Schiegen gibt es eigentlich gar nicht
Schafe und Ziegen wurden vor über 7000 Jahren im vorderen Orient domestiziert. Sie bildeten die Lebensgrundlage zahlreicher Hirtenvölker und tun dies auch heute noch, wenn auch in geringerem Umfang. Dabei werden sie oft in gemeinsamen Herden gehalten, ohne dass Schiegengeburten bemerkt wurden.
Wäre es so, hätten viele der vorderorientalischen Hirtenvölker sie in ihren Erzählungen erwähnt, die über 5000 Jahre Erfahrung mit der Haltung dieser Tiere einschließen. Einige von ihnen sind als Volkserzählungen überliefert, andere sind in heilige Bücher wie das alte Testament der Bibel und Sammlungen jüdischer heiliger Schriften wie den Tanachund die Septuaginta eingeflossen. Schiegen werden nicht erwähnt.
Wäre die Produktion von Schiegen wirtschaftlich sinnvoll, würde sie regelmäßig passieren, wäre sie nicht sinnvoll oder gar schädlich, hätte sich in tausenden Jahren ein entsprechendes Tabu entwickelt. Dass in so langer Zeit Schafe und Ziegen gemeinsam gehalten werden, ist bereits ein mehr als deutlicher Hinweis darauf, dass Schiegen extrem selten sind.
Es ist nicht so, dass interspezifische Paarungen nicht stattfinden. Betrachtet man Mutterschaf- bzw. Mutterziege als Black Box, führen sie zu nichts, lebende Jungtiere sind extreme Sonderfälle. Schaut man jedoch in die Black Box hinein, sieht die Sache anders aus. Tierärzte um T. Punsmann haben 2020 die Literatur durchforstet.
Schaf-Widder x Ziege – Hybride
Bei dieser Paarung kommt es regelmäßig zu einer Trächtigkeit des Schafes. Die Fertilitätsrate liegt sogar bei über 70%. In der Regel ist der Embryo jedoch nicht lebensfähig und / oder wird nach einigen Wochen von der Mutterziege abgestoßen.
In seltenen Fällen kommen Jungtiere lebend zur Welt. Wir haben in der Literatur drei Schiegen dieser Kreuzung gefunden.
Ziegenbock x Schaf – Hybride
Bei dieser Paarung kommt es nicht zu einer erfolgreichen Trächtigkeit der Ziege. Wissenschaftler (Kelk et al. 1997) vermuten, dass der Genitaltrakt von weiblichen Schafen die Ziegen-Spermien nicht aufnehmen kann, die genauen Mechanismen sind jedoch nicht bekannt.
Abweichend zu der Einschätzung von Kelk und von Punsmann haben wir zwei Fälle in der Literatur gefunden. Der aktuelle Fall könnte also mindestens der dritte sein.
Liste der (uns) bekannten Schiegen mit Literaturnachweis
Nr. | Jahr | Ort | Vater | Mutter | Anmerkung | Literatur |
1 | 1995 | Botswana | Widder | Ziege | gesundes männliches Jungtier mit 57 Chromosomen, wog nach 5 Jahren 93 kg, vermutlich mehr, als die Elterntiere zusammen. | Mine et al, 2000 |
2 | 1988 | Frankreich | Widder | Ziege | gesundes weibliches Jungtier, wurde mit Widder fruchtbar gekreuzt. | Tucker et al, 1989 |
3 | 2014 | Göttingen | Ziegenbock | Schaf | in Göttingen geboren, vor 2024 verstorben. | Pauciullo et al. |
4 | 2014 | Ballymore-Eustace, Irland | Ziegenbock | Schaf | in Ballymore-Eustace in Irland geboren, überlebte bis mindestens April 2022 | |
5 | 2018 | Mayo County, Irland | Widder | Ziege | Zwillinge in Mayo County, Irland | RTE |
6 | 2020 | Tábor, Tschech. Rep. | Widder | Ziege | Weibliches Junge, zunächst kränklich | |
7 | 2021 | Kentucky, USA | Widder | Ziege | Weibliches Junge, es gab Schwierigkeiten bei der Trächtigkeit, Kariotyp 57,XX | Sanderson |
8 | 2024 | Glücksburg, D. | Ziegenbock | Schaf | aktueller Fall: männliches Jungtier Flumo, noch nicht 100%ig sicher Schiege | Spektrum |
Die Chromosomen stören nicht
Schafe haben 54 Chromosomen, Ziegen deren 60. Das ist zunächst einmal eine Auskunft, die man unter „schön zu hören, leider kein alltagstaugliches Wissen“ abspeichern kann. Sie wird erst dann interessant, wenn man die Tiere kreuzen und eine befruchtete Eizelle vermehren möchte. Bei der für das Wachstum notwendigen Zellteilung werden beide Sätze einander entsprechender Chromosomen gruppiert und gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt. Hat wie in diesem Fall ein Chromosom keine Entsprechung (weil das eine Elternteil sein Genom anders aufteilt), geht das häufig schief. Überlebende Hybriden haben einen Modus „entwickelt“, der in diesem Fall mehrere Ziegen-Chromosomen als Entsprechung eines einzelnen Schaf-Chromosoms zu behandeln.
Thomas Bunch et al. haben das vor fast 50 Jahren untersucht.
Wieso ausgerechnet jetzt?
Es ging durch die Massenmedien, nahezu jedes größere Nachrichtenportal berichtete davon. Auf einem Resthof bei Glücksburg, an der dänischen Grenze ist eine Schiege auf die Welt gekommen. Das „Flumo“ genannte Jungtier ist mutmaßlich ein Hybrid aus Ziegenbock und Mutterschaf. Der Hofbetreiber ist sich sicher, dass nur Ziegenbock Rune als Vater in Frage kommt, zumal der einzige Schafbock auf dem Hof dunkles Fell hat, während Flumo weiß wie seine Mutter ist und kleine milchkaffeebraune Abzeichen trägt, an ähnlichen Stellen wie Ziegenbock Rune. Auch der Rest von Flumo ist, genau wie die anderen dokumentierten Schiegen, ein Mosaik aus Merkmalen beider Elterntiere. Laut Betreiber hört man das auch, wenn Flumo sich meldet. Ob er blökt oder meckert, weiß er er wohl selber nicht so genau.
Übrigens: Flumo hat seinen Namen, da er während des „Flugmodus“-Techno-Festivals auf dem Gelände geboren wurde.
100%ig sicher ist es noch nicht, dass es sich bei dem Tier um eine Schiege handelt.
Eine Genanalyse gibt es noch nicht, es ist auch eine Kostenfrage.
Nachtrag am 1.10.2024
Dr. Clemens Falker-Gieske von der Abteilung „Functional Breeding“ der Uni Göttingen hat eine DNA-Analyse von Flumo durchgeführt. Das Ergebnis war eindeutig: Flumo ist keine Schiege, sondern ein (mehr oder weniger) normales Schaf. Hier geht es zu einem etwas ausführlicheren Beitrag.
Schiegen in der Literatur
Wie bereits oben erwähnt, findet man in der klassischen Literatur über Schiegen – gar nichts. In älterer wissenschaftlicher Literatur werden sie erwähnt, unter anderem A.P. Gray 1954 und 1972, finden in der Biologie und Tierzucht kaum Aufmerksamkeit. Sucht man in den einschlägigen wissenschaftlichen Suchmaschinen nach den Begriffen „Schiege“ und „geep“, findet man nur wenige Artikel, die sich mit der Biologie der Tiere befassen – und noch weniger Schiegen selbst.
Erst als die erste andere Schiege geschaffen wurde …
Die andere Schiege
Wissenschaftler und Züchter schaffen bereits seit vielen Jahren „Chimären“, in dem sie Zellen oder gar Gewebe von zwei unterschiedlichen Tieren vermischen. In der Botanik ist dies die Regel und kann im eigenen Garten nachvollzogen werden, dort heißt der Vorgang „pfropfen“. Dabei werden robusten, rustikalen Wurzeln „Edelreiser“ einer gewünschten Sorte aufgepfropft, man kann so die Wuchstüchtigkeit oder Schädlingsresistenz der robusten Variante mit dem gewünschten Wuchs oder den Früchten der Edelvariante kombinieren. Bei zahlreichen mehrjährigen Nutzpflanzen (Obstbäume, Wein) und vielen Bäumen (Baumschule) wird das routinemäßig eingesetzt.
Von der Öffentlichkeit ziemlich unbeachtet, wurden schon 1984 sechs Schaf-Ziegen-Chimäre geschaffen. Am Institute of Animal Physiology in Cambridge, England wurden Embryonen von Schaf und Ziege kombiniert. Diese Individuen bestanden tatsächlich aus einem Mosaik von Schaf- und Ziegenzellen. Die Medien fanden es damals cool, dass sie vier Eltern hat. Tatsächlich zeigte sich bei den Tieren nicht nur ein Mosaik aus Merkmalen, sondern auch ein Mosaik aus Merkmalsverteilungen, z.B. hatten einige Tiere an einer Stelle Schaf- und an einer anderen Stelle Ziegenfell.
Eine wirkliche Funktion hat diese Schiege nie gehabt.
Die Möglichkeiten, auch mit anderen Arten, bis hin zum Menschen solche Chimären zu schaffen, riefen zahlreiche Philosophen, Mahner und Warner und nicht zuletzt auch die Parlamente auf den Plan. Tatsächlich wurden in China 2021 Chimären geschaffen, in dem man pluripotente, menschliche Stammzellen in Blastocysten von Javaneraffen einbrachte. Die Embryonen überlebten 19 Tage in einer Nährlösung, bevor das Experiment abgebrochen wurde.
Die Redaktion kann keinen rationalen Grund finden, der über die Demonstration des Machbaren hinaus geht, solche Chimären zu züchten.
Anders als beim Klon-Schaf Dolly ist über den Verbleib der Schaf-Ziege-Chimäre von 1984 nichts bekannt.
Literatur
Mine et al.: Sheep-goat hybrid born under natural conditions; Small Ruminant Research, Volume 37, Issues 1–2, 2000, Pages 141-145, ISSN 0921-4488,
https://doi.org/10.1016/S0921-4488(99)00146-7.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0921448899001467
Tucker et al.: Blood genetic marker studies of a sheep-goat hybrid and its back-cross offspring; Animal Genetics, Volume 20, Issue 3, 2989, Pages 179-186
https://doi.org/10.1111/j.1365-2052.1989.tb00855.x
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2052.1989.tb00855.x
RTE: Mayo farm welcomes unusual arrival of twin geep; RTE-News vom 3. August 2018
https://www.rte.ie/news/connacht/2018/0403/951871-geep/
Sanderson, R.: Spring Rose the Geep: A Goat-Sheep Hybrid; goat Journal vom 22. Juni 2022
https://goatjournal.iamcountryside.com/goat-breeds/geep-goat-sheep-hybrid/
Gray, Annie P.: Mammalian hybrids. A check-list with bibliography., 1954 oder 1972
DOI:10.1016/s0950-5601(54)80040-2
https://www.semanticscholar.org/paper/Mammalian-hybrids%3A-A-check-list-with-bibliography%2C-Gray/dfb1a0f55522910a7168b57d3a0298e1b50c51c6
Thomas D. Bunch, Warren C. Foote, J. Juan Spillett, Sheep-goat hybrid karyotypes, Theriogenology, Volume 6, Issue 4, 1976, Pages 379-385, ISSN 0093-691X,
https://doi.org/10.1016/0093-691X(76)90104-7.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/0093691X76901047
Pauciullo A, Knorr C, Perucatti A, Iannuzzi A, Iannuzzi L, Erhardt G. Characterization of a very rare case of living ewe-buck hybrid using classical and molecular cytogenetics. Sci Rep. 2016 Oct 4;6:34781. doi: 10.1038/srep34781. PMID: 27698378; PMCID: PMC5048133.
Lutz, Jaime (8 April 2014). „Meet the Geep, a Goat-Sheep Hybrid Born in Ireland„. ABC News. Retrieved 12 April 2022.
Kelk DA, Gartley CJ, Buckrell BC, King WA (1997): The interbreeding of sheep and goats. Can Vet J 38: 235. (pdf download hinter Paywall)
https://en.wikipedia.org/wiki/Sheep%E2%80%93goat_hybrid
Tao Tan, Jun Wu, Chenyang Si, Shaoxing Dai, Youyue Zhang, Nianqin Sun, E Zhang, Honglian Shao, Wei Si, Pengpeng Yang, Hong Wang, Zhenzhen Chen, Ran Zhu, Yu Kang, Reyna Hernandez-Benitez, Llanos Martinez Martinez, Estrella Nuñez Delicado, W. Travis Berggren, May Schwarz, Zongyong Ai, Tianqing Li, Concepcion Rodriguez Esteban, Weizhi Ji, Yuyu Niu, Juan Carlos Izpisua Belmonte: Chimeric contribution of human extended pluripotent stem cells to monkey embryos ex vivo. In: Cell. 148. Jahrgang, Nr. 8, 15. April 2021, S. 2020–2032.e14, doi:10.1016/j.cell.2021.03.020 (sciencedirect.com).