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In der Nacht vom 7. auf den 8.7.2022 ging es durch die sozialen Medien: Ein Amerikaner namens Coyote Peterson will einen Bigfoot-Schädel gefunden haben.

Hierzu veröffentlichte er insgesamt 5 Bilder in einer Facebook-Gruppe mit einem ziemlich verschwörerisch klingenden Text. Die Sache ging sehr schnell viral.

 

Coyote Peterson schreibt zu seinem vermeintlichen Bigfoot-Schädel:

 

 

„Ich lasse diese Bilder durchsickern, bevor sie entfernt werden und bevor Regierungen / Beamte versuchen, unser Filmmaterial zu beschlagnahmen. Ich habe einen großen Primatenschädel in British Columbia gefunden – gefilmt, das Filmmaterial geschnitten und dieses Wochenende auf @bravewilderness veröffentlicht. “

 

Bei der Bergung des Bigfoot-Schädels
Die Bergung des Schädels

 

Ich habe dieses Geheimnis mehrere Wochen lang geheim gehalten. Ja, ich habe den Schädel. Ich habe ihn durch den Zoll und die TSA* geschmuggelt.  Er befindet sich derzeit an einem sicheren Ort und wartet auf die Überprüfung durch einen Primatologen. Absolut unwirklich…

(*Transportation Security Administration, US-amerikanische Behörde für Sicherheit im Transportwesen, Teil des US-Heimatschutzministeriums)

 

Bergung des Bigfoot-Schädels
Der mutmaßliche Bigfoot-Schädel lag im Wasser

 

Wir dachten, es wäre ein Bärenschädel, als wir ihn fanden. Ich kann zu 100 % garantieren, dass es nicht so ist. Der Schädel wurde teilweise unter der Erde in einer tiefen Waldschlucht begraben nach einem massiven Sturm im Nordwesten des Pac** gefunden, wo eindeutig ein Haufen Bäume umfielen und die Erde aufgewühlt wurde.

 

(** Pac = Pazifischer Nordwesten = Nordamerikanische Pazifikküste etwa zwischen San Francisco und Alaska)

 

Der vermeintliche Bigfoot-Schädel in situ
Der mutmaßliche Bigfoot-Schädel in Situ

 

Ich bin mir sicher, dass diese Bilder entfernt werden … ebenso wie wahrscheinlich das Video von Regierungs- oder Staatsparkbeamten … aber der Schädel ist sicher. Ich weiß nicht, ob es das ist, was Sie alle denken … aber ich kann nicht erklären, wie ich im Pac Northwest einen Primatenschädel gefunden habe, ohne mich zu wundern! Was glaubst du?“

 

(Zitat Ende)


Die Analyse

Die Verschwörungstheorie

Offenbar ist Coyote Peterson Anhänger einiger Verschwörungsmythen, nach denen irgendwelche Behörden „unliebsames“ Wissen verschwinden lassen würden. So etwas kann bei vermeintlichen außerirdischen Flugobjekten die nationale Sicherheit einer Militärmacht berühren. Bei einem Bigfoot, also einem Wildtier fällt mir kein wirklicher Grund ein.

Sicher, ausgeschlossen ist nicht, dass ein Bigfoot – oder in diesem Fall Sasquatch, so menschenähnlich ist, dass er einer der First Nations zugeordnet wird. Dazu müsste man ihm aber eine fortgeschrittene Kommunikationsfähigkeit und eine Kultur jenseits der achaischen Steinzeit nachweisen. Bisher „kennt“ man von Sasquatches nur einfachst bearbeitete Holzstrukturen und Ähnliches. Die Verwendung von Werkzeugen der 2. Generation (also gezielt, mit anderen Geräten bearbeitete Gegenstände) ist nicht bekannt.

Seit einiger Zeit suche ich einen Autor, der diskutieren kann, wie sich eine Anerkennung des Bigfoot als Mitglied eines indianischen Volkes auf die reale Politik, Gesetzgebung und vor allem die Landnutzung im Pazifischen Nordwesten auswirkt. Hier stellen sich Fragen nach dem Schutz der Wälder und damit indirekt den Bankrott der dort ansässigen Holzfirmen. Aber auch Dammbau, Wasserrechte, Fischerei und vieles mehr müsste in Frage gestellt werden – sicherlich nicht zum Schaden des dortigen Ökosystems. Die Schäden der Wirtschaft sind absehbar, wobei einige Wirtschaftszweige hier sogar profitieren. Nicht nur der Tourismus, auch die wichtige Küstenfischerei würde bei gesunden Lachsgewässern im Hinterland deutlich gewinnen.

Ob dies ausreicht, die berüchtigten „Männer in schwarz“ zu Mr Peterson zu schicken, wage ich jedoch zu bezweifeln.

 

British Columbia
Wälder und Fluss in British Columbia

 

Der Ort

Coyote Peterson gibt an, den Schädel irgendwo in British Columbia gefunden zu haben. Genauer spezifiziert er den Ort nur als eine Stelle, wo im Winter einige Bäume umgefallen sind und somit stellenweise der Boden aufgebrochen wurde.

Die Vegetation im Hintergrund lässt eine solche Lokalisierung glaubhaft erscheinen. Die Landschaft ist sanft ansteigend. Die unterschiedliche Rinde lässt erkennen, dass im Sichtfeld mindestens drei unterschiedliche Baumarten wachsen.

Vorsichtig identifiziere ich hier eine Douglasie sowie Hemlocktannen.

Auf dem Boden befindet sich dichtes, mit dichten Moospolstern bewachsenes Totholz. Außer dem Moos kann ich im Unterwuchs Farne und einzelne Kräuter erkennen. In der Streuschicht sind vor allem nicht mehr zuzuordnende Zweige und tote Farnwedel sichtbar.
Das Moos ist typisch für den pazifischen Nordwesten: Ein Torfmoos der Gattung Sphagnum dominiert. Das, was zunächst wie ein Lebermoos aussieht, ist vermutlich eine Flechte der Art Lobaria oregana oder Lobaria pulmonaria.

Die Vegetation ist also typisch für den Pazifischen Nordwesten nördlich der Redwood-Dominanzzone. Anhand der Pflanzen kann man den Standort nur grob zwischen Oregon und den südlichen Inseln Alaskas verorten, ein Areal von mindestens 1500 km nordsüd-Ausdehnung.

Bemerkenswert ist der braune Boden. Ich kenne aus den südlicheren Redwood-Wäldern nahezu ausschließlich einen helleren, rötlich bis beigen Lehmboden. Ob er die Lokalisierung erleichtert, ist unklar, hierzu wäre weitere Recherchearbeit nötig.

 

Der Fund

Coyote Peterson gibt (nicht) an, einen Bigfoot-Schädel gefunden zu haben. Tatsächlich handelt es sich bei dem Fund um einen Schädel, der augenscheinlich unversehrt ist, obwohl der Unterkiefer fehlt. Selbst die sichtbaren Zähne sind alle an Ort und Stelle. Außer einem kreisrunden Loch an der linken Seite weist er keinerlei sichtbare Beschädigungen auf.
Der mutmaßliche Bigfoot-Schädel hat ungefähr die Farbe des umgebenden Bodens angenommen und ist auf allen Fotos teilweise mit Schlamm und abgestorbener Vegetation bedeckt.

Weitere Funde wie den Unterkiefer und den Rest des Skelettes scheint es nicht zu geben. Coyote Peterson zeigt sie nicht und schreibt auch nichts darüber.

 

Der mutmaßliche Bigfoot-Schädel

Der Schädel ist vergleichsweise groß. Eine realistische Größeneinschätzung die exakter als „etwas länger als ein Menschenschädel“ angibt, ist aufgrund des verwendeten Weitwinkel-Objektives nicht möglich. Peterson verwendet auch keinen Größenvergleich, weder Maßstab, Zollstock, Kugelschreiber, Feuerzeug oder unseren Flyer.

Der Schädel hat einen vorstehenden, schmalen Gesichtsschädel mit großer Nasenöffnung. Er zeigt pro Kieferseite (von der Mitte aus gesehen) zunächst einen großen, dann einen kleineren Schneidezahn. Es folgt eine Lücke, das Diastem. Dann kommt ein großer Eckzahn, dessen Länge auf allen Bildern verdeckt wird und ein weiterer, Vorbackenzahn. Weitere Zähne sind nicht erkennbar. Die Zähne sind alle sehr hell, nahezu weiß.

 

Der vermeintliche Bigfoot-Schädel in situ
Noch einmal zur Erinnerung: der mutmaßliche Bigfoot-Schädel in Situ

 

Der Jochbeinbogen ist eher flach und schon fast zierlich. Auffällig ist das Foramen infraorbitale, eine Öffnung im Oberkiefer, aus der der Unteraugennerv, die Unteraugenhöhlenarterie und die Unteraugenhöhlenvene austreten. Üblicherweise treten sie durch eine gemeinsame Öffnung aus, regemäßig können hier jedoch zwei oder drei Öffnungen bestehen, die nicht verschmolzen sind. Dies ist bei diesem Schädel bemerkenswert: die rechte Seite hat ein einzelnes Foramen infraorbitale, auf der linken Seite ist es zweigeteilt. Dieser Umstand wird im weiteren Verlauf wichtig.

 

Zweigeteiltes linkes Foramen infraorbitale
Das linke Foramen infraorbitale ist zweigeteilt

 

 

rechtes Foramen infraorbitale
Das rechte Foramen infraorbitale ist einfach

 

Auffällig ist ein stark ausgeprägter knöcherner Überaugenwulst sowie ein Scheitelkamm mit Ansatzstellen für mächtige Kaumuskeln. Doch der Schädel trägt auch einen Nuchalkamm, eine Knochenleiste am Nacken, die eine Ansatzstelle für starke Nackenmuskulatur ist.

Die Hirnschale selber ist vergleichsweise klein.

Auf der linken Seite sitzt ein kreisförmiges Loch von gut einem Zentimeter Durchmesser, das rechts keine Entsprechung hat. Es spielt für die weitere Überlegung aber auch keine Rolle.

 

Vergleich mit den bisherigen Kenntnissen von Bigfoot

Wenn es sich bei dem Peterson-Fund um einen Bigfoot-Schädel handeln soll, muss er mit den bisherigen Kenntnissen von Bigfoot übereinstimmen. Da wir hier nicht viel Material haben, ist das sehr schwierig.

Generell ist von Bigfoot bekannt, dass es sich um einen aufrecht gehenden, sehr großen Affen handeln soll.

 

Patty
„Patty“, das Wesen im Patterson & Gimlin-Film, 1967 konnte nie falsifiziert werden – und ist eine Ikone der US-Kryptozoologie.

 

Die Größe des Peterson-Fundes könnte etwa der eines Bigfoot-Schädels entsprechen, ebenso zeigt die große Nasenöffnung auf eine breite, flache Nase hin, die mehrfach von Bigfoot berichtet wird. Damit hört aber die Ähnlichkeit bereits auf. Besonders sticht hier der Nuchalkamm hervor: Er dient bei einem vierbeinig laufenden Affen als Ansatzstelle für starke Nackenmuskulatur, die den schweren Kopf waagerecht halten kann. Bei einem aufrecht laufenden Wesen trägt die Wirbelsäule einen Großteil des Gewicht des Kopfes. Eine solch starke Nackenmuskulatur und damit ein Nuchalkamm ist nicht notwendig.

 

SChädelkämme des vermeintlichen "Bigfoot-Schädel"
Die Schädelkämme am Peterson-Fund: 1 der Scheitelkamm, 2 der Nuchalkamm

 

 

Der Gesichtsschädel springt beim Peterson-Fund weit hervor, die Kiefer liegen fast oder total parallel, während nahezu alle Bigfoot-Portraits ein eher flaches Gesicht mit breitem Mund und entsprechend halbrunden Kiefern zeigen.

 

Fazit: der Peterson-Fund ist kein Bigfoot-Schädel!

 

Was ist es dann?

Nachdem ein negativer Indizienbeweis in bestimmten Kreisen nicht gerade überzeugend ist („Es könnte aber sein, dass doch…“) muss ein positiver Beweis her, dass der Peterson-Fund etwas anderes als ein Bigfoot-Schädel ist.

Auffällig ist die große Vollständigkeit des Fundes, nicht ein Zahn fehlt, kein Knochenkamm ist auch nur angeknackst. Alle sichtbaren Zähne sind zudem nahezu perfekt gefärbt, bei Pflanzenfressern verfärben sie sich in der Regel dunkel. Wenn davon auszugehen ist, dass ein echter Schädel an der Stelle wohl längere Zeit im Wasser lag, ist mit einer gewissen Beschädigung zu rechnen.

Hinzu kommt, dass alle großen Affen unter dem Washingtoner Artenschutzabkommen CITES stehen und deren Besitz und Handel, auch von Körperteilen wie Schädeln, streng limitiert wird. Es dürfte also mit einem ziemlichen Aufwand verbunden sein, einen echten Affenschädel in die Wälder British Columbias zu verbringen, ihn dort in einer Pfütze zu verstecken und ihn vor laufender Kamera zu „entdecken“.

Folglich bin ich bei der Suche nach einer Entsprechung davon ausgegangen, dass es sich um eine Nachbildung eines Schädels handelt.

 

Prähominider Schädel im linken Teilprofil vor schwarzem Hintergrund
Australopithecus anamensis-Schädel

 

Die meisten prähominiden Schädel sind zu klein, obwohl sie einige Merkmale teilen. Bei den Affenschädeln wurde ich schnell fündig. Kein Wunder, so viele Möglichkeiten gibt es ja nicht: Das Vorbild für diesen Schädel war ein Westlicher Flachlandgorilla.

 

Schädel eines Gorilla-Männchens
Schädel eines männlichen, westlichen Flachlandgorillas aus dem Museum de Toulouse. Foto: Didier Descouens, CC 4.0, Hintergrund verändert. Man beachte die verfärbten Zähne. Dieser Gorilla hat(te) an der rechten Gesichtshälfte ein geteiltes Foramen infraorbitale.

 

Aufgrund der Besonderheit bei den Foramina infraorbitalia ist der Schädel sogar einem Hersteller zuzuweisen. Er ist beim Hersteller „Bone clones“ unter der Bezeichnung „Male Gorilla Skull, X-large“ und der Bestellnummer BC-036 samt passendem Unterkiefer erhältlich. Auf dem Foto ist sogar das geteilte Foramen infraorbitale auf der linken Gesichtsseite erkennbar. Das Artefakt misst etwa 29,5 cm in der Länge, 17,5 cm in der Breite und 24,7 cm in der Höhe. Es kostet US$ 355,- und wird für US$ 60,- auch nach Kanada geliefert.

 

Aufgrund der Copyright-Politik des Unternehmens darf ich hier nur einen Link zu dem Artikel setzen.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.