ZiegenbockEin Ziegenbock
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Schiegen gibt es eigentlich gar nicht

Grundsätzlich gilt: Schafe und Ziegen kreuzen sich untereinander nicht. Wäre es so, hätten viele der vorderorientalischen Hirtenvölker sie in ihren Erzählungen (die u.a. eine Grundlage der Bibel und ihrer Nebenbücher lieferten) erwähnt. Wäre die Produktion von Schiegen wirtschaftlich sinnvoll, würde es regelmäßig passieren, wäre sie nicht sinnvoll oder gar schädlich, hätte sich in 4000 Jahren ein entsprechendes Tabu entwickelt. Dass in so langer Zeit Schafe und Ziegen gemeinsam gehalten werden, ist bereits ein mehr als deutlicher Hinweis darauf, dass Schiegen extrem selten sind.

Es ist nicht so, dass interspezifische Paarungen nicht stattfinden. Betrachtet man Mutterschaf- bzw. Mutterziege als Black Box, führen sie zu nichts, lebende Jungtiere sind extreme Sonderfälle. Schaut man jedoch in die Black Box hinein, sieht die Sache anders aus. Tierärzte um T. Punsmann haben 2020 die Literatur durchforstet.

Schiege
Das war die einzige Schiege, von der ich kostenlose Fotos bekommen habe. 2014, Luzon, Philippinen von Judgefloro, CC-BY-SA 4.0

 

Schaf-Widder x Ziege – Hybride

Bei dieser Paarung kommt es regelmäßig zu einer Trächtigkeit des Schafes. Die Fertilitätsrate liegt sogar bei über 70%. In der Regel ist der Embryo jedoch nicht lebensfähig und / oder wird nach einigen Wochen von der Mutterziege abgestoßen.

In seltenen Fällen kommen Jungtiere lebend zur Welt. Wir haben in der Literatur drei Schiegen dieser Kreuzung gefunden.

Ziegenbock x Schaf – Hybride

Bei dieser Paarung kommt es nicht zu einer erfolgreichen Trächtigkeit der Ziege. Wissenschaftler (Kelk et al. 1997) vermuten, dass der Genitaltrakt von weiblichen Schafen die Ziegen-Spermien nicht aufnehmen kann, die genauen Mechanismen sind jedoch nicht bekannt.

Abweichend zu der Einschätzung von Kelk und von Punsmann haben wir zwei Fälle in der Literatur gefunden. Der aktuelle Fall ist mindestens der dritte.

 

Keine Schiege
Du darfst noch so nett gucken, du bist keine Schiege, sondern ein ziemlich normales Schaf

 

Liste der (uns) bekannten Schiegen mit Literaturnachweis

Nr. Jahr Ort Vater Mutter Anmerkung Literatur
1 1995 Botswana Widder Ziege gesundes männliches Jungtier mit 57 Chromosomen, wog nach 5 Jahren 93 kg, vermutlich mehr, als die Elterntiere zusammen. Mine et al, 2000
2 1988 Frankreich Widder Ziege gesundes weibliches Jungtier, wurde mit Widder fruchtbar gekreuzt. Tucker et al, 1989
3 2014 Göttingen Ziegenbock Schaf in Göttingen geboren Pauciullo et al.
4 2014 Ballymore-Eustace, Irland Ziegenbock Schaf in Ballymore-Eustace in Irland geboren, überlebte bis mindestens April 2022
5 2018 Mayo County, Irland Widder Ziege Zwillinge in Mayo County, Irland RTE
6 2020 Tábor, Tschech. Rep. Widder Ziege Weibliches Junge, zunächst kränklich
7 2021 Kentucky, USA Widder Ziege Weibliches Junge, es gab Schwierigkeiten bei der Trächtigkeit, Kariotyp 57,XX Sanderson
8 2024 Glücksburg, D. Ziegenbock Schaf aktueller Fall: männliches Jungtier Flumo, noch nicht 100%ig sicher Schiege Spektrum

 

Ziegenbock
Ein Ziegenbock

 

Die Chromosomen stören nicht

Schafe haben 54 Chromosomen, Ziegen deren 60. Das ist zunächst einmal eine Auskunft, die man unter „schön zu hören, leider kein alltagstaugliches Wissen“ abspeichern kann. Sie wird erst dann interessant, wenn man die Tiere kreuzen und eine befruchtete Eizelle vermehren möchte. Bei der für das Wachstum notwendigen Zellteilung werden beide Sätze einander entsprechender Chromosomen gruppiert und gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt. Hat wie in diesem Fall ein Chromosom keine Entsprechung (weil das eine Elternteil sein Genom anders aufteilt), geht das häufig schief. Überlebende Hybriden haben einen Modus „entwickelt“, der in diesem Fall mehrere Ziegen-Chromosomen als Entsprechung eines einzelnen Schaf-Chromosoms zu behandeln.
Thomas Bunch et al. haben das vor fast 50 Jahren untersucht.

Dickhornschaf
Im Gegensatz dazu ein Dickhornschaf

 

Wieso ausgerechnet jetzt?

Es ging durch die Massenmedien, nahezu jedes größere Nachrichtenportal berichtete davon. Auf einem Resthof bei Glücksburg, an der dänischen Grenze ist eine Schiege auf die Welt gekommen. Das „Flumo“ genannte Jungtier ist mutmaßlich ein Hybrid aus Ziegenbock und Mutterschaf. Der Hofbetreiber ist sich sicher, dass nur Ziegenbock Rune als Vater in Frage kommt, zumal der einzige Schafbock auf dem Hof dunkles Fell hat, während Flumo weiß wie seine Mutter ist und kleine milchkaffeebraune Abzeichen trägt, an ähnlichen Stellen wie Ziegenbock Rune. Auch der Rest von Flumo ist, genau wie die anderen dokumentierten Schiegen, ein Mosaik aus Merkmalen beider Elterntiere. Laut Betreiber hört man das auch, wenn Flumo sich meldet. Ob er blökt oder meckert, weiß er er wohl selber nicht so genau.

Übrigens: Flumo hat seinen Namen, da er während des „Flugmodus“-Techno-Festivals auf dem Gelände geboren wurde.

 

100%ig sicher ist es noch nicht, dass es sich bei dem Tier um eine Schiege handelt.

Eine Genanalyse gibt es noch nicht, es ist auch eine Kostenfrage.

Lämmer
Drei Lämmer – natürlich Schafe

 

Schiegen in der Literatur

Wie bereits oben erwähnt, findet man in der klassischen Literatur über Schiegen – gar nichts. In älterer wissenschaftlicher Literatur werden sie erwähnt, unter anderem A.P. Gray 1954 und 1972, finden in der Biologie und Tierzucht kaum Aufmerksamkeit. Sucht man in den einschlägigen wissenschaftlichen Suchmaschinen nach den Begriffen „Schiege“ und „geep“, findet man nur wenige Artikel, die sich mit der Biologie der Tiere befassen – und noch weniger Schiegen selbst.

 

Erst als die erste andere Schiege geschaffen wurde …

 

Die andere Schiege

Wissenschaftler und Züchter schaffen bereits seit vielen Jahren „Chimären“, in dem sie Zellen oder gar Gewebe von zwei unterschiedlichen Tieren vermischen. In der Botanik ist dies die Regel und kann im eigenen Garten nachvollzogen werden, dort heißt der Vorgang „pfropfen“. Dabei werden robusten, rustikalen Wurzeln „Edelreiser“ einer gewünschten Sorte aufgepfropft, man kann so die Wuchstüchtigkeit oder Schädlingsresistenz der robusten Variante mit dem gewünschten Wuchs oder den Früchten der Edelvariante kombinieren. Bei zahlreichen mehrjährigen Nutzpflanzen (Obstbäume, Wein) und vielen Bäumen (Baumschule) wird das routinemäßig eingesetzt.

Von der Öffentlichkeit ziemlich unbeachtet, wurden schon 1984 sechs Schaf-Ziegen-Chimäre geschaffen. Am Institute of Animal Physiology in Cambridge, England wurden Embryonen von Schaf und Ziege kombiniert. Diese Individuen bestanden tatsächlich aus einem Mosaik von Schaf- und Ziegenzellen, die Medien fanden es damals cool, dass sie vier Eltern hat. Tatsächlich zeigte sich bei den Tieren nicht nur ein Mosaik aus Merkmalen, sondern auch ein Mosaik aus Merkmalsverteilungen, z.B. hatten einige Tiere an einer Stelle Schaf- und an einer anderen Stelle Ziegenfell.

Eine wirkliche Funktion hat diese Schiege nie gehabt.

 

Die Möglichkeiten, auch mit anderen Arten, bis hin zum Menschen solche Chimären zu schaffen, riefen zahlreiche Philosophen, Mahner und Warner und nicht zuletzt auch die Parlamente auf den Plan. Tatsächlich wurden in China 2021 Chimären geschaffen, in dem man pluripotente, menschliche Stammzellen in Blastocysten von Javaneraffen einbrachte. Die Embryonen überlebten 19 Tage in einer Nährlösung, bevor das Experiment abgebrochen wurde. Die Redaktion kann keinen rationalen Grund finden der über die Demonstration des Machbaren hinaus geht, solche Chimären zu züchten.

Anders als beim Klon-Schaf Dolly ist über den Verbleib der Schaf-Ziege-Chimäre von 1984 nichts bekannt.

 

Immer noch keine Schiege
Wer bis hier durchgehalten hat, wird mit diesem Bild eines Zickleins belohnt.

 


Literatur

Mine et al.: Sheep-goat hybrid born under natural conditions; Small Ruminant Research, Volume 37, Issues 1–2, 2000, Pages 141-145, ISSN 0921-4488,
https://doi.org/10.1016/S0921-4488(99)00146-7.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0921448899001467

Tucker et al.: Blood genetic marker studies of a sheep-goat hybrid and its back-cross offspring; Animal Genetics, Volume 20, Issue 3, 2989, Pages 179-186
https://doi.org/10.1111/j.1365-2052.1989.tb00855.x
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2052.1989.tb00855.x

RTE: Mayo farm welcomes unusual arrival of twin geep; RTE-News vom 3. August 2018
https://www.rte.ie/news/connacht/2018/0403/951871-geep/

Sanderson, R.: Spring Rose the Geep: A Goat-Sheep Hybrid; goat Journal vom 22. Juni 2022
https://goatjournal.iamcountryside.com/goat-breeds/geep-goat-sheep-hybrid/

Gray, Annie P.: Mammalian hybrids. A check-list with bibliography., 1954 oder 1972
DOI:10.1016/s0950-5601(54)80040-2
https://www.semanticscholar.org/paper/Mammalian-hybrids%3A-A-check-list-with-bibliography%2C-Gray/dfb1a0f55522910a7168b57d3a0298e1b50c51c6

Thomas D. Bunch, Warren C. Foote, J. Juan Spillett, Sheep-goat hybrid karyotypes, Theriogenology, Volume 6, Issue 4, 1976, Pages 379-385, ISSN 0093-691X,
https://doi.org/10.1016/0093-691X(76)90104-7.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/0093691X76901047

Pauciullo A, Knorr C, Perucatti A, Iannuzzi A, Iannuzzi L, Erhardt G. Characterization of a very rare case of living ewe-buck hybrid using classical and molecular cytogenetics. Sci Rep. 2016 Oct 4;6:34781. doi: 10.1038/srep34781. PMID: 27698378; PMCID: PMC5048133.

Lutz, Jaime (8 April 2014). „Meet the Geep, a Goat-Sheep Hybrid Born in Ireland„. ABC News. Retrieved 12 April 2022.

Kelk DA, Gartley CJ, Buckrell BC, King WA (1997): The interbreeding of sheep and goats. Can Vet J 38: 235. (pdf download hinter Paywall)

https://en.wikipedia.org/wiki/Sheep%E2%80%93goat_hybrid

Tao Tan, Jun Wu, Chenyang Si, Shaoxing Dai, Youyue Zhang, Nianqin Sun, E Zhang, Honglian Shao, Wei Si, Pengpeng Yang, Hong Wang, Zhenzhen Chen, Ran Zhu, Yu Kang, Reyna Hernandez-Benitez, Llanos Martinez Martinez, Estrella Nuñez Delicado, W. Travis Berggren, May Schwarz, Zongyong Ai, Tianqing Li, Concepcion Rodriguez Esteban, Weizhi Ji, Yuyu Niu, Juan Carlos Izpisua Belmonte: Chimeric contribution of human extended pluripotent stem cells to monkey embryos ex vivo. In: Cell. 148. Jahrgang, Nr. 8, 15. April 2021, S. 2020–2032.e14, doi:10.1016/j.cell.2021.03.020 (sciencedirect.com).

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.