Ulrich Magin berichtet anhand eines Artikels aus der Kölnischen Zeitung vom 12. Oktober 1822 in den Freitagnacht-Kryptos über den Seetiger oder Seemönch. Zur Klärung, ob es sich um eine Robbe oder vielleicht auch nur einen Mensch im Kostüm handelt, trägt das Tagsblatt für München vom Dienstag, dem 15 Januar 1828 bei:

Mad. Philadelphia zeigt uns in jetziger Dult ein seltenes, und in der Naturgeschichte merkwürdiges Tier, in einer geheizten Bude vor dem Karlsthor. Es ist ein See-Mönch (Phoca monachus). Ein Tier von dieser Art kommt selten zu uns. Es kann auch nur mit der größten Mühe transportiert werden.
Madame Philadelphia unternahm eine gefährliche weite Reise, um dieses Tier zu erhalten; wir sind zu entfernt von dem Gestade der Wellen, von den Mündungen der Flüsse, als dass es sich zu uns verirren könnte. Das Geschlecht der Robben, wozu es gehört, dies abenteuerliche Meerbewohnergeschlecht ist zahlreich, wie kaum eines in der Natur. Außer jenen Sirenen und Tritonen, welche der Fabelwelt in den Wellen spielen sah, wogen in den Meeren die Elefanten- und Löwen- und Bären- und Ziegen- und Hunde- und Kühe- und Kälber- und Rosse- und so manche andere Robbenarten, bekannter unter dem ansprechenden Namen: See-Elefanten.
Manche davon sind in großen Herden, die der alte Oceanos bald auf Klippen und Eisfeldern weiden lässt, bald in die blauen salzigen Fluten jagt. Zu ihnen gehört der gemeine Seehund, der sich längs allen Küsten der Nordsee bis zum äußersten Nordpol hinzieht, und dem armen Grönländer seinen Festtrank gibt, ihn mit dem Felle kleidet und mit dem Speck ernährt. Zu ihnen müssen wir den Seemönch zählen, eine große Robbenart. Dieses Exemplar, welches Madame Philadelphia zeigt, ist einem ausgewachsenen Menschen an Länge und Umfang gleich, ja an letzterem übertrifft es ihn. Nur wenige Naturforscher haben das wunderbar gestaltete, dem Scheine nach so träge und plumpe, der Sache nach so bewegliche Tier näher beobachten können, eben weil es nur selten überhaupt, und noch seltener in Gefangenschaft vorkommt, und nur den südlichen Meeren angehört.
Indessen besonders merkwürdig ist dies beim zu sehenden Exemplar wegen der, die Natur, das Element dieses Tieres in Betracht gezogen, bis zur kaum glaublichen gebrachten Zähmung, auf der andern Seite mit einer Gelehrigkeit verbunden ist, welche man bei diesem Tiergeschlechte kaum vermuten sollte. Das Tier gibt auf Befehl seiner Herrin eine der breiten Schwimmflossen, rechts oder links, wie es verlangt wird hin, gleich wie ein Hund seine Pfote gibt. Es wälzt sich auf Befehl hin um seine Achse mit ungemeiner Geschwindigkeit. Es richtet seinen Körper senkrecht auf und schaut mit dem gutmütigen Gesicht umher, auf jede Frage der Herrin blöckend antwortend. Das Publikum machen wir hiermit auf dieses merkwürdige Tier aufmerksam, welches gewiss einen zahlreichen Besuch verdient, und selten, vielleicht nie mehr ein Exemplar dieser Tiergattung bis zu uns kommen wird.

Bei dem Tier handelt es sich also um ein Exemplar der Art Phoca monachus, mittlerweile als Monachus monachus eingeordnet und mit deutschem Trivialnamen als Mittelmeer-Mönchsrobbe bekannt.
Die einstmals um das ganze Mittelmeer und dem östlichen Atlantischen Ozean beheimatete Robbenart wurde – neben ihrer wirtschaftlichen Verwertung – bis hinein ins 20te Jahrhundert immer wieder für Wanderausstellungen und Menagerien gefangen. Die Ausstellungen eines „sprechenden Fisches“, „Meermanns“ oder „Seeungeheuers“ in den Städten Mitteleuropas von München bis nach London und darüber hinaus wurden begleitet von anpreisenden Nachrichten- und Flugblättern (Johnson, William M. 2004. Monk seals in post-classical history. Mededelingen 39. The Netherlands Commission for International Nature Protection, Leiden).
Toller Fund – vielen Dank, Markus!
Markus geduldiges Nachforschen hat mich angespornt und ich konnte zwei weitere Stationen des See-Tigers finden: Ende Mai, Anfang Juni 1822 auf dem Schlossplatz von Karlsruhe (Karlsruher Intelligenz- und Wochen-Blatt, 30. Mai und 2. Juni 1822) und in Halle (Hallesches Tageblatt, 13., 20. und September 1823). In Karlsruhe wurde nur das Tier beworben, in Halle betont, dass Madame Philadelphia, Witwe, einen „großen lebendigen Seemönch, welcher sehr gut dressirt ist“, ausstellt. Sie sei auf der Durchreise nach Berlin, so dass anzunehmen ist, dass die Mönchsrobbe auch dort ausgestellt wurde. Das Tier reiste 1822 also von Karlsruhe nach Halle, von dort nach Berlin und dann nach Köln! Man mag sich nicht vorstellen, wie das Leben für die Robbe jahrelang in einem Fass gewesen sein muss.
Weitere Seehunde in Menagerien kann man in dem Beitrag zu „Robben im Rhein“ im neuen Jahrbuch nachlesen.
Danke auch dir, Ulrich. Bereits 1821 befand sich Madame Philadelphia in Bayern (Intelligenzblatt für den Unter-Mainkreis des Königreichs Bayern: 1821). Der Name Philadelphia ist m.E. relativ ungewöhnlich, hier könnte daher der Zusammenhang zur Menagerie des Alexander Philadelphia bestehen. Dessen Tochter Frederike heiratete Karl Krone, der den Grundstein für den Zirkus Krone legte.
Das weitere Schicksal des Seemönchs lässt sich bayerischen Zeitungen entnehmen. Mittelmeer-Mönchsrobben werden vermutet bis zu 30 Jahre alt, dieses bedauernswerte Exemplar erwartungsgemäß nicht…
„(Seemönch.) Am 9ten d. ist in München der, auch dahier so gern gesehene, schöne Seemönch (Phoca Manachus) gestorben. Seine Eigentümerin (Madame Philadelphia) ist über diesen Verlust ganz untröstlich. Sie ist vor Kummer krank geworden und befindet sich jetzt im großen Krankenhause, wo sie mit Sorgfalt gepflegt und behandelt wird. Das tote Tier ist von der k. Adademie der Wissenschaften erkauft worden, um in die Zoologische Sammlung aufgenommen zu werden. Die lebhaften und gestreichen Augen des lebenden Seemönchs ließen gewissermaßen ein höheres inneres Sein dieses interessanten Tieres ahnen.“ (Bayreuther Zeitung, 20. März 1828).
Tatsächlich wurde der Seemönch nach seinem Tod präpariert, allerdings fand er offenbar keinen Eingang in eine wissenschaftliche Sammlung.
„Madame Philadelphia verlor hier bekanntlich ihren Ernährer, den Seemönch, durch den Tod, und geriet dadurch in eine sehr drückende Lage. Recht schön ausgestopft und skeletiert nimmt sie jetzt diese schöne Tier mit auf Reisen über Augsburg, Würzburg u f. m., und zeigt dasselbe für eine Kleinigkeit.“ (Der Bayer’ische Landbote. 1828)
Der präparierte Seemönch fand allerdings offenbar keinen solch großen Anklang wie der lebendige und so wurde die Menagerie erweitert:
„Auch Madame Philadelphia suchte uns auf ihrer Durchreise nach dem Norden mit ihrem höchst interessanten See-Mönch aus dem Adriatischen Meere, aber leider nicht mehr mit dem lebendigen, welcher dahier vor zwei Jahren so viel Interesse fand, sondern nur mit dem ausgestopften. Zur Entschädigung zeigte sie ein Krokodill, einen Laponder-Affen oder Waldmann vom Cap und ein Wachsfigurenkabinet. Die Witwe Philadelphia hat leider durch den Verlust ihres See-Mönchs die Hauptquelle ihres Lebensunterhaltes verloren.“ (Bayreuther Zeitung, 04. Juni 1829)
Letztendlich half es nicht, das Geschäft von Madame Philadelphia war nicht weiter aufrecht zu erhalten:
„Hr. Philadelphia, welcher sich gegenwärtig mit einem sehenswürdigen Afrikaner hier befindet, ist ein eben so edelmütiger als gebildeter durch seine vielen Reisen erfahrener Mann. Wer erinnert sich nicht an das schöne Tier, der Seemönch, welcher vor ein paar Jahren hier lebend zu sehen war? Wer erinnert sich nicht an das Unglück, welches Madame Philadelphia, Schwäger in des Genannten durch den Tod des Tieres erlitt, dass sie ihres Nahrungszweiges beraubt, München im äußersten Elend verließ. Seit dieser Zeit irrte sie mit ihren zwei Söhnen, entblößt von Allen, in der Welt herum, der bittersten Not ausgesetzt. Alle welche die brave Frau während ihres Hierseins kennen gelernt haben, werden gewiß mit großer Teilnahme vernehmen, dass sie, von ihrem edlen Schwager in den Zeitungen aufgefordert, von demselben, der selbst eine zahlreiche Familie hat, mit ihren Söhnen angenommen, eine Reise von mehr als hundert Meilen zu Fuß zurückgelegt, und bei ihrem Retter nunmehr angelangt sei. Er verdient, dass ihm das Lied vom „braven Mann“ gesungen werde.“ (Münchner Tagsblatt, 22.Januar 1832).