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Oder:

„We want to believe“, “porque nos conviene“

Ausgangslage: Spaniens schwieriger Sommer 2020

Herbst 2020. Granada. Spanien hat einen harten Sommer hinter sich. Hohe Corona-Zahlen, viele Tote und eine Ausgangssperre, die zu den härtesten der Welt gehört. Es ist ein konstantes Auf- und ab, als wäre das Alltagsleben ein Wellengang zwischen zwischen Pandemie einerseits und wirtschaftlicher Bedenken andererseits. Arbeitslosigkeit, Unsicherheit darüber, wie es die nächsten Monate weitergeht. Und dann darf man trotzdem nicht einfach rausgehen und sein Leben in den Griff nehmen. Jeden Tag Meldungen in den Nachrichten über „Brotes de Corona“, das „Sprießen neuer Infektionszentren“. Spanien ist gesundheitlich bedroht, wirtschaftlich angeschlagen und vor allem nervlich am Ende.

Granadas schwarzer Panther: eine willkommene Ablenkung

Und da kommt der Panther von Granada gerade recht. Eine Woche, vom 11. September bis zum 18. September 2020 hält die „Pantera negra“ dem Land den Atem an. In einem kleinen Dorf namens Ventas de Huelma, nicht weit von Granada, wollen dessen Bewohner wiederholt einen schwarzen Panther zu Gesicht bekommen. Bald gibt es Fotos, manche zeigen nur einen schwarzen Punkt, andere eindeutig einen schwarzen Katzenartigen. Wir berichteten.

Panthersuche mit Helikopter: Überregionale mediale Aufmerksamkeit

Die Sepronas, die für Umweltfragen zuständige Behörde der Guardia Civil machen sich mit einem Helikopter auf, um das Tier zu suchen. In WhatsApp-Gruppen wird eifrig diskutiert. Der Panther ist Tagesgespräch. Auch größere Medien wie die Zeitung El Páis oder publikumslastige Kabarettsendungen wie El Intermedio scheuen nicht davor, über den Panther zu berichten.

Schwarzer Panther
Dieses Bild veröffentlichte die „Ideal“ am 14. September 2020

Des Rätsels Lösung: Schwarze Katze ja. Panther nein.

Dann, nach einer Woche, ist der Spuk vorbei. Ein Naturfotograf macht sich in die Gegend auf und präsentiert am 17. September 2020 ein Foto von einer großen schwarzen Hauskatze. Ein großes Exemplar, ja, aber nichts Ungewöhnliches. Und damit ist die Geschichte des Panthers von Granada fürs Erste besiegelt.

Ist das der Panther
Ist das der Panther? Das Foto soll am 12.09. entstanden sein. Veröffentlicht hat es der Diario Sur.

Denkt man.

Doch die Bewohner des kleinen Dorfs Ventas de Huelma haben die Episode nicht vergessen. „Dieses sonderbare Ereignis hat auf nationaler Ebene so große Wellen geschlagen und deswegen wollen wir es verewigen, damit es für immer in unserer Erinnerung bleibt“ (GranadaHoy vom 30. September 2021), heißt es aus dem Rathaus.

Gesagt, getan.

Ventas de Huelma. Denkmal mit Anspruch eines „historischen Moments“

Am 1. Oktober 2021 wird im Ortszentrum ein Denkmal der legendären schwarzen Großkatze errichtet. Es gibt eine große Party, bei Schnittchen vom Rosa Panther, Live-Musik, und Hüpfburgen werden Zeichnungen vom Panther angeboten (GranadaHoy vom 30. September 2021). So steht eine lebensgroße Skulptur aus Glasfaser seit diesem Tag im Zentrum von Venta de Huelma, schön ersichtlich auch von der nahen Durchfahrtsstraße aus. Realisiert wurde sie vom Estudio Arancos aus Ciudad Real, das diesen Auftrag gerne entgegennimmt und dem Rathaus einen Freundschaftspreis macht.

Schwarzer Panther?
Diese Ausschnittsvergrößerung zeigte der Diario Sur am 16. September.

Eine Herzensentscheidung ohne touristische Interessen …

„Wir wollten diese Skulptur in Auftrag geben, weil die Suche nach dem Panther etwas Historisches für unser Dorf war, denn wir waren eine Woche im nationalen Blickfeld. Und wir machen das nicht wegen touristischen Interessen, sondern weil wir uns im Herzen daran erinnern”, so Luis Miguel Ortiz, Bürgermeister von Ventas de Huelma.  (Ideal vom 27. September 2021)

… doch mit willkommenen touristischen Effekten

Trotzdem ist der Panther ein beliebtes Touristenobjekt geworden. Ein glücklicher Umstand, dass Ventas de Huelma ein Referenzpunkt auf vielen Fahrradrouten ist. So häufen sich am Wochenende eben doch viele Personen in Ventas de Huelma, um sich ein Selfie mit der legendären Katze zu machen.

Ich gebe zu, auch ich habe beim Erblicken des Panthers aus dem Rückspiegel meine Ausfahrt aus dem Kreisverkehr zu diesem Zweck gewechselt. Und in den Bars und Restaurants wurde laut dem ABC im Jahre 2021 auch immer fleißig gefragt, wo denn die Statue des Panthers ist. Tatsächlich kommt das Merchandising von Granadas Panther nicht zu kurz. „Schlüsselanhänger werden gerade angefertigt“, so der Bürgermeister. Die Katze soll sogar helfen, Solidaritätsfonds einzutreiben, zum Beispiel um La Palma zu unterstützen, das im Herbst 2021 von einem schrecklichen Vulkanausbruch heimgesucht wurde. (ABC vom 13.10.2021).

Ventas de Huelma, 2017
Ventas de Huelma, 2017, noch vor Corona – und dem Panther. CC-BY-SA 4.0 by Yslander

Ventas de Huelma und sein Panther – eine neue semantische Einheit …

Hat man da dann noch Interesse, den legendären Panther zur gewöhnlichen Hauskatze zu degradieren? „Wir wissen sehr wohl, einen Panther von einer Katze zu unterscheiden“, zeigt der Bürgermeister auf. In den Bars wurde 2021 wohl immer noch darüber diskutiert. Was jedenfalls klar ist, so resümiert ein Artikel der spanischen Zeitung ABC, der Panther und Ventas de Huelma gehen seitdem eine semantische Verknüpfung ein, egal, was letzten Endes dahinter steckte. „Das Eine ist nicht mehr ohne das Andere denkbar, zumindest am Hauptplatz des Dorfes“.

Ventas de Huelma und sein Panther – von nun an eine semantische Einheit

… mit ihren mythologischen Nachwirkungen

Wir haben also eine neue kryptide Legende im Süden Spaniens. Und klar ist, dass die lokalen Entscheider und wohl auch die Mehrheit der Bewohner kein Interesse daran haben, dass der Panther langfristig als das durchgeht, was er zur an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war, eine gewöhnliche schwarze Hauskatze. Mit der Legende lebt es sich einfach besser.

Remember September 2020:

Trügerische Gewissheit in allen Kreisen

Und so sahen es in der denkwürdigen Woche zwischen dem 11. und dem 17. September auch die meisten Spanier. Und zumindest alle Leute, mit denen ich in dieser Zeit über das Ereignis gesprochen habe. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis finden sich Personen mit psychologischer, pädagogischer und soziologischer Ausbildung. Nicht eine kritische Stimme kam aus ihren Reihen, in der WhatsApp-Gruppe diskutierte man darüber, stattdessen einen geplanten Ausflug in die Berge wegen der vermeintlichen Gefahr an dem Wochenende abzusagen. Doch richtig amüsant wird es erst, wenn Bekannte der Guardia Civil erzählen, wie Kollegen auf Basis der vermeintlichen „Beweise“ ganz heiß darauf waren, in das Dorf zu fahren und nach dem Panther zu fahnden.

Live dabei und mittendrin: Geburt einer kryptiden Legende

Es war das erste  – und bisher einzige Mal, das ich so einen Hype, der sich wohl bei der Geburt eines jeden fiktiven Kryptiden einstellt, in meinem eigenen persönlichen Umfeld miterleben durfte. Blind und aufgeregt bestimmte der Panther die Gespräche der Bevölkerung, von Kritik keine Spur. Es war für mich bis jetzt einzigartig. Und ich kann mir gut vorstellen, wie die Debatten in anderen Schlüsselmomenten der kryptzoologischen Folklore abgelaufen sind. So zum Beispiel bei Nessie in den 1930er Jahren oder beim Chupacabras in den 90ern. In Granada 2020 war jedenfalls klar: Die Leuten wollten diesen Panther. Und dementsprechend groß war auch die Enttäuschung, als dieser sich als Hauskatze herausstellte. Und (wie soll es anders sein?) so mancher akzeptiert diese Erklärung eben auch nicht, sondern stellt eine Verbindung zu früheren Großkatzensichtungen aus Almería her. ..

Granadas Panther 2020: Fazit

Lange ist es her, als ich in meinen schwärmerischen Jugendjahren auf einer eigenen Kryptozoologie-Seite den Stoff der britischen Alien Big Cat- Saga aufbereitete. Schön geordnet nach Beast und Moor. Seitdem habe ich mich nicht mehr aktiv mit diesem Phänomen beschäftigt und rutschte in die zweite Reihe eines passiven Mitlesers zurück. Will sagen: Ich fühle mich nicht berechtigt, über die britischen Großkatzensichtungen ein finales Statement abzugeben. Doch wenn ich mich in Zukunft noch einmal mit den englischen Alien Big Cats auseinandersetzen sollte, so werde ich meine Erfahrungen aus Granada nach England mitnehmen. Und diese sind: Es wird mich nicht beeindrucken, wenn:

  1. ein großes Aufgebot der Sicherheitskräfte nach einem vermeintlichen Panther fahndet.
  2. Die Mitglieder derselben Sicherheitskräfte von der Echtheit des Panthers ausgehen, ja, sogar einige von ihnen den Panther selbst gesehen haben wollen.
  3. Expertenaussagen mit akademischer Qualifikation (darunter auch sozialwissenschaftlich-kritischer Schulung) die Existenz der Großkatze bejahen.
  4. Leute aus der Bevölkerung beteuern, den Unterschied zwischen einem Panther und einer gewöhnlichen Katze zu kennen.

Und diese Erfahrungen würde ich auch jedem, der sich gegenwärtig mit den englischen Alien Big Cats eingehender beschäftigt, mit auf den Weg geben.


Zum Weiterlesen

ABC Sevilla vom 13.10 2021:https://sevilla.abc.es/andalucia/granada/sevi-ventas-huelma-levanta-estatua-falsa-pantera-atemorizo-pueblo-verano-2020-202110131236_noticia.html (letzter Abrufam 27. Mai 2023)

El Ideal vom 27. September 2021: https://www.ideal.es/granada/provincia-granada/ventas-huelma-recordara-pantera-20210927171259-nt.html

Granada Hoy vom 30. September 2021: https://www.granadahoy.com/provincia/pantera-Vuelve-Ventas-Huelma-Granada-escultura-fiesta_0_1615640566.html

Von Peter Ehret

Peter Ehret ist studierter Politikwissenschaftler und Rechtsphilosoph. Praktisch sein ganzes Leben ist Zoologie im Allgemeinen sein wichtigstes Hobby. Seit dem Jahr 2000 befasst er sich mit Kryptozoologie. Themenschwerpunkt seines kryptozoologischen Interesses sind die Rückwirkungen von konventionellen Tierbeobachtungen auf Legendenbildung. Seit 2012 lebt und arbeitet er als Deutschlehrer in Spanien.