Man schrieb das Jahr 1935 und das Geschäft für Bert Hobson war in letzter Zeit katastrophal gelaufen. Hobson war Eigentümer des Coogee-Aquariums im australischen Sydney. Das Coogee-Aquarium war kein Aquarium-Haus, wie man es heute kennt, sondern eher eine Form von Wasser-Vergnügungspark. Es gab Swimmingpools, in die ständig gefiltertes Meerwasser gepumpt wurde. So konnten die Besucher in der Meeresatmosphäre, aber ohne die Gefahren des offenen Meeres baden. Es gab ein schickes Strandcafe und eine Reihe weiterer Attraktionen.
Leider war im Vorjahr die wichtigste Attraktion in Sydneys Stadtteil Coogee abgerissen worden: Der Coogee Pier. Er bot Platz für 1400 Menschen, verfügte über einen Ballsaal, ein Restaurant und eine Penny Arcade genannte Straße voll Andenkengeschäfte. Doch diese Seebrücke als Touristenmagnet fiel nun weg. Die Tagesausflügler besuchten jetzt andere Strände der Metropole. Coogee Beach, einst ein blühender Hotspot, zog Mitte der 1930er Jahre nicht mehr den gleichen, stetigen Strom von Kunden an.
Kann man mit einem lebenden Tigerhai Geld verdienen?
Doch dann kam vermeintlich das Glück zurück. Hobson und sein Sohn Ron fingen nur 3 km vor der Küste einen etwa 3,5 m langen Tigerhai. Da das Tier trotz der Fangverletzungen in einem guten Zustand zu sein schien, beschlossen sie, es in eines der kaum genutzten Schwimmbäder zu setzen. Mit etwas PR würden schon bald Leute kommen und die Kreatur bestaunen – und natürlich Eintritt zahlen.
Der Plan funktionierte eine Woche lang relativ gut. Dann kam der 25. April, Anzac-Tag, der australische Nationalfeiertag. Hobsons Bäder waren voller neugieriger Familien, die das mächtige Tier in seiner ganzen Pracht sehen wollten. Menschen strömten in Massen den ganzen Tag hinein und heraus, um sich aus sicherer Entfernung wohlig zu gruseln. Sie aßen ihr Mittagessen in einem von Hobsons Cafés. Sie genossen den Ausblick von der Terrasse auf den offenen Pazifik, um dann in der Sicherheit eines Schwimmbades „haifrei“ zu baden. Doch gegen 16:30 Uhr legte sich der Hai plötzlich auf den Rücken. Er begann heftig zu krampfen, erbrach zunächst einen Kleinsäuger, dann einen Vogel und schließlich – nach langem Würgen – einen menschlichen Arm.
Die Menge wich zurück. Hobson tat das einzig Vernünftige, er rief schnell die Polizei an. Als sie kurze Zeit später am Coogee-Aquarium ankamen, fischte ein Officer das Glied aus dem Wasser. Von da an nahmen die Dinge ihren Lauf, ohne dass Bert Hobson noch größeren Einfluss nehmen konnte.
Wem gehört der Arm?
Bereits die erste, oberflächliche Untersuchung brachte einige Anhaltspunkte. Bei dem Arm handelte es sich um den linken Arm eines muskulösen Mannes. Er trug ein markantes Tattoo auf der Innenseite des Unterarms. Es zeigte zwei Boxer beim Sparring. Um das Handgelenk war ein Seil geknotet. Dies passte zu der späteren Feststellung des Gerichtsmediziners, dass der Arm nicht wie vermutet abgebissen, sondern abgeschnitten worden war.
Ganz klar, das war kein Hai-Unfall, her gab es ein Verbrechen.
Das Tattoo führt zu einem Opfer
Das markante Tattoo führte die Polizei schnell zum Besitzer des Arms: Jimmy Smith, 45. Er wurde schon seit dem 7. April vermisst. Sein Bruder James Smith, ein ehemaliger Kleinkrimineller erkannte ihn anhand des Tattoos, Fingerabdrücke bestätigten diese Identifizierung. Jimmy Smith war ein in England geborener Boxer, der in Gladesville lebte. Die Lokalzeitung Truth bezeichnete ihn als „ehemaligen Billardmarker im City Tattersall’s Club, als bekannten Vorort-Billard-Saloon-Keeper, ehemaligen, vielversprechenden Leichtgewicht-Boxer“, kurz als einen Mann, der scheinbar keine Feinde hatte. Die Quellen der Truth betonten, dass „Jimmy kein Feigling war, der einen einfachen Ausweg sucht“. So brauchte es nur wenig, um die Polizei davon zu überzeugen, dass er nicht der Typ Mann war, der sein Leben durch Selbstmord beendet hätte. Medien und Polizei vermuteten, dass hier ein Mord im Raum stand.
Ein illustres Mordopfer
Die Zeitung schrieb jedoch nicht, dass Smith sich mit bekannten Kriminellen traf, während er seinen Billard-Salon in Rozelle leitete und bei Tattersall arbeitete.
Er gründete in den frühen 30er Jahren ein Bauunternehmen. Dieses wurde beauftragt, einen Wohnblock für Reginald Holmes zu bauen. Bald begann er verschiedene Jobs für Holmes zu arbeiten, von denen nicht alle in den Büchern der Unternehmen auftauchten.
Reginald Holmes war Teil einer Familie von Bootsbauern, deren Tradition im Jahr 1850 begann. Sein Vater und sein Großvater waren beide erfolgreiche Bootsbauer. Reginald war diesem Beispiel gefolgt und betrieb ein florierendes Geschäft in Lavender Bay, wo er Schnellboote baute.
Seine lukrativsten Operationen waren jedoch weniger legal. Er benutzte seine Schnellboote, um Kokain-Tropfen von vorbeifahrenden Schiffen in Sydney Heads aufzusammeln. Mit diesen betrieb er in der Stadt ein florierendes Geschäft. Kokain war in den 1930ern in vielen Ländern ein legales und gängiges Medikament, das vielseitig eingesetzt wurde, aber auch großflächig Abhängigkeit erzeugte.
Holmes profitierte ebenfalls einen größeren Versicherungsbetrug aus dem Jahre 1934. Er und einige Partner hatten einen Vergnügungsdampfer namens Pathfinder gekauft, überversichert und schließlich kurz vor der Küste versenkt. Jimmy Smith war an all diesen Plänen beteiligt. Er fuhr oft mit den Schnellbooten zu den Heads, um Drogen abzuholen, und war Techniker auf der Pathfinder.
Bald tat sich das Paar mit Patrick Brady zusammen, einem ehemaligen Soldaten und aktivem Fälscher. Holmes gab Unterschriften von Freunden und Kunden an Brady weiter, der damit Schecks mit kleinen Beträgen fälschte und sie dann sowohl in Holmes‘ als auch in Smiths Geschäften eingelöste. Smith und Holmes fielen den Behörden bald wegen dieser Betrügereien auf. Er begann Holmes zu erpressen, da er wusste, dass ihn sein respektables Ansehen in Sydney zu einem leichten Ziel machte. Smith wusste, dass Holmes viel zu verlieren hatte. Was er nicht erkannte: Genau das brachte auch sein Leben in höchste Gefahr.
Smith’s letzte Nacht
Jimmy Smith verbrachte die letzte Nacht seines Lebens mit Patrick Brady. Es war ein Sonntagabend, der 7. April 1935. Die beiden spielten im Cecil Hotel in Sydney’s Stadteil Cronulla ein lautes Kartenspiel, vermutlich auch als Alibi „Ja, er war hier und ganz offensichtlich lebte er noch.“ Sie zogen bald in ein kleines Häuschen, das Brady in der Tallombi Street gemietet hatte, weniger als 2 km vom Hotel entfernt. Hier soll Smith ermordet worden sein.
Brady war ein meisterhafter Fälscher, aber ein schlampiger Mörder. Der Alibiversuch in der Öffentlichkeit schlug zurück. Angesichts des öffentlichen Charakters ihres Abends war es für die Polizei recht einfach, Smiths letzte Bewegungen zu verfolgen und ihn mit Brady zu verbinden. Die Polizei fand schnell heraus, dass Brady spät in derselben Nacht ein Taxi nahm. Mit diesem fuhr er direkt zu Holmes‘ Haus in der Bay View Street am McMahons Point.
Der Taxifahrer identifizierte Brady, nannte die genauen zwei Adressen und beschrieb den Passagier als „zerzaust“. Außerdem gab er zu Protokoll, dass Brady eindeutig etwas unter seiner Jacke versteckt habe. „Es war klar, dass er Angst hatte“, sagte er später aus.
Ohne Leiche kein Prozess
Nur drei Wochen nachdem der Tigerhai Jimmy Smiths Arm wieder erbrochen hatte, wurde Patrick Brady wegen Mordes verhaftet. Es gab nur ein Problem: Ohne Körper ist ein einziger Arm kein Beweis dafür, dass ein Mord stattgefunden hat.
Aber nach seiner Verhaftung dauerte es nicht lange, bis Brady anfing zu „singen“. Am selben Tag tauchte die Polizei in Holmes ‚Bootsschuppen in Lavender Bay auf und befragte ihn. Holmes bestritt, Brady jemals getroffen zu haben. Dennoch belastete ihn der Mord schwer.
Vier Tage später, am frühen Montagmorgen, nahm Holmes eine Brandyflasche und eine Pistole und fuhr in eine seiner Bootshütten. Er betrank sich und schoss sich mit der 0.32er Pistole in den Kopf.
Wie durch ein Wunder (oder wohl eher durch den Alkohol) streifte die Kugel nur den Schädelknochen und schlug ihn bewusstlos. Die Wucht der Kugel warf ihn einfach rückwärts ins Wasser.
Als Holmes wieder zu sich kam, stieg er wieder in eines seiner Schnellboote und machte sich auf den Weg in Richtung Sydney Harbour. Er fuhr unregelmäßig um den Circular Quay herum, unterbrach die morgendlichen Fährverbindungen und kreuzte fast vier Stunden lang um den Hafen.
Es kam zu einer mehrstündigen Verfolgungsjagd mit zwei Booten der Wasserschutzpolizei. Holmes lockte sie 2 km aufs Meer hinaus, stoppte das Boot und ergab sich.
Ein Geständnis
Reginald Holmes stellte sich selbst als Opfer einer Erpressung dar. Etwa einen Monat nach der Verfolgungsjagd gestand er Detective Sergeant Frank Matthews gegenüber, dass Patrick Brady eines Nachts spät in seinem Haus auftauchte und Smiths abgetrennten Arm hielt. Brady drohte Holmes zu erpressen, wenn er ihm nicht 500 ₤ zahlte. Er erklärte Holmes, wie er Smith getötet, seinen Körper zerstückelt und die Teile in einen Kofferraum gelegt hatte, der in die Gunnamatta Bay geworfen wurde.
Eine solche Ozeanbestattung wurde in den 20er und 30er Jahren in Kriminalitätskreisen als „Sydney Send-off“ bezeichnet. Der riesige, unbekannte Ozean, seine vielen Zugangspunkte und die in den Buchten in und um Sydney häufigen, großen Haie waren das beste Mittel zur Entsorgung einer Leiche. Den linken Arm mit seinem markanten Boxtattoo behielt er, damit das Opfer nicht identifiziert werden konnte.
Holmes gab Brady das Geld. Der ging, ließ aber den Arm in Holmes Wohnzimmer. In Panik fuhr Holmes nach Maroubra und entsorgte den Arm noch während der schützenden Dunkelheit im Meer.
Ein kleiner Hai fraß dann den Arm und wurde wiederum von einem Tigerhai gefressen.
Der zweite Tote im Hai-Arm-Fall
Neun Tage nach dem Mord haben Bert und Ron Hobson diesen Hai aus dem Meer gezogen, in einen Pool gesetzt, ausgestellt und das perfekte Verbrechen begann sich aufzulösen.
Nachdem die Polizei Holmes den Hergang darlegte, erklärte dieser sich bereit, Zeuge bei der Untersuchung von Jimmy Smiths Tod zu sein. Sie sollte am 12. Juni stattfinden. Am Abend vorher hob Holmes 500 ₤ von seinem Konto ab und sagte seiner Frau, er müsse sich mit jemandem treffen. Er war dabei sehr nervös und ließ sich von seiner Frau ins Auto begleiten.
Aber nächsten Morgen, noch bevor die Untersuchung beginnen sollte, fanden Passanten Reginald Holmes tot in seinem Auto in der Hickson Road unter der Harbour Bridge. Drei Kugeln steckten in seiner Brust. Die Öffentlichkeit spekulierte, Holmes könnte selbst einem Killer engagiert haben, ein bizarrer und gewalttätiger Selbstmordakt.
Es ist wahrscheinlicher, dass Brady den Mord angeordnet hat. Ohne Holmes als Kronzeugen fiel der Fall gegen Brady jedoch bald auseinander. Das Gericht stellte das Verfahren gegen Brady bereits in der Vorverhandlung ein, da ohne Holmes nicht genug Indizien vorlagen. Niemand wurde jemals im Hai Arm Fall angeklagt.
Bis zu seinem Tod 1965 im Alter von 76 Jahren bestritt Patrick Brady, mit dem Mord an Homes oder Smith irgend etwas zu tun zu haben.
Später stellte sich heraus, dass Jimmy Smith ein Informant der Polizei war. In dieser Funktion hatte er der Polizei Informationen über einen geplanten Bankraub zugespielt. Aufgrund seiner Aussage konnte der Bankräuber bei dem Raub verhaftet werden. Auch dieser Mann könnte den Mord in Auftrag gegeben haben.
Der Rest von Jimmy Smith’s Körpers wurde nie gefunden. Der Hai-Arm-Fall blieb so nie wirklich gelöst.
Der Hai wurde drei Tage nach dem Erbrechen des Armes getötet, da die Hobsons vermuteten, er könne noch weiteres Beweismaterial gefressen haben. Die Untersuchung des Kadavers lieferte jedoch keine weiteren Befunde.
Bedeutung des Hai-Arm-Falls
Zugegeben, der bekannte Shark Arm Case (oder Hai-Arm-Fall) hat wenig mit Kryptozoologie zu tun, sieht man einmal davon ab, dass einige Quellen aus dem Tigerhai einen bekannteren Weißen Hai machen. Auch die Größe des Haies ist unklar, je nach Quelle ist das Tier 3 m, 3,5 m, 14 ft (etwa 4,25 m) oder sogar fast 5 m lang. Die Bilder sprechen eher für einen Hai im unteren Bereich, abgesehen von der Skalierung mit Schwimmbeckenfliesen weist der Hai eine deutliche Tigerzeichnung auf. Sie verblasst normalerweise bei größeren Tieren.
Wir haben lange diskutiert, ob wir diesen Fall zu einem Beitrag machen und uns mit knapper Mehrheit dafür entschieden. Was denkt Ihr?
Unabhängig von der Kryptozoologie ist der Shark Arm Case, wie er in der englischsprachigen Literatur genannt wird, ein Klassiker der Kriminalistik. Die Identifikation von Jimmy Smith über seine Tattoos und Fingerabdrücke war in den 1930ern noch eine hochmoderne Sensation – und das „am anderen Ende der Welt“. Daher wird dieser Fall immer noch in der Kriminalistik gelehrt.
Literatur
Wikipedia-Seite zum Fall „Hai, Arm“ in Sydney
Dictionary of Sydney zum Shark Arm Case
News.co.au zum Shark Arm Case