Die Brüder Lee und ihre Jagdhunde 1938 mit der geschossenen Onza. Foto: International Society of Cryptozoology
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Das Rätsel um die “Bestie” aus Montezumas Menagerie

Zugegeben, der Titel ist etwas reißerisch. Wenn der Autor dieses Artikels an Menagerien – also die Vorgänger zoologischer Gärten und moderner Zoos – denkt, hat er zunächst eine Art Wanderausstellung oder Kuriositätenkabinett im Kopf – mit allerlei bizarren Gegenständen und Merkwürdigkeiten sowie (zumindest den damaligen Besuchern) unbekannten oder exotischen Kreaturen. Der Französische Begriff ménagerie steht laut Duden eigentlich für “Haus(tier)haltung” [1] und ist der damaligen Umgangssprache französischer Bauern entlehnt –  wurde aber im 17 Jhd. als “Einrichtung für Luxus und Neugierde” in der Encyclopédie méthodique definiert und dann vorwiegend für “höfische Tierhaltung” verwendet. [2] (Agasse & Panckoucke)

 

Menagerie des Montezuma
Die Menagerie des Montezuma, Detail aus der Temixtitan-Karte, die 1524 in Nürnberg publiziert wurde und vermutlich Hernan Cortez gehörte

Heute trifft man eher selten auf diese Begrifflichkeit, da es eigentlich keine Menagerien mehr gibt, sie sind modernen Formen der öffentlich zugänglichen Tierhaltung gewichen – das Wort fällt eher in (historischen) Erzählungen und Berichten.

 

So wird auch der “Privatzoo” des aztekischen Herrschers Montezuma II (auch: Moctezuma) in der damaligen Hauptstadt des Aztekenreichs Tentochtitlán, in Erzählungen häufig als Menagerie bezeichnet.

 

Der erste Bericht über die Onza

Aus der Menagerie stammt auch ein bekannter Bericht über die Onza.

Mexiko Anfang des 16. Jahrhunderts: Die Konquistadoren sind auf dem Vormarsch, schmieden Bündnisse und schmeicheln sich bei Aztekenherrscher Montezuma II ein, nur um später die Hauptstadt Tentochtitlán zu stürzen.

1519 sind die zu diesem Zeitpunkt als Handelspartner auftretenden Spanier unter Konquistador Hernán Cortés zu Gast in Tentochtitlán. Während ihres Besuchs durften die Fremden auch die Menagerie Montezumas begehen. Bernal Diaz de Castillo, ein Begleiter Cortés‘, dokumentierte diesen wohl überwältigenden Anblick als eine Sammlung aller Tiere des Landes. Er berichtete beispielsweise von einem seltsamen Bullen mit löwenartigem Haar, einem Kamelhöcker und gekrümmten Schultern – uns heute bekannt als Bison – sowie von unzähligen Vögeln und Schlangen. Außerdem beschrieb er ein spezielles Gebäude in dem nur Fleischfresser untergebracht waren.

Dort trafen die Konquistadore auf drei Katzenarten, nämlich einen Tiger und zwei Löwenarten. Zumindest bezeichneten die Spanier diese als solche – sie orientierten sich nämlich zunächst an den Namen der Tiere, die ihnen aus ihrer “Alten Welt” bekannt waren. Tatsächlich handelte es sich bei dem Tiger wohl um den gefleckten Jaguar und bei einem der Löwen um einen Puma (heute häufig noch als Berglöwe bezeichnet). Der andere Löwe – die Azteken nannten ihn Cuitlamitzli – von Castillo als wolfsähnlich beschrieben, war ihnen aber gänzlich unbekannt und sorgte deshalb für Erstaunen unter den Spaniern. [3] (Frenz, 2000)

 

Was haben die Conquistadores gesehen?

Diese knapp 500 Jahre Überlieferung ist so heute nicht mehr im Detail prüfbar. Gleiches gilt in Bezug auf die Identität der vermeintlich unbekannten Spezies, welche die Conquistadores in der für sie neuen Welt gesehen haben wollen. Auch wie die Zuordnung der anderen beiden Katzen erfolgte – womöglich erst im Nachhinein durch ein Ausschlussverfahren – ist nicht nachvollziehbar, scheint aber ob der geringen Anzahl bekannter Vertreter größerer Katzenarten in Südamerika plausibel. Die Geschichte klingt zunächst einmal abenteuerlich und nach einer Art Legende oder Mythos. Sie wurde durch die Betrachter einer ihnen unbekannten Fauna in der “Neuen Welt” überliefert und kann deshalb nicht als handfestes Indiz für eine auch heute noch nicht beschriebene Tierart dienen.

 

Puma in Jütland?
Puma in einem Trockenhabitat wie der Sonora-Wüste

 

Doch weitere Sichtungen des Tieres blieben im westlichen Mexiko nicht aus. Es wurde von den Spaniern fortan als Onza bezeichnet – vom lateinischen uncia, der Bezeichnung für den Geparden (Cheetah). [4] (Clark & Coleman, 1999)

Der wissenschaftliche Name für den Jaguar ist übrigens Panthera onca und das spanische Wort Onza wird heute auch für Vertreter der Jaguarundi und Schneeleoparden verwendet. [5] (Der Beutelwolf-Blog)

Es wundert nicht, dass die Onza-Sichtungen und Beschreibungen aus den nächsten Jahrhunderten Jesuitenpatern zuzuordnen sind. Scheinbar sahen es die christlichen Missionare – neben ihrem Kerngeschäft – als eine ihrer Aufgaben an, die Geographie, Flora und Fauna der “Neuen Welt” (erst) zu beschreiben.

 

Jaguar
Jaguar im Zoo

 

Die Beschreibung von Ignaz Pfefferkorn

Pater Ignaz Pfefferkorn berichtet in seiner 1794 erschienen Landesbeschreibung des nordwestlichen mexikanischen Bundesstaats Sonora er sei 1757 einer Onza begegnet. Er schreibt von einer im Vergleich zum Puma schmalen, länglichen Katze mit rötlichem Fell, die Ähnlichkeiten zum Wolf habe.[6] (Pfefferkorn, 1794)

Der Jesuitenpater Johann Jakob Baegert erzählt aus seiner Zeit der Zusammenarbeit mit Einheimischen in den Jahren 1751-1768 im Sonora benachbarten Bundesstaat Baja California sinngemäß folgendes: “Eine Onza wagte es, die Mission meines Nachbarn zu überfallen, als ich zu Besuch war. Sie griff dort einen 14 Jahre alten Jungen an – bei vollem Tageslicht und praktisch vor den Augen aller Leute. Ein paar Jahre zuvor hatte eine andere dieser Katzen hier den stärksten und angesehensten Soldaten der Region getötet.” [7] (Clark, 2013)

Francisco Javier Claviego berichtet von einer weiteren Sichtung sinngemäß “In der Baja California lebt ein Tier, welches in der Farbe einem Puma gleiche, aber weniger feist sei.” [8] (Frenz, 2000)

 

Viele Jahre ähnliche Beobachtungen

Heute kann freilich nur noch spekuliert werden, was Cortés und seine Männer in der Menagerie des Montezuma und die Jesuitenpater über 200 Jahre später gesehen haben.

Bis hierher kann festgehalten werden:

Es gibt Jahrhunderte alte Berichte über ein Katzenwesen, das schlanker und drahtiger als ein Puma ist. Es soll sich aggressiv gegenüber Menschen verhalten und ein rötliches Fell haben.

 

Karte Mexikos
Karte Mexikos mit den Bundesstaaten

 

So stellt sich also weiterhin die Frage:

Gab es in Mexiko, speziell in den westlichen Bundesstaaten Baja California (Sur), Sonora und Sinaloa, eine bisher noch nicht wissenschaftlich beschriebene Wildkatzenart – und vielleicht noch spannender: Existiert sie bis heute?

Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Onza keine internationale Aufmerksamkeit von Zoologen oder Wissenschaftlern zuteil – allein die lokale Bevölkerung war von ihrer Existenz überzeugt.[9] (Clark & Coleman, 1999)

 

Die Jagdgeschichte der Brüder Lee

Die bekannteste und glaubhafteste Geschichte über die Onza wussten die Brüder Lee zu berichten.

Den Kontakt zu ihnen suchte unter anderem der umtriebige Richard Greenwell, seines zeichens Generalsekretär der International Society of Cryptozoologie, in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, um endgültige Beweise dafür finden, dass die Onza als eigene Art existiert.[10] (Clark & Coleman, 1999)

Eine waschechte kryptozoologische Untersuchung

Dale Lee erzählte ihm, was seinen Brüdern und ihm während der Führung des amerikanischen Bankier Joseph Shirk auf Jaguarjagd 1938 in der Provinz Sinaloa im San-Ignacio-Distrikt widerfahren ist. Sie begaben sich mit Eseln und Mulis in die Berge oberhalb der subtropischen Vegetation Sinaloas [11] (Frenz, 2000)
Lange fanden die Jäger keine Jaguarspuren, doch ein anderes Tier reagierte auf ihre Lockversuche. Mit Hilfe von Jagdhunden trieben sie die große Katze auf einen Baum und konnten sie am Hinterbein verwunden. Trotz ihrer Verletzung konnte sie zunächst fliehen – mit einer solch atemberaubenden Geschwindigkeit, dass selbst die Hunde kaum hinterher kamen. Erst als sie sich erneut auf einen Baum flüchtete gab es für sie kein Entkommen mehr.

Bei genauerer Untersuchung der getöteten Katze konnten die Gebrüder Lee feststellen, dass das Tier wesentlich schlanker war als ein Puma, jedoch länger. Auch die Länge von Beinen und Ohren fiel auf. Leider ging der Körper verloren – jedoch hatten die Lees den Körper fotografiert und vermessen.[12] (Frenz, 2000)

Die damalige Qualität der Fotografien ist für eine heutige Bewertung des Wahrheitsgehalts der Geschichte allerdings nicht ausreichend. Übrigens ebenso wenig wie die durch die Lees genommenen Maße, die der Autor dieses Artikels nicht ausfindig machen konnte.

 

Die Brüder Lee und ihre Jagdhunde 1938 mit der geschossenen Onza. Foto: International Society of Cryptozoology

 

Parallelen zu den Erzählungen aus den vergangenen Jahrhunderten sind allerdings offensichtlich. Dies veranlasste 1885 Greenwell dazu selbst nach Sinaloa zu reisen. Dort traf er den Farmer Jesus Vega, der zehn Jahre zuvor ein ähnliches Tier geschossen haben wollte. Er hatte dessen Schädel noch aufbewahrt. Dieser ähnelte nach genauerer Betrachtung dem eines Pumas, lediglich bestimmte Zähne fehlten – dieser wie andere vermeintliche Onza-Schädel – lieferten keinen Beweis für die Existenz einer Onza. Greenwell bat die dort ansässigen Farmer um Nachricht, falls sie einer ungewöhnlichen Katze begegnen würden. [13] (Clark, 2013).

 

Der im Text erwähnte Onza Schädel mit dem Onza-Forscher Robert E. Marshall und dem Rancher Ricardo Urquijo in dessen Besitz er später gelangte. Foto: International Society of Cryptozoology

 

Der Fund von 1986

Es dauerte nicht lange bis sich zwei Farmer im Januar 1986 bei ihm meldeten. Sie erinnerten sich an den “Gringo”, der nach ungewöhnlichen Katzen suchte. Die Brüder wurden am Neujahrstag auf der Hirschjagd von einer Katze überrascht und schossen diese aus Selbstschutz, da sie das Tier in der Dunkelheit für einen Jaguar hielten. Sie reagierten schnell, als sie bemerkten, dass sie das Tier nicht zuordnen konnten und ließen den Kadaver 17 Stunden nach dessen Abschuss einfrieren. [14] (Frenz, 2000)

 

Onza
Die von den Farmern 1986 geschossene Onza. Foto: International Society of Cryptozoology

 

Im Februar 1986 konnte Greenwell dann gemeinsam mit dem ausgewiesenen Puma-Experten Troy Best das eingefrorene Tier begutachten.

Ähnlichkeiten mit einem Puma – oberflächlich

Auf den ersten Blick sah das weibliche Tier ganz anders aus als ein Puma – oder jede andere bekannte Katzenart. Die Kreatur wirkte ausgesprochen zierlich, der Beine waren schlank und länger als die eines gewöhnlichen Pumas, genauso wie Ohren und Schwanz. Die Knochen der Vorder- und Hinterbeine waren eindeutig länger als die eines Pumas. Die Fellmusterung wies einige kleine horizontale Streifen auf, die so bei Pumas bisher nicht bekannt waren. [15] (Frenz, 2000)

Das durchschnittliche Gewicht eines weiblichen ausgewachsenen Pumas wird unterschiedlich beziffert. Große Exemplare können wohl über 80 kg wiegen, kleinere, magere Ausgaben aber immer noch um die 30 kg. [16] (Sunquist F., Sunquist M., 2000)

Laut das-tierlexikon.de sind die Pumas in Mittelamerika im Allgemeinen schlanker, als ihre Artgenossen in den USA und Kanada. [17] (Das-Tierlexikon.de)

Das 1986 geschossene Tier wog allerdings nur 27 kg und sah dabei wohlgenährt aus, ausreichend Fettreserven waren vorhanden. Eine Sektion zeigte, dass die Katze gesund und parasitenfrei war. [18] (Frenz, 2000)
Morphologisch unterschied sich die mutmaßliche Onza also eindeutig vom Puma, wie auch Troy Best postulierte. [19] (Clark, 2013)

 

Nach Analyse der Haare stellte sich zunächst große Ernüchterung ein – keine Unterschiede zu den Haaren eines Pumas. Das National Cancer Institute in Washington nahm sich der biochemischen Untersuchung des Gewebes an und verglich es mit dem Gewebe von Pumas, Tigern, Löwen, Jaguaren und Geparden. Das Ergebnis: Auch die biochemische Untersuchung nicht näher spezifizierter Gewebeproben ordnet die Proben der vermeintliche Onza einem Puma zu. [20] (Frenz, 2000)

 

Doch wie kann das sein?

 

Erklärungsansatz:

Der Säugetrierkundler Helmut Hemmer war fasziniert von der Onza. Er hatte stets seine eigene Hypothese um was es sich bei dem kryptiden Katzenwesen handeln könnte. Ursprünglich vermutete er einen überlebenden urzeitlichen Geparden. [21] (Clark, 2013)

Die Untersuchungsergebnisse des Onza-Körpers nahm er zum Anlass für einen neuen Erklärungsansatz:

Hemmer verweist auf einen weiteren (ehemaligen) Kryptiden, den Nsui-Fisi. [22] (Frenz, 2000)

Die Legenden der Einwohner des ehemaligen Rhodesien (heute Simbabwe) berichteten von einer “Leoparden-Hyäne”, die zurückgezogen und scheu in den Wäldern des Landes leben würde.

In den 1920er Jahren wurde eine solche Katze gefangen und auf Grund der Merkmale beider Spezies – vor allem der Pelzzeichnung – für eine Kreuzung aus Leopard und Gepard gehalten und zunächst als neue Art beschrieben, dem Königsgeparden. Erst Anfang der 1980er Jahre wurde das Gegenteil bewiesen: Im De Wildt Cheetah Breeding and Research Centre Pretoria wurde in einem Wurf junger Geparden ein kleiner “König” geboren. Dieser hatte die entsprechende Pelzzeichnung. Weitere Untersuchungen zeigten, dass diese “Königsfärbung” rezessiv vererbt wird. [23] (Frenz, 2000)

Bei der Onza könnte laut Hemmer ein ähnlicher Fall vorliegen. Sie wäre aus diesem Grund trotz deutlich anderem Aussehen der Art Puma zuzuordnen. Er führt als Beispiel das Phänomen “Akromegalie” beim Menschen an. Hier werden Finger, Füße und Nase durch vermehrtes Ausschüssen von Wachstumshormonen länger als gewöhnlich. [24] (Akromegalie – eine umfassende Betrachtung)

Hemmer betont allerdings ausdrücklich, dass dies nur eine Vermutung sei – eine interessante These ist es jedoch allemal.

 

 

Bewertung:

Die Onza ist wirklich ein außergewöhnlicher Kryptid.

Ihre Geschichte bietet alles, was das Kryptozoologen-Herz höher schlagen lässt:

  • Sichtungen über Jahrhunderte
  • Renommierte Fachkundige, die die Legenden ernst nehmen
  • Mehrere Kadaver des Kryptiden
  • Wissenschaftliche Untersuchungen dieses Kadavers
  • Etablierte Biologen, die die Ergebnisse interpretiert haben

Und zu guter Letzt: Das Ergebnis der Untersuchungen ergab, dass das untersuchte Tier wohl eine lokale Variante des Pumas mit physischen Auffälligkeiten ist.

Wenn man es augenzwinkernd mit Richard Greenwell hält, kann der Mythos dennoch weiterleben und die Onza behält ihren Status als Kryptid:

“Vielleicht war die Onza, die wir gefunden haben, gar nicht die wirkliche Onza.”[25] (Frenz, 2000) – und die “Bestie” aus Montezumas Menagerie lebt weiterhin in den schwer zugänglichen Bergregionen Mexikos und wartet auf ihre Entdeckung.

Von Julian Tetzlaff

Julian Tetzlaff, geboren 1992, kommt aus der Nähe von Darmstadt und arbeitet im Marketing eines mittelständigen IT-Dienstleisters. Während seines Master-Studiums in Neue Medien Marketing bemerkte er seine Leidenschaft für das Schreiben und seine Fähigkeit erklärungsbedürftige oder sehr technische Sachverhalte möglichst simpel darzustellen. Das Interesse an der Kryptozoologie begleitet ihn schon von Kindsbeinen an. Damals weckten Fernsehdokumentationen über die Kreaturen der Tiefsee eine bis heute bleibende Neugier. Neben der Kryptozoologie sind Fachliteratur zu Psychologie und Grenzgebieten der Psychologie Lektüren, die in seinem Bücherregal nicht fehlen dürfen.