Perucetus colossusPerucetus colossus. Wenn man bedenkt, dass von diesem Tier nur einige Wirbel, Rippen und Teile des Beckens gefunden wurden, ist dieses Bild sehr spekulativ. Abb. aus der Erstbeschreibung.
Lesedauer: etwa 4 Minuten

„Vielleicht das schwerste Tier aller Zeiten entdeckt“

Es ging groß durch die Medien: Eine internationale Forschergruppe um Eli Amson vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart hat in Peru Knochen eines fossilen Wales entdeckt. Die Überreste von Perucetus collosus sind etwa 39 Millionen Jahre alt und gehören einem Wal aus der Familie der Basilosauridae. Insgesamt wurden 13 Wirbel, vier Rippen und einige Teile des bei den Basilosauriden noch vorhandenen Beckens gefunden. Der Fund wurde in nature publiziert.

 

Perucetus colossus
Perucetus colossus. Wenn man bedenkt, dass von diesem Tier nur einige Wirbel, Rippen und Teile des Beckens gefunden wurden, ist dieses Bild sehr spekulativ. Abb. aus der Erstbeschreibung.

 

Da von Perucetus colossus „nur“ 13 Wirbel bekannt sind, kann die Gesamtlänge des Tieres nur abgeschätzt werden. Die nahe verwandten Gattungen Basilosaurus und Durodon hatten je 37 Brust- und Lendenwirbel, Pachycetus wardii einige weniger. Extrapoliert man daran die Größe von Perucetus, so kommt man auf Schätzungen zwischen 17 und 20,1 m.

Bemerkenswerter ist aber die Verdichtung der Knochen und die allgemeine Zunahme an Skelettmasse bei Perucetus. Dieses ist unter anderem bei Seekühen und bei einigen fossilen Walen der Unterfamilie Pachycetinae bekannt. Dies führt zu einem extrem schweren Skelett (bei einer angenommenen Länge von 17 bis 20 m: 5,3 – 7,6 t), dessen Gewicht möglicherweise das eines längeren Blauwals (25 m, 2,5 bis 3 t) deutlich übertraf. Die Stuttgarter Wissenschaftler mutmaßen ein Gesamtgewicht von 85 bis 340 t bei 17 bis 20 m Länge. Damit würde Perucetus den rezenten Blauwal als schwerstes aller Tiere deutlich schlagen.

 

Vielleicht aber auch nur ein riesiger Irrtum – der Realitätscheck

Die Stuttgarter und peruanischen Forscher geben eine Länge von 17 bis 20 m und ein Gewicht von 85 bis 340 t an. Diese Maße muten aufgrund der sehr geringen Zahl von Knochen, die zudem noch von einem einzelnen Individuum stammen, sehr spekulativ an. Selbst eine Länge von 17 m erscheint möglich. Aufgrund der Wirbelform, die stark von anderen Walen abweicht, bleiben erhebliche Zweifel an der Extrapolation auf Basis anderer Basilosauriden.

Zum Vergleich habe ich einige Korpulenzfaktoren (KoFa) berechnet, als Referenz sind ein paar andere Meeressäuger aufgeführt:

 

Art

Länge

Gewicht

KoFa (gerundet)

Blauwal (Balaenoptera musculus) 33,2 m 200 t 550
Pazifischer Nordkaper (Eubalaena japonica) 18,5 m 80 t 1250
Südlicher Glattwal (Eubalaena australis) 18 m 80 t 1350
Pottwal (Physeter macrocephalus), Männchen 20 m 50 t 650
Pottwal (Physeter macrocephalus), Weibchen 12 m 15 t 850
Nördlicher Entenwal (Hyperoodon ampullatus) 9,5 m 7,5 t 875
Stellers Seekuh (Hydrodamalis gigas)* 8 m 10 t 2000
Karibik-Manati (Trichechus manatus)*, M 3,8 m 1,2 t 2200
Nördlicher Seeelefant (Mirounga angustirostris), M 4,2 m 2 t 2700
Perucetus colossus, kleine Schätzung 17 m 85 t 1730
Perucetus colossus, große Schätzung 20,1 m 340 t 4200

* bei den Korpulenzfaktoren der Manatis muss berücksichtigt werden, dass sie im Vergleich zu Walen ausgesprochen massige Skelette haben. Sie dienen den Seekühen als Ballastgewicht. Ein höherer KoFa spiegelt sich hier also nicht unbedingt im Körperbau wider.

 

Damit würde Perucetus colossus selbst im optimalen Fall (17 m, 85 t) nicht nur Korpulenzfaktoren von pflanzenfressenden Seekühen erreichen. Er wäre um fast ein Viertel korpulenter als ein schon sehr dicker Südlicher Glattwal gewesen.

Abstrahiert man das Maß von P. colossus auf einen Doppelkegel von 20 m Länge und 340 m³ Volumen, hätte er an der dicksten Stelle einen Durchmesser von etwas mehr als 8 m, das entspricht etwa dem Rumpfquerschnitt eines Airbus A 380 (8,4 x 7,14 m) – auf der Länge eines kurzen Linienbusses.

 

Rational ist also eher von einem deutlich leichteren, möglicherweise auch kürzeren Perucetus auszugehen. Selbst am unteren Ende der angegebenen Skala liegt er damit im Bereich von Nördlichen und Südlichen Glattwalen – Walen, die in die Eismeere ziehen und daher einen dicken Blubber benötigen. Perucetus colossus war jedoch eine subtropische Art, die sicherlich keinen so gewaltigen Blubber benötigt hätte.

 

Die Wissenschaftler spekulieren ebenfalls über die mögliche Lebensweise und die Ernährung des Tieres. Ich halte dies für schwierig, erst weitere Funde werden wirkliche Hinweise liefern, so fehlt beispielsweise der Kopf, die Extremitäten und der Schwanz des Wales.

 

Quellen

  • Bianucci, G., Lambert, O., Urbina, M. et al. A heavyweight early whale pushes the boundaries of vertebrate morphology. Nature (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06381-1
  • Diverse Medien
  • Daten der Tiere für den Kofa-Vergleich: Wikipedia

 

Anmerkung: Dieser Beitrag war Teil der Presseschau vom 6. August 2023. Wir haben ihn wegen seiner Bedeutung als Einzelbeitrag erneut veröffentlicht.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.