Ausstellung im Antikenmuseum in Basel
Die Stadt Basel hat eine besondere Beziehung zu Fabelwesen: Einer lokalen Sage zufolge soll zur Zeit der Stadtgründung ein Basilisk in der Höhle beim heutigen Gerberbrunnen gewohnt haben. Später erzählte man sich, ein Kaufmann habe einen Basilisken in die Stadt gebracht – und 1474 wurde sogar ein Hahn in Basel zum Tode verurteilt, dem man vorwarf, ein Basiliskenei gelegt zu haben. In Form zahlreicher Skulpturen – ob im Basler Münster, am Straßenrand oder an den zahlreichen Brunnen –trifft man auch heute noch überall in der Stadt auf Basilisken.
Für einige Monate der Jahre 2021 bis 2022 war die Stadt jedoch Heimat für ein ganz anderes Bestiarium an Kreaturen: Unter dem Titel tierisch! präsentierten vier der städtischen Museen Sonderausstellungen zum Thema Tiere:
- Keine Kultur ohne Tiere im Museum der Kulturen Basel (27.08.2021–20.11.2022)
- Tiere und Mischwesen in der Antike im Antikenmuseum Basel (19.09.2021–19.06.2022)
- Der Klang der Tiere im Historischen Museum Basel (22.10.2021–25.06.2023)
- Vom Tier zum Wirkstoff im Pharmaziemuseum Basel (03.12.2021–05.06.2022)
Obwohl bereits beendet, will ich von diesen im Folgenden die Ausstellung zu Tieren und Mischwesen in der Antike näher vorstellen – birgt diese doch einige faszinierende Einblicke in den antiken Zoo der Fabelwesen.
Die Ausstellung
Die Ausstellung ist in drei Teile gegliedert: Der erste gilt normalen Tieren in der Antike und ihrer Beziehung zum Menschen als Nutz-, Haus-, Wild- und Opfertier. Im zweiten Abschnitt lernen wir die verschiedenen Mischwesen der antiken Mythologie kennen, bevor es im dritten Teil „Mensch vs. Wild“ um die berühmten Sagen vom Kampf zwischen griechischen Heroen und animalischen Ungeheuern geht.
Zwei Videoinstallationen gehen zudem auf antike Mischwesen in der Popkultur (Filmen und Videospielen) sowie das Konzept des Cyborgs als „modernes Mischwesen“ ein.
Im Rahmen dessen präsentiert die Ausstellung eine Vielzahl großartiger Originalobjekte mit Abbildungen von Tieren und Mischwesen. Dabei gelingt ein unerwartet breiter Blick auf die antike Welt: Neben Objekten aus dem griechisch-römischen und ägyptischen Kulturraum finden sich auch Stücke aus Syrien, Luristan und anderen Regionen des Alten Orients. Tatsächlich stellt es gerade einen Schwerpunkt der Ausstellung dar, die Verbindungen zwischen diesen verschiedenen und doch benachbarten Kulturen aufzuzeigen.
So finden wir etwa in mehreren alten Kulturen das Motiv eines „Herrn (oder einer Herrin) der Tiere“: So bezeichnen Archäologen und Kunsthistoriker den ikonographischen Typus einer anthropomorphen Figur, die mit bloßen Händen wilde Tiere bändigt. In der Ausstellung wird dieser Typus repräsentiert durch einen bronzenen Standartenaufsatz aus Luristan (Iran) aus dem 9.–8. Jh. v. Chr. sowie eine Pferdestirnplatte aus Urartu (heutiges Armenien) des 8.- 7. Jh. v. Chr. Beide zeigen eine männliche Gestalt, die jeweil zwei Raubkatzen mit den Händen hochhebt. Auch in Griechenland ist dieses Konzept bekannt – spätestens Homer beschreibt die Göttin Artemis als Pótnia Therón („Herrin der Tiere“).
Ex oriente monstrum – der Ursprung der griechischen Ungeheuer
Die Mythen- und Sagenwelt des antiken Griechenlands ist bekanntlich voll von Geschichten über besondere Tiere und gefährliche Mischwesen: Kentauren und Satyrn bevölkerten in der Vorstellung der Menschen die Wildnis, Greife und Sirenen machten die Randgebiete der bekannten Welt unsicher. Der Held Herakles schließlich nahm es sogar mit einer Vielzahl von Ungeheuern auf, vom Nemäischen Löwen und der Lernäischen Hydra bis zu den menschenfressenden Pferden des Diomedes und dem dreiköpfigen Höllenhund Kerberos.
All diese Geschichten erscheinen uns heute „typisch griechisch“. Weniger bekannt ist jedoch, dass viele der legendären Mischwesen tatsächlich Importe darstellen: In Literatur und Kunst des Vorderen Orients treten sie auf, schon lange bevor sie in den griechischen Quellen bezeugt sind.
Damit nimmt die Ausstellung eine faszinierende Perspektive ein: Die Geschichte der Mischwesen wird nicht philologisch, d.h. anhand der schriftlichen Quellen, erzählt, sondern archäologisch anhand ihrer Ikonographie. Dabei ergeben sich unerwartete Erkenntnisse.
In der Bildwelt der Vasen, Friese und Skulpturen erleben die Mischwesen ihre erste Blüte im 8.–7 Jh. v. Chr. Diese Zeit wird auch als Orientalisierende Epoche bezeichnet, da um die Wende zum 7. Jahrhundert auffällig viele stilistische Einflüsse aus dem Nahen Osten in der griechischen Kunst erscheinen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Fabelwesen in der Bildkunst noch nicht in narrative Kontexte eingebunden, sondern stehen für sich bzw. allgemein für eine phantastische und potentiell bedrohliche Natur.
Manche dieser Darstellungen erscheinen uns heute, die wir die antiken Mischwesen vor allem aus den literarischen Adaptionen von Mythen und Sagen kennen, recht ungewohnt.
Der thebanische Mythenkreis erzählt bekanntlich von der Sphinx – einem weiblichen Mischwesen aus Löwe, Frau und Vogel, das so lange auf einem Felsen bei Theben sitzt und Wanderer tötet, bis der Held Ödipus schließlich ihr Rätsel lösen kann. Auch in der frühen Kunst treten bereits Sphingen auf – doch gibt es zu diesem Zeitpunkt noch weibliche und männliche Exemplare. Gerade die bärtigen Sphingen erinnern damit eher an das typisch ägyptische Mischwesen – am bekanntesten natürlich der große Sphinx von Gizeh – oder ähnliche Figuren, die bereits ab dem 3. Jt. v. Chr. in Mesopotamien und dem syro-hethitischen Raum auftauchen.
Auch von den Sirenen, die Homer als weibliche Todesdämoninnen beschreibt und die später stets als Vögel mit Frauenkopf dargestellt wurden, existierten ursprünglich auch männliche Darstellungen. Auch solche Mischwesen aus Mensch und Vogel sind aus dem Nahen Osten gut bekannt.
Kryptozoologisch oder mythologisch?
Ebenfalls ein „gebürtiger Orientale“ ist der Greif, ein Mischwesen mit dem Körper eines Löwen sowie Kopf und Flügeln eines Greifvogels. Dieser wurde bereits im späten 4. Jahrtausend v. Chr. in Elam (Westiran) erfunden, von wo er sich nach Mesopotamien und Ägypten ausbreitete. Hier hat sich allerdings ein Fehler eingeschlichen: Der Ausstellung zufolge gelangte der Greif erst im frühen 8. Jh.– zunächt in Form von Greifenprotomen an kostbaren Bronzekesseln – nach Griechenland. Tatsächlich sind Greifen schon in der Kunst der Mykenischen und Minoischen Kultur der Bronzezeit belegt.
Diese Entwicklung mit frühen Vorgängern ist nicht zuletzt von kryptozoologischem Interesse, kollidiert sie doch mit einer alternativen Theorie: Nach der Althistorikerin Adrienne Mayor könnte die Gestalt des Greifs auf Berichte der Skythen zurückgehen, die in der Wüste Gobi in der Mongolei Fossilien des Dinosauriers Protoceratops gefunden hatten. Diese prähistorischen Wesen, deren sehr gut erhaltenen Skelette dort bis heute gefunden werden, erinnern mit ihrem vierbeinigen Körper und Vogelschnabel doch deutlich an das antike Bild des Greifs. Inwieweit diese Hypothese auch mit einer Vermittlung über den Iran bereits Jahrtausende zuvor zu vereinbaren ist, wäre (z.B. anhand von Kunstwerken zentralasiatischer Völker jener frühen Periode) näher zu untersuchen.
Kentauren schließlich dürften wir alle als Mischwesen aus dem Leib eines Pferdes und dem Oberkörper eines Mannes kennen. Die frühesten Bilddarstellungen aber zeigen diese noch mit einem kompletten Menschenkörper an der Vorderseite, an den nur der Hinterleib eines Pferdes ansetzt, d.h. mit zwei menschlichen und zwei Pferdebeinen. Ähnliche Pferdemenschen, dort zusätzlich mit Flügeln und Skorpionschwanz, erscheinen auch in der Glyptik (Siegelbildern) der Babylonier und Assyrer.
Die klassischen Darstellungen verdrängen ältere Interpretationen
In all diesen Fällen wurden die frühen Varianten der Darstellung in den nächsten Jahrhunderten von den heute bekannteren Versionen der Wesen verdrängt. Nun erst finden wir auch immer wieder Darstellungen der aus den Schriftquellen gut bekannten Mythen: Herakles, der im Rahmen seiner 12 Aufgaben Monster bezwingt, Odysseus an der Insel der Sirenen oder Bellerophon, der auf dem Pegasos reitend die Chimaira bekämpft.
Vor diesem Hintergrund kommt man zu einer unerwarteten Schlussfolgerung: Bei einigen der berühmten Sagen und Mythen dürfte es sich mitnichten um altes, irgendwann im Dunkel der schriftlosen Vorzeit herausgebildetes Gedankengut der Griechen handeln. Vielmehr wurden Typen von Ungeheuern, die in der vorderasiatischen Kunst bereits etabliert waren, in der orientalisierenden Phase (oder früher) in die griechische Bildkunst übernommen. Die Geschichten aber dürften dann erst rückwirkend entstanden sein – anknüpfend an namenlose Fabelwesen in der Kunst, denen somit eine neue Bedeutung gegeben wurde. Dann erst passte sich die Kunst wieder den Geschichten an. Die Begleitpublikation bringt das Urteil über die Mischwesen auf den Punkt:
„Selten bilden sie in ihren Erscheinungsformen genuin griechische Erfindungen, sondern stellen eine Rezeption und Adaption von Bildkompositionen aus Ägypten und vor allem aus dem alten Orient dar.“
Fazit
Die Ausstellung Tiere und Mischwesen in der Antike im Antikenmuseum Basel war nicht nur eine beeindruckende Zusammenstellung schöner Objekte. Ihr gelang es zudem, wenig bekannte Erkenntnisse zur Genese der berühmten Fabelwesen der Antike zu vermitteln. Der reiche Sagenschatz der Griechen entstand mitnichten aus dem Nichts, sondern baute auf Jahrtausende zurückreichenden Vorgängern auf. In der orientalisierenden Epoche (und teils schon früher) gelangten ikonographische Typen von Mischwesen nach Griechenland, die dort schließlich zur Grundlage neuer Sagen und Mythen wurden. Anhand von Kompositionen wie dem Herrn / der Herrin der Tiere erkennen wir zudem grundlegende Motive des Weltverständnisses, die in der Antike über Kulturen und Religionen hinweg verbreitet waren.
Die Sonderausstellung selbst ist inzwischen bereits beendet – doch wer sich für ihre spannenden Inhalte interessiert, muss auch fortan nicht darauf verzichten.
Zu der Ausstellung erschien eine Begleitpublikation mit fast allen Objekten und Kontexten, die sich im Internet kostenlos lesen und herunterladen lässt: Tierisch! Tiere und Mischwesen in der Antike
Zudem sind sämtliche Ausstellungstexte auf Englisch und Französisch online verfügbar.
tierisch! Keine Kultur ohne Tiere
Die ethnologische Ausstellung tierisch! Keine Kultur ohne Tiere im Museum der Kulturen Basel ist noch bis zum 20. November 2022 geöffnet.
Das Museum der Kulturen Basel ist unter https://www.mkb.ch/de.html erreichbar (Klick öffnet neuen Tab).
Es ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet, zudem jeden ersten Mittwoch im Monat bis 20 Uhr.
Der Eintritt kostet CHF 16,-, reduziert CHF 5 bis 11,-
Das Museum der Kulturen Basel ist mit dem Tram Nr. 2 ab Badischer Bahnhof erreichbar. Ausstieg ist die Haltestelle „Bankverein“, von dort aus zu Fuß durch die Rittergasse und über den Münsterplatz. Die Haltestelle „Kunstmuseum“ wird wegen Bauarbeiten bis auf Weiteres nicht bedient.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 19.07.2022, damals neigte sich die Zeit der Ausstellung bereits dem Ende. Da es hier jedoch um gelebte und historische Kryptozoologie handelt, wollten wir euch auch nach dem Relaunch die Ausstellung nicht vorenthalten.