Die Ozeanien-Ausstellung des Berliner Völkerkundemuseum beherbergte einige äußerst merkwürdige Schweinekiefer. Schweine spielen in den ozeanischen Kulturen oft eine wichtige soziale und kulturelle Rolle, und gehören zum wertvollsten, was eine Familie besitzen kann. Manchmal werden sogar noch heute Ferkel von Frauen gestillt, was gut erkennen läßt, was für einen hohen Wert diese Tiere in dieser Kultur haben. Außerdem sind sie neben Hunden die einzigen wirklich domestizierten Tiere, die ursprünglich in diesen Gebieten gehalten wurden.
Dabei ist nicht nur das Fleisch für die Eingeborenen von Interesse, sondern auch die Zähne der Eber, da diese vielfach zu repräsentativen Schmuckelementen verarbeitet werden. Teilweise werden aber auch ganze Schädel oder aber Unterkiefer zu, möglicherweise rituellen, Zwecken behalten. Einige solcher Schweineschädel und -kiefer mit deutlichen Zahnanomalien gab es auch in der Ozeanienausstellung des Berliner Völkerkundemuseums zu sehen.
Der Beschriftung nach soll an ihnen nichts Ungewöhnliches sein, aber das ist keineswegs der Fall. Hausschweine entwickeln oftmals ziemlich massive Kiefer- und Zahnanomalien mit bizarren Ausformungen. Allerdings handelt es sich dabei primär um die oftmals sehr kurzköpfigen Rassen, die größtenteils erst in den letzten 150 Jahren gezüchtet wurden. Diese kuriosen Fundstücke aus Ozeanien repräsentieren jedoch noch recht ursprüngliche und langschnäuzige Schläge. Was aber auffällt, sind die extrem großen und bogenförmig gebogenen unteren Eckzähne, so wie man es bei ozanischen Keilern oft findet:
Zahnanomalien sind ein schmerzliches Schicksal
Die Eckzähne dieses Ebers sind so weit gewachsen, dass sie durch die Haut wieder in den Knochen eingedrungen sind. Wie das noch zu Lebzeiten ausgesehen hat, läßt sich bei dem blanken Kiefer natürlich nicht mehr genau sagen. Mit Sicherheit war diese Zahnanomalie aber extrem unangenehm. Wie man sieht, ist um den Zahn herum der Knochen großflächig abgebaut. Wird auf einen Knochen Druck ausgeübt, bildet er sich an der entsprechenden Stelle zurück. Umgekehrt wird bei Zug das Wachstum angeregt, was man sich ja auch in der Kieferorthopädie zu Nutze macht, um Zähne zu verrücken. In diesem Fall kamen wahrscheinlich auch noch Entzündungen dazu, da an dem Zahn entlang natürlich auch Keime ins Gewebe eindringen konnten.
Bei dem kuriosen Fundstück lässt sich auch erkennen, dass auf der linken Seite des Kiefers mehrere Zähne fehlen. Hier ist der Eckzahn in den Kiefer gewachsen. An der anderen Seite scheint er an den Wurzeln knapp vorbei gewachsen zu sein. Wahrscheinlich gab es durch den eingewachsenen “Fremdkörper” eine entzündliche Reaktion im Bereich der Wurzeln, die dann möglicherweise zu einer apikalen Parodontitis (bakterielle Entzündung) geführt hat. Dabei sind die Zähne erst abgestorben, und später hat sich der Zahnhalteapperat zurückgebildet, bis die betroffenen Prämolaren und Molaren dann ausfielen.
Tödliche Erlösung
Dieses Fundstück zeigt einen anderen Eber, dem dieses schmerzliche Schicksal gerade noch einmal verschont geblieben ist. Die Eckzähne sind nicht wieder in den Kiefer gewachsen. Hätte er allerdings noch einige Jahre weiter gelebt, so wäre ihm wohl das gleiche Schicksal zuteil geworden.
Bizarrer Extremfall
Was im Extremfall passieren kann, wenn ein solcher Zahn immer weiter wächst, sieht man auf dem nächsten Bild. Der Zahn hat beinahe einen perfekten Kreis gebildet, und wächst schon beinahe in die eigene offene Wurzel hinein. Man sieht übrigens auch recht schön, dass es bei der Bildung der Zahnhartsubstanz zu Wachstumsstreifen kommt. In menschlichen Zähnen gibt es das auch, allerdings sieht man es da weit weniger gut.
Unnatürliche Selektion?
Die Frage ist jetzt natürlich, warum habe diese Schweine solche bizarren Ausbildungen der Zähne entwickeln konnten. Als eine Erklärung für diese kuriosen Funstücke aus Ozeanien bietet sich zuerst eine – zumindest unbewusste – Züchtung an. Es kann sein, dass man Eber mit stark gekrümmten Eckzähnen bervorzugt hat. Denn die Zähne der Schweine wurden als Schmuck verwendet, zum Beispiel durch die durchbohrte Nasenscheidewand gesteckt, wie folgende Maske zeigt:
Spätere Recherche
Im Zuge einer nachfolgenden Recherche kam heraus, dass komplette Schädel von Ebern aus Ozeanien (etwa Vanuatu) tatsächlich keine oberen Eckzähne aufweisen. Wie eine weitere Nachforschung schließlich ergeben hat, werden bei den ozeanischen Ebern in jungem Alter die oberen Eckzähne entfernt, außerdem werden sie kastriert. Sie werden dann festgebunden (vielleicht um die Gefahr von Zahnfrakturen zu verringern) und auch gezielt mit weichem Futter gefüttert um die verringerte Kauleistung auszugleichen. Auf diese Art werden sie dann etwa vier Jahre lang gehalten und ihre Zahnanomalien „kultiviert“.
Allerdings zeigen sich ähnliche Fälle immer wieder auch bei anderen Schweinen, besonders oft etwa öfter bei Hängebauchschweinen und verwandten Sorten (ein Beispiel sieht man unten auf dem Bild).
Ähnlich lange und teilweise auch in den Kieferknochen eingewachsene untere Eckzähne sind gelegentlich sowohl bei amerikanischen „Wildschweinen“, also auch bei anderen Hausschweinen in menschlicher Haltung zu sehen. In diesen Fällen hatte aber eine Zahnfehlstellung dazu geführt dass sich die oberen und unteren Eckzähne nicht aneinander abradieren. Hier sieht man noch mal als Beispiel das komplette Eckzahnset eines Wildschweins mit einem unnatürlich langen linken unteren Eckzahn, der ganz offensichtlich mit dem oberen linken Eckzahn nicht entlang schliff.