Resultate einer lokalen Nachforschung
Mein kurzes Exposé bezieht sich auf Vorkommnisse am und im Murtensee / Lac de Morat, an dessen Ufer ich manche Jahre lebte und auch heute noch in unmittelbarer Nähe des Sees meinen Wohnsitz habe.
Der idyllisch gelegene Murtensee befindet sich im sogenannte Dreiseenland der Schweiz und ist via schiffbare Kanäle mit den einiges größeren Neuenburger- und Bielerseen verbunden. Er weist eine Fläche von 23 Quadratkilometern sowie eine maximale Tiefe von 46 Metern auf. An seine Ufer grenzen zahlreiche Weinberge und hübsche Dörfer sowie die mittelalterliche Zähringerstadt von Murten / Morat. Die Region ist zweisprachig, d.h. Schweizerdeutsch und Französisch. Die Region ist sehr reich an neolithischen und römischen Fundstätten. La Tène, welches aufgrund der dortigen Funde einer urgeschichtlichen Epoche (zweite Eisenzeit) den Namen gab, befindet sich am Nordende des nahe gelegenen Neuenburgersees.
„Vier U-Boote tauchen wie auf Kommando unter“
Kurz vor meinem Umzug an die Gestade des Murtensees erschien am 5. August 1992 in der seriösen und überregionalen Tageszeitung „Berner Zeitung“, ein merkwürdiger Leserbriefe mit dem Titel „Vier „U-Boote“ tauchten wie auf Kommando unter“.
Der Artikel beschrieb die Sichtung dreier Personen, welche dazu auch Ferngläser benutzten, von vier langen, dunkelblauen und in einer Einheit schwimmenden Objekten im Murtensee. Aufgrund eines in der Nähe des oder der Objekte verankerten Bootes, wurde die Gesamtlänge der sichtbaren Körperteile auf 4,5 bis 5,5 Meter geschätzt.
Wenige Tage später wurden in einem zweiten Leserbrief solche Sichtungen im Murtensee bestätigt. Der Schreiber habe selber mehrere hundert Mal ähnliche Objekte und unerklärbare markante Wellenbewegungen im See beobachtet. Dies insbesondere an lauen Sommerabenden.
Als engagierter “Kryptozoologe” schrieb ich umgehend beide Autoren für zusätzliche Details an. Der erste Leserschreiber, ein Architekt, welcher aufgrund seines Berufes sicherlich fähig sein sollte, Größen und Distanzen korrekt einzuschätzen, ließ mich die folgenden Ergänzungen wissen.
- Er was sich absolut sicher, dass jeder der vier gesichteten Körper zwischen 4,5 und 5,5 Meter lang war.
- Die vier Körper schwammen in einer Linie und tauchten einer nach dem anderen unter (1, 2, 3 und 4).
- Die Sichtung dauerte ca. 5 Minuten.
- Die Wasseroberfläche war ruhig.
- Keine Körperdetails waren erkennbar (Schwimm- oder Rückenflossen, Kopf, etc.).
Das „jeder Körper“ zwischen 4,5 und 5,5 Metern lang gewesen sei, steht im Widerspruch zu den Angaben im ersten Leserbrief. Auf meine Rückfrage hin, wurde mir dies aber erneut bestätigt.
Wahrnehmung versus Interpretation versus Realität!
Die permanente Problemstellung bei Zeugenaussagen. Dazu mehr in meinem geplanten Artikel im nächsten Jahrbuch für Kryptozoologie.
Der zweite Augenzeuge teilte mir mit:
- Sichtungen seien normalerweis nur an warmen Sommerabenden zwischen 17.00 und 20.00 Uhr.
- Sichtungsdauer in der Regel ca. 5 Minuten.
- Sichtung immer in seichten Gewässern (maximal 10 Meter Tiefe).
- Keine Körperdetails seien erkennbar (Schwimm- oder Rückenflossen, Kopf, etc.).
- Einzelne und mehrere Körper gesehen.
Im nächsten Sommer erhielt ich eines späten Nachmittags seinen Anruf, dass die Tiere wieder aktiv seien und er lud mich zu sich ein. Ausgerüstet mit einem starken Teleobjektiv fand ich mich kurze Zeit später bei ihm ein.
Von seinem Haus aus, welches an einem Hang oberhalb des Sees lag, hatten wir eine fantastische Aussicht auf das unter uns befindliche Mündungsgebiet des Flusses Broye in den Murtensee. Nach kurzer Zeit gab es dort seltsame und starke Wellenbewegungen, auch gegen die Strömung. Die Sonnenstrahlen reflektierten sich auf großen und sich bewegenden Körpern. Es schien, als spielten und sonnten sich diese im seichten und warmen Wasser.
Einige Boote waren in der Nähe vor Anker oder trieben im Wasser. Doch keines war unter Motorleistung. Außer den beschriebenen starken Wellenbewegungen, war das Wasser rundherum ruhig.
In Bezug zu den genannten Leserbriefen teilte eine Berufskollegin meiner Gattin mit, dass einmal, als sie sich in ihrem Gummiboot auf dem Murtensee treiben ließ und die Sonne genoss, der Bootsboden einen äußerst heftigen Schlag von unten her bekam, welches sich anfühlte, als ob sich ein großer Körper unterhalb des Bootes bewegte. Dito wurden mir Beobachtungen über das urplötzliche Verschwinden von schwimmenden Wasservögeln zugetragen.
Wer oder was kam für diese Sichtungen in Frage?
Wie bereits in beiden Leserbriefen suggeriert, sei dafür wohl kaum ein lokales „Nessie“ verantwortlich sondern die legendären großen Welse (Silurus glanis), welche von Zeit zu Zeit im Murtensee gesichtet werden.
In der Folge kam ich in Kontakt mit verschiedenen, auf den Welsfang spezialisierten Fischern. Sie bestätigten, dass im Murten- wie auch im Bielersee eine stattliche Population von Welsen lebe. Periodisch werden Welse von mehr als 2 Metern Länge und einem Gewicht zwischen 50 bis 60 Kilogramm gefangen.
In den Archiven der lokalen Zeitungen stieß ich auf Zeitungsartikel, welche über solche Fänge berichteten, häufig mit dem reißerischen Titel: „Ein Seeungeheuer wurde bei …. gefangen.“.
Eine Privatperson stellte mir eine eindrückliche Fotografie zur Verfügung, welche einen Fang aus dem Jahr 1941 eines 95 Kilogramm schweren Welses im Murtensee zeigt.
Interessant ist, dass dieser Fisch zwischen dem Seegrund und der darüber liegenden dicken Eisschicht eingeklemmt war.
Welse als Angel- und Speisefische
Eines Sommerabends im Jahr 1995 fielen mir zahlreiche Personen auf, welche in unseren Dorfbrunnen, welcher sich Nahe des Seeufers befindet, starrten.
Tatsächlich lag dort ruhig ein gerade gefangener Wels von 2 Metern Länge und einem Gewicht von 55 Kilogramm. Aufgrund seines Habitats am Seegrund und bei Wasserpflanzen, musste er zuerst im Brunnen einige Tage gewässert werden.
Ein großes Schild wies darauf hin, keinesfalls das Tier zu berühren. Bei Betrachtung seines riesigen Mauls, weiß man sofort warum.
Eines unserer Restaurants im Dorf war auf Welsgerichte spezialisiert. Der Koch ließ mich wissen, dass er trotz des enormen und ungenießbaren Körperfettanteils, aus den Rückenfilets des Fisches 70 Portionen zubereiten konnte.
Ein paar Jahre später wurde erneut ein großer Wels im Dorfbrunnen gewässert. Kurz darauf berichtete jedoch die lokale Zeitung, dass das Tier verschwunden sei und massive Blutspuren vor Ort gefunden worden seien. Rasch kursierten die unterschiedlichsten Spekulationen. Leider wurde wenige Tage später der tote und schwer verletzte Körper des Tieres angeschwemmt.
Eine Gruppe von Tierschützern beabsichtigte, das Tier zu retten und zurück in den See zu transportieren. In ihrem Vorgehen verhielten sie sich leider sehr naiv und verletzten das Tier beim Herausnehmen und dem Transport zum See schwerstens.
Auch Scheuchzer kannte den Wels
Bei der Vorbereitung zu diesem Exposé habe ich erneut Johann Jacob Scheuchzers Naturgeschichte des Schweizerlands konsultiert. Im zweiten Teil (S. 255 und 256 seiner Bergreise im Jahr 1705) wurde ich wie folgt fündig (ich behalte seine alte Schreibweise bei):
Um den Mittag begaben wir uns auf den Murter-See, um wieder nach Murten zu gehen. Dieser See, welcher bis 27 Klaffter tief ist, hat schmackhaftere Fische als der nahe haben liegende Neuenburger-See, deswegen den die Freyburger in der Fakten vor jedes Pfund zwei Kreuzer mehr bezahlen, also vor die aus dem Neuenburger-See. Aus dem Murter-See führen wir durch den Kanal in den Neuenburger-See, welcher bis auf 20 Klaffter tiefer als der Murter-See sein soll. In beiden fang man Wels-Fische, welche in unseren süssen Wassern die andern Fische so weit, als die Wallfische die übrigen Meer-Fische, an Grösse übertreffen. Sie werden sonst auch Wälinen, Balinen, Deutsche Wallfische, Wels, Saluren genennt. Sie halten sich in der Tieffe auf, und sind zur Speise sehr begehrt. Man sehe davon bei den Thierbeschreibern, insonderheit den Gesner, Willoughgy, Worm, und von unsern Schweizerischen Fischen Wagner Hist. Nat. Helv. P. 217.
Nachsatz
Nachsatz im Sinne eines Clin d’Oeil (diskrete Andeutung): Als ehemaliges Mitglied des Krisen- und Katastrophenstabes der Region Murten erhielt ich durch die Feuerwehr und die Seepolizei die Information, dass der Murtensee einige Ertrunkene nicht wiedergegeben habe. Gerade in der Sichtungszone beim Broyekanal, wo regelmäßig Welse gesichtet werden, wird seit Jahren im Dickicht des Seegrases und der Algen ein männlicher Leichnam vermutet. Ein kleiner Link zu den „Monster“-Seen und der Legende, dass einige von diesen, die Körper von Ertrunkenen nicht mehr freigeben?
So oder so, gutes Wässern ist empfohlen!
Ergänzung (Red.)
Nicht nur in der Schweiz, sondern auch im klimatisch weniger geeigneten Deutschland sind Welse als „Seemonster“ sehr beliebt. Zeichner Stefan Roth hat ihm auf unserer kryptozoologischen Deutschlandkarte ein kleines Denkmal gesetzt.