Ist Hahnenkrähen Kulturgut?

Wir schreiben das Jahr 2019 nach Christus. Ganze Landstriche gallischer Dörfer sind teilweise von Stadtbewohnern besiedelt, die sich nach Ruhe und Erholung vom Lärm der großen Städte sehnen. Gegen Hahnenschreie, Blöken von Schafen, Muhen von Kühen und Glockenläuten klagen sie. So geschieht es in ganz Gallien. Ganz Gallien? Nein, ein kleines, unbeugsames Dorf leistet Widerstand.

Bruno Dionis du Séjour AFP Mehdi Fedouach
Bürgermeister Bruno Dionis du Séjour gibt den widerspenstigen Gallier – Foto AFP

Anders als in den berühmten Comics, die ähnlich beginnen, handelt es sich bei dem unbeugsamen Dorf nicht um eine kleines Dorf in Aremorica. Widerstand regt sich im 400-Seelen-Dorf Gajac im Kanton Le Sud-Gironde. Der Bürgermeister des Ortes heißt auch nicht nicht Majestix, sondern Bruno Dionis du Séjour. Er wendet sich in einem offenen Brief an Anwohner „mehrheitlich städtischer Herkunft“. Mit diesem Brief möchte den Klagen über „zu viel Lärm auf dem Lande“ die Grundlage nehmen – und den Neubürgern das Landleben erklären. „Eier wachsen schließlich nicht auf Bäumen“, fügt er schmunzelnd hinzu.

Hahn Maurice ist zu früh zu laut

So verklagt in einer Nachbargemeinde ein Bewohner seinen Nachbarn, weil sein Hahn Maurice früh am Morgen laut kräht. Ebenso stört sich Dionis du Séjour an Klagen gegen Kirchenglocken: „Wer Glocken angreift, greift ein ganzes Dorf an“, so der pensionierte Landwirt empört. „Wenn ich in die Stadt fahre, verlange ich ja auch nicht, dass Ampeln und Autos entfernt werden.“

Hahnenschreie, das Muhen von Kühen, das Gebell von Hunden, den Schrei der Esel, Vogelgezwitscher und die Kirchenglocken gehören zur Kultur des Landlebens. Daher will Dionis du Séjour diese „Geräusche des Landlebens“ als nationales Kulturerbe Frankreichs schützen lassen.
Innerhalb weniger Tage hat der widerspenstige Gallier mehr als 150 Unterstützer-Mails aus ganz Frankreich erhalten. Ein Abgeordneter der Nationalversammlung hat versprochen, Dionis du Séjour zu helfen, wenn dieser einen Antrag auf Schutz der ländlichen Geräusche beim Kulturministerium stellt.

Kommentar

von Tobias Möser

Stolzierender Hahn
Hähne sind hübsch und nützlich, ohne sie funktioniert kein Hühnervolk und sie waren jahrhunderte lang der natürliche Wecker.

Geräusche von Nutz- und Wildtieren gehören seit Anbeginn der Landwirtschaft zum Landleben ebenso dazu, wie die Kirchenglocken. Dies ist nicht nur in Frankreich so, sondern in jedem anderen mitteleuropäischen Land, auch in Deutschland. Wenn diese Geräusche ins registrierte Kulturgut aufgenommen werden sollen, dann sollte sich nicht nur ein französischer Bürgermeister dafür stark machen. Das ist eine europäische Sache.

Die Initiative ist nur zu unterstützen, vielleicht mit der Einschränkung, dass sich diese Geräusche auch auf die Geräusche beschränken, die bei traditioneller Tierhaltung entstehen. Eine Mastfabrik sollte nicht als Kulturgut schützenswert sein. Vielleicht kann man auch die traditionellen Landgeräusche im Tausch gegen die tierquälerische Produktion von Enten- und Gänsestopfleber ins schützenswerte Kulturgut aufnehmen?

Die Hintergründe hierzu sind sicherlich weniger spaßig, als in dem Artikel beschrieben. Am Hahnenschrei macht sich ein kleiner Kulturkampf zwischen den traditionellen Dorfbewohnern und Städtern fest, die aus unterschiedlichen Gründen aufs Land ziehen. Auch in Frankreich steigen die Mieten in den Städten, adäquater und bezahlbarer Wohnraum ist dort knapp. Die Stadtflucht wird zusätzlich noch durch Ghettobildung und die damit verbundenen Effekte wie Drogen und Kriminalität verstärkt. So zieht es viele, vor allem wohlhabendere Städter aufs Land und in die Dörfer.

Hier entsteht ungewollt eine Art Gentrifizierung, die auf den Widerstand der Landbevölkerung trifft. Der Pendelverkehr ist ein Punkt, viel wichtiger erscheint aber, dass sich die Stadtflüchtigen nur schlecht in das gewachsene „Hilfst du mir, helfe ich dir“-System einer Dorfgemeinschaft integrieren (lassen).

Quellen:

n-tv: Französisches Dorf rebelliert – Hahnenschrei soll Kulturerbe werden

actu-fr: Excédé par les plaintes des « urbains », il veut inscrire les bruits ruraux au patrimoine de l’Unesco

Digital Journal: Noisy cockerel exposes tensions in rural France