Portrait eines Riesenalkes, Museum BraunschweigPortrait eines Riesenalkes, Museum Braunschweig
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Das Aussterben von Tierarten ist eine schlechte Nachricht fürs ökologische Netz. Dennoch registrieren wir es oft mit einem Kopfnicken und machen weiter, wie bisher. Doch anders als ein zerstörtes Kunstwerk oder eine abgebrannte Kathedrale ist eine Tierart nicht wieder herstellbar. Um so schlimmer, wenn sie im Wissen um ihre Verletzlichkeit ausgerottet wird.

Gestatten: Pinguinus impennis, der Riesenalk

Dermoplastik eines Riesenalkes
Dermoplastik eines Riesenalkes, Museum Braunschweig

Der Riesenalk war etwa 70 bis 85 cm groß, deutlich größer als seine heute lebenden Verwandten. Wie bei den meisten Alken war sein Körper für das Schwimmen im Wasser optimiert: Die Beine sind extrem weit nach hinten gewandert, die Flügel waren kurz und taugten nicht zum Fliegen. Seine Oberseite war schwarz, die Bauchseite weiß, der Schnabel von mittlerer Länge, kräftig und ebenfalls schwarz. Bemerkenswert ist ein weißer Fleck auf der Stirn. Sie sahen einem mittelgroßen Pinguin recht ähnlich.
So gewandt Riesenalken im Wasser gewesen sein müssen, dies erkauften sie mit nahezu vollständiger Hilflosigkeit an Land. Auch dies ist eine Parallele zu den Pinguinen.

Riesenalke besiedelten einst vermutlich die Küstengewässer des gesamten Nordatlantiks. Knochenfunde kennt man aus den Neuengland-Staaten, Labrador, dem Westen Grönlands, Island, der gesamten Norwegischen Küste, den britischen Inseln, Dänemark, Holland und der Bretagne. Im Süden wurden sie seltener, aber es gibt auch Funde aus Florida, Italien, Südwesteuropa und Marokko. Vermutlich hielten sich die Vögel zum Brüten in den kalten Gewässern des Nordens auf. So konnten sie den Fischreichtum, aber auch die langen Tage im Sommer nutzen, um dann im Winter in wärmere Gefilde abzuwandern.

Anders als die meisten Seevögel der Nordhalbkugel war der Riesenalk flugunfähig. Daher musste er seine Brut auf kleine, flache Inseln vor der Küste verlegen, die für Beutegreifer wie den Eisbären, aber auch Braunbären und Wölfe nicht erreichbar waren. Insgesamt sind nur 8 Brutkolonien sicher belegt, vermutlich gab es jedoch einige weitere, sehr kleine Tochterkolonien.

Das Aussterben

Die völlige Hilflosigkeit an Land, Riesenalke konnten nur langsam und unbeholfen laufen, ermöglichte es Vogelfängern, sie in Massen zu erlegen. Im 18. Jahrhundert begann dann die eigentliche Ausbeutung der Bestände: Menschen ließen sich auf den Brutinseln nieder, errichteten Trichter aus Steinwällen, die so hoch waren, dass die Alken nicht darüber sehen konnten. So war es möglich, die Tiere ähnlich wie beim Reusenfang in kleine Kammern zu treiben, sie dort zu sammeln und bei Bedarf zu „entnehmen“. Genutzt wurden zunächst die Daunen: die erschlagenen Vögel wurden blanchiert und gerupft, der Kadaver bildete den Brennstoff zum Erhitzen des Wassers.

Bereits 1785 warnte der Händler und Abenteurer Kapitän George Cartwright vor dem Aussterben. Er hatte vermutlich die als erstes geplünderten Neufundländischen Populationen beobachtet. 1808 tauchte das letzte Mal ein Exemplar auf den Färöer-Inseln auf. 1830 existierte nur noch die Brutkolonie auf Geirfuglasker bei Island und eine winzige Tochterkolonie am Fuße der nahen Felseninsel Eldey. Als Geirfuglasker 1830 bei einem Vulkanausbruch völlig zerstört wurde, war die Art in finale Bedrängnis geraten.


Lage von Eldey vor der Küste Islands

 

Rolle der Vogelsammler und Museen

Portrait eines Riesenalkes, Museum Braunschweig
Portrait eines Riesenalkes, Museum Braunschweig

Innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten war aus einem Vogel, der den gesamten Nordatlantik bewohnte eine extrem seltene Art geworden. Die Preise für Vogelbälge schossen in die Höhe, jeder Vogelsammler, der etwas auf sich hielt und jedes Museum „musste“ noch einen Balg bekommen, bevor die Art verschwunden war. An Schutz war nicht zu denken. Man ging landläufig davon aus, dass Gott keine seiner Schöpfungen aussterben ließe, auch wenn mahnende Stimmen etwas Anderes, Unbequemeres sagten (Das ist heute kaum anders!). Andererseits wäre ein Schutz-Gesetz auch nicht durchsetzbar gewesen. So wurden auf Eldey, dem letzten bekannten Brutplatz zwischen 1831 und 1844 noch eine zweistellige Zahl von Tieren erschlagen.

Heute vor 175 Jahren, am Morgen des 3. Juni 1844 wurden die letzten beiden bekannten, brütenden Riesenalken von den Vogelsammlern Jón Brandsson und Sigurður Ísleifsson erwürgt. Das letzte Ei wurde aus unbekannten Gründen von Ketill Ketilson zertreten.

Nachweise nach 1852

Die letzte zuverlässig dokumentierte Sichtung eines Riesenalkes erfolgt 1852, seit dem gilt die Art als ausgestorben. Hierdurch bleiben zahlreiche Fragen zur Biologie der Vögel unbeantwortet. Unter anderem ist nicht bekannt, wie die überlieferte kurze Brutzeit und Nestzeit von nur 6 Wochen zur Aufzucht der Küken genutzt wurden. Nahmen sie die lange nicht ausgewachsenen und gemauserten Küken mit auf See? Wie ein Küken aussah, ist ebenfalls unbekannt. Der Natur fehlt der Riesenalk, er hinterlässt ein Loch im Netzwerk der Arten.

Netzwerk-Mitglied Natale Guido Cincinnati hat eine große Zahl von Sichtungen nach 1852 zusammengetragen. Sein lesenswerter Artikel ist in einer Online-Version bei uns zu lesen.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.