Er ist überall – der große, haarige Riese. Selbst in Kontinenten, in denen keine Menschenaffen vorkommen – Nord- und Südamerika, aber auch Australien – wurden zottige, affenartige Wesen beobachtet.
Und wenn bereits Australien zoogeographisch extrem unwahrscheinlich ist – finden wir Berichte über Gorillas und menschliche Monster auch von den Nachbarinseln Neuseelands.
Dort ist das Thema in zwei unterschiedliche Episoden geteilt – der „Maori-Gorilla“ 1870 und modernen Meldungen des Coromandel-Bigfoots aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Betrachten wir beide Themenkomplexe nacheinander.
Der Maori-Gorilla 1870
Zum ersten Mal hören wir in Neuseeland 1870 von einem dort lebenden Gorilla – und der wird bald darauf eingefangen. Statt das Problem zoologisch zu lösen, fängt es damit erst an:
Gegen Ende September erschien die erste kleine Notiz in einer Zeitung: „Die Herren Small und Curtis haben sich nach Porter’s Creek aufgemacht, um den Maori-Gorilla zu holen, über denn vor Kurzem so viel geredet wurde.“ (Auckland Star, 28. September 1870, S. 2) Der Tonfall impliziert eine frühere Berichterstattung, davon lässt sich aber keine Spur finden.
Offenbar fingen sie den Gorilla erfolgreich, oder er war bereits gefasst, jedenfalls sprechen die nächsten Presseberichte bereits von dem dingfest gemachten Wesen (insgesamt sind über 50 Artikel zu dem Gorilla in den neuseeländischen Zeitungen erschienen, es sind allerdings nur vier Artikel, die in jeweils allen kolonialen Zeitungen abgedruckt wurden, und das über einen Zeitraum von drei Monaten):
Das Missing Link entdeckt
The Thames Advertiser vom 27. ult. gibt den folgenden Bericht über eine Entdeckung:
Wir wurden darüber informiert, dass ein außergewöhnliches Tier am Porter‘s Creek in Wharekawa [auf der Halbinsel Coromandel, Nordinsel] gefangen wurde und derzeit dort gezeigt wird. Wir hoffen aufrichtig, dass es bald hierher [Thames ist der größte Ort der Halbinsel] gebracht wird, denn wir geben zu, dass die Beschreibung, die wir gehört haben, gelinde gesagt sehr erstaunlich ist. Das Tier wurde von Hunden in einem Sumpf gefangen, seine Beine, oder Arme und Beine, wurden gefesselt, es selbst in einem unbenutzten Raum in Mr. Bakers Laden untergebracht. Und nun zur Beschreibung: Der Maori-Gorilla hat, heißt es, einen Kopf, der dem eines Eingeborenen ähnelt, aber zwei Stoßzähne ragen hervor, einer auf jeder Seite des Kopfes. Auf der Oberseite des Kopfes sitzt ein großes Haarbüschel. Der Körper ist so dunkel wie der eines Maori, Arme und Beine behaart. Er grunzt wie ein Schwein. Soweit die Beschreibung.
Ein ‚Tupuna“
Das Tier ist anscheinend nicht wählerisch beim Futter, denn wir hören, dass es Kartoffeln, Pasteten und Nüsse isst. Wir hören, dass es zur öffentlichen Ausstellung hierher gebracht werden soll, und wir geben zu, dass wir es gerne sehen würden. Seit das Obige geschrieben wurde, haben wir weitere und teilweise widersprüchliche Angaben erhalten. Das Tier oder Monster lebte lange Zeit unter den Eingeborenen, obwohl es sich nun, wie oben erwähnt, in der Obhut von Herrn Baker befindet. Es scheint fast so, als ob das berühmte ‚missing link‘ endlich entdeckt ist.
Die Eingeborenen sagen, es sei hundert Jahre alt und nennen es eine ‚Tupuna‘, also einen Ahnen. Sie sind also weniger stolz als wir, die wir nicht glauben wollen, dass wir von Affen abstammen. Die Eingeborenen haben keine Vorurteile, und die gelehrten Professoren Huxley und Darwin würden sie als Männer ganz nach ihrem Herzen begrüßen. Zwei Herren waren gestern in Wharekawa und haben eine ziemlich große Summe für dieses Tier angeboten, das die Evolutionstheorie belegen soll, aber die Verhandlungen über den Kauf sind noch nicht abgeschlossen. “
(Wanganui Herald, 1. Oktober 1870, S. 2; North Otago Times, 14. Oktober 1870, S. 3)
Offenbar kursierten Fotos des Wesens, die leider nicht gedruckt wurden, sonst könnte man vielleicht mehr zu dem Thema sagen:
„Gestern ging das Gerücht um, dass eine Firma für den Kauf des vermeintlichen Gorillas gegründet wurde und dass eine Person mit mehr Geld als Verstand veranlasst worden sei, 250 Pfund für einen Achtelanteil an dem Unternehmen zu zahlen. Der Absurdität sind heutzutage keine Grenzen gesetzt, und es ist daher gut möglich, dass einige Personen dazu verführt werden, in den ‚Kauf‘ einzusteigen. Bisher erlaubte man uns nur Blicke auf Bilder dieses mysteriösen Tieres, doch diese Bilder schmecken sehr nach der poetischen Phantasie eines verspielten Fotografen. Wir möchten jetzt das echte Tier sehen und vertrauen darauf, dass die Fotografen nicht so egoistisch sind, dass sie die mysteriöse Kreatur außer Sichtweite halten, um damit die Nachfrage nach den Fotos anzuregen.“
(Daily Southern Cross, 4. Oktober 1870, S. 2)
Bislang reden wir vielleicht von einem echten Bigfoot oder einem entlaufenen Gorilla. Aber nun wird es eigenartig:
Der Maori Gorilla
Das seltsame Tier soll in Porter’s Creek auf der anderen Seite des Flusses gefunden worden sein. Einige Eingeborene haben uns gestern Abend mitgeteilt, dass es sich lediglich um einen Seehund handelt. Ob die Person, die die erste Nachricht von ihrem Fang brachte, noch nie zuvor ein solches Tier gesehen hat oder sie der Gelegenheit nicht widerstehen konnte, ihre Phantasie durchgehen zu lassen, können wir nicht mit Sicherheit sagen, aber das Tier hat nur sehr wenig Ähnlichkeit mit dem Monster, für das es ausgegeben wurde.
Thames Evening Star.“ (Auckland Star, 30. September 1870, S. 2)
Andererseits: Hatte das Tier tatsächlich Stoßzähne, könnte es ein Walross gewesen sein. Doch ein Walross in Neuseeland ist ebenso exotisch wie ein Gorilla. Dann jedoch wendete sich das Blatt erneut: Der Maori-Gorilla wurde zum zweiten Mal identifiziert – dieses Mal als alte Frau:
Der Maori-Gorilla (erneut)
Es tut uns leid, unsere Leser zu enttäuschen, insbesondere in Bezug auf interessante Fragen in der Naturgeschichte, aber es scheint nun, dass der gemeldete Maori-Gorilla überhaupt kein Gorilla ist. Tatsächlich entpuppt sich der Maori-Gorilla als alte Frau. Professor Huxley muss daher noch einige Zeit auf die Entdeckung des ‚missing link‘ zur Bestätigung der Evolutionstheorie warten. Wir können ihm keine Hilfe geben. Die Aussagen, die zu diesem Thema in die Öffentlichkeit gelangten, geben nur eine schwache Vorstellung von den wilden Gerüchten, die sich in der Stadt bezüglich dieser Angelegenheit verbreiten. Unseres Wissens reisten zwei Herren hinüber, um dieses bemerkenswerteste Wesen für eine öffentliche Ausstellung zu holen.
Nach einem langen Spaziergang erreichten sie den Ort, an dem es aufbewahrt wurde. Dort zeigte man ihnen eine arme alte Frau, die in gewisser Hinsicht wirklich so eigenartig ist wie der Gorilla selbst. Sie ist, so wie sie ist, weit jenseits der Erinnerung aller, die sie kennen, und hat angeblich das patriarchalische Alter von 175 Jahren erreicht. Wie man zu dieser Schätzung kam, wissen wir nicht und können daher die Richtigkeit nicht garantieren. Ihre Haare sind bis auf ein kleines Büschel oben ausgefallen, und sie ist allgemein ein solches Wunder, dass die Herren, die einen Gorilla kaufen wollten, immer noch gerne um sie gehandelt hätten, doch ihre Verwandten erlaubten das nicht.“
(Auckland Star, 1. Oktober 1870, S. 2) [1]
Weitere neuseeländische Gorillas
Der nächste Bericht kam erst zwanzig Jahre später und aus einen ganz anderen Region – von der Südinsel Neuseelands:
Eine Sensation in Dunedin.
Es wird jetzt berichtet, dass die Überreste, die in Waikouaiti im Eisenbahngraben gefunden wurden, die eines Gorillas waren. Er starb, als eine Zirkusgesellschaft durch den Bezirk reiste, wurde in einen Sack gepackt und in den Graben geworfen.
(Temuka Leader, 3. April 1890, S. 2)
Wir lassen erneut rund zwanzig Jahre verstreichen und kehren auf die Nordinsel zurück. 1907 wurde ein Gorilla bei Gisborne gejagt.
Wie ein Gorilla.
Eine Gruppe von zwanzig Siedlern aus Motu, allesamt unerschütterliche Buschgänger, suchte letzte Woche unter Leitung von Constable Doyle nach dem Maori-Bushranger. Am Freitagmorgen umzingelten sie bei Tageslicht seinen Lagerplatz, stellten jedoch fest, dass ihre Beute längst geflüchtet war. Man nimmt an, dass er sich in dem fast undurchdringlichen Miangatu-Wald versteckt. Mitglieder der Gruppe sind zuversichtlich, dass es sich bei dem Mann um Matenga handelt, der seit vier Jahren Lager ausraubt und im Busch lebt. Er hat lange Haare und einen Bart und sieht aus wie ein Gorilla.
(New Zealand Times, 22. Oktober 1907, S. 5. Insgesamt findet sich die Meldung 29-mal in neuseeländischen Zeitungen, unter anderem im Ashburton Guardian, 21. Oktober 1907; Bush Advocate, 21. Oktober 1907; Grey River Argus, 22. Oktober 1907)
Diese Meldung und der ihr innewohnende extreme Rassismus machen deutlich, dass es sich beim Gorilla von 1870 vielleicht tatsächlich um eine ältere Maori-Frau gehandelt haben könnte, die die Weißen wie ein Tier behandelten. Überhaupt ist noch bis tief ins 20. Jahrhundert ein unfassbarer Rassismus in Zeitungsmeldungen zu finden. „Eingeborene“ sind immer fast schon Affen – oder eindeutig Affen.
Als die neuseeländische Lake County Press am 30. August 1872 auf S. 2 über die Entdeckung eines neuen Volkes auf Borneo schrieb, das in einfachsten Umständen lebt, verglich es diese Menschen ebenfalls mit Gorillas und gab an, ähnliche Affenmenschen lebten auch auf den Philippinen und in Feuerland (was zeigt, dass es nicht um kryptide Affen in Borneo ging). Als im Kongo Afrikaner aufgespürt wurden, die zuvor keinen Kontakt mir Weißen gehabt hatten, sprach der Wanganui Herald am 25. November 1920 (S. 7) von der „Entdeckung von Affenmenschen“.
Diesen Rassismus darf man nicht aus den Augen verlieren, wenn man – auch aus den USA des 19. Jahrhunderts – Zeitungsartikel über Gorillas und Affenmenschen sammelt. Damit sind oft nur Menschen benannt, die nicht weiß waren.
Zwei Affenjagden
Im Englischen unterschiedet man sprachlich zwischen Affen (monkeys) und Menschenaffen (apes). Ich habe zwei Meldungen über Jagden nach Monkeys gefunden, die der Vollständigkeit halber auch erwähnt werden sollen.
Eine Affenjagd.
Obwohl Schweinejagd, Ziegenjagd und Kaninchenjagd in Neuseeland beliebte Freizeitbeschäftigungen sind, können wir uns nicht oft auf Affenjagd [monkey] begeben.
Eine solche Ablenkung wurde jedoch einigen Bewohnern von Blenheim [im Norden der Südinsel] neulich gegönnt, als sich ein schelmisches Gör eines Affen den Fangversuchen einer schreienden Menge von Männern, Jungen und Hunden widersetzte. Seit einigen Wochen, schreibt ein Korrespondent, lebt ein kleiner Reisender aus dem Affenland in der Nachbarschaft auf freiem Fuß, und solange er sich benahm, kümmerte es niemanden. Aber eines Tages erwachte ein Bewohner der Grove Road und fand einen Sack voll halbreifer Birnen unter einem seiner Bäume auf dem Boden verstreut, sowie weitere Schäden in seinem Obstgarten. Die Zahnspuren seines halbmenschlichen Freundes auf der Frucht überführten den Affen [hier: ape]. Der Obstgartenbesitzer machte sich mit einer Waffe auf die Suche nach dem Affen. Andere Obstgärtner waren bei späteren Gelegenheiten Opfer, und in Folge einer Wache wurde der Affe [monkey] schließlich in einem Weidenbaum entdeckt.
Der Baum wurde bald von der oben genannten Menge umstellt, und einer der Tapfersten des Mobs kletterte mit einem Stock auf die Weide und versuchte vergeblich, den grinsenden, schreienden, klappernden Affen von seinem Platz zu schlagen. Aber der fiese Affe [ape] hastete auf Zweige, die nicht dicker als ein kleiner Finger waren, und sprang nach einer […] Gymnastik auf eine Hecke, von der er die Zuflucht zur nächsten nahm, dann verschwand er eine Weile. Aber er wurde aufgespürt und führte seine Verfolger – denn die hatten Alarm geschlagen – zu einer lustigen Verfolgungsjagd über Gärten und unter Häuser, bis er sie schließlich hinter sich ließ. Sie klagten und jammerten, obwohl sie 20 zu 1 waren.
(Waikato Argus, 1. April 1909, S. 4)
Der Bericht ist zur reinen Unterhaltung gedacht (einige heute unverständliche Anspielungen habe ich gestrichen), die Austauschbarkeit von monkey und ape zeigt, dass man sich auf solche Worte in alten Zeitungsberichten nicht allzu sehr verlassen darf.
Wieder zwanzig Jahre später wurde erneut Halali geblasen.
Eine Reihe von Affen entkam aus einem Zirkus, der letzte Woche auf den Turakina-Hügeln in der Nähe von Wanganui [im Süden der Nordinsel] weilte. Die Zirkuswagen fuhren einen Berg hoch, als ein Unfall zu ihrer offensichtlichen Freude eine Reihe von Affen freisetzte. Dazu gesellten sich Hunde, Vögel und andere kleine Mitglieder der Menagerie, und die Zirkusmannschaft waren mit der Verfolgung und dem Einfangen einige Zeit lang beschäftigt. Die mühsame Aufgabe wurde schließlich erledigt und der Zirkus fuhr weiter.
(Patea Mail, 30. Januar 1928, S. 2)