Der Selbstmord Sauls. Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä., 1562 (Kunsthistorisches Museum Wien)Der Selbstmord Sauls. Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä., 1562 (Kunsthistorisches Museum Wien)
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Stimmt es, dass auf einem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert mehrere Dinosaurier – genauer: Sauropoden – abgebildet sind?
Manche Behauptungen sind so absurd, dass man sie kaum noch als Pseudoarchäologie bezeichnen kann. So etwa dieses Meme, das seit einigen Jahren immer wieder in fast identischer Form von diversen Bullshit-Blogs auf Social Media geteilt wird und sich offenbar zu einem echten Dauerbrenner entwickelt hat:

Peter-Bruce Gale oder doch Pieter Bruegel?

Zu sehen ist das Gemälde Der Selbstmord Sauls (1562) von Pieter Bruegel dem Älteren (1525‒1569), einem der bedeutendsten Maler der Niederländischen Renaissance. Die Kuriosität beginnt bereits damit, dass der Name des Malers in manchen Fassungen des Memes zu „Peter-Bruce Gale“ verballhornt wird. Es steht zu vermuten, dass hier einst eine KI mit Spracherkennung den Namen falsch verschriftlicht hat, was seitdem ohne weitere Prüfung munter kopiert wird. Doch was ist das? Winzig und kaum sichtbar im Hintergrund der erbitterten Schlacht, aber dankenswerterweise stets in Vergrößerung wiedergegeben, erkennt man drei große Tiere mit langen Hälsen – domestizierte Dinosaurier inmitten von Menschen, wie in der Bildbeschreibung suggeriert wird?

Der Selbstmord Sauls. Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä., 1562 (Kunsthistorisches Museum Wien)
Der Selbstmord Sauls. Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä., 1562 (Kunsthistorisches Museum Wien)

„die stiegen auf die Kamele und flohen“

Bruegels Gemälde zeigt die Schlacht am Gebirge Gilboa, bei welcher Saul, der erste König Israels, der Bibel zufolge vernichtend geschlagen wurde:

„Die Philister aber stritten wider Israel; und die Männer Israels flohen vor den Philistern und fielen erschlagen auf dem Gebirge Gilboa. Und die Philister hingen sich an Saul und seine Söhne und erschlugen Jonathan und Abinadab und Malchisua, die Söhne Sauls. Und der Streit ward hart wider Saul, und die Schützen trafen auf ihn mit Bogen, und er ward sehr verwundet von den Schützen. Da sprach Saul zu seinem Waffenträger: Zieh dein Schwert aus und erstich mich damit, dass nicht diese Unbeschnittenen kommen und mich erstechen und treiben ihren Spott mit mir. Aber sein Waffenträger wollte nicht; denn er fürchtete sich sehr. Da nahm Saul das Schwert und fiel hinein. Da nun sein Waffenträger sah, dass Saul tot war, fiel er auch in sein Schwert und starb mit ihm. Also starb Saul und seine drei Söhne und sein Waffenträger und alle seine Männer zugleich auf diesen Tag.“ (1. Samuel 31, 1‒6)

Der Freitod Sauls und seines Waffenträgers ist am linken Bildrand dargestellt; die kleine Beschriftung „SAVL. XXXI CAPIT“ verweist explizit auf die Bibelstelle. Von Dinosauriern oder ähnlichen Ungeheuern ist im biblischen Bericht jedoch an keiner Stelle die Rede.
In sozialen Medien und Foren wie Reddit (etwa hier und hier) löste das Bild in den letzten Jahren wiederholt hitzige Diskussionen aus. Kritische Kommentatoren – dafür braucht es keine Kunsthistoriker – weisen dabei regelmäßig darauf hin, dass es sich bei den Wesen keinesfalls um Saurier, sondern vielmehr um Kamele (genauer: Dromedare) handle.
Und in der Tat werden solche auch in der Bibel unmittelbar vor der dargestellten Szene erwähnt, wenn im vorigen Kapitel David gegen die Amalekiter kämpft:

„Und David schlug sie vom Morgen an bis an den Abend gegen den andern Tag, dass ihrer keiner entrann, außer vierhundert Jünglinge; die stiegen auf die Kamele und flohen.“ (1. Samuel 30, 17)

In der Historienmalerei war es durchaus üblich, aufeinanderfolgende Episoden einer Handlung nebeneinander darzustellen. So könnte auch das Detail in Bruegels Gemälde auf die vorangegangene Schlacht Bezug nehmen, wenn es nicht ganz allgemein zur Illustration des biblischen Schauplatzes diente.

Pieter Bruegel, d.Ä., "Der Selbstmord Sauls", Detail.
Der Selbstmord Sauls (Detail). Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä., 1562; heute im Kunsthistorischen Museum Wien (kurz KHM)

 

 

Pieter Brueg(h)el

Pieter Bruegel der Ältere (* um 1525/1530; † 1569), auch „Bauernbruegel“ genannt, war ein Maler der niederländischen Renaissance. Er ist vor allem für seine Darstellungen des bäuerlichen Lebens im Herzogtum Brabant des 16. Jahrhunderts bekannt.
Für seinen Namen existieren die unterschiedlichsten Schreibweisen. Der Künstler selbst signierte seine Werke anfangs mit „Brueghel“, änderte diese Schreibweise dann aber ab 1559 bewusst in „Bruegel“ um. Der flämische Name wird ähnlich dem Deutschen „Breugel“ ausgesprochen.

Mit ihm erreichte die flämische Malerei einen Höhepunkt. Bruegels eigenwilliger Stil lässt sich nicht mit einem einzigen Stilbegriff wie Manierismus beschreiben. Eines seiner großen Vorbilder war Hieronymus Bosch, dessen Bildsprache er vor allem in seinen frühen Werken oft zitierte.
Er führte die flämische Landschaftsmalerei des 16. Jahrhunderts auf einen Höhepunkt und begründete das niederländische Bauerngenre. Seine Bildsprache ist äußerst komplex: Jedes noch so kleine Detail seiner Werke ist beabsichtigt und trägt in der Regel eine Bedeutung.
Von ihm sind rund vierzig Gemälde erhalten, die ihm unstrittig zugeordnet werden, darunter „Das Schlaraffenland“ (1567) und „Die Bauernhochzeit“ (um 1568).

 

Keine Kamele im 16. Jhd. in Belgien

Pieter Bruegel der Ältere lebte im 16. Jahrhundert in Antwerpen und Brüssel; nur für einen mehrjährigen Aufenthalt in Italien verließ er das heimische Flandern. Es scheint unwahrscheinlich, dass er zu Lebzeiten je ein lebendes Kamel zu sehen bekam – vielmehr dürfte er diese nur von Darstellungen anderer Künstler gekannt haben. Doch dass dabei ein Fabelwesen mit wenig Ähnlichkeit zum Original herauskäme, wie man es etwa von manchen Darstellungen von Elefanten in mittelalterlichen Buchmalereien kennt, wäre trotzdem eher unwahrscheinlich: Tatsächlich waren realistische Darstellungen von Kamelen zur Zeit Bruegels in Europa durchaus verfügbar, so etwa in der Cosmographie de Levant (1556) des französischen Orientreisenden André Thevet:

Arabische Händler mit Kamelen in André Thevets Cosmographie de Levant (1556).
Arabische Händler mit Kamelen in André Thevets Cosmographie de Levant (1556).

 

… aber bei Hieronymus Bosch und anderen Renaissance-Malern

Auch in der niederländischen Malerei der Spätgotik und Renaissance sind Kamele keine Seltenheit. Zwei von ihnen begleiten schon den bunten Reigen im Garten der Lüste von Hieronymus Bosch, dessen groteske Gemälde Bruegel bekanntermaßen stark beeinflussten.

 

Garten der Lüste (Details). Triptychon von Hieronymus Bosch, ca. 1480‒1505 (Museo del Prado)
Garten der Lüste (Details). Triptychon von Hieronymus Bosch, ca. 1480‒1505 (Museo del Prado)

 

Mit einer gewissen Regelmäßigkeit erscheinen Dromedare auch in Darstellungen biblischer Szenen, wo sie das orientalische Setting der Ereignisse illustrieren, so etwa in den Anbetungen der Könige der Maler Joos van Cleve und Jacob van Utrecht aus dem frühen 16. Jahrhundert, beide zu finden in der Berliner Gemäldegalerie:

Anbetung der Könige. Triptychon von Joos van Cleve, um 1520 (Gemäldegalerie Berlin).
Anbetung der Könige. Triptychon von Joos van Cleve, um 1520 (Gemäldegalerie Berlin).

 

Anbetung der Könige. Mittelteil eines Triptychons von Jacob Claesz van Utrecht, Anfang 16. Jh. (Gemäldegalerie Berlin).
Anbetung der Könige. Mittelteil eines Triptychons von Jacob Claesz van Utrecht, Anfang 16. Jh. (Gemäldegalerie Berlin).

 

 

Ein halbes Jahrhundert später malte auch Pieters Sohn Jan Bruegel der Ältere (1568‒1625) mehrfach Dromedare, so unter den Tieren der Arche Noah und in der zusammen mit Peter Paul Rubens geschaffenen Darstellung des Paradieses. Zu seiner Zeit konnte er als Vorbilder bereits auf exotische Tiere zurückgreifen, die in Menagerien gehalten wurden – solche waren im 16. Jh. noch kaum verfügbar.

Die Tiere der Arche Noah. Gemälde von Jan Bruegel d. Ä., 1613
Die Tiere der Arche Noah. Gemälde von Jan Bruegel d. Ä., 1613

 

Das irdische Paradies mit dem Sündenfall von Adam und Eva. Gemälde von Jan Bruegel d. Ä und Peter Paul Rubens, um 1615 (Mauritshuis Den Haag)
Das irdische Paradies mit dem Sündenfall von Adam und Eva. Gemälde von Jan Bruegel d. Ä und Peter Paul Rubens, um 1615 (Mauritshuis Den Haag)

 

Selbst, wenn man genau hinsieht – keine Sauropoden, aber mal wieder beeindruckende Fantasie

Alle Darstellungen kommen realen Dromedaren sehr nahe, wobei der lange Hals meist noch länger, aufrechter und gekrümmter dargestellt wird als beim echten Tier.
Zugegeben: Die Dromedare von Bosch, van Cleve, van Utrecht und Bruegel Jr. erscheinen allesamt weit realistischer als jene im Selbstmord Sauls, was dem höheren Detailgrad geschuldet ist: Trotz des epischen Sujets ist Bruegels Gemälde mit Maßen von 33,5 x 55,5 cm relativ klein; bei den Tieren handelt es sich um winzige Details im Hintergrund. So erscheinen die Tiere dort im Verhältnis zu den Menschen zu groß; nähere Details von Köpfen oder Füßen sind nicht zu erkennen. Doch während sich die ungefähre Form mit langem, S-förmig aufrechtem Hals, langen Beinen und abgerundetem (Höcker-)Rücken mit einem Dromedar deckt, unterscheidet sie sich bei näherer Betrachtung doch klar von den postulierten Sauropoden: Nicht nur scheinen die Tiere keinen sichtbaren Schwanz zu besitzen – auch die aufrechten, stark gekrümmten Hälse entsprechen vielmehr veralteten Rekonstruktionen von Dinosauriern, welche ihre Hälse tatsächlich eher waagerecht oder in einer schrägen Gerade gehalten haben dürften.
Es gibt demnach keinen Grund dafür, in Bruegels Gemälde etwas anderes als Dromedare zu erkennen: Die Körperform stimmt ebenso wie der dargestellte Kontext (Bibelszene im Nahen Osten); vor allem die Form des Halses findet enge Parallelen bei Kameldarstellungen von Bruegels Zeitgenossen. Freilich hält dies das kommentierende Internet-Publikum nicht davon ab, trotz allem an der Dinosaurier-Interpretation festzuhalten oder gar noch gewagtere Thesen aufzustellen. So zeugt besonders ein Kommentar bei Reddit von beeindruckender Fantasie:

„Wir werden definitiv über unsere Geschichte angelogen. Definitiv eine Art Schlangen-Elefant. El-phant bedeutet, die Götter zu präsentieren. Alles, was als Lasttier zum Tragen von Menschen verwendet wurde, wurde als Elefant betrachtet. Es gab viele Arten von Elefanten völlig verschiedener Arten. Wie die Riesen Nordamerikas, die Wollmammuts als ihre Elefanten verwendeten. Auf diesem Gemälde sieht es so aus, als ob sie eine Schlangen-/Reptilienkreatur als ihren Elefanten verwendeten. Es scheint auch, dass die Menschen viel größer waren. Und wir sind degeneriert, immer kleiner und dümmer geworden, während die Generationen vergehen.“

Wo von Dinosauriern in historischen Zeiten gesprochen wird, da sind auch Riesen, Verschwörungen und Schlangen-Elefanten nicht weit.

Von Leif Inselmann

Leif Inselmann wurde am 27.07.1998 in Kiel geboren. Er studierte Ur- und frühgeschichtliche Archäologie und Altorientalistik in Göttingen; seit 2024 promoviert er an der Freien Universität Berlin zur Archäologie der Bronzezeit. Auf dem Blog „Wunderkammer der Kulturgeschichte“ (wunderkammer.inselmann.net) setzt er sich kritisch mit kontroversen Thesen zur Geschichte und Archäologie auseinander. Neben der menschlichen (Vor-)Geschichte gehören auch Paläontologie und Kryptozoologie seit Kindheitstagen zu seinen Interessen.