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Wölfin Gloria in NRW

Wir berichteten mehrmals über die Wölfin Gloria (GW954f) vom Niederrhein. Sie ist eine der wenigen Wölfe in NRW und eine von zwei oder drei Fähen im Land, die 2023 Junge hatten. Die Medien wurden auf sie aufmerksam, als ein Schäfer zunächst einfach nur um weitere Zuschüsse zum Herdenschutz bat, die das Land zunächst verweigerte. Dieser Zwist schaukelte sich über mehrere Jahre auf, bis schließlich dem Schäfer nichts anderes übrig blieb, als die Abschussgenehmigung zu beantragen. Dem Schäfer liegt nach eigenen Aussagen nichts daran, die Wölfin erschießen zu lassen, er will nur, dass seine Herde geschützt ist.

 

Wolf
Beispielbild, das ist nicht Gloria

 

Seit 2018 hat Gloria nachweislich mehr als 160 Nutztiere getötet, darunter hauptsächlich Schafe, aber auch einzelne Ponys. 17 weitere Risse gehen vermutlich auf ihr Konto, sie hat zwischenzeitlich gelernt, die vom Land geförderten 120 cm hohen Elektrozäune zu überwinden. Gloria ist vor allem in den Gemeinden Hünxe und Schermbeck unterwegs, aber auch in angrenzenden Orten wie Orte Dinslaken, Voerde und Hamminkeln sowie Kleve, Borken, Recklinghausen, Bottrop und Oberhausen hat sie Tiere gerissen.

 

Am 20.12. hat der Kreis Wesel eine Allgemeinverfügung veröffentlicht, die den Abschuss der Wölfin erlaubt. Diese beinhaltet, die „zielgerichtete Tötung eines Wolfes (…)  mit dem Ziel, die Wölfin GW954f zu entnehmen.“ Weiter wird verfügt, dass nur Jagdausübungsberechtigte schießen dürfen, die vorher bei der Naturschutzbehörde des Kreises Wesel einen entsprechenden Auftrag erhalten haben. Diese Verfügung gilt bis 15.02.2024.

 

Der BUND am folgenden Donnerstag, 21.12. Klage gegen die Allgemeinverfügung eingereicht. Man halte die Allgemeinverfügung für fehlerhaft und nicht ausreichend begründet, im Gegenteil: Gloria sei das einzige reproduzierende Tier im weiten Umkreis, das daher sogar besonderen Schutz verdiene. Weiterhin sagt Holger Sticht, Vorsitzender des BUND NRW: „So lange sich Tierhalter weiterhin weigern, den notwendigen und öffentlich geförderten Herdenschutz, zu welchem auch unzweifelhaft Herdenschutzhunde zählen, in Anspruch zu nehmen, wird es auch weiterhin Nutztierrisse geben, egal durch welchen Wolf.“

 

Wolf im Wald
Noch ein Wolf im Wald

 

Die Kreisjägerschaft Wesel hatte bereits vor der Allgemeinverfügung angekündigt, sich nicht an der Jagd auf die Wölfin zu beteiligen. Dies hat aber weniger ihren Ursprung im Naturschutz, sondern in juristischen Problemen. Ähnlich hält es das Regionalforstamt Niederrhein: Gloria unterliege in NRW nicht dem Jagdrecht, sondern dem Naturschutzrecht. Daher müsse sich die Untere Naturschutzbehörde oder das Umweltministerium drum kümmern.
Die Kreisverwaltung konnte am 20.12. keine Auskunft geben, wer konkret die Wölfin erschießen soll.

 

Das Verwaltungsgericht entscheidet schnell

Noch am Tag der Klage hat das Verwaltungsgericht in Düsseldorf die Allgemeinverfügung außer Kraft gesetzt. Über die Eilanträge solle in der kommenden Woche entschieden werden.

Am 17. Januar 2024 kam es dann zu einem Urteil: Trotz Ausnahmegenehmigung darf die Wölfin Gloria nicht erschossen werden. Das Verwaltungsgericht entsprach damit mehreren Eilanträgen von Umweltverbänden. Laut Gericht habe der Kreis nicht ausreichend zeigen können, dass durch die Wölfin tatsächlich ein ernstzunehmender landwirtschaftlicher Schaden droht. Eine echte Verhaltensänderung in Form einer Spezialisierung auf Weidetiere habe sich im Verhalten der Wölfin nicht erkennen lassen. Dass die Wölfin den empfohlenen Herdenschutz überwinden könne, sei ebenfalls keine neue Erkenntnis.

 

Quellen

WDR vom 21.12.23: Kreis Wesel erlaubt Tötung von Wölfin Gloria: BUND klagt

WDR vom 21.12.23: Verwaltungsgericht: Wölfin Gloria darf vorerst nicht getötet werden

WDR vom 17.01.24: Gericht verbietet Abschuss von NRW-Wölfin Gloria

WDR vom 23.01.24: Kein Ende im Streit um Wölfin Gloria: Kreis Wesel kämpft weiter für Abschuss

 

Wolf im Wald
Und noch ein Wolf im Wald. In Deutschland bevorzugen sie übrigens halboffene Habitate. Geschlossene Wälder mögen sie nicht so, ebenso wenig wie völlig offene Wiesen.

Kommentar: Nicht Gloria ist das Problem, sondern verhärtete Positionen

Die Bewertung des Gesamtumfeldes „Gloria“ ist nicht einfach. Zunächst ergeben sich zwei eindeutige, extreme und damit einfache Positionen:

  • Die Wölfin richtet seit 2018, also seit fünf Jahren regelmäßig Schäden in landwirtschaftlichen Betrieben an und hört von sich aus nicht damit auf.
  • Es handelt sich um die einzige sich reproduzierende Wölfin im Bundesland. Ein weiteres Rudel lebt am anderen Ende NRWs im Westerwald, an der Grenze zu Rheinland-Pfalz, hat sich 2023 aber nicht fortgepflanzt.

Betrachtet man die Zwischentöne, wird die Sache schwieriger. Die meisten Weidetiere, die Gloria gerissen hat, standen ungeschützt auf der Weide. Man kann von einer Wölfin weder verlangen, dass sie zwischen Wild- und Nutztieren unterscheidet, noch dass sie völlig darauf verzichtet, Tiere zu fressen und beispielsweise auf Haselnüsse umsteigt. Schermbeck und Umgebung ist schon seit vielen Jahren Wolfsgebiet, das Verhalten der Wölfin hat sich rumgesprochen. Landwirte, die ihre Tiere draußen, ohne die vom Land geförderten Schutzmaßnahmen halten, sind entweder risikofreudig, dumm oder wollen Vorfälle provozieren, um Gründe für die Tötung zu produzieren.

 

Schafhaltung ohne Schutz
Eine Schafhaltung ohne Schutz ist in Wolfsgebieten nicht möglich – von der Natur auch nicht vorgesehen.

 

 

 

Ein weiterer, nicht unwesentlicher Faktor steht noch im Raum: Bei den von Gloria getöteten Tieren handelt es sich in der Regel zwar um landwirtschaftliche Tiere, aber nicht um Nutztiere, die Fleisch, Milch oder Wolle liefern.
Ponys haben in der modernen Landwirtschaft keine Funktion, außer Kindern als Spaßtier zu dienen. Man kann auf ihnen reiten, teilweise auch anderen Sport treiben, lernt, sich um ein Tier zu kümmern und kann wunderbar damit angeben (das gilt in gleichem Maße für Eltern).

Die meisten Schafe, die am Niederrhein gehalten werden, dienen der Landschaftspflege. Ihr „goldener Tritt“ verdichtet Deiche und Dämme. Beweidung mit Schafherden verhindert das Verbuschen offener Landschaften. Das Fleisch dieser Tiere wird eher selten verkauft und die Milchproduktion, hauptsächlich für Schafskäse ist auch eher eine Liebhaberveranstaltung.
Nun ist eine Schafherde in der Landschaftspflege nahezu genauso erfolgreich, wenn sie statt 500 Tieren nur noch 497 enthält. Zudem wird der Schäfer entschädigt.

 

Vor allem persönliche, nicht finanzielle Verluste

Die Schäden, die entstehen, sind vor allem emotional. Man erkläre mal einer Achtjährigen, dass ihr Pony vom Wolf gefressen wurde. Wer Jahre oder Jahrzehnte mit seinen Schafen durch die Landschaft zieht und Deiche oder Heiden abweiden lässt, kennt jedes seiner Tiere persönlich. Jedes Tier, das ein Wolf reißt, ist nicht „eins von 500 Schafen“, sondern hat einen Namen und eine Geschichte.
Dies gilt natürlich um so mehr, wenn es nicht diese Riesenherden sind, sondern einige Schafe, die jemand zur Liebhaberei im Garten hält.
Die Frage ist nur, ob sich das Verhalten vom Ämtern und Politikern an Emotionen, kurzfristigen oder langfristigen Zielen oder objektiven Erkenntnissen orientieren soll.

 

Schafe, Schäder, Hunde
Schafe, Schäfer und Hunde, so ging Weidewirtschaft jahrhundertelang, hier im Hainich

 

Gloria hat gelernt – Mindest-Schutzvorkehrungen reichen nicht

Andererseits: Gloria hat gelernt, nicht nur die Mindest-Schutzvorkehrung, einen 90 cm hohen Elektrozaun zu überwinden, sondern auch den „empfohlenen Schutz“, von 120 cm Höhe. Hier stellen sich zwei kritische Fragen: „Reicht in diesem Fall ein solcher Zaun als ‚Mindest-Schutzvorkehrung‘ überhaupt aus oder sollte das Land nicht einen höheren, massiveren Zaun fördern?“ und leider in diesem Zusammenhang auch: „Wenn die reproduzierende Wölfin Gloria das kann, lernen es nicht auch ihre Jungen und zeigen dieses Verhalten ggf. auch nach einer Abwanderung in anderen Gebieten?“ Hieraus ergibt sich die wesentlich kritischere Frage, ob wir damit nicht eine Linie von Wölfen konditionieren, denen die in vielen anderen Gebieten wirksamen 120 cm-Elektrozäune egal sind.

Eins ist klar: Ein Elektrozaun hilft nur da, wo höchstens gelegentlich mal Wölfe auftauchen. Wo ein Rudel lebt, sind Herdenschutzhunde angesagt (Hunde, keine Esel oder Alpakas)!

 

Gloria ist nicht beispiellos

Hierzu gibt es schlechte Erfahrungen aus einem anderen Naturschutzprojekt: Bei der Bärin Jurka aus dem Ursus Life-Projekt in Italien und ihren Jungen ist man zu lange „wohlmeinend“ mit problematischen Verhalten umgegangen. Dies hat letztlich in mehreren toten Jungbären (unter anderem JJ1 und JJ3), dem Einfangen von Jurka und dem Verlust ihrer Linie geendet. Dazu kommt das Gruppenverhalten der mitteleuropäischen Wölfe: Jungtiere bleiben nach dem Wurf meist den folgenden Winter, manchmal auch den Sommer bei den Elterntieren, lernen in ihrem 2. Jahr noch Vieles, was ein Wolf wissen muss, um dann abzuwandern und irgend wo anders sesshaft zu werden.

Für einzelne Junge von Gloria gibt es bereits Nachweise. 2022 tötete ein junges Männchen (geboren 2021), ein Sohn von Gloria in Seppenrade fünf Schafe. Am 25.04.2021 riss ein anderer Sohn (GW2089m) von Gloria im niederländischen Dinteloord ein Schaf. Keine dieser Meldungen hatte deutliche Folgen in den Medien, es ist daher davon auszugehen, dass sich die Jungtiere ebenfalls nicht spezialisiert haben. GW2089m ist kurz drauf, am 02.05.2021 das letzte Mal in einem Naturpark an der Belgisch-niederländischen Grenze nachgewiesen worden.

Von Tobias Möser

Tobias Möser hat Biologie, Geologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Schon als Kind war er vor allem an großen Tieren, Dinosauriern, später Walen interessiert. Mit der Kryptozoologie kam er erst 2003 in näheren Kontakt. Seit dieser Zeit hat er sich vor allem mit den Wasserbewohnern und dem nordamerikanischen Sasquatch befasst. Sein heutiger Schwerpunkt ist neben der Entstehung und Tradierung von Legenden immer noch die Entdeckung „neuer“, unbekannter Arten. 2019 hat er diese Website aufgebaut und leitet seit dem die Redaktion.