Selbst ganz bekannte, durchaus gut erforschte Meerestiere können manchmal als großes Mysterium betrachtet werden. Ein Beispiel dafür sind Rochen – ihre Körperunterseite ähnelt einem menschlichen Gesicht, seit Jahrhunderten werden sie daher zu Meermenschen, bekannt als „Jenny Haniver“, präpariert. Seit den 1960ern ist ein weiterer Verwendungszweck hinzugekommen: die Herstellung von Alienleichen.
Nicht menschlich!
In Österreich wurde im Jahr 2003 die Leiche eines Außerirdischen gefunden – und es war tatsächlich ein nichtmenschliches Wesen! Im „CENAP Newsticker“ vom 28. April 2003 konnte man folgende Meldung der „Kleinen Zeitung“ aus Graz vom 26. April 2003 lesen:
„Ein Außerirdischer, der den Rückflug verpasst hat? … Ein neues Tier? Ein Überbleibsel aus grauer Vorzeit? Der Fund eines mumifizierten Wesens an der Böschung des Kirchheimer Baches in Radenthein sorgte für Aufregung und entfachte wilde Phantasien. ‚Ich war geschockt’, erzählt Entdeckerin Olga Schilke, ‚mit der gesichtsartigen Unterseite hat das Tier wirklich etwas Außerirdisches.’ Sie ließ es liegen, ‚doch am nächsten Morgen musste ich als erstes wieder daran denken – und holte es nach Hause’. Niemand kannte das Wesen, also informierte sie Kärntens Expertin für exotische Tiere, Helga Happ: ‚Diesmal wusste ich auch keinen Rat, bis meine Tochter herausfand, dass es sich um einen Rochen handeln muss.’
‚Rochen und Haie haben zweimal fünf Kiemenlöcher, aus denen das Wasser abfließt’, erklärt Sabine Happ (31). ‚Doch im Gegensatz zu den meisten Haien mit ihren eindrucksvollen Zähnen haben Rochen zwei Kieferplatten, die bei unserem Fund aussehen wie ein Mund. Und die beiden vermeintlichen Augen sind Löcher, durch die das Wasser in die Kiemen hinein fließt.‘
Mit der biologischen Rätselauflösung fällt Radenthein als neues Pilgerzentrum für UFO-Fans aus. Dafür stellt sich die interessante Frage, wie der Fisch nach Kärnten gekommen ist. Immerhin leben Rochen in tropischen und subtropischen Meeren wie auch im Süßwasser. ‚Meere hat es hier im Lauf von vielen Millionen Jahren zwar mehrmals gegeben’, sagt Landesmuseum-Geologe Friedrich Hans Ucik, ‚aber die letzten derartigen Gewässer sind schon vor sechs, sieben Millionen Jahren aus Lavanttal und Rosental verschwunden. Im viel höher gelegenen Radenthein gab es ohnehin nie ein Meer im engeren Sinne.’ Und da solche Funde auch nicht so lange existieren können, lautet Uciks wissenschaftliche Diagnose folgendermaßen: ‚Eine Trockenmumie, die vielleicht schon tot von einem Urlaubsstrand mitgenommen und hier entsorgt wurde.’“
Ein Meermensch oder gar Seeteufel?
Schon seit Jahrhunderten werden „Teufel“ und „Meermenschen“ aus bearbeiteten, getrockneten Rochen hergestellt, neu ist bei solchen Funden ist die Zuordnung dieser Fabelwesen nicht zur Kryptozoologie, sondern zur Ufologie.
Bekannt sind getrocknete Rochen als Jenny Haniver. Weil ihre Unterseite vorne Kiemen, Nasenlöcher und einen Mund aufweist, die recht menschlich wirken, lassen sich aus toten Rochen recht einfach menschlich wirkende „Seeteufel“ herstellen. Diese falschen Meeresuntiere wurden im 18. und 19. Jahrhundert in vielen Häfen angefertigt. Erste Berichte darüber stammen bereits aus den Zoologiebüchern der Renaissance-Gelehrten. Gewöhnlich wurden sie in Kuriositätenkabinetten, sogenannten Wunderkammern oder – später – auf Jahrmärkten als echte „Meermenschen“ ausgestellt.
„Interessanterweise“, schreibt der Wissenschaftshistoriker Richard Carrington in den 1950ern, „ist das Tier, das häufig als Grundlage für eine Jenny Haniver benutzt wird, der Rochen. Das menschliche ‚Gesicht’ ist ein guter Anfang für den Handwerker, von dem aus er den Rochen manipulieren kann. Die großen Bauchflossen können gefaltet und in fast jede Form gebracht werden. Was nun noch benötigt wurde, war die Veränderung des Mauls und der anderen Gesichtszüge, damit sie eine entsprechend schreckliche Fratze ergaben. … Dann musste das ganze nur sorgfältig getrocknet werden, damit es seine Form behielt.“ (Richard Carrington: Mermaids and Mastodons. Arrow Books 1960, S. 69).
Erst seit den 1970ern im UFO-Kontext
Das erste Mal, dass eine solche Jenny Haniver in einem ufologischen, hier prä-astronautischen, Kontext auftauchte, war in der 1970er Jahren in Peter Kolosimos Buch „Viel Dinge zwischen Himmel und Erde“ (Originaltitel: Il Planeta Sconosciuto; ich zitiere nach El planeta incógnito. Plaza y Janes, Barcelona 1985, S. 134). Kolosimo spricht in diesem sehr spekulativen Buch über Anzeichen dafür, dass intelligente „Meermenschen“ auf dem Grund des Ozeans leben. Diese aber, so meint er, dürfe man nicht mit dem „Fischmenschen“ verwechseln, über den die italienischen Zeitungen berichtet hätten – offenbar wurde also damals ein solches Wesen herumgezeigt und beschrieben.
Dr. Mario Guerra vom Naturwissenschaftlichen Museum Genua hätte der Turiner Zeitung „La Stampa“ gegenüber erklärt, dass dieses Wesen ein Rochen sei, der so zerschnitten wurde, dass er einem Zweibeiner mit menschlichem Kopf und Gesicht gleiche. Kolosimo sieht diese Rochenmumien also noch in der Tradition der Seeungeheuer, aber mit dem nächsten Fall hat sich dann der UFO-Mythos dieser alten Überlieferung bemächtigt.
Ein Fund aus dem Jahre 1963
Hier wurde eine Jenny Haniver zum ersten Mal zum Alien. Im Sommer 1963, also zu Anfang des Jahres (der Sommer liegt auf der Südhalbkugel der Erde in unserem Winter) ging der Geschäftsmann Humberto Poggini am Strand von Chanavaya bei Iquique, Chile, spazieren, als er einen durchdringenden Gestank bemerkte, der aus einem angespülten Haufen Seetang kam. Er durchwühlte die Algen und fand darin „einen fremdartigen Körper“, den er an sich nahm. Es roch weiterhin sehr streng, und der Mann konnte ein zweites totes Wesen bergen. Beide Kadaver wiesen „fünf Wirbel“ auf, sie stammten offenbar von menschenähnlichen Wesen, aber die Extremitäten fehlten.
1988 sind es Ufos und Besatzungen
Ende März bis Anfang April 1988 veröffentlichte die chilenische Sonntagszeitung „La Tercera“ eine Serie über UFOs und ihre Besatzungen. Poggini meldete sich bei dem Blatt, und schon bald untersuchten Ufologen seinen Fund. Sie stellten fest, dass es sich um die Kadaver außerirdischer Kinder handelte, die kaum 30 cm groß gewesen waren. Ähnliche Funde habe man bereits in Panama, in Playa Eréndira (USA) ((1)), und bei Ecuador gemacht. Poggini, der sich mittlerweile in die ufologische Literatur einlas, erklärte, dass „Knochenspezialisten und Meeresbiologen“ die Reste untersucht hätten, sie aber nicht identifizieren könnten – es seien weder die sterblichen Überreste von Vögeln, noch von Fischen, sondern von „Zweibeinern“.
Außerirdische Teufel?
Am 3. April 1988 berichtete „La Tercera“ über diese Sensation, zudem lieferte sie ein paar Tage später Fotos von mehreren so genannten garadiavolos ((2)) nach, weiteren, in Chile entdeckten „außerirdischen Teufeln“ – mit langen Stelzbeinen, lederartigen Flügeln und einem diabolischen Gesicht. Es wurde sogar vom Auftauchen eines „Seeungeheuers“ berichtete, das sich dann als missgebildete Molluske herausstellte.
Der Zoologe Julio Lamilla identifizierte anhand der Pressefotos die „Kadaver“ von Iquique als gewöhnliche Haischädel, die „Teufel“ aber als präparierte Rochen, als Jenny Hanivers. (Diego Zúñiga: Antecedentes para la comprehensión del desarollo social del fenómeno en Chile. Cuadernos des Ufologia 28, 2002, S. 28–97; S. 66–67, Fotos S. 70–71; Sebastian von Kleist: Encuentros con extraterrestres en Chile 1927–2017. Santiago de Chile: Ediciones Coliseo Sentosa, 2019, S. 157) ((3))
Jenny Hanivers als Aliens
Im Juli 1977 wurde in einem Schuppen bei Castelcovati am Ufer des oberitalienischen Flusses Oglio ein präparierter Rochen gefunden; damals mutmaßte die Presse, es könnte sich um ein Werkzeug für satanische Rituale gehandelt haben – oder einen Marsmensch! (Ulrich Magin: Seeungeheuer in den Seen Oberitaliens. Zeitschrift für Anomalistik 4: 145–191, 2004, S. 173)
Auch in den USA ist es schon zu solchen Meldungen gekommen, und nicht immer lässt sich aus dem Fundzusammenhang darauf schließen, dass es sich bei dem seltsamen Wesen um einen Meeresbewohner handelt. 2002 fand Bob Wheeler auf der West Mesa, einem Tafelberg bei Albuquerque, New Mexico, halb in der Erde vergraben ein bizarres Lebewesen. Sein Fund kam in die Lokalnachrichten, von den Einheimischen und von den Journalisten wurde er als Chupacabra identifiziert – bis im Februar 2005 der Biologe Brian Gleadle das Wesen als Jenny Haniver identifizierte. Wie der manipulierte und getrocknete Rochen auf den Berg kam, bleibt ungeklärt. (Benjamin Radford: The desert Devil Fish, Fortean Times 199, 2005, S. 52)
Aliens bei ebay…
Anfang August 2006 wurde für 10 Euro ein „echter, balsamierter Alien“ auf ebay Italien angeboten. Der Alien, runde 60 cm hoch, sei zwei Jahre zuvor mit seiner fliegenden Untertasse im Garten des Verkäufers in Cantoniera Pderas de Fogu in Sardinien gelandet. Das Angebot zeugte auf einem Foto eine typische Jenny Haniver, der Mann verkaufte allerdings zusätzlich Bruchstücke des UFOs. (http://cgi.ebay.it/ALIENO-ORIGINALE-IMBALSAMATO-EXTRA-TERRESTRE; Zugriff im August 2006)
… und bei youtube
Das vorerst letzte Beispiel, einer Jenny Haniver in den Nachrichten stammt aus der „Prawda“ Ende Januar 2007, Fischer aus der Umgebung von Rostow am Don hätten laut dem Blatt nach einem Sturm einen quickenden Außerirdischen im Asowschen Meer gefangen und das unheimliche Wesen mit dem Smartphone gefilmt. Der Film des Wesens, das 100 Kilogramm wog, ging rasch viral. Das Wesen selbst wollen die Fischer gekocht haben.
Von der russischen Zeitung befragte „Wissenschaftler“ erklärten, das Tier sei nicht zu identifizieren, man könne wohl eine Seejungfrau ausschließen, nicht aber einen Außerirdischen. (Russland Aktuell, 7. Februar 2007; Pravda (englische Ausgabe), 7. Februar 2007; Bild, 12. Februar 2007). Nicht nur stellte sich das Tier recht bald als Geigen- oder Gitarrenrochen heraus, der Film selbst war bereits am 30. November 2006 auf YouTube gepostet worden. Die Geschichte war also im doppelten Sinne erfunden. (Posts auf dem heute nicht mehr existierenden Forum „kryptozoologie.net/news/?p=222“).
Anmerkungen
1 Tatsächlich liegt Playa Eréndira zwar auf der Halbinsel Niederkalifornien, aber nicht mehr in den USA, sondern bereits in Mexiko.
2 Das Wort habe ich in keinem Wörterbuch gefunden. In Chile und Argentinien enthält das Spanische zahlreiche italienische Lehnwörter, diavolo (statt diablo für Teufel), ist ein solches. Es wird von cara – Gesicht und Teufel abgeleitet.
3 Vermutlich waren es diese erwähnten Funde von Panama, Niederkalifornien und Ecuador, die sich letztendlich teilweise als Überreste von Vögeln herausstellten, also nicht als Jenny Hanivers, die Erich von Däniken recherchierte und aufklären konnte. (vgl.: Reise nach Kiribati, S.136–139)