationalpark, 2010. Foto by Legani101, CC 3.0
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Bekannt wurde das Nördliche Breitmaulnashorn durch Douglas Adams‘ Buch „Die Letzten ihrer Art„. In diesem Buch besucht der Autor, der für komische Science Fiction bekannt ist, zusammen mit dem Zoologen Mark Carvadine einige Tiere, die vom Aussterben bedroht sind.

 

Nashorn steht im trockenen, hohen Gras
Der letzte Bulle, Sudan, im Ol Pejeta Nationalpark, 2010. Foto by Legani101, CC 3.0

 

Zwischenzeitlich ist die Bedrohung Realität geworden. Nördliche Breitmaulnashörner waren einst weit verbreitet. Mit dem Austrocknen der Sahara zogen sie ins Niltal, wo sie die Ägypter antrafen – und verdrängten. Seit dem wurden die Bestände permanent dezimiert. In den 1970ern kamen sie bereits nur noch im Garamba-Nationalpark in Zaiire (heute DR Kongo) vor. Durch den Schutz paramilitärischer Wildhüter konnte der erste Tiefpunkt der Population überwunden werden. Die Anzahl der Tiere wuchs auf etwa 40 Tiere. Doch das Horn war zu wertvoll, und der Staat Zaiire brach zusammen. Gut ausgerüstete Wilderer, die über den Sudan eindrangen, schossen die Tiere in den 2000ern zusammen, das letzte bekannte freilebende Exemplar wurde 2008 erschossen.

Die wenigen Zootiere waren nicht wirklich besser dran. Obwohl man sie in wenigen, hervorragenden Zoos zusammenzog, klappte es mit der Fortpflanzung nicht. Um sie in Stimmung zu bringen, brachte man die letzten, schon ziemlich alten Tiere nach Kenia. Die Hoffnung, sie würden unter der Sonne Afrikas „in Stimmung“ kommen, zerschlug sich bald. Permanent bewacht, blühten die Tiere zwar auf, aber Nachwuchs stellte sich nicht ein. Bis der letzte Bulle „Sudan“ am 19. März 2018 wegen Altersbeschwerden eingeschläfert werden musste.

Damit war die Tierart de facto ausgestorben – obwohl noch zwei Weibchen lebten.

Künstliche Besamung – künstliche Befruchtung

Von Sudan und dem Bullen Suni liegen Spermaproben vor. Die Wissenschaftler, die mit dem Schutz der Nördlichen Breitmaulnashörner befasst sind, haben zunächst versucht, die Weibchen damit zu befruchten. Das schlug fehl, die Qualität der Samen war zu schlecht.

Eine örtlich fixierte Eizelle, die mit einer dünnen Nadel angebohrt ist
Injektion einer Samenzelle in eine Eizelle. Foto: Roger Abdelmassih

Auch die Versuche, künstlicher Befruchtung wurde schwierig. Die Samenqualität ist so schlecht, dass die Samen selbst in der Retorte nicht in die Eizellen eindringen konnten. So war eine Übertragung der Kerne in die Eizellen notwendig. Auf diese Weise konnten sie sieben von zehn Eizellen erfolgreich befruchten. Ob sich aus den befruchteten Eizellen auch Embryonen entwickeln, ist ungewiss.
Wenn Embryonen entstehen, kann man sie auch Kühen des nahe verwandten Südlichen Breitmaulnashorns implantieren. Das Verfahren ist bei anderen Arten erprobt und funktioniert routiniert.

Und was, wenn nicht?

Für den Fall, dass die erprobten Methoden nicht funktionieren, haben die Wissenschaftler noch einen letzten Plan in der Hinterhand. Das Tean um Cesare Galli von dem Labor Avantea in Cremona in Italien arbeitet an einer Stammzelltechnik. Sie versuchen, erhaltene Körperzellen auf den Status „Stammzelle“ zurück zu programmieren, um sie dann in Ei- und Spermazellen zu differenzieren. Damit könnte man dann die genetische Vielfalt schaffen, die für eine gesunde Population notwendig ist.


Ein Vorgehen, das Fragen aufwirft, viele Fragen

ein Kommentar von: Tobias Möser

Wir haben es geschafft! Aus Profitgier und Dummheit hat die Menschheit eine der ikonischsten Tier(unter)arten auszurotten. Es gibt keinen anderen Grund für ihr Verschwinden, außer dass Menschen sie abschießen, um an das Material ihres Hornes zu kommen. Wir können hier keine Umweltveränderungen, Krankheiten, auf natürliche Weise einwandernde Tiere oder einen reduzierten Genpool vorschieben: Nur die Menschheit alleine ist an dem Aussterben schuld!

Jetzt investieren wir vier Millionen Euro in diese Züchtung. Da bleibt eine einfache Rechnung: ein Kilo Nashorn, egal welcher Art, erzielt auf dem Schwarzmarkt etwa 54.000 Euro „Großhandelspreis“. Ein ausgewachsenes Nashorn trägt etwa 3 kg davon mit sich herum, es ist also etwa 162.000 Euro „wert“. Mit diesen vier Millionen könnte man also gut 25 Nashörner „finanzieren“. Mit dem 26. Nashorn würde man bereits Gewinn erzielen.

Diese Überlegung ist böse, zugegeben. Doch so lange der Schwarzmarkt für das Horn noch existiert, werden sogar Zootiere in ihren Gehegen erschossen, selbst in Museen wird für das Horn eingebrochen. In dieser Situation wird kein Nashorn wirklich frei als Teil der Natur leben können. Wir schaffen also gut zu bewachende Zootiere.

Nur Zootiere?

Dermoplastik eines Riesenalkes
Dermoplastik eines Riesenalkes, Museum Braunschweig

Zootiere schaffen wir noch aus einem anderen Grund. Die genetische Basis ist sehr gering. Die Keimzellen stammen nur von vier Tieren, von denen eines der Vater von mindestens einem der Weibchen ist. Diese Basis reicht nicht aus, um eine gesunde Population zu bilden. Spätestens nach drei Generationen ist ein Inzuchtkoeffizient erreicht, der die Gesundheit der Tiere gefährdet. Missbildungen sind möglich. Bedrohlicher, aber weniger auffällig sind genetische Defekte, die in einer gesunden Population nicht auffallen würden, früher oder später aber homozygot auftreten.

Bei einer Basis von vier Tieren kann man das Aussterben der Art also nur um 20 bis 60 Jahre verzögern.

DNA oder Genome? Genome!

Eine wirkliche Chance für die Wiederherstellung des Nördlichen Breitmaulnashorns sehe ich nicht. Die wenigen Tiere, die in einem solchen Projekt entstehen können, können selbst unter optimalen Umständen – keine Jagd, keine Lebensraumvernichtung mehr – die ökologische Funktion der Art nicht übernehmen. Selbst wenn aus 10 Museumsexemplaren weitere Keimzellen produziert werden könnten (was noch nicht fest steht), reicht auch hier eine Basis nicht aus.

Bisher ist die Gewinnung von Keimzellen aus Körperzellen noch nicht etabliert, um es vorsichtig auszudrücken. Wie das mit Zellen aus konserviertem Museumsmaterial funktionieren soll, ist eine weitere Frage. DNA ist zwar sehr stabil, unter geeigneten Umständen – und die sind in Museumssammlungen durchaus vorhanden – kann sie über hunderte Jahre überdauern. Genauer gesagt: sie ist chemisch so stabil, dass Teile des Genoms sequenziert werden können. Für eine Keimzelle wird aber ein vollständiges, funktionelles Genom benötigt. Die Frage ist, wie es die Konservierung bei Bälgen, Dermoplastiken, Feucht- und Trockenpräparaten „überlebt“.

Bildlich gesprochen könnte man hier folgenden Vergleich aufstellen: Das, was an DNA aus alten Präparaten sequenziert wird, entspricht einzelnen Textsequenzen eines geschredderten Buches, dessen Schnipsel einige brutale Behandlungen über sich ergehen lassen mussten. Im Vergleich dazu besteht ein Genom aus dem vollständigen, noch gebundenen Buch.

Zootiere, wozu?

Betrachtet man die Aktion aus einem anderen Blickwinkel, erscheint sie sinnvoller. Hier könnten weitere ausgestorbene Tiere erzeugt werden, beispielsweise die Wandertaube, der Carolina-Sittich oder der Beutelwolf. Sogar der Riesenalk, Quagga und Dodo kommen in Reichweite. Ziel kann nie eine ökologisch funktionierende Population sein, sondern eine Gruppe von Zootieren.

Kolorierte Zeichnung eines Dodos und eines Meerschweinchens
Die berühmte Zeichnung „The Dodo and the Guiney Pig“ von George Edwards. Stimmen die Propotionen des Vogels?

Doch wozu der Aufwand für ein paar Zootiere? Wir würden eine Art Jurassic Park schaffen, aber mit Tieren, die im Anthropozän ausgestorben sind: Fancy Animals werden sie auf englisch genannt.
Neben dem Show-Effekt kann man diese Tiere studieren. Die Hardware, also Anatomie und Morphologie zahlreicher, auch neuzeitlich ausgestorbener Tiere ist oft bekannt. Doch selbst bei angeblich relativ gut dokumentierten Tieren, wie dem Dodo ist ein natürlicher Habitus unbekannt: alle Abbildungen zeigen vermutlich mit Schiffszwieback fett gemästete Tiere. Das Verhalten, die Software, ist weitgehend unbekannt.

Einige Verhaltensweisen sind genetisch fixiert, auch diese würde man dann bei solchen Tieren feststellen. Beim vor etwa 80 Jahren ausgestorbenen Beutelwolf weiß man nur, wie er sich langsam fortbewegte. Einzelberichte zeugen von Hüpfen, wie bei den verwandten Kängurus. Stimmt das? Beschleunigte er so vielleicht?
Eine festgeschriebene Software könnte so studieren, aber die freien Anteile fehlen: Alles das, was die Tiere an Traditionen hatten, die sie von ihren Eltern bzw. der Mutter lernen, ist mit dem Aussterben verschwunden. Großkatzen müssen den Tötungsbiss abgucken, Bären lernen, wie man Fische fängt. Viele Pflanzenfresser lernen durch Nachahmen, welche Pflanzen fressbar sind und welche nicht.

Kann man solche Tiere aussetzen? Ist es vertretbar, Tiere in die Umwelt zu entlassen, von denen man annehmen muss, dass ihnen zum Überleben Wissen fehlt? Es passiert täglich tausendfach, mit Besatzfischen, für die Jagd gezüchteten Fasanen und anderen Tieren. Passiert das im Rahmen der Forschung, hat man wenigstens die Chance und die Möglichkeit, verhungernde Tiere wieder einzufangen. Aber man hat auch die Chance zu sehen, wie sie auf ihre Umwelt, Artgenossen und Konkurrenten reagieren.

Ein ökologischer Ersatz sind sie nicht (mehr), selbst wenn man sie in großer Zahl nachziehen könnte: Die Umwelt hat sich ohne diese Arten verändert.

(k)ein Platz mehr in der Umwelt?

Kakapo-Portrait von Kimberley Collins
Der Kakapo ist mittlerweile ein solches Fancy-Animal geworden. In den allermeisten Teilen seines Verbreitungsgebietes ausgestorben und nur noch mit Hilfe überlebensfähig.
Foto: Kimberley Collins, auf Dusky Island

Auf Tasmanien fehlt der Apex-Predator, Beutelteufel und vielleicht Füchse nehmen seine Funktion zum Teil ein. In Nordamerika fehlt ein Zugvogel, der zu zig Millionen den Kontinent besiedelt hat. Von so einem Vogel hängen Fressfeinde ab, aber auch Pflanzen, die er verbreitet, Zugwege, die er düngt, und so vieles mehr. Fehlt er, verschiebt sich die Baumgesellschaft in den Wäldern, die Pflanzenzusammensetzung der Plains, die Zahl der Räuber.

Die so gezüchteten Tiere wären Fancy Animals, Liebhaber-Tiere. Mit ihrem (langsamen) Aussterben haben andere Tiere Teile ihrer ökologischen Funktion übernommen. Teilweise hat die Umwelt durch andere Anpassungen reagiert:

Ein großer Pflanzenfresser wie das Nördliche Breitmaulnashorn ist ökologisch nicht einfach durch andere, kleinere Pflanzenfresser ersetzbar. Fehlt es, können diese zwar die frei werdende Biomasse fressen, vielleicht nimmt sogar ihre Zahl zu. Aber die Auswirkungen sind nicht dieselben. Wie viele Pflanzenarten sind auf die kurze Beweidung angewiesen. Was ist mit Pflanzen, die Zebras oder Schwarzbüffel stehen lassen würden? Wie viele Pflanzen sind auf die Verbreitung mit dem Kot von Nashörnern angewiesen, weil die Verdauungssysteme anderer Pflanzenfresser die Samen anders behandelt? Fehlt ein Knoten, verändert sich das Netzwerk. Wir merken es kaum, weil es zu langsam geht – und weil wir selbst wesentlich größere Umweltveränderungen verursachen.

Lektion gelernt?

Würden die Schafzüchter heute Beutelwölfe auf Tasmanien dulden? Könnten nordamerikanische Farmer damit leben, wenn 10 Millionen Wandertauben auf ihren Feldern Weizen fressen? Ist in 20 Jahren in Afrika überhaupt noch Platz für Nashörner?

Einmal ausgerottet bleibt ausgerottet, selbst wenn dann einige Fancy-Animals in den Zoos etwas anderes suggerieren würden. Vielleicht ist das die Lektion, die die Menschheit aus der Sache lernen kann…

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.